Der Funke muss überspringen

Canan Erek blickt voller Vorfreude auf das erste von ihr kuratierte Festival »Tanz! Heilbronn«

Seit 2021 ist Canan Erek (*1968 in Istanbul, seit 1987 lebt sie in Deutschland) die neue Kuratorin des Festivals »Tanz! Heilbronn«. Die Tänzerin, Choreografin und engagierte Kulturvermittlerin freut sich darauf, vom 17.-22. Mai 2022, ihr erstes Festivalprogramm zu präsentieren.

Canan Erek ist neue Kuratorin von »Tanz! Heilbronn«; Foto: B. Lorenz Walter

Als Tochter aus bildungsbürgerlichem Hause besuchte Canan Erek in ihrer Kindheit und Jugend den klassischen Ballettunterricht in ihrer Heimatstadt Istanbul: »Obwohl ich rein physisch für diese Art von Tanz gar nicht geschaffen war, arbeitete ich hart«, erinnert sie sich an ihre Anfänge. Eines Tages brachte eine Tanzlehrerin eine Videokassette mit zwei legendären Stücken von Pina Bausch mit: »Café Müller« und »Le Sacre du printemps«. Canan, damals 18 Jahre alt, war hingerissen. So kann Tanz also auch aussehen! Sie recherchierte und fand die Folkwang-Hochschule in Essen, in der Pina Bausch den Bereich Tanz leitete. Warum es nicht einfach versuchen! Sie kam nach Deutschland, nahm an einer Audition in Essen teil, wurde genommen und begann 1987 ihre Ausbildung im zeitgenössischen Bühnentanz. »Pina Bausch hat selbst zwar keinen Unterricht gegeben, aber sie kam mehrmals im Jahr, um sich unsere Entwicklung anzuschauen und mit uns über unsere tänzerischen Ausdrucksformen zu reden.« Sie war es auch, die Canan bestärkt hat, nach der Tanz-Ausbildung noch ein Studium der Choreographie dranzuhängen, nachdem sie erste, noch während des Studiums selbstkreierte Stücke der jungen Tänzerin gesehen hatte.

Von Essen ging es ins wilde Ost-Berlin Anfang der 90er-Jahre. Hier studierte sie als erste türkische Studentin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Choreographie. Die Erfahrungen des Ost-West-Clashs im zusammenwachsenden Berlin fand sie damals zwar spannend, aber auch anstrengend, weil sie sich nirgends zugehörig fühlte, erinnert sich Canan Erek. Ihre künstlerische Heimat wurde ab 1996 das Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen Theatern in Berlin und auf Festivals gezeigt. Als Gastchoreografin arbeitete sie u. a. für die Australian Opera in Sydney, für das Hans Otto Theater in Potsdam und für das Berliner Ensemble. Ein dreijähriges Intermezzo führte sie nach Leipzig als Leiterin des dortigen Tanztheaters. Dann ging sie wieder zurück nach Berlin, um zu tanzen, zu choreografieren und immer mehr nach außergewöhnlichen Ausdrucksformen zu suchen.

Tanz an anderen Orten zu inszenieren, als man ihn erwartet, in Parks etwa oder in Bürgerämtern – eben mitten im öffentlichen Raum, das hat Canan Erek damals schon interessiert. Der besondere Reiz, auf Leute zuzugehen, die sich nicht von vornherein für Tanz begeistern, das fand Canan Erek spannend. Bis heute ist dies ein wichtiges Element ihrer Arbeit, die sich mehr und mehr in den Bereich Kulturvermittlung, Projektmanagement, kulturelle Bildung und Festivalleitung verlagert.

Gerade hat Canan Erek eine deutschlandweite Online-Konferenz geleitet: »Auf dem Sprung zur Sparte? – Tanz für junges Publikum«, war sie überschrieben und ging der Frage nach, ob man ähnlich wie das Junge Theater in Deutschland auch den Jungen Tanz als feste Institution an den Theatern etablieren kann. Canan Erek hat beste Erfahrungen auf diesem Gebiet. Seit 2017 leitet sie »PURPLE – Internationales Tanzfestival für junges Publikum« in Berlin. Sie erlebt immer wieder, dass Kinder und Jugendliche durch ihre natürliche, aktive und offene Haltung ein wunderbares Publikum sind, das man eigentlich für alles begeistern kann. Sie haben es sogar sehr leicht, sich in die abstrakten Formen des Tanzes hinein zu fühlen. Diesen Schwerpunkt will sie auch als neue Kuratorin des Festivals Tanz! Heilbronn stärken. Zwei der sieben eingeladenen Stücke wurden explizit für junges Publikum erarbeitet.

Das Festival »Tanz! Heilbronn« findet vom 17. bis 22. Mai 2022 am Theater Heilbronn statt.; Foto: Sergine Laloux

Bei der Auswahl aller Festivalbeiträge ist es Canan Erek wichtig, dass der Funke überspringt und die Zuschauer eine intensive Beziehung zu den Produktionen des zeitgenössischen Tanzes aufbauen können. »Mein Interesse als Künstlerin und Kuratorin gilt zuallererst der kommunikativen Komponente. Wie nimmt ein Stück zum Publikum Kontakt auf, hält die Verbindung und gestaltet einen Dialog?«, fragt sie. Das »Wie« einer ästhetischen Konzeption könne sich mit dem »Was« der inhaltlichen Auseinandersetzung auf vielfältigste Weise verbinden. Für Canan Erek ist es wichtig, dass alle Stücke eine Einladung an das Publikum aussprechen, mit seiner Vorstellungskraft aktiv ins Geschehen einzusteigen und sich auch emotional begeistern zu lassen. So, wie ihr es damals ging, als sie auf einer Videokassette die Stücke von Pina Bausch sah, die so viel Energie in ihr freisetzten, dass sie sich auf den Weg nach Deutschland machte, um es einfach zu versuchen.

