»Galilei ist einfach kein Taktiker«

Flammarion

»Ich habe meinen Beruf verraten«, bekennt Galileo Galilei. »Ein Mensch, der das tut, was ich getan habe, kann in den Reihen der Wissenschaft nicht geduldet werden.« Die bittere Selbstanklage, mit der Bertolt Brecht sein »Leben des Galilei« (fast) enden lässt, steht in schroffem Kontrast zum leidenschaftlichen Glauben an Vernunft und Wahrheit, mit dem er das Stück beginnt. Seit den frühen 1930er Jahren hatte er sich mit der Figur des 1564 in Pisa geborenen Wissenschaftlers auseinander gesetzt, der seine bahnbrechenden Erkenntnisse auf Druck der Inquisition 1633 widerrief. Das »Leben des Galilei« wurde für Brecht zu einer Art Lebensprojekt: Bis zu seinem Tod im Jahr 1956 überarbeitete und veränderte er den Text – und die Konzeption der Titelfigur. Die gesellschaftlich-politischen Brüche und Verwerfungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkten ebenso auf seine Arbeit ein wie die damals aktuellen Entwicklungen in Forschung und Wissenschaft, von der Spaltung des Atoms durch deutsche Physiker bis zu den amerikanischen Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki. Kein Wunder, dass »sein« Galilei, der den historischen Galilei in der öffentlichen Wahrnehmung längst verdrängt hat, sich durch die drei überlieferten Fassungen Brechts vom klugen, widerständigen Aufklärer zur zwiespältigen und durchaus schuldbehafteten Figur wandelt.

Das Verhältnis von Wissenschaft und gesellschaftlicher Verantwortung, zwischen Wissenschaftler und Obrigkeit ist der komplexe Kern dieses »Meisterstückes«. »Wie weit dürfen Wissenschaft und Forschung gehen? Muss/Kann Wissenschaft der Politik – oder der Gesellschaft – dienen? Das sind wichtige und moderne Fragestellungen auch für unsere Gesellschaft«, bestätigt die Regisseurin Esther Hattenbach, die nach zeitgenössischen Stücken wie »Unschuld«, »Der Stein« oder »Verbrennungen« nun einen großen Klassiker auf die Bühne des Großen Hauses bringt. Wie ist ihr Zugriff auf die Titelfigur? »Galilei ist ein Wissenschaftler, der getrieben ist von seiner Neugier und der Leidenschaft nach Aneignung der Welt. Wissenschaft ist für ihn die Auseinandersetzung mit der ganzen Welt. Galilei ist einfach kein Taktiker.  Politische Dimensionen verkennend, verstrickt er sich im Ränkespiel mit der Obrigkeit, in diesem Fall die katholische Kirche und der Adel.« Die Berliner Regisseurin stellt das Diskursive des Stückes in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung: »Es wäre zu einfach, Gut und Böse zu verteilen. Alle Figuren haben aus ihrer Sicht heraus Recht. Aber sie scheitern darin, einen gemeinsamen Standpunkt auszuhandeln. Am Ende stehen nicht neu verhandelte Demokratie, sondern Konflikt und Spaltung. Eine Situation, wie wir sie ja auch gerade in Europa erleben.«

Für ihr Konzept haben Hattenbach und ihre Bühnenbildnerin Ulrike Melnik einen »Diskurs-Raum« entwickelt, auf dessen »Teppich der Macht« und zwischen allen Stühlen Galilei, seine Schüler und Unterstützer und seine Kontrahenten aufeinander treffen. Der Heidelberger Komponist und Musiker Johannes Bartmes wird dazu Hanns Eislers Lieder zu »Leben des Galilei« für eine live auf der Bühne spielende, dreiköpfige Combo (inklusive einer »Human Beatbox«) arrangieren.

