»Hasch mich, ich bin der Mörder«

Mit »Der Pavillon« kommt im Komödienhaus die Stückvorlage des französischen Kultfilms auf die Bühne

von Dr. Mirjam Meuser

Gabriel Kemmether, Nils Brück; Foto: Verena Bauer

Elliott Nash (Nils Brück) ist ein erfolgreicher New Yorker Drehbuchautor. Seine Spezialität sind Kriminalfilme und Thriller, mit den Großen des Genres wie Alfred Hitchcock verkehrt er auf Du und Du. Um Inspiration zu finden und die Handlung seiner Drehbücher möglichst lebensecht zu gestalten, stellt er gerne die entscheidenden Passagen des Plots probeweise nach. Glücklicherweise hat er dafür in seinem Nachbarn, dem Staatsanwalt Harlow Edison (Tobias D. Weber), den besten Partner gefunden, den man sich vorstellen kann. Zu Beginn des Stücks üben die beiden gerade den perfekten Mord – und so unbeholfen, wie Elliott sich dabei anstellt, würde Harlow nie auf die Idee kommen, dass der Krimiautor tatsächlich für den Ernstfall probt.

Elliott hat nämlich ein Problem: Er wird seit einiger Zeit erpresst. Und zu allem Überfluss droht der Erpresser nicht ihm selbst zu schaden, sondern seiner über alles geliebten Frau Nell (Judith Lilly Raab), einer berühmten Schauspielerin. Harry Shelby, ehemals Pfleger eines Sanatoriums für drogenabhängige Prominente, hat bei seiner Kündigung die Krankenakten einiger Patienten mitgehen lassen, denen er nun droht, die Unterlagen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sollten sie seinen Forderungen nicht nachkommen. Unter diesen Patientenakten findet sich auch die von Elliotts Frau Nell, die offenbar in ihrer Vergangenheit eine schwierige Phase hatte. Elliott, der fürchtet, dass diese Enthüllung der Karriere seiner Frau schaden könnte – und der niemals zulassen würde, dass Nell in irgendeiner Weise verletzt wird –, befindet sich in der Zwickmühle. Die Gefahr, dass Nells Geschichte publik wird, wenn er zur Polizei geht, ist zu groß. Sollte er aber den Forderungen des Erpressers nachgeben, wird er auch vor weiteren Erpressungsversuchen nicht gefeit sein. Hinzu kommt, dass die Nashs sich gerade erst ein schickes Haus auf Long Island gekauft haben und seither in chronischer Geldnot leben. Sprich, Elliott fehlen schlichtweg die Mittel, um den Erpresser zufriedenzustellen. Was also liegt näher, als den Verbrecher um die Ecke zu bringen? Und es wäre doch gelacht, wenn es dem Krimiautor angesichts seiner langjährigen Erfahrung mit Mord und Totschlag nicht gelingen würde, den Erpresser spurlos zu beseitigen! Zum Glück hat seine Frau gerade das Fundament für den neuen Gartenpavillon – ein völlig überteuertes Schmuckstück aus dem 18. Jahrhundert – gießen lassen …

Dass ordentlich Chaos wartet, wo ein Schreibtischtäter sich erstmals an einem echten Mord versucht, ist bei Alec Coppel Programm. Der australische Drehbuchautor, Schriftsteller und Dramatiker, Spezialist für Krimikomödien und Mystery-Thriller, der zu Lebzeiten zu den versiertesten Autoren seines Fachs gehörte und neben Alfred Hitchcock auch mit Alex Corda, James Stewart und Aldous Huxley zusammenarbeitete, hat dem Protagonisten seines größten Bühnenerfolgs selbstironisch auch einige autobiografische Züge verliehen. Die Uraufführung 1958 am New Yorker Broadway mit Walter Slezak und Jayne Meadows in den Hauptrollen kam in anderthalb Jahren auf 266 Vorstellungen, am Londoner West End zwei Jahre später war »Der Pavillon« in ganzen 479 Aufführungen zu sehen. Auch die erste Verfilmung des Stoffs erfolgte bereits 1959 unter dem Originaltitel »The Gazebo« (dt. »Die Nervensäge«) mit Glenn Ford und Debbie Reynolds in den Hauptrollen. Kultstatus allerdings genießt die französische Verfilmung von 1971 mit Louis de Funès, Claude Gensac und Bernhard Blier in den Hauptrollen, die in Deutschland unter dem Titel »Hasch mich, ich bin der Mörder« bekannt wurde.

Regisseur Jens Kerbel, der das zugrunde liegende Bühnenstück jetzt in liebevoll nachempfundenem 60er-Jahre-Schick (Bühne: Gesine Kuhn) im Komödienhaus inszeniert, bezeichnet den französischen Komödienklassiker als einen seiner Lieblingsfilme. Ob wir uns ab März also auch auf den berühmten Dialog »Nein!« – »Doch!« – »Ohhh!« freuen dürfen, wird aber noch nicht verraten.

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Die Vertreibung aus dem Paradies?