Hier gibt es nähere Informationen zu den diesjährigen Programmpunkten von »Tanz! Heilbronn«:

»Fliegende Wörter«. Ein Tanzstück für Klassenzimmer und Schulen von Ceren Oran & Moving Borders
»Le chant des ruines«. Deutsche Erstaufführung der Comapgnie Michèle Noiret (B)
»Cosmic A*«. Deutsche Erstaufführung von Charlie Prince (LB)
»Balancing Bodies« der Compagnie Woest (NL)
»Set of Sets« von GN|MC Guy Nader | Maria Campos (LB/ES)
»Sonoma« von La Veronal (ES)
»Vanishing Point« von Panama Pictures (NL)
Hip-Hop-Tanzworkshop mit Zenny Flex für Jugendliche (13-18 Jahre)
Tanzen im besten Alter mit Nicole Berndt-Caccivio – Kreativer zeitgenössischer Tanz für Menschen 50+

Die Theaterclubs treffen sich wieder

Unsere Theaterclubs haben mit ihren Proben begonnen. Ich war dabei und gebe heute einen Einblick in die ersten Treffen, die endlich wieder hier vor Ort im Theater stattfinden können. Nach fast 2 Jahren wurde das aber auch Zeit! In der letzten Spielzeit fanden die Clubs zum ersten Mal online statt. Das hat auch gut funktioniert, und gemeinsam konnten die Theaterpädagoginnen und die Clubmitglieder tolle Stücke erarbeiten, aber letztlich ist es für alle nicht das gleiche, wie live und in Farbe miteinander zu spielen. „Vor Ort hat man einfach andere Möglichkeiten. Mehr Möglichkeiten auch, mit Körperlichkeit und Raum zu arbeiten. Man ist sich insgesamt näher, hat einen anderen Austausch und das Spielen ist noch dynamischer“, erzählt Schulreferentin Anna-Lena Weckesser, die den Club der 13- bis 16-Jährigen betreut.

Die Mitglieder des Theaterclubs für 9-12-Jährige machen sich Gedanken zum Spielzeitmotto »Wi(e)dersprechen« – gemeinsam mit Schauspielerin Nora Rebecca Wolff.

Wie wichtig diese Dynamik untereinander und das Einnehmen von Raum für die Arbeit der Clubs sind, erlebe ich bei meinem Besuch in den Theaterclubs hautnah. Theaterpädagogin Christine Appelbaum leitet gemeinsam mit der Schauspielerin Nora Rebecca Wolff den Club der 9- bis 12-Jährigen. An diesem Tag steht das Thema Emotionen auf dem Plan. Alle Kinder laufen kreuz und quer durch den Probenraum und nehmen dabei verschiedene Emotionen an. Mal sind sie fröhlich und hüpfen munter durch die Gegend, mal schlurfen sie traurig über’s Parkett, um dann wieder selbstbewusst-mutig mit erhobener Brust zu stolzieren.
Im Club der 16- bis 27-jährigen, den die Theaterpädagogin Natascha Mundt und der Schauspieler Andreas Schlegel betreuen, gestaltet sich dieser Raumlauf etwas anders, denn hier steht heute der Körper im Fokus. So sollen sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten den Raum durchqueren, aber alle so synchron wie möglich. Nach einer kleinen Übungsrunde wird wild zwischen verschiedenen Tempi hin und her geswitcht – vom Rennen geht es prompt ins Schneckentempo und dann wieder ins hastige Eilen oder gemächliche Schlendern. Anschließend macht sich die Gruppe auf die Reise und läuft über den Mond, durch Treibsand und über Scherben. Besonders unterhaltsam wird es für mich als Beobachterin, als sich die jungen Erwachsenen in Paaren durch den Raum bewegen und die hintere Person die vordere imitiert. Da wird zwischen den Säulen entlang getänzelt, sich plötzlich geduckt, um gleich darauf hoch in die Luft zu springen, oder der Raum wird kurzerhand zum Catwalk.

Wer traut sich als nächstes ins Rampenlicht?

Nach diesen Übungen zum Ankommen folgt ein weiterer, ganz wichtiger Aspekt der Theaterclubs, der bei den Online-Treffen ganz eindeutig zu kurz kam: Das Erlebnis, auf einer echten Theaterbühne zu stehen. Heute probieren die Jugendlichen sich zum ersten Mal aus und trauen sich, jeweils einzeln eine Weile einfach stumm auf der Bühne zu stehen. Im Rampenlicht, vor den restlichen Clubmitgliedern, ganz alleine und im Mittelpunkt. Das kostet noch einige Überwindung und Frederik gibt zu, „dass die Zeit dort auf der Bühne plötzlich viel langsamer vergeht und auch ein kleiner Erwartungsdruck entsteht, wenn alle Augen auf dich gerichtet sind.“ Und auch im Club der 9-12-Jährigen geht es heute das erste Mal auf die Bühne: einen Zungenbrecher vorlesen. Und als wenn das noch nicht schwer genug ist, sollen die Kinder ihn noch mit einer der zuvor erprobten Emotionen vortragen. Und das machen sie bereits sehr überzeugend. In diesem Punkt profitieren die Mitglieder ganz klar von den Live-Treffen, denn hier wird auch ihr Selbstbewusstsein geschult und sie bewegen sich vielleicht auch ein wenig aus ihrer Komfortzone heraus. Die 10-jährige Uljana freut sich ganz besonders, denn sie macht beim Theaterclub mit, weil sie Theater so gerne mag und auch mal selbst auf der Bühne stehen möchte.

