„Querlenker“ – Straßentheaterprojekt für Jugendliche in den Herbstferien

RadKULTUR – Modellkommune Heilbronn und Theater Heilbronn kooperieren

744587_original_R_B_by_Frank-Martin-Lauterwein_pixelio.deRadfahren ist gesund und man kommt mitunter viel schneller vorwärts als mit dem Auto. Deshalb ist Heilbronn 2015 Modellkommune der Initiative RadKULTUR des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden Württemberg. Das ganze Jahr steht im Zeichen der Mobilität mit dem Fahrrad. Während der Herbstferien vom 2.-6. November ist das Theater Heilbronn mit einem Straßentheaterprojekt für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren an den Aktionen für ein fahrradfreundliches Heilbronn beteiligt. Unter dem Motto „Querlenker“ setzen sich zwölf Mädchen und Jungen besonders mit dem Aspekt Sicherheit und gegenseitige Rücksichtnahme auseinander und wollen mit Theateraktionen rund um das Fahrrad auch andere dafür sensibilisieren. Dieses Thema ist in einer Stadt, in der Fußgänger- und Radverkehr teilweise nicht voneinander getrennt sind, wie beispielsweise in der Allee oder in der Fußgängerzone der Innenstadt, besonders wichtig. Theaterpädagogin Antjé Femfert leitet das Projekt. Entstanden ist es auf Initiative des Amtes für Straßenwesen Heilbronn.

Ablauf des Projektes

In der Herbstferienwoche vom 2.-6. November 2015 beschäftigen sich Jugendliche im Alter von 12-15 Jahren auf augenzwinkernde Weise im darstellenden Spiel mit der Situation von Radfahrern in Heilbronn.
1.    Phase
An den ersten 2 Tagen (2. und 3. November) werden die Jugendlichen Verkehrssituationen im Zusammenhang mit Radfahrern beobachten und zusammentragen. Der Fokus wird sich vor allem auf die Sülmer Straße und das Neckarufer richten. In beiden Straßen sind sowohl Fußgänger als auch Radfahrer in einer gemeinsamen Zone unterwegs. Radfahrer sind manchmal zu schnell, viele jugendliche Fußgänger konzentrieren sich statt auf den Verkehr ringsherum auf ihr Smartphone. Nicht selten kommt es so zu brenzligen Situationen, Zusammenstößen und verbalen Auseinandersetzungen. Die Jugendlichen beobachten, ob Autofahrer, Stadtbahnfahrer, Fußgänger und Radfahrer Blickkontakt zueinander aufnehmen, ob sich Radler an das vorgeschriebene Schritttempo halten, ob Querungshilfen und Zebrastreifen genutzt werden und wieviel Rücksicht die Verkehrsteilnehmer aufeinander nehmen.

2.    Phase
Die gesammelten Eindrücke werden an den nächsten beiden Tagen (4. und 5. November) zu Theateraktionen verarbeitet, die in Form von Flashmobs am 6. November in verschiedenen Bereichen der Innenstadt gezeigt werden sollen – unter Einbeziehung der Passanten. Geprobt wird dafür in der Theaterwerkstatt im Wollhaus. Die Jugendlichen erlernen an diesen zwei Tagen Grundlagen des Straßentheaters, mit dessen Methoden es ihnen gelingen soll, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen.

Erste Ideen für Flashmobs sind beispielsweise besondere Fahrradchoreografien, Belohnungsaktionen für besonders vorbildliche Verkehrsteilnehmer, Zeitlupenfahrten durch die Innenstadt oder Beifallsaktionen für alle Radler, die einen Helm tragen. Geplant sind auch spontane „Talkshows“ zum Thema Verkehrssicherheit an zentralen Punkten der Innenstadt, in die die Passanten verwickelt werden sollen. Während der Probenarbeiten werden sicher weitere Flashmobs mit den Jugendlichen entstehen.

3.    Phase
Am 6. November ist der Flashmob-Marathon in der Innenstadt geplant. Dabei hoffen die Jugendlichen auf unmittelbare Reaktionen von Passanten. Ein Kamerateam begleitet im Auftrag des Theaters die einzelnen Aktionen und entwickelt eine 15-20 minütige Dokumentation. Diese kann zum Beispiel an Schulen gezeigt werden, um die Idee der RadKULTUR zu verbreiten.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen demnächst Beifall geklatscht wird, weil Sie in angemessenem Tempo durch die Fußgängerzone radeln oder weil Sie einen Helm tragen.