Axel Vornam inszeniert Anton Tschechows letztes Stück »Der Krischgarten« im Großen Haus

von Dr. Mirjam Meuser

Foto: Verena Bauer

Am 17. Januar 1904, vor genau 120 Jahren also, an Anton Pawlowitsch Tschechows 44. Geburtstag, wurde seine Komödie »Der Kirschgarten« am Moskauer Künstlertheater uraufgeführt. Es blieb sein letztes Theaterstück. Am 2. Juli desselben Jahres starb der russische Schriftsteller, schwer von der Tuberkulose gezeichnet, in Badenweiler bei Freiburg. Der Kuraufenthalt im Badischen, bei dem er sich von den Strapazen der vergangenen Jahre erholen wollte, in denen er oft gegen ärztlichen Rat zwischen der Krim und Moskau hin und her gereist war, kam zu für ihn zu spät. »Der Kirschgarten« war die letzte große literarische Anstrengung seines kurzen Lebens – eine hellsichtige Bestandsaufnahme seiner Gegenwart als einer Zeit des Umbruches, die so verzweifelte wie komische Abwehrreaktionen provozierte. Zur Ironie des Schicksals gehört es somit auch, dass am Tag des Ausbruchs der Oktoberrevolution im Moskauer Künstlertheater »Der Kirschgarten« gespielt wurde.

Das Stück zeigt eine Gesellschaft, die sich der neuen Zeit so lange und mit so viel tragikomischem Aufwand verweigert, dass sie letztlich von ihr überrollt wird. Es spielt um 1900 in Russland auf dem Gut von Ljubow Andrejewna Ranjewskaja (Sabine Fürst), die sich vor fünf Jahren nach dem tödlichen Unfall ihres jüngsten Sohnes nach Paris geflüchtet hat. Inzwischen ist das unrentable Anwesen, das derweil von ihrer Adoptivtochter Warja (Juliane Schwabe) verwaltet wurde, hoch verschuldet und soll binnen Kurzem versteigert werden. Daher holt Anja (Romy Klötzel), die jüngere Tochter der Ranjewskaja, ihre Mutter aus Paris zurück, in der Hoffnung, sie könnte das Gut retten. Doch die Mutter hat ihr Vermögen mit ihrem Liebhaber in Paris durchgebracht, sie kann nicht helfen. Statt zu sparen und Geld aufzutreiben, wirft sie auch noch mit den letzten Rubeln um sich, als gäbe es kein Morgen. Den dringenden Rat des Geschäftsmannes Jermolai Alexejewitsch Lopachin (Sven-Marcel Voss), Sohn eines ehemals leibeigenen Bauern, den gerade in voller Blütenpracht stehenden Kirschgarten abzuholzen und gewinnbringend für den Bau von Sommerhäusern zu verpachten, tut sie als geschmacklos ab. Undenkbar, dass der verlässlich in jedem Frühjahr blühende Kirschgarten, für sie ein Symbol von Heimat und Beständigkeit und Kristallisationsort ihrer sentimentalen Erinnerung an eine sorglose Kindheit, einem ›Nützlichkeitsdenken‹ geopfert werden könnte. In einer komischen Mischung aus infantiler Realitätsverweigerung und angstvoller Schicksalsverfallenheit tut sie folglich nichts, um ihren Besitz zu retten. Als schließlich der geschäftstüchtige Lopachin selbst den Kirschgarten ersteigert und die Axt ansetzt, bricht ihre Welt zusammen. Der neue, durchrationalisierte und –kapitalisierte Typus Mensch ist ihr im Innersten fremd – so wie der gesamten untergehenden alten Gesellschaft, die Tschechow uns in all ihren tragikomischen Facetten vorführt. Denn selbst da, wo sie sich mit der neue Zeit auseinandersetzen, gerät diese Beschäftigung zur reinen Schwärmerei.

Tschechows letztes Theaterstück, das zu den meistgespielten Dramen der Weltliteratur gehört, wirkt, von heute aus betrachtet, wie der Seismograph einer Umbruchszeit, nicht unähnlich der unseren. Wo alte Gewissheiten nicht mehr gelten und Unsicherheit zur alltäglichen Erfahrung wird, sind melancholisch-rückwärtsgewandte Realitätsverleugnung, nostalgische Verklärung einer vermeintlich paradiesischen Vergangenheit und schwärmerische Heilserwartungen an die Zukunft wiederkehrende Phänomene. Das verzweifelte Festhalten an der ›alten Welt‹ wirkt letztlich wie ein Katalysator, der die selbstzerstörerischen Prozesse beschleunigt. In seiner Inszenierung für das Große Haus holt Axel Vornam das Tschechow-Universum in die Gegenwart. Er stellt die Figuren in einen zeitlosen Spiel-Raum (Bühne: Tom Musch), in dem sie sich unablässig und selbstverliebt um sich selber drehen – getrieben von der hilflosen Verweigerung, sich der neuen, sich rasant verändernden Welt zu stellen. Das Alte vergeht, so oder so, aber wie soll das Neue Gestalt annehmen?

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Tausche Luxusapartment gegen Plattenbauwohnung

Ein wahnwitziges Täuschungsmanöver sorgt in Ivan Calbéracs Komödienhit »Jugendliebe« für allerhand unterhaltsame Turbulenzen

von Sophie Püschel

Foto: Jochen Quast

Nach dem großen Erfolg von Ivan Calbéracs preisgekröntem Stück »Weinprobe für Anfänger«, das 2022 mit Nils Brück in der Hauptrolle das Heilbronner Publikum begeisterte, folgt nun seine neueste Komödie »Jugendliebe«. Diesmal steht Nils Brück jedoch nicht als Schauspieler auf, sondern als Regisseur vor der Bühne.