Von Andreas Frane

Axel Vornam inszeniert Philipp Löhles brandaktuelle Gesellschaftssatire im Großen Haus

fotolia»Löhles Kommentar zur Wirklichkeit«: Das war der Titel der Veranstaltungsreihe, die der Dramatiker Philipp Löhle am Berliner Maxim Gorki Theater entwickelt hatte. Und das könnte auch als Motto über seinen Stücken stehen, die sich kritisch, zuspitzend, provozierend und oft mit beißendem Witz mit den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen und Fragestellungen auseinander setzen. Löhles rasante »Globalisierungsfarce« »Das Ding« hatte das Theater Heilbronn bereits in der Spielzeit 2013/14 auf die Bühne der damaligen Kammerspiele gebracht. Jetzt zeigen wir auf der großen Bühne »Wir sind keine Barbaren!«.

Ganz und gar nicht als Barbaren, nein, als Gutmenschen empfinden sich die beiden jungen, offensichtlich wohlsituierten Pärchen Barbara und Mario und ihre Nachbarn Linda und Paul. Wobei ihnen das Etikett »Gutmenschen« sicher zu spießig wäre, immerhin sind sie als neuerdings vegane Köchin, mobile Fitnesstrainerin – Zumba! Bokwa! Crossfit! – oder als Sound-Entwickler für Elektroautos – wegen der Blinden! – ganz auf der Höhe der Zeit. Und alle Fragen und Entscheidungen des Wohlstands-Lebens könnten sich behaglich auf Prosecco oder Rosé, Klapp-räder oder Flachbildfernseher – mit Ultra HD! – beschränken, würde Barbara nicht ausgerechnet an ihrem Geburtstag einem Flüchtling Tür und Heim öffnen. Bobo – oder heißt er doch Klint? – bringt allein durch seine Anwesenheit den Hausfrieden in Schieflage, Ängste und Vorurteile, Aggression und verdrängtes Begehren brechen unter der Oberfläche scheinbarer Toleranz und Hilfsbereitschaft hervor. Und dann ist plötzlich der Flachbildfernseher zerstört. Und Barbara verschwunden.

Der 37jährige Ravensburger Philipp Löhle schrieb »Wir sind keine Barbaren!« 2014 für das Stadttheater Bern, mitten in einer öffentlichen Debatte um Zuwanderung und »Überfremdung« in der Schweiz. Zwei Tage nach der Uraufführung am 8. Februar wurde in der Eidgenossenschaft über die rechte Volksinitiative »Gegen Masseneinwanderung« abgestimmt. In Anbetracht der Flüchtlingssituation, der PEGIDA-Bewegung und der zunehmend schärfer geführten Diskussionen um Aufnahmequoten, Asylrecht und Fremdenfeindlichkeit erweist sich »Wir sind keine Barbaren!« als brandaktuelles Zeitstück, das mit seinem spitzen Humor den wohl zur Zeit wundesten Punkt der westlichen Demokratie trifft.

Löhles Theatertext setzt dabei zwei besondere dramaturgische Kniffe ein: Der »schwarze« Flüchtling tritt nie auf der Bühne in Erscheinung, wir bekommen ihn nur gefiltert durch die Meinungen der anderen Figuren vermittelt. Und es gibt – neben Barbaras Schwester Anna – noch eine weitere Hauptfigur im Stück: den »Heimatchor«, der immer wieder mit einem kräftig artikulierten WIR-Gefühl die Handlung unterbricht und kommentiert (»Hier sind WIR / WIR sind viele / Kein Platz mehr sonst«). In seinen Texten artikuliert sich eine Mischung aus nachvollziehbaren Ängsten und erschreckender Stammtischrhetorik, die die Abgründe hinter der Fassade so manches wohlsituierten Bürgers aufzeigt. Für diesen Chor, der einmal auch leibhaftig ins Singen kommt, hat sich Regisseur Axel Vornam eine spannende Lösung ausgedacht: Ein gutes Drittel besteht aus Schauspielern des Ensembles und Gästen, die Mehrheit aus Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und Region Heilbronn. Passend am 3. Oktober – und als Abschluss der Themenwoche »Krieg« – bringen wir »Wir sind keine Barbaren!« im Großen Haus des Theaters Heilbronn zur Premiere.