Von Windmühlen und Vorurteilen

Jeton Neziraj schreibt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn

Jeton Neziraj

„Die Künstlerinnen und Künstler im Kosovo sind sich bewusst, dass sie in Europa nicht einfach so einen besseren Ort finden können“ als ihr Heimatland, sagte Jeton Neziraj kürzlich in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen. Er ist einer der wichtigsten Autoren und Intellektuellen seines Landes und schreibt jetzt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn, das 2016/17  hier inszeniert und anschließend auch in seiner Heimatstadt Pristina gezeigt werden soll. Worum soll‘s gehen? Fest steht schon mal der grobe Plot unter dem durchaus doppeldeutigen Arbeitstitel „Windmühlen“. Einer der Protagonisten des Stücks, ein deutscher Ingenieur, soll Windmühlen, besser gesagt gigantische Windkraftanlagen im Kosovo aufbauen. Ein Projekt, das Jahre dauern wird. Deshalb sollen ihn seine Frau und seine Tochter begleiten. Die beiden sind entsetzt und haben überhaupt keine Lust auf das Land. Ihr Bild vom Kosovo ist geprägt von den Berichterstattungen in den Medien, in denen häufig nur Probleme und Katastrophen eine Rolle spielen. Doch dann begleiten sie den Vater und Ehemann. Zunächst leben sie abgeschirmt von den Einheimischen in einem Diplomatenviertel. Doch beim Spielen verlässt die Tochter den eingezäunten Bereich, kommt mit den kosovarischen Kindern in Kontakt und lernt das Land von einer ganz anderen Seite kennen …

Vorurteile abzubauen gleicht auch häufig einem Kampf gegen Windmühlen. Für Jeton Neziraj ist dies ein Lebensthema, wie er beim Pressefrühstück im Theaterrestaurant Gaumenspiel erzählte. Drei Tage lang weilte er zusammen mit seinem Kollegen Agon Myftari, dem künstlerischen Leiter des Nationaltheaters Kosovo, in Heilbronn, um sich über die hiesige Theaterarbeit zu informieren. Neziraj sieht Theater als Mittel der politischen Auseinandersetzung und als Medium der Kritik – besonders in seiner Heimat Kosovo. Dort gilt er als zugleich gefeierter und gehasster regierungskritischer Oppositioneller. Für sein Stück „Einer flog über das Kosovotheater“ (2012) , in dem er das jüngste Land Europas mit dem Irrenhaus in Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ vergleicht, bekam er Morddrohungen und musste sich von einigen Medien den Vorwurf des Antinationalismus gefallen lassen. Die Premiere kam nur dank politischer Fürsprecher und unter Polizeischutz zustande.

Ein geradezu unerhörtes Ereignis war und ist seine „Romeo- und Julia“ Adaption (2015), die die beiden Liebenden in serbischen bzw. kosovarischen Familien ansiedelt. Die absurden nationalen Grabenkämpfe zwischen Serbien und der seit 2008 autonomen ehemaligen serbischen Teilrepublik Kosovo machen eine junge Liebe kaputt. Neziraj zwingt sein Publikum dem Kosovo-Albanisch von Romeos Familie und dem Serbisch von Julias Familie zuzuhören, denn das erfordere seiner Meinung nach Respekt und Geduld. Dass dieses Theaterstück von der serbischen und der kosovarischen Regierung finanziert wurde, ist von enormer politischer Bedeutung für beide Länder. Allerdings findet jede Vorstellung unter Polizeipräsenz statt, weil sowohl die serbischen als auch die kosovarischen Nationalisten keine Versöhnung wollen und die Sprache des „Feindes“ als Zumutung empfinden.
Viele seiner Stücke hat er in Deutschland oder in der Schweiz herausgebracht: „Peer Gynt aus dem Kosovo“ über die (negativen) Migrationserfahrungen der Kosovaren (2014) zusammen mit dem Jungen Staatstheater Wiesbaden oder „Kosovo für Dummies“ (2015) mit dem Theater im Schlachthaus Bern. 2013 erschien sein mit Timon Perabo gemeinsam verfasstes Buch: „Sehnsucht im Koffer: Geschichten der Migration zwischen Kosovo und Deutschland“. Allein 15 Prozent der Kosovaren haben ihre Heimat in den letzten Jahren in Richtung Deutschland verlassen.