Zum Abschluss der Clubtreffen geht es jeweils nochmal in Kleingruppen auf die Bühne. Die Kinder spielen kleine Szenen vor, die sie sich zu gemeinsam bestimmten Szenarien in kürzester Zeit selbst ausgedacht und einstudiert haben. Im Club von Natascha Mundt dürfen die jungen Erwachsenen lebende Power-Point-Präsentationen halten. Hierbei erklärt immer eine Person, was auf dem Bild zu sehen ist, und die übrigen stellen das Präsentierte als Standbild dar. Alle setzen das wirklich gut um und bringen viel Humor und Witz ein.

Die Jugendlichen spielen eine selbstausgedachte Szene zum Thema »den Eltern widersprechen«.

Nachdem bei diesen ersten Treffen erstmal die Grundlagen in Sprechen, Körperarbeit, Improvisation und Schauspiel von den Teilnehmenden ausprobiert werden konnten, werden sie nach der Weihnachtspause langsam beginnen, inhaltlich in die Stückentwicklung einzusteigen für ihre Aufführungen im Mai. Hier dreht sich dann thematisch alles um unser Spielzeitmotto, das »Wi(e)dersprechen«, das die einzelnen Clubs auf ihre eigene Art und Weise auf der Bühne umsetzen werden. »Der Theaterclub ist mein kleines Highlight der Woche geworden«, freut sich Anna-Lena Weckesser. Und hofft, dass alle Clubs sich auch im neuen Jahr weiterhin vor Ort treffen können und letztlich auch ihr entwickeltes Stück auf der Bühne der BOXX präsentieren können. Und auch ich werde mir das sicher nicht entgehen lassen.

Kinderreporter zu Gast zur Kinderpressekonferenz

In dieser Spielzeit haben wir endlich wieder regelmäßig die Kinderreporter der Heilbronner Stimme im Haus! Ihren ersten Einsatz hatten sie jetzt zur Kinderpressekonferenz – und haben hier von unserem Team des Jungen Theaters Einführungen in die Stücke bekommen, die in dieser Spielzeit in der BOXX gezeigt werden. Dann gab es noch Infos zu unserem Workshop-Angebot und zu den Theaterclubs, bevor die Nachwuchsreporter ihre zahlreichen Fragen stellen konnten. Diese reichten von Konzeptionellem (Wer denkt sich die Workshops aus und wer sucht die Stücke aus?) über die Handwerkskunst der Schauspieler (Passt sich der Schauspieler eher der Rolle an oder die Rolle / die Figur sich dem Schauspieler?) bis hin zum allgemeinen Theaterbetrieb (Was hat das Theater im Lockdown gemacht und wie steht es eigentlich um die Barrierefreiheit?). Nicole Buhr, die Leiterin des Jungen Theaters, die Theaterpädagoginnen Natascha Mundt und Christine Appelbaum sowie die Schulreferentin Anna-Lena Weckesser wussten auf fast jede Frage eine Antwort (Wie viele verschiedene Jobs es am Theater tatsächlich gibt, das hatten wir bislang auch noch nicht genau nachgezählt!) und konnten den Kindern viele kleine Anekdoten erzählen.

Unser Team des Jungen Theaters stand den Kinderreportern Rede und Antwort (v.l. Christine Appelbaum, Natascha Mundt, Nicole Buhr, Anna-Lena Weckesser) Foto: Kea Leemhuis


Die Kooperation mit der Heilbronner Stimme besteht bereits seit der Spielzeit 2019/20 und umfasst neben der Pressekonferenz eine Theaterführung, einen praktischen Workshop mit der Theaterpädagogik und Rezensionen von unseren Kinder- und Jugendstücken. Die Theaterführung wurde coronabedingt zwar noch verschoben, einen ersten Blick in die BOXX samt aufgebautem Bühnenbild für »Petty Einweg« konnten die Kinder aber schon erhaschen. Dann machten sie sich, bestückt mit jeder Menge Notizen, vielen neuen Infos und einem BOXX-Turnbeutel auf den Weg nach Hause, um ihre Artikel zu verfassen. Wir sind schon sehr gespannt!

Gemeinsam in die Zukunft spielen – experimenta und Theater Heilbronn richten gemeinsam ein Festival aus

Was haben Wissenschaft und Theater gemeinsam? Wie können sie sich gegenseitig befruchten? Das sind die Fragen, aus denen sich das Heilbronner Festival »Science & Theatre« entwickelt hat. Zum zweiten Mal laden experimenta und Theater Heilbronn vom 17. bis zum 21. November zum Forschen, Entdecken und Staunen ein.

Sechs ganz unterschiedliche Inszenierungen zeigen, was die Bühnenkunst aus und mit Wissenschaft alles anstellen kann: Ein bekannter Autor lässt von sich selbst ein Roboter-Double anfertigen, das in einem Stück auftritt. Zwei Schwestern sehen in Künstlicher Intelligenz die Lösung ihrer persönlichen Pflegeprobleme. Kuriose Maschinen machen in der lustvollen Performance einer niederländischen Gruppe Musik »auf Kollisionskurs«. Oder bei einer spannenden Mitmachaktion erfahren Kinder, was Zucker in ihrem Körper so alles auslösen kann. Und ein knallbunter Bühnencomic wirft einen ebenso skurrilen wie gruseligen Blick in die Zukunft.

»Schwarze Schwäne« von Christina Kettering ist das Gewinnerstück des ersten Autorenwettbewerbs »­Science & Theatre« des Jahres 2019, den das Theater Heilbronn ausgelobt hatte und wird nun im Science Dome der experimenta uraufgeführt.