Der erfolgsverwöhnte Antoine (Arlen Konietz) hat alles, was man sich nur wünschen kann, ein florierendes Unternehmen, das ihm enorm viel Geld einbringt, und eine attraktive Freundin, die weiß, was sie will: ein Schloss in der Dordogne! Das Leben könnte kaum schöner sein, da erscheint sein Anwalt Rougeron (Pablo Guaneme Pinilla) mit einem ominösen Brief. Darin teilt Antoines Jugendliebe Maryse (Sarah Finkel) ihm mit, dass sie ihre Arbeit als Krankenschwester für Ärzte ohne Grenzen in Malawi unterbrochen habe, um sich mit ihm in Paris zu treffen. Der Grund ihrer Reise ist, dass sie nach 20 Jahren die Scheidung einreichen möchte. Antoine fällt aus allen Wolken, denn er war sich nicht bewusst, dass ihre Spontanhochzeit in einem Aschram Rechtsgültigkeit besitzt. Als ihn sein Anwalt darauf aufmerksam macht, dass Maryse nach französischem Recht bei einer Scheidung die Hälfte seines Vermögens zusteht, läuten bei Antoine alle Alarmglocken. Es braucht schnell eine Lösung, denn Maryse darf auf gar keinen Fall sein luxuriöses Apartment in bester Pariser Innenstadtlage betreten. Da kommt ihm seine renitente Haushaltshilfe Chuang-Mu (Regina Speiseder) gerade recht, die sich neuerdings jeden Handgriff zusätzlich bezahlen lässt, nachdem sie gelesen hat, dass Antoine 637-mal mehr verdient als sie. Kurzerhand schickt er Chuang-Mu in den bezahlten Urlaub nach Marokko, um währenddessen heimlich ihre Plattenbauwohnung in einem Brennpunktviertel zu beziehen. Antoines Freundin Diane (Judith Lilly Raab), die aus einer alten französischen Adelsfamilie stammt und ein Leben im Luxus gewöhnt ist, lässt sich nur widerwillig zu dieser Maskerade überreden. Denn neben der Wohnung gilt es natürlich auch, Lebensstil, Kleidung und Sprache des vermeintlichen Prekariats zu kopieren. Ein wahnwitziges Spektakel nimmt seinen Lauf! Die Täuschung scheint perfekt, würde sich die Weltverbesserin Maryse nicht hartnäckig dazu bemüßigt fühlen, ihrem alten Freund den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu ebnen. Zu allem Überfluss kehrt auch noch Chuang-Mu zu früh aus dem Urlaub zurück und lässt sich nun nicht mehr so einfach herumschubsen. Ergänzt wird dieses heitere Verwirrspiel von einer Reihe live vom Ensemble gesungener französischer Lieder und Chansons, die der Musiker und Komponist Johannes Mittl eigens für die Heilbronner Inszenierung einrichtet.

In seiner turbulenten Komödie »Jugendliebe« lässt Ivan Calbérac charmant-verschrobene Figuren aus ganz unterschiedlichen Welten aufeinanderprallen: Die High-Society-Lady Diane, die ihre innere Leere mit rauschhaftem Shopping kompensiert, trifft auf die Hippie-Krankenschwester Maryse, die ihre persönliche Berufung in der humanitären Hilfe in Afrika gefunden hat, während die aufmüpfige Hausangestellte Chung-Mu selbstbewusst auch ein Stück vom Kuchen fordert und die Ungerechtigkeit der Vermögensverteilung anprangert. Indessen zieht Antoine alle Register, um seine Komfortzone nicht verlassen zu müssen, denn seine hehren, kapitalismuskritischen Ideale der Studentenzeit sind längst von seinem hart erarbeiteten Reichtum korrumpiert. Trotz des lustvollen Spiels mit Klischees und Stereotypen gelingt es Calbérac die tiefsitzende und sehnsuchtsvolle Frage spürbar zu machen, die alle Figuren umtreibt: Was ist wirklich wichtig im Leben?

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Sprechende Gegenstände, zweifelhafte Wahrnehmungen und eine raffinierte Intrige

Kay Neumann inszeniert »Über den Dingen« von Martin Suter für das Komödienhaus

von Katrin Aissen

v.l.n.r.: Judith Lilly Raab, Pablo Guaneme Pinilla, Lukas Schneider, Tobias D. Weber; Foto © Verena Bauer

»Wenn ich allein bin, spreche ich mit den Dingen. Vielleicht kennen Sie das: Wenn Sie eine ganze Nacht lang arbeiten müssen, dann bekommen auch die Geräusche etwas ganz Bedrohliches. Und ich habe mich dann gefragt: Was wäre eigentlich, wenn die Dinge antworten würden.« Martin Suter