Er plädiert für ein Bleiben in der Heimat, für eine Einstellung der zum Teil absurden interkulturellen Auseinandersetzungen. Er zeigt, dass Minderheitenprobleme, Korruption und Bürokratie generelle Themen sind. Und er ironisiert die übersteigerten Hoffnungen seiner Landsleute, die sie an ein Leben etwa in Deutschland knüpfen. So heißt es in seinem Stück „Peer Gynt aus dem Kosovo“: Es gibt einen Ort, wo alles besser ist. „Dort ist eine andere Welt. Wenn du kein Geld mehr hast, gehst du zur Bank und stellst einen Antrag, und du bekommst es, ohne es je zurückzahlen zu müssen. Ihre Läden nennen sie Supermarkt, weil es dort super Lebensmittel gibt. Ihre Haustüren lassen sie Tag und Nacht offen, niemand klaut, weil alle alles haben. Dort ist alles aus Gold.“

Er selbst würde sein Heimatland nie verlassen. Die Widersprüche dort, die Ungereimtheiten und Schwierigkeiten sind für ihn der Stoff, aus dem seine Geschichten sind. „Es ist aufregend, gerade jetzt dort zu sein, historische Veränderungen zu begleiten und zu spüren und sie mit seiner Arbeit sogar voran zu treiben.“
Für das Theater Heilbronn wird die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der kulturellen Vielfalt in dieser Stadt konsequent fortgesetzt, erinnert sei hier nur an Stücke wie „Heimat.com“, „Tito, mein Vater und ich“ oder „Die Leiden des jungen Osman.“

Gefördert wird die Zusammenarbeit aus dem Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden Württemberg rund vom Goetheinstitut Belgrad.

»Galilei ist einfach kein Taktiker«

Flammarion

»Ich habe meinen Beruf verraten«, bekennt Galileo Galilei. »Ein Mensch, der das tut, was ich getan habe, kann in den Reihen der Wissenschaft nicht geduldet werden.« Die bittere Selbstanklage, mit der Bertolt Brecht sein »Leben des Galilei« (fast) enden lässt, steht in schroffem Kontrast zum leidenschaftlichen Glauben an Vernunft und Wahrheit, mit dem er das Stück beginnt. Seit den frühen 1930er Jahren hatte er sich mit der Figur des 1564 in Pisa geborenen Wissenschaftlers auseinander gesetzt, der seine bahnbrechenden Erkenntnisse auf Druck der Inquisition 1633 widerrief. Das »Leben des Galilei« wurde für Brecht zu einer Art Lebensprojekt: Bis zu seinem Tod im Jahr 1956 überarbeitete und veränderte er den Text – und die Konzeption der Titelfigur. Die gesellschaftlich-politischen Brüche und Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten ebenso auf seine Arbeit ein wie die damals aktuellen Entwicklungen in Forschung und Wissenschaft, von der Spaltung des Atoms durch deutsche Physiker bis zu den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Kein Wunder, dass »sein« Galilei, der den historischen Galilei in der öffentlichen Wahrnehmung längst verdrängt hat, sich durch die drei überlieferten Fassungen Brechts vom klugen, widerständigen Aufklärer zur zwiespältigen und durchaus schuldbehafteten Figur wandelt.