In die Zukunft richtet sich auch der Dramenwettbewerb, der Teil des Festivals ist: Am 21. November kann das Publikum bei den Szenischen Lesungen der drei Gewinnerstücke mitentscheiden, welches 2022 auf den Spielplan kommt. Im Augenblick laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, einen Vorgeschmack auf das Festival liefern aber schon die Trailer auf unserer Homepage. Freuen Sie sich auf fünf prall gefüllte Tage, die Kopf, Herz und Bauch – das Team der experimenta hat auch Science Häppchen vorbereitet – zugleich ansprechen werden!

Hier gibt’s weitere Infos zu den einzelnen Programmpunkten:

»Schwarze Schwäne« (UA) von Christina Kettering
»Uncanny Valley / Unheimliches Tal« von Rimini Protokoll
»Ramkoers« von der Muziektheatergroep BOT
»Auf Zucker – ein Selbstversuch in sieben Süßigkeiten« vom Fundus Theater – Theatre of Research
»Die Mondmaschine« von Mass & Fieber OST
»The Last Mortal« von half past selber schuld
Dramenwettbewerb »Science & Theatre«
Podiumsdiskussion »Künstliche Intelligenz und Theater«

Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell

Eine musikalisch-literarische Festwiese

Benefizkonzert am 7. November 2021 im Großen Haus als großes Fest des Miteinanders

Es ist ein so einfaches wie schönes Bild: Ein Kettenkarussell dreht sich – darin sitzen Menschen jeglicher Herkunft, Jung und Alt. Sie lachen und genießen den Rausch der Geschwindigkeit. Niemand fliegt hier höher, schneller oder weiter als der andere, es gibt keine Unterschiede mehr: »Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell«.
Das ist auch der Titel des großen Benefizkonzertes am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus. Vier Institutionen der Kultur- und Musikszene, die zum ersten Mal miteinander spielen, versammeln sich zum Abschluss des 17-tägigen Theaterprojektes »Kein Schlussstrich!«, das sich mit den Taten des NSU auseinandersetzt, um auf musikalische-literarische Weise die wunderbare gesellschaftliche Utopie einer umfassenden gegenseitigen Akzeptanz zu entwerfen. Auf der Bühne zu erleben sind die phantastischen Gipsy-Jazzmusiker Christoph König (Violine), Dario Napoli (Gitarre) und Benji Nini Winterstein (Rhythmusgitarre), der Poetry Slamer Sulaiman Masomi, das Württembergische Kammerorchester Heilbronn und die Big Band-Besetzung des Landespolizeiorchesters Baden-Württemberg.

»Wir wollten das große Theaterprojekt ›Kein Schlussstrich!‹ versöhnlich und mit einem großen musikalischen Dialog beenden«, sagt die geschäftsführende Chefdramaturgin Dr. Mirjam Meuser. Sie hat die gesamte Veranstaltungsreihe für das Theater Heilbronn kuratiert und auch die Idee für das Abschlusskonzert in einem gemeinsamen Brainstorming mit Intendant Axel Vornam und WKO-Intendant Rainer Neumann entwickelt. Ausgangspunkt bei der Ideenfindung war die Theresienwiese, die über viele Jahre ausschließlich die Festwiese für die Heilbronner Bevölkerung war, bis sie sich ab dem 25. April 2007 auch als Tatort des Mordes an Michèle Kiesewetter in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Das eine ist seither ohne das andere nicht mehr denkbar. So kam es zu dem Gedanken, einmal alle Akteure, die an dieser Erzählung von der Theresienwiese teilhaben, gemeinsam auf eine Bühne zu holen. Warum nicht vereinen, was nicht auf den ersten Blick zusammengehört – im Versuch eines großen gemeinsamen Dialogs? Zumal das Landespolizeiorchester seinen Sitz in Böblingen hat, jenem Ort, an dem auch die junge Polizistin Michèle Kiesewetter stationiert war. Schnell war für beide Orchester klar, dass sie bei diesem ungewöhnlichen Projekt im Theater zusammenarbeiten wollten. Für die weitere Programmgestaltung holte sich das Team den Dirigenten und Arrangeur Christian Dominik Dellacher mit ins Boot, der für diesen Abend die musikalische Leitung übernimmt. Und sie arbeiteten mit der Musikvermittlerin und Kulturmarketing-Expertin Dr. Barbara Volkwein zusammen, die viel Erfahrung in solchen Cross-Over-Projekten besitzt. Barbara Volkwein gewann ein großartiges Gipsy-Jazz-Trio: Christoph König ist eigentlich klassischer Violinist mit Vorliebe zu osteuropäischer Musik, er ist aber auch im Jazz zu Hause und spielt regelmäßig mit großen Vertretern des Gipsy Swings. Dario Napoli gilt europaweit als der aufsteigende Star am Gipsy-Gitarrenhimmel. Der Italiener vertritt die Modernisierung des Django Reinhardt Stils und tritt europaweit bei Jazzfestivals auf. Benji Nini Winterstein ist Gipsy Jazz Rhythmusgitarrist und ist Nachfahre aus der berühmten Musikerfamilie um Titi Winterstein. Er gehört zu den unermüdlichen Arbeitern an der Rhythmusgitarre und ist unverzichtbares Herzklopfen eines Gipsy-Jazz-Orchesters.