Reto ist mal wieder allein zu Hause. Seit seiner Trennung von Susi hat er ein wiederkehrendes abendliches Ritual: die Tiefkühlpizza in den Ofen schieben, sich ein Glas Rotwein einschenken und ein »kultiviertes After-Work-Selbstgespräch führen«. Dabei spornt er seinen automatischen Staubsauger zum eifrigen Arbeiten an, sein Topfhandschuh mutiert im ausgelassenen Spiel zum bissigen Hund und auch die Pizza wird launig angesprochen. Soweit business as usual, bizarr wird es erst, als die Pizza in das Gespräch einsteigt. Und als sich auch noch der Hugo Boss-Anzug, der Topfhandschuh, das Blumenkissen und der psychologisch geschulte Sessel – er stand früher jahrelang in der Praxis eines Psychiaters – einschalten, gerät Retos Lebenswelt ins Wanken: Hat er ein Gläschen Wein zu viel getrunken? Ist er einsam und bildet sich Dinge ein? Hat er Wahrnehmungsverschiebungen? Kann er seinem eigenen Verstand noch trauen? Doch damit nicht genug: Die Gegenstände können scheinbar nicht nur sprechen, sie haben auch die Beziehung zwischen dem selbstbewussten Produktmanager Reto und seiner Ex-Freundin Susi genau beobachtet und analysiert – und Reto kommt dabei gar nicht gut weg. Wähnt er sich doch als derjenige, der Schluss gemacht hat und der sein Single-Leben genießt, sind die Dinge da vollkommen anderer Meinung. Auch als das Blumenkissen zögerlich davon berichtet, wofür Susi es in Retos Abwesenheit bei ihren Männerbesuchen verwendet hat, erhöht das nicht gerade Retos Selbstwertgefühl …

Martin Suter, bekannt vor allem durch seine hintergründigen – mehrfach ausgezeichneten und verfilmten – Romane, in denen die Protagonisten durch unvorhersehbare, manchmal surreale Ereignisse aus ihrer Lebensroutine gerissen werden, setzt in seinem scharfsinnigen und unglaublich komischen Schauspiel die Beschäftigung mit Figuren im Ausnahmezustand fort. Pointiert, pfiffig und mit bösem Witz erweckt er die Gegenstände zum Leben: Mit dem schwäbisch sprechenden Hugo Boss-Anzug, dem aggressiv-bissigen Topfhandschuh, der launenhaften Pizza, dem schüchternen Blumenkissen, dem therapeutisch bewanderten Sessel oder dem ewig stichelnden Pouf, um nur einige zu nennen, hat er wunderbar plastische Charaktere mit amüsanten menschlichen Eigenschaften entwickelt.

Am Theater Heilbronn wird Regisseur Kay Neumann diese spitzzüngige Komödie mit Unterstützung des Figurenspielers Lukas Schneider als ein Stück für vier Schauspieler in 13 Rollen auf die Bühne bringen. Die Hauptfigur des vermeintlichen Gewinnertypen Reto, dessen falsche Selbsteinschätzung im Laufe des Stücks lustvoll dekonstruiert wird, verkörpert Pablo Guaneme Pinilla. Judith Lilly Raab, Tobias D. Weber und Lukas Schneider spielen nicht nur jeweils einen menschlichen Charakter, sondern kreieren auch als Figurenspieler einen zum Schmunzeln anregenden Bühnen-Kosmos, eine Gesellschaft der Dinge!

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Unsere Neuen: Winnie Ricarda Bistram

Dass das Leben mitunter dramatischer ist, als es sich Bühnenautoren in ihren kühnsten Phantasien ausdenken können, hat Winnie Ricarda schon früh erfahren. Noch während der Ausbildung am Wiener Max Reinhardt Seminar bekam sie eine Rolle am Akademietheater, der Kammerbühne des Burgtheaters (was für ein Traum!), in dem Schauspiel »Liebe und Information« von Caryl Churchill.  Am Nachmittag des Premierentages wollte sie noch schnell eine Überweisung bei der Bank erledigen. Da hielt ihr plötzlich jemand eine Pistole an den Kopf. Das war kein Theater, sondern ein Banküberfall  ̶  Todesangst statt Premierenfieber. Irgendwann richtete der Räuber die Waffe auf die Bankangestellte, die den Notknopf bestätigte. Winnie Ricarda Bistram und einigen anderen gelang die Flucht. Dann war auch schon die Polizei da, aber der Weg zu ihrem Auftritt war versperrt. Sie sollte als Zeugin vor Ort bleiben und kein Polizist wollte verstehen, dass sie unbedingt ins Theater musste, weil ohne sie diese Premiere nicht stattfinden würde. Erst als ihre Professorin, die verständigt wurde, an den Tatort kam und mit der Polizei verhandelte, durfte sie gehen.

Winnie Ricarda Bistram als Königin in »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« mit Hannes Rittig als König. (Foto: Thomas Braun)

Schon manchmal hatte ihr das Leben auf dem Weg zum Traumberuf ein Bein gestellt. Wie im ersten Vorsprechen an ihrer Lieblingsschauspielschule, dem Max Reinhardt Seminar. Sie war bereits in die zweite Runde gekommen und ignorierte ihre Bauchschmerzen, bis sie schließlich mit einem lebensgefährlichen Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus kam. Aber im drauffolgenden Jahr klappte es  sofort.
Dabei wollte sie als Jugendliche in ihrer Heimatstadt Hamburg alles, nur keine Schauspielerin werden. Ihr Vater arbeitete in diesem Beruf. Sie hatte die Unsicherheiten, die so ein Leben mit sich bringt am Rande mitbekommen. Ihr Vater, der in der DDR lebte, gehörte zum legendären Ensemble von Frank Castorf während dessen »Verbannung« an das winzige Theater Anklam in Vorpommern. Ganz Theater-Ostdeutschland pilgerte damals an diesen kultigen Ort, wo es im Schutz der Provinz aufregende Inszenierungen zu sehen gab. Umso erstaunter ist Winnie Ricarda Bistram, ausgerechnet in Heilbronn auf Kollegen zu treffen, die ihren Vater und den Großvater von der Bühne und von gemeinsamen Arbeiten  kannten.