Das Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen Wissenschaftler und Obrigkeit ist der komplexe Kern dieses »Meisterstückes«. »Wie weit dürfen Wissenschaft und Forschung gehen? Muss/Kann Wissenschaft der Politik – oder der Gesellschaft – dienen? Das sind wichtige und moderne Fragestellungen auch für unsere Gesellschaft«, bestätigt die Regisseurin Esther Hattenbach, die nach zeitgenössischen Stücken wie »Unschuld«, »Der Stein« oder »Verbrennungen« nun einen großen Klassiker auf die Bühne des Großen Hauses bringt. Wie ist ihr Zugriff auf die Titelfigur? »Galilei ist ein Wissenschaftler, der getrieben ist von seiner Neugier und der Leidenschaft nach Aneignung der Welt. Wissenschaft ist für ihn die Auseinandersetzung mit der ganzen Welt. Galilei ist einfach kein Taktiker.  Politische Dimensionen verkennend, verstrickt er sich im Ränkespiel mit der Obrigkeit, in diesem Fall die katholische Kirche und der Adel.« Die Berliner Regisseurin stellt das Diskursive des Stückes in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung: »Es wäre zu einfach, Gut und Böse zu verteilen. Alle Figuren haben aus ihrer Sicht heraus Recht. Aber sie scheitern darin, einen gemeinsamen Standpunkt auszuhandeln. Am Ende stehen nicht neu verhandelte Demokratie, sondern Konflikt und Spaltung. Eine Situation, wie wir sie ja auch gerade in Europa erleben.«

Für ihr Konzept haben Hattenbach und ihre Bühnenbildnerin Ulrike Melnik einen »Diskurs-Raum« entwickelt, auf dessen »Teppich der Macht« und zwischen allen Stühlen Galilei, seine Schüler und Unterstützer und seine Kontrahenten aufeinander treffen. Der Heidelberger Komponist und Musiker Johannes Bartmes wird dazu Hanns Eislers Lieder zu »Leben des Galilei« für eine live auf der Bühne spielende, dreiköpfige Combo (inklusive einer »Human Beatbox«) arrangieren.

Von Andreas Frane

Abformung eines menschlichen Körpers – oder wie ein künstlicher Toter hergestellt wird

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Ja, auf der Bühne wird auch gestorben. Nicht in Wirklichkeit – zum Glück, sondern nur zum Schein für die Kunst. Und manchmal müssen die „toten“ Körper nach ihrem Bühnensterben noch so allerhand ertragen, was ein quicklebendiger Schauspieler selbst mit größter Körperspannung nicht aushalten würde – stundenlang kopfunter hängen zum Beispiel. An dieser Stelle kommen unsere Meister der perfekten Täuschung ins Spiel – die Kolleginnen und Kollegen aus dem Malersaal. Diese verwandeln nicht nur schnödes Holz in Gold oder Styropor in Marmor, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Sie können auch täuschend echte Leichen herstellen. „Abformung eines menschlichen Körpers“ nennt sich ihr Verfahren. Für Heiner Müllers Schauspiel „Der Auftrag“ war dieser Tage ihr ganzes Können gefordert. Das hat zwar erst im Januar Premiere, aber die Werkstätten sind immer die ersten, die alle Zuarbeiten für eine Inszenierung geleistet haben.  Aus dem Malersaal kommen also diesmal unter anderem die „Leichen“.

Zunächst galt es, zwei Freiwillige zu finden, die sich als Schablone für diesen zugegeben etwas makaberen Job zur Verfügung stellen. Unsere zwei Schreinergesellen Luke Pantke und Lucas Steinhoff ließen sich nicht lange bitten. Wann wird schon mal der eigene Körper für die Kunst verewigt? Ob sie während des Procederes der Abformung glücklich waren, dass sie sofort zugesagt haben? Das hatte es nämlich ganz schön in sich und kostete sie Nerven, Geduld und so manches kleine Körperhärchen.