Dem Gipsy-Jazz wird im musikalischen Diskurs dieses Abends ein breiter Raum eingeräumt. Denn wegen der bekannten Wattestäbchen-Ermittlungspanne im Fall Kiesewetter richtete sich der Verdacht lange Zeit zu Unrecht auf Vertreterinnen der Sinti und Roma.
Und schließlich ist noch der berühmte deutsch-afghanische Rapper und Bühnenpoet Sulaiman Masomi mit dabei. Er ist einer der besten, wenn es um die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland geht, und er schreibt extra für diesen Abend einen Text.

So gehen in diesem musikalisch-literarischen Programm seelenvolles Gedenken und ausgelassene Zuversicht Hand in Hand. Puccini und Gershwin treffen auf die Texte von Sulaiman, Dvořák auf die jazzigen Klänge des Gipsy-Jazz-Trios. Und auch Rimsky-Korsakov und Sting, Piazzolla und Milhaud sind  mit von der musikalischen Partie.

Ein einmaliges Konzert, wie es es so in Heilbronn noch nie gegeben hat: Für einen langen Augenblick findet das vermeintlich Unvereinbare zueinander und begibt sich in einen großen, lebhaften Dialog. Denn miteinander zu reden, ob mit Worten oder den Mitteln der Musik, ist der einzige Weg, unsere Gesellschaft zu einen.

Die Einnahmen aus dem Konzert gehen an die Hildegard Lagrenne Stiftung, die sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland einsetzt.

»Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell« am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus.

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»Kein Schlussstrich!« im Film

Heute stellen wir euch einen weiteren Bestandteil des Heilbronner Programms für das bundesweite Theaterprojekt »Kein Schlussstrich!« vom 21. Oktober bis 7. November vor: Die Filmreihe mit Nachgespräch, die das Theater Heilbronn in Kooperation mit dem Kinostar Arthaus-Kino Heilbronn und dem Demokratiezentrum Heilbronn organisiert.

Auch die Filmreihe bildet einen wesentlichen Teil des Programms, da sie die Inhalte und damit die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex durch das Medium Film noch auf weitere Art möglich macht. Und durch die unterschiedlichen Filmgenres mit Dokumentar- und Spielfilmen lassen sich unterschiedliche Perspektiven zur Annäherung an die Themen NSU und Rassismus einnehmen. Inhaltlich legt die Filmreihe den Schwerpunkt auf die Taten des NSU und deren Folgen, vor allem auch für die Betroffenen, sowie auf den geistigen Nährboden, aus dem heraus rechtes Denken und Radikalisierung entstehen können.

Filmstil »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage«; Foto: Partisan Filmverleih

Den Auftakt bildet am 25. Oktober der Dokumentarfilm »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« von Sobo Swobodnik, der eine Chronik der Taten des NSU liefert. Hierbei wird die Betroffenenperspektive gestärkt, was die Einseitigkeit der tendenziösen Ermittlungen hervorhebt und die doppelte Traumatisierung der Betroffenen verdeutlicht – traumatisiert zum einen durch den Verlust ihrer Angehörigen und zum anderen durch die Kriminalisierung und Stigmatisierung ihres Familienumfelds.

Mit dem Thema Erinnern und Verarbeiten beschäftigt sich am 5. November auch der Dokumentarfilm »Der Kuaför aus der Keupstraße« von Andreas Maus. Die Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße kommen zu Wort und erzählen ihre Geschichte. Wie haben sie das Geschehene verarbeitet? Wie erging es ihnen während der Zeit der Ermittlungen und wie geht es ihnen heute, 17 Jahre nach dem Anschlag?

Am 26. Oktober wird der Spielfilm »Wir sind jung. Wir sind stark.« von Burhan Qurbani gezeigt, der die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 thematisiert. Gezeigt wird die Orientierungslosigkeit einer Generation, der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehört haben, und die ihren Platz nach dem Zusammenbruch der DDR neu finden muss. Für das Nachgespräch wird die Augenzeugin der Anschläge in Rostock Mai-Phuong Kollath anwesend sein, die heute als interkulturelle Beraterin und Diversity-Trainerin tätig ist.

Weiter geht es am 2. November mit dem durchaus kontrovers diskutierten Doku-Spielfilm »Kleine Germanen« von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger, der die Rolle von Erziehung und Familie für den Radikalisierungsprozess und im Kontext rechter Bewegungen beleuchtet. Auch das Nachgespräch, für das der Sozialpsychologe und Soziologe Dr. Sebastian Winter zu Gast sein wird, beschäftigt sich mit der Frage nach sozialen und psychischen Abhängigkeiten in Familienstrukturen und der transgenerationalen Weitergabe von rechtem Gedankengut.

Filmstil »Kleine Germanen«; Foto Little Dream Entertainment

Der investigative Dokumentarfilm »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« von Peter Ohlendorf, den wir am 4. November zeigen, beruht auf einer 15 Jahre langen Undercover-Recherche des Journalisten Thomas Kuban in der Neonaziszene. Es wird herausgearbeitet, welchen hohen Stellenwert Rechtsrock für die Vernetzung in der rechten Szene noch immer hat und wie so eine Art rechter Parallelgesellschaft etabliert wird. Für das Nachgespräch wird der Regisseur selbst vor Ort sein.

Anlässlich des 60. Jahrestages des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei findet am 30.  Oktober im Rahmen von »Kein Schlussstrich!« ein besonderes themenspezifisches Programm statt. Teil davon ist der Spielfilm »Almanya – Willkommen in Deutschland« von Yasemin Şamdereli, der die Identitätsfrage von Migrantinnen und Migranten verhandelt und aufzeigt, dass sich diese selbst in der dritten Generation weiterhin stellt: »Wer oder was bin ich eigentlich – Deutscher oder Türke?» – das fragt sich im Film auch der sechsjährige Enkel des türkischen »Gastarbeiters« Hüseyin. Im Nachgespräch ist Nilgün Taşman zu Gast, die selbst »Gastarbeiterkind« ist und sich als interkulturelle »Brückenbauerin« engagiert.