Von Andreas Frane

Der ganz normale Bürowahnsinn

Foto: jesadaphorn - Fotolia.comWer weiß heute noch wo ein Rückstelltastenregulatoren-Abstandseinstellrad eingebaut ist? Die »Office-Managerin« sicher nicht mehr, die »Sekretärin« aber schon, denn sie kann sie noch bedienen: die Schreibmaschinen dieser Welt mit den so vertraut klingenden und erfolgsversprechenden Namen wie Erika, Mignon, Triumph und Olympia.

Im Zeitalter von PC, Laptop und iPad stehen zwar keine Schreibmaschinen mehr in den Arbeitsstuben der »Fachkauffrauen für Büromanagement«, allerdings ist der alltägliche Wahnsinn, der sich hier zuweilen austobt, absolut zeitlos. Deshalb werfen wir, pünktlich zum Sommer, wenn fast ein jeder schon gedanklich im Urlaub ist, einen Blick in die Betriebsabläufe eines Großraumbüros und schauen keineswegs grauen »Büromäusen« beim Fingernägel lackieren, Kaffee kochen, Frauenzeitschriften lesen und privaten Telefonieren zu. Aber es werden nicht nur Klischees bedient, es wird auch gearbeitet! Sechs singende Sekretärinnen schreiben Steno (Versuchen Sie das fünf Mal hintereinander fehlerfrei zu sagen!), werden zum Diktat gerufen, nehmen Telefonate an, vertrösten Anrufer und klappern auf den Schreibmaschinen bis die Tastatur raucht und nicht nur die Farb- sondern auch die Stimmbänder glühen. Denn die Damen des Vorzimmers sind nicht nur virtuose Schreibmaschinistinnen, sondern auch leidenschaftliche musikalische Bürokräfte, die trotz ihrer unterschiedlichen Charaktere (vom Vamp über das schüchterne Hausmütterchen bis hin zur biederen Bürovorsteherin sind alle dabei), eins vereint: Die Sehnsucht nach »A little respect«. Und so singen sie von ihren Sorgen und Nöten, die der turbulente Sekretärinnenalltag mit sich bringt, aber auch von den verborgenen Sehnsüchten und geheimnisvollen Lastern, die mit ein bisschen Tipp-Ex nicht so einfach zu entfernen sind. Zickenkriege werden ebenso besungen wie Büroromanzen, wenn schon nicht mit dem Chef, dann mit dem blassen und unscheinbaren Büroboten, der eine Bürorevolte nur dadurch zu verhindern weiß, dass er den Eros (Ramazotti) in sich weckt und so seine wahre Identität zu erkennen gibt.

Franz Wittenbrink, dessen Liederabend »Männer« einer der Renner der letzten beiden Spielzeiten im Großen Haus war, hat neben dem testosterongestählten Abend mit »Sekretärinnen« auch einen echten Frauenquotenkracher mit Herz, Humor und Hits zu bieten. Dabei ist »Sekretärinnen« mehr als nur ein Liederabend. Es ist eine Musical-Revue, ein »Tippsical«, ist geballte Frauenpower, gepaart mit musikalischen Freudentänzen und poppigem Schreibmaschinengeklapper. Ein wahrhaft feminines Vergnügen, bei dem auch die Männer nicht zu kurz kommen …

Regisseur Philippe Besson stellt sich mit der flotten Mischung aus Schlager, Chanson und Pop erstmals dem Heilbronner Publikum vor. Mit dabei ist auch der Berliner Musiker und Sänger Andreas »Kulle« Dziuk, der u. a. seit 1996 Keyborder der deutschen Rockband Pankow ist.