Die Konturen des Körpers werden zunächst mit Gips abgeformt. Am ersten Tag die Vorderseite. Dafür legten sich die beiden in der Stellung, die der „tote“ Körper später einnehmen soll, auf den Rücken. Sie mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen, die Hose wurde mit Klarsichtfolie umwickelt, damit man keine Abdrücke sieht. Dann wurden Luke und Lucas von Kopf bis Fuß dick mit Vaseline eingecremt. Röhrchen zum Atmen kamen in Mund und Nase. Und alle, die im Malersaal eine freie Hand hatten, deckten die Körper mit Gipsbinden zu. Man kennt diese Binden vom Arzt, wenn man sich einen Arm oder ein Bein gebrochen hat. Sie werden in Wasser getaucht, in noch weichem Zustand auf den Köper gedrückt und härten dann aus. Wer schon mal einen Gips hatte, weiß, wie unangenehm das sein kann. Doch hier wurde eine Hälfte des kompletten Körpers von Kopf bis Fuß eingegipst. Rund 20 Minuten durften sich die beiden nicht bewegen. Ganz klar, dass gerade in so einem Moment die Nase juckt und dass es Krämpfe in den Beinen gibt. Aber der Gipspanzer verhinderte auch das kleinste Zucken. Dann die Erlösung: Das Team um Malersaal-Vorstand Herbert Kübler und Karlheinz Kirchler hob vorsichtig die Gipshülle ab. Die Form wurde dann mit PU-Schaum und Gips stabilisiert. Denn schon am nächsten Tag mussten sich die beiden da rein legen, um die Hinterseite abformen zu lassen – wieder das unerträgliche Jucken, die Krämpfe, das regungslose Liegen – 20 unendlich lange Minuten. Dann war die Schablone fertig.

Wie Sandkastenförmchen werden diese Formen in einem nächsten Schritt komplett ausgefüllt – mit einer speziellen Gummimilch, die, wenn sie aushärtet, wie Fleisch aussieht. Stabilisiert wird das Ganze mit einem „Skelett“ aus Holzwirbeln, Knochen und Scharnieren (pardon Gelenken) – ganz nach dem Vorbild eines echten Menschen. Dies wird von den Abteilungen Schlosserei und Schreinerei beigesteuert. Anschließend sind wieder die Maler und zusätzlich die Abteilung Maske dran, die dem Gebilde aus „Muskeln“ und „Knochen“ noch Haut und Haare verpassen. Und dann dürfen die „Toten“ auf die Bühne.

Ich denke wieder einmal: was ist das Theater nur für ein verrückter, wunderbarer Ort, nicht nur auf der Bühne, sondern jeden Tag aufs Neue auch hinter den Kulissen.
Silke Zschäckel

Theater schenken zu Weihnachten

geschenkeZu Weihnachten haben wir für Sie zwei ansprechende Weihnachtspäckchen geschnürt – eins fürs große Haus und eins fürs Komödienhaus. Darin enthalten sind Karten für je vier Vorstellungen, die Sie Ihren Lieben oder auch Ihren Freunden oder Geschäftspartnern unter den Weihnachtsbaum legen können.

Unser Besucherservice berät Sie gern. Verkauf ab 1. November.

Weihnachtspäckchen Großes Haus

  • Fr, 15.01.16 Der nackte Wahnsinn
  • Fr, 19.02.16 Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution
  • Sa, 19.03.16 Gastspiel Mozart Requiem
  • Fr, 15.04.16 Richard O’Brien’s The Rocky Horro Show

Weihnachtspäckchen Komödienhaus

  • Sa, 09.01.16 Rita will’s wissen
  • Fr, 12.02.16 Laible und Frisch
  • Fr, 01.04.16 Die Lüge
  • Fr, 27.05.16 Der Hexer

Sommererinnerungen: Vorschaubuch auf Reisen

Wenn die Tage kälter, dunkler und regnerisch werden, dann lohnt es umso mehr zurückzudenken an die Erlebnisse im Sommerurlaub. Auch in diesem Jahr haben wir unsere Zuschauer aufgefordert uns Bilder zu schicken, die zeigen, wohin sie unser Vorschaubuch begleitet hat. Im September haben wir bereits die Gewinner der Aktion ausgelost und informiert. Nun zeigen wir einige der Bilder.