Die Nachgespräche finden jeweils im Anschluss an die Filmvorführung statt und ermöglichen neben den im Film verhandelten Themen auch einen weiterführenden Austausch. Fragen des Publikums sind ausdrücklich erwünscht!

Wie die Podiumsdiskussionen richtet sich die Filmreihe auch explizit an Schulklassen, die herzlich ermutigt sind, die Vorstellungen und Nachgespräche zu besuchen.

Hier noch einmal alle Termine im Überblick:

  • »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« am 25. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Moderation: Heval Demirdöğen
  • »Wir sind jung. Wir sind stark.« am 26. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Mai-Phuong Kollath, Moderation: Johanna Streit
  • »Almanya – Willkommen in Deutschland« am 30. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Nilgün Taşman, Moderation: Roswitha Keicher
  • »Kleine Germanen« am 2. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Dr. Sebastian Winter, Moderation: Andreas Hässler
  • »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« am 4. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Peter Ohlendorf, Moderation: Dr. Mirjam Meuser
  • »Der Kuaför aus der Keupstraße« am 5. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Özge Pınar Sarp, Moderation: Arne Güttinger

Weitere Informationen zu den Filmen und Gästen sowie zu allen weiteren Programmpunkten sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.

»Kein Schlussstrich!« in der Diskussion

Am 21. Oktober startet das bundesweite Theaterprojekt »Kein Schlussstrich!«, das sich mit dem NSU-Komplex beschäftigt. Beteiligt sind 15 Städte, die alle von den Taten des NSU betroffen sind – und sich bis zum 7. November in künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Interventionen mit dem Thema auseinandersetzen, um es weiter im öffentlichen Bewusstsein zu platzieren und ein Gegennetzwerk zu bilden, das sich gegen rechte Tendenzen positioniert. Auch das Theater Heilbronn ist mit einem breiten Programm dabei. In den folgenden Blogbeiträgen stellen wir euch die einzelnen Bestandteile unseres Rahmenprogramms im Detail vor. Los geht’s heute mit den Podiumsdiskussionen.

Foto: Burschel

In Zusammenhang mit der Uraufführung von »Verschlusssache« und gleichzeitig mit Bezug zur Stadt Heilbronn wurden von Chefdramaturgin Dr. Mirjam Meuser drei Podiumsdiskussionen geplant, die das Theaterprogramm um wichtige diskursive Themen ergänzen. Sie alle beschäftigen sich mit rechten Strukturen in Staat und Institutionen, die unter anderem dazu führen, dass Betroffene und Opfer kriminalisiert werden und die rechte Szene heute anders agiert als noch vor 20 Jahren.

Den Auftakt bildet die Diskussion am 23. Oktober mit dem Titel »Der Staat als Sicherheitsrisiko? Rechte Szene und Verfassungsschutz«, bei der unter anderem Seda Başay-Yıldız, die als Anwältin im NSU-Prozess die Familie von Enver Şimşek als Nebenklägerin vertrat, auf dem Podium sitzt. Hier wird die Frage gestellt, ob die oberste Prämisse des Staatswohls nicht gleichzeitig destruktive Tendenzen mit sich bringt, da die Einwohnerinnen und Einwohner als Mitglieder des Staates nicht ernstgenommen und sogar abgewertet werden, und Staatsräson so zugleich Staat und Gesellschaft gefährdet.

Die zweite Podiumsdiskussion am 24. Oktober trägt den Titel »Unterm Radar? Strategien neurechter Bewegungen?« und nimmt die zunehmende Institutionalisierung rechtsradikalen Denkens und Agierens in den Blick. Zu Gast ist unter anderem der renommierte investigative Journalist Dirk Laabs, der kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.

Die dritte und letzte Veranstaltung »Generalverdacht? Die Betroffenen-Perspektive auf den NSU-Komplex« am 1. November rückt ein lange vernachlässigtes Thema in den Vordergrund: Die Perspektive der Opfer und der Hinterbliebenen, die Angehörige verloren haben und aus ihrem bisherigen Leben gerissen wurden – und die durch die Ermittlungsbehörden zudem noch lange Jahre kriminalisiert wurden. So entsteht die Frage, ob Migrantinnen und Migranten in polizeilichen Ermittlungen tatsächlich einem Generalverdacht unterliegen. Dieser widmen sich auf dem Podium unter anderem der Politikwissenschaftler und Wissenschaftliche Leiter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Herbert Heuß, und der NSU-Opferanwalt Mehmet Gürcan Daimagüler.

Mit dem freien Journalisten Thomas Moser, dem Sprecher des Netzwerks gegen Rechts Heilbronn Stefan Reiner und der 2. Vorsitzenden des Türkischen Frauenvereins Heilbronn Sevinç Daş wird bei jeder Veranstaltung auch ein Gast aus Heilbronn und Umgebung vertreten sein, um die spezifische regionale Perspektive auf die genannten Themen einbringen zu können.

Die Podiumsdiskussionen bilden einen wichtigen Bestandteil des Heilbronner Projektprogramms, da sie einen Dialog mit dem Publikum ermöglichen und den Bogen zur Stadt Heilbronn spannen. So wird eine konkrete Auseinandersetzung mit rechten Themen angestoßen, denn rechte Strukturen sind nicht abstrakt und in weiter Ferne, nicht nur »irgendwo in Deutschland« etabliert, sondern auch hier vor unserer Haustür. Umso wichtiger ist es, hinzusehen und nachzudenken – und eben auch miteinander ins Gespräch zu kommen, um rechtem Terror und rechter Gewalt den Nährboden zu entziehen.