Winnie Ricarda Bistram spielt in »Drei Männre und ein Baby« gleich mehrere Rollen. Eine davon ist Sylvia, die den drei Machos das Baby vor die Tür stellt. (Foto: Thomas Braun)

Nach dem Abitur studierte sie zunächst Psychologie und Kunstgeschichte in Heidelberg. Doch irgendwann hat sich offenbar das väterliche Erbe bei ihr durchgesetzt, denn der Wunsch, diesen unvorhersehbaren, aufregenden Weg zur Schauspielerei einzuschlagen, brach sich massiv Bahn. »Das Schauspielstudium fühlte sich richtig an. Auch das ganze Auf und Ab, die Selbstzweifel, die einen dabei ständig begleiten, das gehört mit dazu.«  Sie spielte in dieser Zeit auch am Volkstheater Wien und im Theater in der Josefstadt. Nach dem Studium gastierte sie in Berlin und Wilhelmshaven, stand in Kurzfilmen vor der Kamera und nahm an einem großen Kunstprojekt in Berlin teil. Zuletzt spielte sie 180 Vorstellungen der französischen Komödie »Die Lüge« von Florian Zeller im Zimmertheater Heidelberg. Ihr Partner war Peter Volksdorf, ehemaliges Ensemblemitglied in Heilbronn und gerade wieder als Gast am Neckar. Der machte Winnie Ricarda Bistram darauf aufmerksam, dass das Theater Heilbronn gerade junge Schauspielerinnen suchte. Weil der Norddeutschen gerade in Heidelberg die große Liebe über den Weg gelaufen war, wollte sie gern im Süden bleiben und bewarb sich. »Ein Festengagement ist auch mal ganz schön«, sagt sie und hofft darauf, dass sie hier waches, spannendes, politisches Theater machen darf.  So, wie es die Aufgabe von Theater seit der Antike ist. Nicht von ungefähr ist Antigone eine ihrer Lieblingsfiguren, eine 2500 Jahre alte Vorläuferin von Greta Thunberg.

Zusehen ist Winnie Ricarda Bistram aktuell in der Komödie »Drei Männer und ein Baby« und dem Weihnachtsmärchen »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.

Ein Inspektor kommt … Schauspieler Oliver Kainz ist in »Revanche« dem Verbrechen auf der Spur

Unser Praktikant Mark Etting sprach mit dem Schauspieler Oliver Kainz über die Figur des Kriminalinspektors Doppler in unserem Kriminalstück »Revanche«, der mit kühler Überlegung einem Verbrechen auf der Spur ist. Oliver Kainz verstärkt als Gast unser Ensemble in der Inszenierung von Marcus Everding, die am 16. November 2019 um 20.00 Uhr im Komödienhaus Premiere hat.

Etting: Herr Kainz, Sie kommen als Gast ans Theater Heilbronn für die Rolle des Inspektor Doppler in »Revanche«. Wie kam es dazu?

Kainz: Nun, Herr Vornam, der Intendant, hat mich in der Vorstellung »Ein Inspektor kommt« von Priestley gesehen und mich quasi noch in der Kantine engagiert. Ich hatte Zeit und Lust, und nun bin ich hier.

Etting: Sie sind ja halb Engländer…

Kainz: Ja, meine Mutter stammt aus Bristol. Aufgewachsen bin ich aber in Stuttgart.

Etting: War der englische Hintergrund hilfreich für die Rolle?

Kainz: Nun, mit dem Hintergrund konnte ich mich schon besser, also ich meine gut in die Rolle eines englischen Inspektors einfühlen. Da kommt doch einiges immer wieder hoch. Was nicht heißen soll, dass die Kollegen es nicht auch gut machen. Ein tolles Klima auf den Proben.

Etting: Kommen wir zur Rolle. Was ist Inspektor Doppler für eine Figur?

Kainz: Eine sehr spannende, sag ich jetzt mal so. Also, er gibt ja den schrulligen Landpolizisten, der sich dem erfolgreichen Krimi Schriftsteller Wyke quasi unterordnet, um dann den Spieß sozusagen umzudrehen und Wyke regelrecht vorzuführen. Das können Sie sich so vorstellen, wie den Inspektor Colombo. »Ich hätte da noch eine Frage.« (lacht)

Oliver Kainz als Inspektor Doppler


Etting: Doppler überführt also Andrew Wyke?

Kainz: Doch, schon. Er kann seinen Job total gut. Und auch das Publikum wird den Doppler am Anfang unterschätzen.

Etting: Man will also, dass Wyke erwischt wird?

Kainz: Wir wollen hier nichts verraten. Das ist schließlich ein Kriminalstück. Wäre doch schade, wenn das bei Ihnen schon alles nachlesen kann.

Etting: Mal eine Frage an Ihre Herangehensweise: Wie legen Sie den Inspektor an?