Oliver Firit macht Stop-Motion-Filme mit Star-Sprechern

FiritWenn jemand wie Darth Vader sich ändern kann, dann schafft es jeder. Das ist die Moral von der Geschicht’ in Oliver Firits Version von Charles Dickens’ Christmas Carol. Hier steht der dunkle Lord im Mittelpunkt und wird durch die Begegnungen mit den Geistern der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft von einem ignoranten, ja bösartigen Wesen zu einem liebevollen Vater, einem guten Lehrer und einem großen Vorbild. 57 Minuten dauert diese Stop-Motion-Produktion von »firi-film«. »A Sithmas Carol« ist sein bisher dritter Film, zwei davon abendfüllend, und Höhepunkt seiner Heuballen-Trilogie (weil in jeder Folge ein Heuballen auftaucht). Die ersten beiden Animationsstreifen heißen »Abenteuer auf Tatooine« (23 Minuten) und »The Omega Game« (72 Minuten). In diesen Action-Film-Persiflagen stolpern munter alle Haupthelden aus dem Star-Wars-Universum, aus »Herr der Ringe« und kämpferische Ninja Turtles durcheinander und werden zu Darstellern ganz neuer Geschichten, die Oliver Firit erfindet und mit vielen Effekten, Soundtracks und mit Profi-Sprechern umsetzt. Fast das ganze männliche Schauspielensemble und auch einige Schauspielerinnen des Heilbronner Theaters sind involviert und voller Begeisterung dabei – denn hier dürfen sie noch mal Kind sein. Und mit dabei ist auch ein echter Filmstar: Christian Friedel, der Darsteller des Elser aus »Elser – er hätte die Welt verändert«. Ein Freund von Oliver Firit seit Kindertagen. Beide sind zusammen in Magdeburg eingeschult worden, waren gemeinsam im Theaterjugendclub und haben dann beide Schauspiel studiert. Neben professionellen Sprechern haben die Animationsstreifen auch sonst alles, was zu großen Kino-Filmen gehört: Trailer, Plakate und ein lustiges Making Off.

Seit Anfang 2014 pflegt Oliver Firit sein, wie er zugibt, zeitraubendes Hobby. Alles begann damit, dass er für seinen ältesten, heute fünfjährigen Sohn Bastian eine Kiste mit alten Superheldenfiguren aus dem Keller holte und diese im Spiel zum Leben erweckte. »Und da erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich schon immer mal einen Puppentrickfilm machen wollte«, sagt er. Das Computerprogramm Movie-Maker machte es möglich: Mit einem Fotoapparat fotografierte er Veränderung für Veränderung – Arme und Beine, die sich heben und senken, Figuren, die in Flugobjekten durch den Raum fliegen. Bild für Bild wird bearbeitet, die Hände etwa, die Raketen durch den Raum fliegen lassen, werden rausretuschiert, stattdessen  blinkende Laserschwerter, sich bewegende Münder oder Lichteffekte hineinmontiert. Für Flugszenen am Himmel hat er ein ganzes Arsenal an schönen Wolken fotografiert, die je nach Bedarf zusammengefügt werden. Auch seine ganze Wohnung dient als Film-Kulisse. Das Bett mit einer dicken grauen Decke wird zu einer morbiden Gesteinslandschaft, bemalte Latexreste aus der Maske des Theaters werden zu Lavaströmen, die weißen Fliesen des häuslichen Bades zum hermetisch abgeriegelten Reich des Darth Vader auf dem Todesstern, sogar das Töpfchen von Benjamin, dem kleinsten Sprössling von Oliver Firit, dient in seiner spacigen Form als Kulisse. Ansonsten entstehen aus den Baukästen von Lego und Co, aus Pappe und Papier die wunderbarsten Hintergründe.

10 Bilder braucht er, um eine einzige Sekunde Film zu produzieren. Man kann sich vorstellen, wie lange er an einem Streifen sitzt. Angefangen von den gestellten Szenen, über die eingesprochenen Texte bis hin zum Schneiden und zur Postproduktion, wenn Sprache, Musik, Licht- und Toneffekte eins werden – alles wird mit Liebe und einem großen Augenzwinkern gemacht. Seine Frau Sabine ist nur manchmal ein bisschen sauer, wenn tatsächlich in der ganzen Wohnung Kulissen aufgebaut sind und sie kaum ein Bein vors andere setzen kann. Sie freut sich aber auch, wenn die Kinder Bastian, Lina und sicher irgendwann auch der Kleinste Benny, schon mitspielen und den Kinderfiguren ihre Stimmen leihen. Bastian und Lina haben sogar schon selbst angefangen, unter Anleitung vom Papa, kleine Animationsfilme mit ihren Spielsachen herzustellen. Hat er Lust, der Schauspielerei mal ganz den Rücken zu kehren und sich ausschließlich auf Animationsfilme zu konzentrieren? »Nein!«, sagt Oliver Firit. Erstens habe er als Schauspieler einen sehr spannenden Beruf – den er übrigens nicht nur als Sprecher, sondern auch manchmal als leibhaftiger gigantischer Actionheld, der im Film auf die Größe seiner Spielfiguren schrumpft, in seine Filme mit einbringt. Und zweitens würden ihm die Geduld und der Perfektionismus fehlen, welche die Macher von Filmen wie »Shaun das Schaf« und »Wallace und Gromit« an den Tag legen. Und er gesteht: »Das Sandmännchen«, auch eine animierte Figur, sehe er jetzt mit ganz anderen Augen. Voller Hochachtung für die Arbeit, die dahinter steckt.