Hier noch einmal die Termine im Überblick:

  • »Der Staat als Sicherheitsrisiko? Rechte Szene und Verfassungsschutz« am 23. Oktober um 17 Uhr im Komödienhaus mit Hajo Funke, Seda Başay-Yıldız und Thomas Moser; Moderation Christiane Mudra
  • »Unterm Radar? Strategien neurechter Bewegungen?« am 24. Oktober um 19 Uhr im Komödienhaus mit Dirk Laabs, Stefan Reiner und Kurt Möller; Moderation Antonie Rietzschel
  • »Generalverdacht? Die Betroffenen-Perspektive auf den NSU-Komplex« am 1. November um 19 Uhr im Foyer des Großen Hauses mit Herbert Heuß, Mehmet Gürcan Daimagüler und Sevinç Daş; Moderation Sibylle Thelen

Weitere Informationen zu den Podiumsdiskussionen und Gästen sowie zu allen weiteren Programmpunkten sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.

Dressur d’amour

 GEBALLTE FRAUENPOWER IN DER KOMÖDIE »DER DRESSIERTE MANN«

Wann ist der Mann ein Mann? Das fragte schon Herbert Grönemeyer. Wenn er außen hart ist und innen ganz weich? Neueste Studien zeigen, dass das klassische Rollenbild des Mannes, der sich vor allem über Stärke oder Statussymbole definiert, von gestern ist. Der Mann von heute ist bereit, die weiche Seite nach außen zu kehren und eine Träne zu verdrücken, wenn der geliebte Fußballklub wieder haushoch verloren hat. Doch wie viel »Mann« bleibt da noch übrig? Immerhin 31 Prozent der in einer Umfrage befragten Frauen finden es lächerlich, wenn Männer sich die Achseln rasieren. Und jede fünfte Frau findet es unmännlich, wenn Er keinen Nagel in die Wand bekommt. Wie möchte Frau also den Mann haben?

Für Alice Schwarzer war das in den 1970er Jahren noch keine Frage. Dass die Frau über den Mann verfügen, ihn gar von sich abhängig machen kann – undenkbar! Schließlich kämpft(e) Schwarzer für die Emanzipation der Frau, für die Befreiung aus dem die Frau unterjochenden Patriarchat. In scharfer Abgrenzung zu Schwarzer stellte Esther Vilar in ihrem 1971 erschienenen Buch »Der dressierte Mann« die These auf, dass der Mann zwar ein starkes, intelligentes Wesen ist, sich aber bereitwillig in einem System namens Ehe versklaven lässt, in dem ihn die Frauen als »ausbeutendes Luxusgeschöpf« durch verschiedene Dressurakte von sich abhängig machen. Dass sich Vilar mit diesen Äußerungen keine Freundinnen machte, liegt auf der Hand. Als »Verräterin des eigenen Geschlechts« beschimpft, angefeindet und sogar zusammengeschlagen, verließ sie die Bundesrepublik und emigrierte in die Schweiz.

Wann ist der Mann ein Mann? Foto: Fotostudio M42

Der Autor John von Düffel hat Vilars antifeministische Kampfschrift für die Bühne als spritzig-amüsante Komödie bearbeitet. Düffel lässt dabei nicht nur die zwei Antipoden Emanze und Antifeministin in Gestalt zweier Mütter aufeinanderprallen, er hinterfragt auch die Chancen für ein glückliches Zusammenleben der nachfolgenden Generation. Bastian will Helen einen Antrag machen. Er ist der heiratswilliger Sohn von Dr. Elisabeth Schröder-Röder, Feministin der ersten Stunde und promoviert in Gender Studies. Helens Mutter ist Dr. Konstanze Engelbrecht, verheiratet in 3. Ehe mit einem Zahnarzt und promoviert »in Naturwissenschaften, also Männer«. Die Verlobte in spe teilt ihrem Liebsten jedoch just in dem Moment mit, dass sie den Job bekommen hat, auf den Bastian eigentlich scharf ist und dass sie jetzt ein Vielfaches mehr verdient als er. Für Helen kein Problem, schließlich leben die zwei in einer »Beziehung auf Augenhöhe«. Doch für Bastian ist der Abend gelaufen. Seine Männlichkeit ist angekratzt, an Heirat ist nicht mehr zu denken. Ein Drama für Helens Mutter. Schließlich glaubte sie, den »Ladenhüter ihres Lebens« endlich an den Mann gebracht zu haben. Und auch Dr. Schröder-Röder findet plötzlich Gefallen an der Idee, dass die Ehe eine perfide Erfindung der Frauen zur Unterwerfung des Mannes ist. Schließlich würde sich erst dadurch die Emanzipation der Frau bezahlt machen! Also wird Helen kurzerhand in ein powackelndes Weibchen verwandelt und bezirzt Bastian in der »Sprache der Verführung« so gut sie es eben kann. Als die drei Frauen sich am Ziel glauben, zieht Bastian überraschend den Schwanz ein und erklärt die Ehe für überholt. Jetzt hilft nur noch eins: Kinder!

Starke Frauen, die so rigoros wie vergnüglich ihren Mann stehen und ein beherzter Mann, der eigentlich nichts gegen Gleichberechtigung hat, solange die Frau nicht mehr verdient als er, stehen im Mittelpunkt dieser Komödie, die vielleicht einen Hinweis darauf geben kann, wie Liebende glücklich miteinander leben könn(t)en.