Kainz: Ich würde sagen hintergründig, doch. Spiegelnde Facetten, die sich in den Widersprüchen zu gefährlich blitzenden Glassplittern entwickeln.

Etting: Das klingt aber spannend.

Kainz: Ja, das hat Shaffer schon gut geschrieben.

Etting: Und dieser Doppler taucht ja eher überraschend spät im Stück auf.

Kainz: Genau. Also, wenn man das Programmheft nicht gelesen hat, weiß man das erst einmal nicht. Die Figur bezieht aus diesem Überraschungseffekt natürlich ihre Wirkung.

Oliver Kainz als Inspektor Doppler im Verhör mit Andrew Wyke (Nils Brück)

Etting: Man darf also gespannt sein. Ihre nächsten Pläne?

Kainz: Urlaub.

Etting: Verraten Sie uns wohin?

Kainz: Nein. Finden Sie’s heraus.

Etting: Danke für dieses Gespräch.

Das Kriminalstück »Revanche« können sie ab dem 16. November 2019 bis Silvester im Komödienhaus erleben.

Die Chose mit der Hose

Die Kostüme der »Affäre Rue de Lourcine« forderten den Einfallsreichtum unseres Herrenschneidermeisters Tilo Voss heraus. Denn die Kleidung der beiden ehemaligen Internatsabsolventen Lenglumé und Mistingue sollte nicht nur die glorreichen Zeiten des Slapsticks aus der Stummfilmzeit erinnern, sondern muss auch auf der Theaterbühne für Einiges herhalten.

»Die Affäre Rue de Lourcine« (v.l.n.r. Marek Egert, Nils Brück und Hannes Rittig)

Die Schnittmuster für die historischen Hosen im Buster-Keaton- / Charlie-Chaplin-Stil waren schnell entwickelt, doch wie sollten die Zusatzfunktionen in der Hose des Lenglumé untergebracht werden, ohne dass die Hose völlig aus der Form geriet?

In dieser Hose verschwinden nicht nur jede Menge Requisiten, sondern auch der Hausherr selbst. Das stellte den Schneidermeister vor die Herausforderung eine überproportionale Hose zu entwerfen, die jedoch zunächst möglichst normal aussieht. Bereits die historischen Hosen der Stummfilmhelden, die als Vorbild dienten, sind zu groß für ihre Träger. Die Proportionen weichen vom klassischen Hosenschnitt ab.

Wie lässt sich das noch steigern, so dass der Schauspieler Nils Brück nahezu komplett verschwinden kann?

Nils Brück bei der Anprobe

In mehreren Schritten haben Schneidermeister und Schauspieler sich an die endgültige Ausgestaltung der Hose herangetastet, bis alles saß. Vom tieferen Schnitt über die Einarbeitung eines Stretchkeils aus dehnbarem Stoff, eingelegte Falten in die Seitennäthe und die Verlängerung der Hose am Bund wurde sie immer wieder überarbeitet. Die Stoffmengen mussten so gut eingearbeitet werden, dass sie den Proportionen der Hose des zweiten Hauptdarstellers Hannes Rittig ähnlich blieben. Die Zusatzfunktionen wie die sieben Taschen, in denen ganze Wasserflaschen verschwinden, sollen natürlich nicht vorab erkennbar sein.  Die Bewährung fand die Hose dabei im Praxistest während der Proben: Ob jetzt einer oder mehrere Druckknöpfe oder Magneten die zusätzlichen Stoffe verschwinden lassen, testet Nils Brück immer wieder im Spiel, bis es optimal passte.

So wurde der Prototyp dieser ungewöhnlichen Hose in enger Zusammenarbeit von Schneiderei und Schauspieler weiterentwickelt, bis daraus das fertige Kostüm der Inszenierung entstand.  

Das Ergebnis könnt Ihr noch zwei Mal in der »Affäre Rue de Lourcine« bewundern. Und achtet genau drauf, was alles in der Hose verschwindet oder aus ihr heraus zum Vorschein kommt, um die Erinnerungslücken der durchzechten Nacht der beiden Zechbrüder zu füllen.

»Die Affäre Rue de Lourcine« läuft nur noch am 25. und 26. April 2019 im Komödienhaus des Theaters Heilbronn.

»Üben, üben, üben, bis alles sitzt«

In dieser Spielzeit hat er als Tartuffe, als Schöller und als Lenglumé in »Die Affäre Rue de Lourcine« das Publikum zum Schmunzeln, Lachen, sogar zum Japsen gebracht. Nils Brück spricht mit Dramaturg Andreas Frane über die harte Arbeit an der Komödie.

»Die Affäre Rue de Lourcine« Nils Brück, Hannes Rittig; Foto: Thomas Braun

Andreas Frane: Welche Voraussetzungen und Eigenschaften sollte man mitbringen, wenn man Komödie spielen will?

Nils Brück: Mein Wissen stützt sich vor allem auf Erfahrungen aus der Praxis. Komödie braucht aus meiner Sicht viele Zutaten: Zuerst einmal Spielfreude – Verspieltsein, Mut – Übermut, Disziplin – Anarchie, Timing, Rhythmus, Genauigkeit, Instinkt, Publikumsnähe und die Bereitschaft zum Scheitern.

Kann man »komisch sein« lernen?