Von Silke Zschäckel

Rauschhaftes »Pariser Leben«

Pariser Leben 6_klein»Tollheit durchrast diese fünf Akte«, schrieb der Librettist Ludovic Halévy über Jacques Offenbachs Komposition zur Operette »Pariser Leben«. »Die betörende Musik stürmt dahin, reißt mit, verwirrt die Sinne, putscht auf und nimmt den Atem. Alles tanzt, alles wirbelt dahin …« Damit hatte Offenbach zweifellos erfüllt, was seine Auftraggeber von ihm verlangten. Zur großen Weltausstellung in Paris 1867 sollte er eine Opera buffa komponieren, die dem Charakter der Metropole an der Seine gerecht werden sollte.
Paris war im 19. Jahrhundert die Hauptstadt Europas und internationaler Treffpunkt der mondänen Gesellschaft. Bereits 1866 feierte sein »Pariser Leben« Uraufführung. Entgegen den Befürchtungen der Beteiligten, die wegen des etwas frivolen Charakters des Werkes durchaus mit einem Skandal rechneten, wurde diese Operette ein Riesenerfolg. Bis heute zählt »Pariser Leben« neben »Orpheus in der Unterwelt« und »Die schöne Helena« zu den größten Erfolgen Offenbachs.
Jetzt kommt das Pfalztheater Kaiserslautern mit der Inszenierung von Andreas Bronkalla und einem Großaufgebot an Sängern, Tänzern und Musikern nach Heilbronn. Das Urteil nach der Premiere in Kaiserlautern lautete: »Mit prächtigen Kostümen, einem wohldurchdachten Bühnenbild und einer leichtfüßigen Inszenierung ließ das >Pariser Leben< keine Wünsche offen.« Diese Operette ist vor allem eins: eine Hommage an Paris als die Stadt der Liebe und des Flirts.
Metella, eine schöne Dame von etwas zweifelhaftem Charakter, hat so manchem Mann das Herz gebrochen. So auch den beiden Freunden und Lebemännern Raoul de Gardefeu und Bobinet Chicard, die darüber in Streit gerieten und nun am Pariser Bahnhof auf die Dame ihres Herzens warten. Metella jedoch steigt mit einem anderen Herrn aus dem Zug und ignoriert ihre beiden Verehrer, die in ihrer Not wieder zu alter Verbundenheit, aber auch zu gemeinsamen Streichen zurück finden. Um sich über Metella hinwegzutrösten, versuchen sie an andere schöne Frauen heranzukommen. Wie soll das besser gelingen, als in der Rolle eines Fremdenführers, der Damen von internationaler Klasse mit den schönen Seiten von Paris vertraut macht. Gardefeu schlüpft in diese Rolle und kümmert sich um ein adeliges schwedisches Paar, Baron Gondremarck und dessen Frau Christine. Während der Baron ein besonderes Faible für die Pariser Frauen hat, von denen ihm eine gewisse Metella besonders ans Herz gelegt wurde, interessiert sich seine Frau, die so ganz nach Gardefeus Geschmack ist, für Oper und die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Kurzerhand verwandelt Raoul Gardefeu sein Haus in eine »Dependance« des Grand Hotels und kostümiert seine Nachbarn und zufällig anwesende Handwerker als Herrschaften der besseren Gesellschaft. Als Metella auf Wunsch des schwedischen Barons vorbeikommt, sieht sie natürlich sofort, dass Gardefeu sein Interesse an ihr verloren hat und ist eifersüchtig. Dennoch wird ein rauschendes Fest gefeiert, das sein Freund Bolinet am nächsten Tag in der Wohnung seiner Tante in ähnlicher Besetzung wiederholt. Jetzt reicht es Metella. In einem Brief an die Baronin Christine offenbart sie den ganzen Schwindel und die Frauen beschließen, nun ihrerseits die Männer an der Nase herumzuführen…