Stefanie Symmank, Dramaturgin

Der dressierte Mann

Komödie von John von Düffel
Nach dem Bestseller  von Esther Vilar

Premiere am 02. März 2012, 20.00 Uhr im Komödienhaus

Regie: Alejandro Quintana
Bühnenbild: Stefan Brandtmayr
Kostüme: Cornelia Kraske
Dramaturgie: Stefanie Symmank
Mit:
Oliver Firit
Judith Lilly Raab
Sabine Unger
Katharina Voß

Zeigt her Eure Regale!

In einer Woche ist es soweit. „Der dressierte Mann“ hat am Freitag, dem 02. März, im Komödienhaus Premiere. Geprobt wird bereits fleißig und unser Bühnenbild ist auch schon fast fertig. Wie Ihr auf dem Foto sehen könnt, steht die Regalwand, vor der sich die Komödie um Helen und Bastian abspielt, auch schon. Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Bastian will Helen einen romantischen Antrag machen, da teilt sie ihm mit, dass sie befördert wurde und bald mehr Geld als er verdienen wird. Für Bastian ist der Abend gelaufen, der Heiratsantrag ist vom Tisch. Jetzt treten die beiden Mütter – eine Emanze und ein Weibchen – wortwörtlich aus dem Regal heraus. Parole: Die Heirat findet statt. Spritzig-frisch geht es dann zu, wenn Helen sich von einer Powerfrau in ein powackelndes Geschöpf verwandelt und Bastian, betrunken wie eine Strandhaubitze, die Welt nicht mehr versteht.

Noch ist unser Regal leer. Uns würde interessieren was in Euren Regalen so alles an Gegenständen, Nippes, Kunst, Büchern, Fotos, Maschinen usw. steht.

Also postet ein Foto oder schickt ein Foto bis zum 29.02.2012 an: katrin.schroeder@theater-hn.de
Wir sind gespannt!

Letzte Vorstellungen von „La Piaf“

Am 23., 24. und 25. Februar sind im Großen Haus des Theaters Heilbronn die letzten drei Vorstellungen von Mauro Bigonzettis Tanztheaterabend „La Piaf“ als Gastspiel des Staatstheaters Hannover zu sehen. Beginn der Vorstellung ist jeweils um 19.30 Uhr. Im Juni ist das Ballett aus Hannover dann mit „Gefährliche Liebschaften“ wieder in Heilbronn zu Gast.

Foto: Staatstheater Hannover

Mauro Bigonzetti gilt als führender Choreograf Italiens. Seine Arbeiten stehen für Humor und Sinnlichkeit, Athletik und Schönheit. Bigonzettis Bewegungssprache ist temperamentvoll, er kreiert starke Bilder. Im Auftrag des Staatstheaters Hannover entwickelte er eine abendfüllenden Choreografie über die größte Chansonette aller Zeiten: Edith Piaf. Nun kommt dieser im Mai 2011 uraufgeführte Abend als Gastspiel ans Theater Heilbronn.

»Non, je ne regrette rien« – das Chanson ging um die Welt, und »Nein, ich bereue nichts« war zugleich Lebensmotto seiner Interpretin: Edith Giovanna Gassion, die kleine Frau mit der großen Stimme, wurde als Edith Piaf zur Legende. Ihr Leben gleicht einem Roman aus dem Rotlichtmilieu, der kein Klischee auslässt. Als Kind zieht Edith mit ihrem Vater im Wanderzirkus umher und beginnt zu singen. Mit fünfzehn sorgt sie als Straßensängerin in Paris selbst für ihren Lebensunterhalt und wird wenig später fürs Cabaret entdeckt. Als »La Môme piaf« (kleiner Spatz) hat sie Erfolg und nimmt Schallplatten auf. Ihr Chanson »La Vie en rose« bringt der 31-Jährigen den internationalen Durchbruch. Sie singt von Liebe und Glück, von Abschied und Tod – und alles klingt glaubwürdig, denn sie geht selbst durch alle Höhen und Tiefen. Mit 47 – schwerkrank und drogenabhängig – stirbt »La Piaf«. Sie  hinterlässt kein nennenswertes Vermögen, aber rund 300 unsterbliche Lieder.

Foto: Staatstheater Hannover
Foto: Staatstheater Hannover

Mauro Bigonzetti
Mauro Bingonzetti wurde in Rom geboren und absolvierte ein Ballettstudium an der Opernschule von Rom. Von dort wurde er 1979 in die angeschlossene Ballettkompanie engagiert und wechselte vier Jahre später zum Aterballetto in Reggio Emilia, wo er zehn Jahre als Tänzer wirkte. In dieser Zeit arbeitete er u.a. mit Alvin Ailey, William Forsythe und Jennifer Muller zusammen. Ebenso wirkte er in zahlreichen Choreographien von George Balanchine und Leonide Massine mit. 1990 gestaltete er seine erste eigene Arbeit »Sei in movimento« für das Teatro Sociale in Grassina. Ab 1993 arbeitete er als freier Choreograph in enger Zusammenarbeit mit dem Balletto di Toscana. Von 1997-2007 war er Künstlerischer Leiter von Aterballetto. Weitere Kreationen sind für bedeutende Ensembles wie das English National Ballet London, Ballet National de Marseille, das Stuttgarter Ballett, das Ballett der Deutschen Oper Berlin und das New York City Ballet entstanden.

 

Foto: Staatstheater Hannover

 

Foto: Staatstheater Hannover

Do. 23.02.2012 19.30 – 21.15 Uhr
Fr. 24.02.2012 19.30 – 21.15 Uhr
Sa. 25.02.2012 19.30 – 21.15 Uhr

Für alle drei Vorstellungen gibt es noch Restkarten unter 07131/563001 oder 563050 oder im Online-Shop unter www.theater-heilbronn.de