Ich glaube, es gibt schon Schauspieler, die für dieses Genre besonders begabt sind. Und eine häufige Beschäftigung mit Komödien verschiedenster Herkunft (aus Frankreich, Großbritannien, Irland, Amerika, Deutschland) hilft sicher auch, seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu entwickeln. Aber nur das und ausschließlich für die Bühne zu erlernen? Das gibt es wahrscheinlich nicht. Anders ist es im Zirkus. Da gibt es ja viele und auch tolle Clownsschulen. Auch die Pantomimen haben eine Spezialausbildung. Beide von mir sehr geschätzte und bewunderte Kunstformen.

Karl Valentin hat einmal gesagt: »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.« Trifft das besonders auf die Komödie zu?

Absolut. Man durchläuft während der Proben verschiedenste Phasen. Das Entwickeln einer Situation, das Ausreizen des Scheiterns (denn es geht in der Komödie immer um das Scheitern, um die Not von Individuen in Extremsituationen, um die Zuspitzung einer unlösbaren Schwierigkeit) macht gerade zu Beginn einer Arbeit großen Spaß. Dann geht es um Genauigkeit, um das richtige Timing und um eine Wiederholbarkeit des Ganzen. Das ist harte Arbeit. Auch das gesamte Team kann ja nicht zwanzig, dreißig Mal über das Gleiche lachen. Dabei geht oft der Spaß verloren. Und man muss wie ein Jongleur üben, üben, üben, bis alles sitzt. Belohnt wird man dann, sollte alles gelingen, mit dem herzlichen Lachen des Publikums.

Hierzu vielleicht eine kleine Anekdote aus unserer letzten Vorstellung der »Affaire Rue de Lourcine«: Nach einem Satz in meinem Monolog lachte eine Frau ganz laut auf. Als sie merkte, dass sie die Einzige war, sagte sie »Oh Gott« und hielt sich den Mund zu. Ich hatte mich aber über die Reaktion gefreut und habe sie von der Bühne aus angesprochen: »Ach bitte, Sie können ruhig weiter lachen. Wir freuen uns…« Zum Lachen muss man eben nicht in den Keller gehen …

»Die Affäre Rue de Lourcine« Hannes Rittig, Nils Brück ; Foto: Thomas Braun

Wie viele Freiheiten darf / kann man sich denn erlauben?

Tja, das ist eine gute Frage, die auch von uns immer wieder diskutiert wird. Denn wo ist der Grat zwischen dem, was neu hinzukommt und dem Abend gut tut, und dem, was den Abend eher beschädigt? Da trifft man den Punkt nicht immer. Aber trotzdem ist es wichtig, eine Lebendigkeit zu erhalten. Das ist nicht so leicht in unserem Metier.

Es ist viel von Techniken bei Komikern und Komödianten die Rede. Wie verhindert man andererseits, dass Komödie auf der Bühne »technisch« wird und wirkt?

Ich glaube bei allen Stücken, so auch in der Komödie, kommt es darauf an, die Spielsituationen immer wieder neu zu erleben. Jeder Abend sollte ein Unikat sein und somit ein Erlebnis für das Publikum schaffen, dass eben nur an dem speziellen Abend in dieser Form stattfindet. Es ist alles live! Es geht um ein Gemeinschaftserlebnis, mit allen Fehlern, die passieren, mit Zustimmung oder Ablehnung des Publikums. Man muss sich also als Schauspieler trauen, sich im Moment zu bewegen.

Gibt es Gags, Techniken, Witze, die beim Publikum garantiert funktionieren?

Ja, gibt es schon, denke ich. Man muss Sie aber dosiert einsetzen, sonst nutzen sie sich ab. Welche das sind, wird aber nicht verraten …

Nils, ich bedanke mich herzliche für dieses Gespräch.

Den mörderisch komischen Monsieur Lenglumé aus »Die Affäre Rue de Lourcine« spielt Nils Brück nur noch am 20., 25. Und 26. April im Komödienhaus.

»Die Affäre Rue de Lourcine« Sven-Marcel Voss, Nils Brück ; Foto: Thomas Braun

In der »Affäre Rue de Lourcine« geht es nicht mit rechten Dingen zu

Sven-Marcel Voss Zaubereien treiben den Irrwitz auf die Spitze

Sven-Marcel Voss als Diener Justin links
(v.l.n.r. Hannes Rittig, Nils Brück & Sabine Unger, Foto: Thomas Braun)