Von Silke Zschäckel

Theaterinstallation macht nachvollziehbar, was Flüchtlinge während des Asylverfahrens erleben

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Nach monatelanger Flucht heißt es zunächst erst einmal warten. Zwei Beamte registrieren dich und nehmen deine Fingerabdrücke. Du bekommst jetzt für 30 Minuten die Identität von Ellaha Saleh aus Afghanistan, 19 Jahre alt. Du bist geflohen, weil du mit 14 Jahren zwangsverheiratet wurdest. Dein Mann schlägt dich. Weil du es nicht mehr ausgehalten hast, bist du über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geflohen. Mit dem Auto, zu Fuß und mit dem Zug unter großen Strapazen. Doch die sind jetzt vergessen, denn du bist in Sicherheit und das Asylverfahren beginnt…

Mit der Theaterinstallation Fluchtpunkt: Berliner Platz wollen Schauspieler, Regieassistenten, Dramaturgen und Theaterpädagogen des Heilbronner Theaters nachvollziehbar machen, was Flüchtlinge in Deutschland während des Asylverfahren erleben. Dieses Projekt, das in kürzester Zeit realisiert wurde, hat Schauspielerin Anastasija Bräuniger initiiert und es ist allen Mitstreitern eine Herzensangelegenheit. Sie schlüpfen in die Rollen der Beamten, die das Asylverfahren durchführen.

In Zusammenarbeit mit den Werkstätten des Theaters wurden sechs behelfsmäßige Container auf dem Berliner Platz errichtet: Ein Ankunftsraum, ein Erstaufnahmelager, ein Asylbewerberheim, ein Raum, in dem Auszüge aus Leserbriefen, Facebook oder Internetforen ausgestellt sind und die zum Teil so krasse Vorurteile zum Ausdruck bringen, dass einem schlecht wird. Schließlich der Raum, in dem die Anhörung zum Asylverfahren läuft. Wieder Warten. Dann die Verkündung des Urteils … 

Als Ellaha Saleh hast du keine Papiere. Nur ein provisorisches Dokument, das die Deutschen ausgestellt haben. Du darfst im Erstaufnahmelager warten. Die einzige Unterhaltung ist ein Fernseher mit schlechtem Bild. Drei Monate verbringst du hier. Dann geht es weiter ins Asylbewerberheim, wo du mit 10 Menschen in einem Raum wohnst. Viereinhalb Quadratmeter Platz stehen dir zu. Die Waschräume sind nicht nach Männern und Frauen getrennt. Wenn du auf der Straße bist, siehst du die Abneigung in den Augen der Menschen, manche äußern sie auch direkt. Dann endlich die Anhörung, du bist aufgeregt. Der Beamte spricht schnell, schaut dich kaum an. Interessiert er sich überhaupt für dein Schicksal?  25 Fragen werden gestellt. Erst Frage Nummer 24 ist die nach den Gründen deiner Flucht. Da bist du schon ganz müde und ausgelaugt.

Wieder heißt es warten. Dann das Urteil: Als Frau in Afghanistan geschlagen und missbraucht zu werden, sei kein ausreichender Fluchtgrund. Denn das gehört in Afghanistan zur Normalität. Du wirst in Deutschland kein Asyl erhalten und darfst entweder freiwillig gehen oder wirst abgeschoben. Du schreist, dass dies dein Todesurteil ist. Aber das interessiert nicht. Die Gewalt gegen Frauen sei kein hinreichender Grund um als politisch Verfolgte anerkannt zu werden.

Der letzte Raum der Installation vereint Flughafengeräusche, Politikerstatements und Ankündigungen abgeschobener Flüchtlinge, es auf jeden Fall wieder zu versuchen, nach Deutschland zu gelangen, zu einer lauten Kakophonie.