Die Schlüsselfiguren im Dunkeln

inspizienten

Was machen Sie eigentlich vormittags?

Guten Abend, meine Damen und Herren. Das erste Zeichen. Es ist 19 Uhr. In einer halben Stunde beginnt die Vorstellung.« Die Stimme des Inspizienten ist in allen Räumen hinter der Bühne zu hören, sogar auf den Toiletten. Ab 19 Uhr hört alles auf sein Kommando. Die Zuschauer sehen diesen wichtigen Mitarbeiter des Theaters eigentlich nur, wenn er sich mit einem letzten Blick in den Saal überzeugt, dass das Publikum die Plätze eingenommen hat. Er lässt die Saaltüren schließen, verschwindet in eine dunkle Ecke neben der Bühne, tritt an sein Inspizientenpult, das mit Monitoren, Knöpfen und Lämpchen ausgestattet ist, und gibt das Zeichen für den Beginn der Vorstellung. Von nun an ist er die Schaltstelle zwischen Kunst und Technik, eigentlich das Gehirn des Abends, das sämtliche Abläufe hinter der Bühne koordiniert. Was sich hinter den Kulissen abspielt, kann man als Zuschauer nur erahnen. Neben den Schauspielern warten Techniker, Ankleider, Requisiteure, Maskenbildner und Spezialisten für Licht und Ton auf ihre Einsätze, die auf die Sekunde miteinander abgestimmt sind. Nichts läuft ohne Signal des Inspizienten. Er gibt die Cues für jeden Lichtwechsel, für die Toneinsätze, für die Auftritte der Schauspieler. Vom Inspizienten kommen die Anweisungen für Spezialeffekte und Umbauten, für den Einsatz der Requisiten, für schnelle Umzüge und am Ende dafür, wie oft sich die Schauspieler im Beifall verbeugen. Jedem, der einmal die Gelegenheit hat, einem Inspizienten über die Schulter zu gucken, nötigt diese Arbeit sehr viel Respekt ab. Konzentration von der ersten bis zur letzten Sekunde und Gelassenheit in Situationen, in denen in diesem hochtechnisierten, immer etwas künstlerisch-nervösen und fein getunten Apparat etwas nicht klappt, zeichnet sie aus.

Drei Kollegen arbeiten in diesem Beruf am Theater Heilbronn. Ihre Wege sind sehr unterschiedlich, denn eine feste Berufsausbildung gibt es für diese anspruchsvolle Tätigkeit nicht. Viele Kenntnisse über das Zusammenwirken aller Details, die für die Vorstellungsabläufe nötig sind, erwirbt man sich im Theateralltag. Seit Bestehen des Hauses am Berliner Platz ist Detlev Hahne dabei, der zuvor als Techniker am Theater der Altstadt in Stuttgart gearbeitet hat, dann als Regieassistent und Inspizient an die Komödie im Marquardt wechselte und mit dem Neubau des Theaters nach Heilbronn kam. Eine kurze Unterbrechung führte ihn 1984 nach Hannover, aber die Liebe brachte ihn schnell wieder zurück. Kim Dinah Burkhard hat Stage-Management in London studiert – eine vergleichbare Ausbildung gibt es in Deutschland nicht. Das Theater Heilbronn war ihre erste Station und sie ist es seit 1998. Dritter im Bunde der Inspizienten ist seit 2004 Lars Erik Bohling. Er hat Theaterwissenschaften studiert, bei den Salzburger Festspielen als Spielleiter gearbeitet, war an den Staatstheatern Darmstadt, Mainz und an der Oper Frankfurt als Regieassistent im Musiktheater beschäftigt, hat eigene Inszenierungen realisiert, einen europäischen Nachwuchs-Sängerwettbewerb organisiert, war bei Rundfunk und Fernsehen tätig und ist schließlich ans Theater Heilbronn gekommen.

Schon in den Proben sind die Inspizienten dabei. Jeder hat seine festen Stücke, doch im Notfall müssen sie sich auch gegenseitig vertreten können. Ihr Gedächtnis ist das Inspizientenbuch, das während der Proben entsteht, ständig weiterentwickelt wird und neben dem Text alle Anweisungen für Licht, Ton, Umbauten und die Auftritte enthält. Jeder der drei kann das Buch des anderen lesen und damit arbeiten. Die Stichworte sind extra markiert. Was aber passiert, wenn ein Schauspieler mal ein Stichwort auslässt oder ein Techniker auf das Einsatzsignal des Inspizienten nicht rechtzeitig reagiert? »Dann heißt es für uns ganz sensibel und aufmerksam das Geschehen auf der Bühne zu verfolgen und den Fehler sofort auszubügeln«, sagt Kim Dinah Burkhard. »Mit den Jahren entwickelt man ein Gefühl dafür, wenn sich eine schwierige Situation anbahnt und ist bereit für den schnellen Eingreifplan«, ergänzt Lars Erik Bohling. Menschenkenntnis und Einfühlungsvermögen in die Eigenheiten der Regisseure, der Schauspieler und aller anderen Kollegen gehören deshalb zu ihren wichtigsten Eigenschaften.

Was sie alle drei reizt, ist die große Verantwortung, die sie tragen, die Team-Arbeit und der Nervenkitzel des Live-Erlebnisses. Kein Abend ist wie der andere. Sie allerdings dürfen nie die Nerven verlieren, denn von ihrer präzisen Arbeit können sogar Menschenleben abhängen. »Die Bühne ist ein gefährlicher Ort«, sagt Detlev Hahne. Und Bühnenunfälle, die durch Fehlentscheidungen von Inspizienten verursacht wurden, hat es an anderen Theatern schon gegeben. Hier zum Glück noch nie. Als Nervennahrung für alle steht auf dem Inspizientenpult immer eine 1000-Gramm-Packung mit Gummibärchen. Das gehört zu den Ritualen, genau wie der Gang durchs Haus eine Stunde vor der Vorstellung, um nachzusehen, ob die Bühne richtig eingerichtet ist, die Requisiten und Kostüme bereitliegen und ob alle Techniker, Schauspieler und die Feuerwehr an Ort und Stelle sind. Über 500 Mal pro Spielzeit sind Detlev Hahne, Kim Dinah Burkhard und Lars Erik Bohling für das Gelingen der Vorstellung verantwortlich. Das was sie leisten, wissen alle im Theater zu schätzen. Das Publikum sieht diese wichtigen Schlüsselfiguren im Dunkeln nicht, denkt aber vielleicht beim nächsten Beifall auch an sie.

Silke Zschäckel

Eine Antwort auf “Die Schlüsselfiguren im Dunkeln

  1. Hallo, dies ist eine Email für Herrn Lars Erik Bohling.
    Er weiss, wer ich bin. Ich habe die Internetseite gesehen . Es wäre schön, wenn er sich mal meldet.
    Gruss

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