Drosselbarts Küsse und die Fragen der Prinzessin

»König Drosselbart und das Mädchen Prinzessin« nach dem Märchen der Brüder Grimm von Horst Hawemann als Weihnachtsmärchen
Premiere am 3. November im Großen Haus

Bühnenbild Drosselbart
Bühnenmodell Drosselbart
Modell von Tom Musch

 

Ach, hätt’ ich genommen den König Drosselbart, ruft die Prinzessin im Märchen der Brüder Grimm drei Mal auf dem langen beschwerlichen Weg vom Schloss ihres Vaters zur ärmlichen Hütte des Mannes, den sie zur Strafe für ihren Hochmut heiraten musste. Die Ausrufe stehen am Anfang einer harten Bewährungsprobe für die junge Frau, die das Märchen vor das Happy End gesetzt hat. Denn bekanntlich entpuppt sich der Bettlerehemann als König Drosselbart, und das ist eben jener König mit dem spitzen Kinn, der zuvor schon um die Hand der Prinzessin anhielt und sich von ihr verspotten lassen musste. Das Theater Heilbronn zeigt das Märchen in einer Fassung des 2011 verstorbenen Berliner Regisseurs und Autors Horst Hawemann. Abseits der Besserungsgeschichte um eine junge Frau, die sich dem Zwang, heiraten zu müssen, widersetzt, ist Hawemann im Grimmschen Märchen auf die Suche gegangen. Dank seiner Hingabe und seiner Fantasie stieß er auf Winkel, die einem normalerweise nicht sofort ins Auge fallen. Seine Prinzessin ist ein Mädchen, das seinem Vater auf der  Nase herumtanzt. Doch auch die Freier, mit denen der Vater sie verheiraten möchte, sind eine Zumutung: einer voll wie ein Weinfass, der nächste ein Ausbund an Habsucht, ein anderer ein abgebrochener Riese. Recht hat sie, die Prinzessin, wenn sie solche Typen vom Hof jagt und dem Vater die kluge Frage stellt: »Soll ich heiraten oder du?« Nur der letzte ihrer Freier ist anders. Er kann das schlagfertige Mädchen aus dem Konzept bringen. Immerhin wird sie von seinem Kuss verunsichert, aber die Prinzessin weist auch ihn ab.
Ein Mädchen auf dem Weg zum Erwachsensein beschreibt Hawemann. Er zeigt Menschen, die einander lieben und trotzdem (oder deshalb) miteinander in Konflikt geraten. Der alte König folgt der Tochter zum Bettlerhaus, weil er wissen muss, wie es ihr ergeht. Drosselbart hält die Maskerade als Bettler fast nicht aus. Den Liebenden drängt es, sich zu offenbaren und seine Liebe zu gestehen. Diesen Menschen gibt Hawemann gegen die Ungewissheit des guten Ausgangs einen Helfer an die Hand, einen Erzähler, der auch mitspielt. In der Inszenierung von Uta Koschel hat er sich gleich verdoppelt. Zwei erzaktive Einmischer mit Musikinstrumenten, mit Worten und mit vollem Körpereinsatz übersteigen immer wieder die Grenze zu den Figuren der Geschichte, schlagen aber auch den Bogen zurück zum Grimmschen Märchenbuch, wenn sie zwischen den Spielszenen das Geschehen gerafft zusammentragen. Voraussetzungen dafür schafft die Bühne von Tom Musch, die sich optisch an illustrierte Märchenbücher und an das Papiertheater anlehnt. Bemalte Flächen staffelt er im Raum: Ein rahmendes Portal, Gassen, Kulissen zum Hereinziehen und Hinausschieben und einen Prospekt im Hintergrund. Esther Kemters Kostüme machen die Verwandlungen der Figuren sichtbar. Nicht nur Drosselbarts Maskeraden und den Abstieg der Prinzessin zur Frau des Bettlers gilt es zu zeigen. Auch die Erzähler schlüpfen immer wieder in andere Rollen: Fischer, Holzfäller, Marktfrauen und und und. Es gibt allerhand zu entdecken in dieser einfallsreichen Aufführung, in der die Spielfreude der Schauspieler allenthalben zu spüren ist.

Johannes Frohnsdorf, Dramaturg

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