Wie ein Spielplan entsteht …

v.l. Alejandro Quintana, Andreas Frane, Axel Vornam, Stefanie Symmank, Stefan Schletter

»Nach dem Spielplan ist vor dem Spielplan«: Wenn Mitte April auf der alljährlichen Pressekonferenz Intendant Axel Vornam, Hausregisseur Alejandro Quintana und die Dramaturgen die 25 Premieren der kommenden Spielzeit der Öffentlichkeit vorstellen, dann haben die Vorüberlegungen für die übernächste Saison bereits begonnen. Schon sind Kontakte zu anderen Theatern geknüpft, um Musiktheater- und Tanzgastspiele für die Zukunft anzudenken. Und das permanente Lesen aktueller Stücke, über die die Theaterverlage in regelmäßigen Abständen per E-Mail oder über ihre Broschüren informieren, hört sowieso nie auf.
Das Spielplan-Machen ist ein ständiger, durchaus langwieriger Prozess, für die Dramaturginnen und Dramaturgen der deutschen Theaterlandschaft ist es die Kür zur Pflicht des Tagesgeschäfts. Denn das ist ihr großes Spielfeld: Das Lesen und Auswählen, das Suchen und Finden, das Diskutieren und Abwägen. Andreas Frane und Stefanie Symmank schlagen die Stücke für Großes Haus und Komödienhaus, Stefan Schletter für die BOXX vor, die Entscheidungshoheit hat dabei Intendant Axel Vornam, der die thematische Diskussion anstößt und sich mit eigenen Vorschlägen, manchmal durchaus streitbar, in die Stück- und Stoffsuche einbringt.
Wie zu jedem Spiel, gehören allerdings auch zu diesem Regeln: Die Anzahl und Verteilung der Stücke auf die Spielstätten ist gesetzt, dazu kommen Gastspiele aus Oper, Operette, Ballett, Tanztheater und Boulevard, gerne auch mal auf Schwäbisch. Und dabei macht’s die intelligente Balance: Ein gutes Verhältnis aus Klassischem und Neuem, Unterhaltung und Anspruch, für alle Altersgruppen. Sternchenthemen und Schullektüren wollen dabei ebenso beachtet sein wie entscheidende Fragen wie »Was wird dieses Jahr das Weihnachtsmärchen?« oder »Was spielen wir an den Feiertagen und an Silvester?«. Dazu kommt noch: »Haben bzw. finden wir dafür die richtigen Regisseure?« und »Können wir alles mit unserem Ensemble besetzen?« Und natürlich sollten die Stücke möglichst in den letzten zehn Jahren nicht bereits gelaufen sein, denn nicht nur wir, sondern auch unsere Abonnenten lieben die Abwechslung.
Das klingt kompliziert, fast unlösbar und irgendwie »strategisch«? Keine Sorge, das sind nur die Rahmenbedingungen, denn innerhalb dieses Rahmens wird es spannend: Auf den sogenannten Spielplankonferenzen, zu denen sich Dramaturgie und Intendant im stillen Kämmerlein regelmäßig treffen, sind der Fantasie, dem Findungsreichtum und der Diskussionslust erst einmal keine Grenzen gesetzt. Welches Profil wollen wir dem Haus und den einzelnen Spielstätten geben? Welche Themen bewegen uns und unser Publikum gerade? Wie positioniert sich das Theater zu den gesellschaftspolitischen Fragen und Problemen unserer Zeit? Manchmal gerinnt aus diesen Diskussionen in Verbindung mit Stoffen und Texten bereits ein übergreifendes Thema, manchmal verständigt man sich erst über ein mögliches »Motto« der Spielzeit und macht sich dann auf die Suche nach Stücken dazu.
Doch wie hält sich die Aktualität und Relevanz eines Spielplans? Theater ist im Vergleich zu den modernen Massenmedien ein eher langsames Medium, das heißt, der Weg von der Spielplanplanung bis zur Premiere dauert mindestens ein halbes Jahr. Und was beim Planen auf den Nägeln brennt, könnte sich später als Strohfeuer erwiesen haben. Unsere Stärke allerdings liegt in der Kontinuität, der Vertiefung, der Zuspitzung und der »Nachhaltigkeit«, mit der wir uns mit Fragen und Themen beschäftigen. Und in der Konzentration, die das dem Publikum abverlangt. Wo sonst kommen noch so viele Menschen an einem Ort zusammen, um sich für zwei Stunden oder länger mit einer Inszenierung auseinander zu setzen? Ist der Spielplan komplett, wird es für uns ernst: Werden wir mit unseren Themen, Titeln und Inszenierungen das Publikum treffen – ins Hirn, ins Herz, manchmal auch ins Zwerchfell? Das entscheiden am Ende Sie!

