Tanz! Heilbronn Nachlese – ein paar Gedanken zur Entwicklung des Themas

Von Festivalkuratorin Karin Kirchhoff
 
Ballet Boyz
Ballet Boyz

„Männer unter sich – Aspekte von Männlichkeit“ war das Thema des diesjährigen Tanzfestivals. Nach einer mit Veranstaltungen und Aktivität vollgepackten Woche kann ich nun die Eindrücke nachklingen lassen.

Entwickelt hatte sich das Motto bereits im Sommer 2014 – so lang ist der Vorlauf für das Festival immer, denn die großen Kompanien planen ihre Gastspiele mindestens ein bis anderthalb Jahre im Voraus. Ich hatte – zunächst eher zufällig – mehrere Stücke von reinen Männerkompanien gesehen. Daraus entstanden die Fragen, was denn eigentlich das Besondere daran sei und welche Art von Männertypen auf der Bühne dargestellt werden. Letztere bezieht sich einerseits auf die sozialen Rollen – Männer als Väter, als Konkurrenten, als Liebhaber, als Kumpel etc. – und andererseits auf die dargestellte Körperlichkeit.

Im Tanz findet sich naturgemäß ein sehr schlankes, muskulöses Körperbild, weil die Tänzer einerseits schon in der Ausbildung daraufhin selektiert werden und sie andererseits durch ihr ständiges Training diese Physis erhalten.

Dennoch kann der Tänzerkörper so oder so inszeniert werden. Die Bewegungen können betont athletisch sein und viel Kraft erfordern, also das klassische Männerbild oder Stereotyp betonen. Das konnte man im Festival insbesondere in dem Stück „The hidden men“ von Pál Frenák sehen. Sie können aber auch weich und fließend sein und weniger durch Kraft als durch gute Technik oder geschickten Energieeinsatz erzeugt werden, woraus bei Männern und Frauen eine ähnliche Bewegungsqualität möglich ist (z.B. im Eröffnungsstück von Emanuel Gat oder im zweiten Teil des BalletBoyz-Programms).

Als mein „Such-Radar“ dann auf das Männerthema eingestellt war, fanden sich erstaunlich viele Arbeiten, die sich direkt mit dem Thema befassten oder indirekt sehr gut dazu passen würden. In der Kunst spiegeln sich ja immer auch gesellschaftliche Veränderungen wider. Nachdem sich die Frauen in der Folge der Emanzipationsbewegung über Jahrzehnte mit der Neudefinition von Selbstbildern und Rollenverständnis beschäftigt haben, ist auch das Mann-Sein schon lange nicht mehr selbstverständlich. Das gewachsene Wissen um Trans- oder Intersexualität und die Gender-Queer-Bewegung haben der Diskussion zusätzlich eine neue Richtung gegeben und frühere vorgebliche Gewissheiten weiter infrage gestellt.

Neben den allgemeinen Aspekten forderte das Thema auch persönliche Antworten: Welche Männer interessieren mich am meisten? (die Untypischen mit vielen sogenannten weiblichen Anteilen) Zu welchen Frauen fühle ich mich hingezogen? (zu den Untypischen mit vielen „männlichen“ Anteilen). Was macht für mich Frau-Sein oder Mann-Sein aus? Welche Einflüsse haben mein Männerbild geprägt? (Kindheit, Schule, die westdeutsche Frauenbewegung der 80er Jahre, Erfahrungen mit mehr oder weniger subtiler Diskriminierung, Begegnungen mit selbstreflektierten Menschen beiderlei Geschlechts, eine glückliche Ehe…). Im Dezember 2014 starb mein Vater und es wurde mir nochmal neu bewusst, wie mein Männerbild auch durch diesen freundlichen, humorvollen, intellektuellen Menschen geprägt wurde, der dennoch (natürlich) nicht frei war von herkömmlichen Vorstellungen und den Prägungen seiner Generation.

All dies kann sicher nicht Gegenstand eines Festivalprogramms sein, aber das Theater ist ja ein wunderbarer Ort, um Gedanken und Diskussionen anzustoßen. Daher fanden sich in diesem Festivalprogramm besonders viele Publikums- und Künstlergespräche und zwei Workshops für Menschen auch ohne tänzerische Vorkenntnisse.

Ein wirkliches Experiment war die Aufteilung in Männer- und Frauengruppe bei den Publikumsgesprächen. Ko-Moderator Andreas Frane und ich waren zunächst recht unsicher, ob die Männer daran teilnehmen würden. Es fanden sich aber mehr Männer als erwartet sowie zahlreiche Frauen in den jeweiligen Gruppen ein, und die getrennten Diskussionen waren ergiebiger und offener als die in der anschließenden gemeinsamen Runde.

Die Latte ist jetzt allerdings hoch gehängt: mal sehen, ob uns im nächsten Jahr wieder ein so vielseitiges Thema gelingt.

Karin Kirchhoff

Eine Antwort auf “Tanz! Heilbronn Nachlese – ein paar Gedanken zur Entwicklung des Themas

  1. Wundervoll mutige Ideen, die Ihr da habt.
    Es freut mich, dass Euer Weg bestätigt wurde.
    Bitte weiter so … und nächstes Jahr fällt Euch wieder etwas spannend Neues ein.

    Ihr seid Klasse.
    Oli vom ALTEN THEATER Heilbronn

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