Leide ich an einer Sinnestäuschung  ̶  oder was ist da gerade passiert? Eben hat Sven-Marcel Voss als Diener Justin seinem Herrin Norine aus einer durchsichtigen Karaffe mit kristallklarer Flüssigkeit eingeschenkt, aber der Drink im Glas ist grasgrün. Eine Sekunde später füllt sich der Becher von Lenglumé aus derselben Karaffe mit einem blauen Getränk, und der Schluck in Mistingues Glas ist rot. Zauberei! Willkommen in der rasanten Komödie »Die Affäre Rue de Lourcine« von Eugene Labiche im Komödienhaus, in der nichts, aber auch gar nichts, so ist, wie es scheint. Nils Brück als Lenglumé und Hannes Rittig als Mistingue tun darin alles, um ein Verbrechen zu verschleiern, von dem sie vermuten, dass sie es im Zustand der völligen Trunkenheit begangen haben. Immer misstrauisch beäugt von Lenglumés Frau Norine (Sabine Unger), die sich über das merkwürdige Treiben der beiden Männer wundert und sich mit ihrem übergriffigen Vetter Potard (Marek Egert) und eben jenem so gar nicht diensteifrigen Angestellten Justin herumärgert. Als wenn das Geschehen nicht schon turbulent genug wäre, sorgt Justin mit seinen irritierenden Aktionen für zusätzliche Verwirrung. Er steckt beim Aufräumen eine Champagnerflasche in eine Papiertüte, um diese dann zusammenzuknüllen. Was doch eigentlich unmöglich ist! Er zieht sich eine meterlange Papierschlange aus dem Hals – wie geht das nur? Er lässt Schachteln aus seiner Hand verschwinden, seinen Kopf plötzlich auf einer Servierplatte auf dem Tisch auftauchen oder einen Spazierstock aus dem Nichts erscheinen. Von seinem Hechtsprung durch ein Gemälde an der Wand ganz zu schweigen.
Großer Bühnenzauber, von dem hier selbstverständlich nicht verraten wird, wie er funktioniert. Und der so leicht und beiläufig wirkt, als würde sich Sven-Marcel Voss als Justin selbst wundern über das, was ihm widerfährt. Dahinter stecken natürlich nicht nur ein großes komödiantisches Talent und schauspielerische Präzision, sondern auch jede Menge Zauberkunst.
»Das haben mir meine Kollegen eingebrockt«, sagt Sven-Marcel Voss augenzwinkernd. Als Regisseur Marc Becker im Ensemble herumfragte, welche besonderen Fähigkeiten jeder hat, erzählten die Schauspieler von Sven-Marcels Zauberkunststücken, mit denen er in launigen Runden gern für Unterhaltung sorgt.
»Allerdings sind das Kartentricks, die für die Bühne nicht geeignet sind«, sagt der junge Schauspieler. Vor rund anderthalb Jahren hat er angefangen Kartentricks zu üben, angeregt durch einen Kommilitonen, der Deutscher Vizemeister unter den Illusionskünstlern ist. Diese Tricks hat er sich selbst beigebracht, sie haben ausschließlich mit Fingerfertigkeit zu tun. Manche hat er sehr schnell drauf, für andere trainiert er lange, an anderen beißt er sich auch nach monatelanger Übung die Zähne aus. Bisher macht er das alles nur für sich und kleine Shows in geselliger Runde. Ein abgegriffenes Kartenspiel hat er dafür immer dabei.

Auf der Bühne zu zaubern verlangt nach mehr Hokuspokus und Magie, auch nach wesentlich mehr Ausstattung  und braucht natürlich auch viel Übung. Bei der Erarbeitung der kleinen Zaubernummern, die die Inszenierung noch charmanter machen, hatte er freie Hand und suchte nach Tricks, die zur jeweiligen Szene passen. Eigentlich lohnt es sich, schon allein wegen der Zaubertricks noch ein zweites Mal in die Vorstellung der »Affäre Rue de Lourcine« zu gehen. Aber auch sonst ist dieser Abend einfach ein Vergnügen. Nicht umsonst nennt Leonore Welzin ihn in ihrer Kritik in den Fränkischen Nachrichten »einen komödiantischen Volltreffer«. 

Wie der Boxenstopp in der Formel Eins

Julia Schmalbrock springt in »Spiel’s nochmal, Sam« in viele Rollen – und Kostüme


»Nancy, Gina, Vanessa, Barbara, zwei ohne Namen und Sharon gibt es zwei Mal«, zählt Julia Schmalbrock, »acht Rollen in einem Stück. Das hatte ich noch nie.« Die gebürtige Münchnerin, die acht Jahre lang am Staatstheater Hannover von Pünktchen in »Pünktchen und Anton« bis »Minna von Barnhelm« große und kleine Rollen gespielt hat, ist für »Spiel’s nochmal, Sam« als Gast nach Heilbronn gekommen. Und in einer schweißtreibenden Inszenierung gelandet: »Es sind, ich glaube, zehn Umzüge, die schnellsten dauern knapp unter einer Minute. Das kann man sich ein wenig vorstellen wie beim Boxenstopp in der Formel Eins«, lacht Julia Schmalbrock. »Sobald ich von der Bühne komme, werde ich von zwei Ankleiderinnen und einer Maskenbildnerin in kürzester Zeit einmal komplett ent- und wieder bekleidet. In den ersten Proben war das ganz schön stressig, aber inzwischen sind wir richtig gut eingespielt.« Auf jeden Fall ist Jens Kerbels turbulente Inszenierung eine Chance, die eigene Vielseitigkeit auf die Probe und zur Schau zu stellen. Denn so viele unterschiedliche Frauentypen hat man als Schauspielerin selten in einer Spielzeit zu zeigen, geschweige denn in einem einzigen Stück.

»Spiel’s nochmal, Sam« ist nur noch bis zum 22. Februar im Komödienhaus zu belachen.
https://www.theater-heilbronn.de/spielplan/detail/inszenierung/spiels-nochmal-sam.html

v.r. Judith Lilly Raab, Oliver Firit & Julia Schmalbrock in »Spiel´s nochmal, Sam«
Julia Schmalbrock & Oliver Firit in »Spiel´s nochmal, Sam«