»Liebes Geburtstagskind, liebe Familie …«

Foto: Thomas Braun
Foto: Thomas Braun

An einem Familientreffen sind nicht nur die schuld, die es ausrichten, sondern auch die, die es nicht verhindern, bemerkte einst der Schriftsteller Karl Kraus. Recht hat er, und dennoch lassen sich manche Familienzusammenkünfte nur schwer vermeiden. Hochzeiten, Taufen, Geburtstage, Weihnachten – die Familie, sie lebe hoch, hoch, hoch! Schließlich muss man die Feste feiern, wie sie fallen, auch wenn am Ende die Familie gedemütigt und aufgelöst am Boden liegt.
Mit einem Fest beginnt auch das gleichnamige Stück, in dem nicht nur das ein oder andere Glas, sondern auch der Mantel des Schweigens gehoben wird. Hotelier und Patriarch Helge Klingenfeld-Hansen feiert seinen sechzigsten Geburtstag und natürlich erscheint die gesamte Familie. Doch Festtagsstimmung sieht anders aus. Die Ehe des jüngsten Sohnes Michael ist angeschlagen, Tochter Helene hat zum Entsetzen der Familie ihren neuen Freund mit dem unaussprechlichen Namen Gbatokai mitgebracht und über allem schwebt der vor wenigen Monaten begangene Selbstmord der Tochter Linda. Doch das Fest muss stattfinden, und so hangelt man sich von einer Tradition zur nächsten: Begrüßung, Smalltalk, Essen. Dann der Tagesordnungspunkt Tischreden. Im Raum sinkt die Temperatur gefühlt unter Null, denn der älteste Sohn Christian hält eine Rede mit dem Titel »Wenn Vater ins Bad wollte«. Was die Tafelrunde nun zu hören bekommt, ist ein Familiengeheimnis, vielleicht das dunkelste, was eine Familie haben kann. Doch Christian wird vom Vater verspottet, die Mutter versucht abzulenken, Schwester Helene bittet den Bruder zu schweigen, Michael wird sogar handgreiflich, der Toastmaster setzt zu einer neuen Rede an, der Festtagsmusiker haut in die Tasten, Großvater möchte auch noch was sagen und niemand kann der Situation entkommen, denn die Dienerschaft hat sämtliche Autoschlüssel entwendet. Das Fest wird zu einer Qual für alle, besonders für Christian, dem keiner zu glauben scheint. Nur durch einen Brief der verstorbenen Linda kann die Lebenslüge der Familie aufgedeckt werden. Am nächsten Morgen finden sich alle Geburtstagsgäste zum Frühstück ein. Mit dem Essen kann jedoch erst begonnen werden, wenn einer den Raum verlässt …
»Der Fokus der Inszenierung liegt nicht auf diesem speziellen Familiengeheimnis der Klingenfeld-Hansens, sondern vielmehr darauf, dass es in fast jeder Familie ein wie auch immer geartetes Geheimnis gibt. Zugegeben, in »Das Fest« ist dieses ein besonders drastisches«, beschreibt Regisseurin Uta Koschel. »Wie gehen Familienmitglieder damit um, dass es plötzlich ausgesprochen wird? Wie beeinflusst das die Beziehungen und Machtverhältnisse? Wer zieht Konsequenzen? Wer nicht?« Ein Fest der Wahrheiten also, ein Fest der Familie auch und nicht zuletzt ein Fest für Schauspieler.

Wo ein Fest stattfindet …

DAS FEST_Service (28) facebook… muss es auch Menschen geben, die die festliche Gesellschaft bedienen und bewirten. In unserem nächsten Stück im Großen Haus namens „Das Fest“ (Premiere am 7. März) feiert Familienpatriarch Helge Klingenfeld-Hansen seinen 60. Geburtstag. Eine große Party ist geplant, Familie und Freunde sind eingeladen und das hoteleigene Personal auf Höflichkeit und reibungslosen Ablauf getrimmt. Zum Essen gibt es reichlich und der Alkohol fließt in Strömen, da hat die Dienerschaft gut zu tun. Nun reden wir hier aber über ein Theaterstück, das ausschließlich von Schauspielern bestritten wird. Von diesen kann man zwar unter anderem erwarten, dass sie sich seitenweise Text merken, aber dass sie Tische eindecken und servieren können wie die Profis gehört nicht unbedingt zu einer klassischen Schauspielausbildung. Für die Inszenierung von „Das Fest“ ist es aber überaus wichtig, dass die drei Schauspieler Katharina Voß, Bettina Burchard und Gabriel Kemmether, die das Personal des Hotels verkörpern, ihre besten Servicequalitäten unter Beweis stellen. Um die vorhandenen Grundlagen (Messer rechts, Gabel links) weiter auszubauen, haben wir uns Hilfe von einem wirklichen Profi geholt. Sarah Kuchenbecker ist Chef de Rang im „Ratskeller“ in Heilbronn und hat den drei Serviceeleven einen Schnellkurs in Sachen Eindecken und Bedienen gegeben. Wo liegt der Löffel? Wo stehen Weißwein-, Rotwein- und Wasserglas? Von welcher Seite wird das Essen serviert, von welcher wieder abgeräumt? Wie trägt man mehrere Teller gleichzeitig und sind 10 Gläser in einer Hand wirklich zu transportieren? Wie organisiert man Besteck, Essenreste und Teller, ohne sich einen Wolf zu laufen und wer bedient eigentlich wen und nach welchen Merkmalen? Alter? Geschlecht? Oder bekommt der zuerst sein Essen, der den größten Hunger hat?

Es war ein wirklich spannender und erhellender Besuch im „Ratskeller“. Jeder Schauspieler war sich sicher, dass er das nächste Mal, wenn er in einem Restaurant bedient wird, genauer auf manche Dinge achten wird.

Sie haben den Dreh raus!

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Aberglaube und Theater gehören zusammen wie Pech und Schwefel. Gerade an Premierenabenden, an denen die Spannung ohnehin die einer Starkstromleitung um vieles übersteigt, darf man nichts falsch machen. So darf jedem Schauspieler erst dann „Toi, Toi, Toi“ gewünscht werden, wenn er bereits im Kostüm ist. Außerdem darf nur über die linke Schulter gespuckt werden (angeblich sitzt da der Teufel, den man von der Schulter … na Sie wissen schon) und der Schauspieler bzw. der Beglückwünschte darf sich auf keinen Fall für die guten Wünsche bedanken.

Ein schöner Brauch ist auch der des Premierengeschenks. Viele Produktionsbeteiligte machen sich Gedanken und überlegen sich was kleines Feines, was mit dem Stück in einem Zusammenhang steht. Zur Premiere von „Don Karlos“ am vergangenen Wochenende gab es von Bühnenmeister Pit Müller ein Drehbuch als Geschenk. Ein Drehbuch? Ja genau! Für alle, die „Don Karlos“ noch nicht gesehen haben: Sie dreht sich doch! Und zwar nicht nur die Drehscheibe, sondern auch 2 T-förmige Körper und das jeweils um die eigene Achse. Viele, die „Don Karlos“ am Premierenabend bereits gesehen haben, haben sich gewundert, wie sich diese beiden Körper wie von Zauberhand bewegen können. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Es sind vier Zauberhände, die sich mit weiteren vier Zauberhänden bei den Vorstellungen abwechseln. Was Sie als Zuschauer nämlich nicht sehen, sind unsere zwei Techniker, die sich während des ganzen Abends hinter den Körpern verstecken, um diese im richtigen Moment in die richtige Position zu drehen. Vielleicht fühlt sich der ein oder andere Techniker nach knapp drei Stunden Durchdrehens selbst wie durchgedreht, denn die 6,80 m hohen Körper sind mit ihren jeweils 1,4 Tonnen nicht gerade ein Leichtgewicht und müssen fast 30 Mal über den Abend verteilt bewegt werden. Eine von vielen technischen Hochleistungen besteht darin, dem Wunsch des Bühnenbildners Tom Musch nachzukommen, dass sich „die Körper so leicht wie Drehtüren drehen lassen sollten“, dieser Abend besticht aber unbenommen auch durch eine, wenn auch unsichtbare, menschliche Hochleistung hinter den T-Körpern.

Damit sich aber alles so reibungslos dreht und bewegt, hat Pit Müller die „Lizenz zum Durchdrehen“ angefertigt, die den Bühnentechnikern genau zeigt, was wann wo und in welchem Winkel passieren soll. Da könnte man beim Draufschauen fast selbst durchdrehen vor lauter Zahlen, Pfeilen, Punkten. Aber unserer Technikmannschaft hat den Dreh raus, nicht nur was das Lesen des Drehbuchs, sondern auch das Drehen der Körper an sich angeht. Da kann jeder Drehwurm einpacken!

Ab dem 29. Januar können sie wieder erleben, wie im „Don Karlos“ Schauspieler, Techniker und Bühne ab-, um-, weg-, auf- und durchdrehen.

Von Stefanie Symmank

»Acht und zwanzig Jahre und nichts – nichts für die Unsterblichkeit gethan!«

Zerrissen zwischen Utopie und Wirklichkeit – Friedrich Schillers »Don Karlos« im Großen Haus

Foto: Thomas Braun
Foto: Thomas Braun

Es kommt in den besten Familien vor: ein Streit zwischen Vater und Sohn. Häufig geht es dabei um Unabhängigkeit, Selbstbehauptung, Lebensentwürfe, Frauen. Meistens wird eine Lösung des Konflikts gefunden – manchmal durch den Richterspruch der Mutter bzw. Ehefrau − und der Familienfrieden ist wieder hergestellt. Wenn der Vater jedoch der König von Spanien und der Sohn der Kronprinz, die Frau des Hauses gleichzeitig Königin, Stiefmutter und Ex-Verlobte ihres Stiefsohnes ist, verweben sich Familienstreit mit politischen Intrigen und Machtspielen. So auch beim Freiheitsdichter und Geschichtsskeptiker Friedrich Schiller in seinem »Don Karlos«.
Im Palast des spanischen Königs hängt der Haussegen schief. Don Karlos, der Infant von Spanien, liebt seine Stiefmutter Elisabeth. Früher war sie mit ihm verlobt, wurde aber aus politischen Interessen von Philipp, dem König von Spanien und Vater von Karlos, geheiratet. Nur dem Marquis von Posa, der soeben aus den aufständischen flandrischen Provinzen nach Madrid zurückgekehrt ist, wagt Karlos sich zu offenbaren. In einem von Posa arrangierten Treffen zwischen Karlos und Elisabeth weist diese den Infanten entschieden zurück. Posa drängt den Prinzen, sich für den Freiheitskampf der Niederlande zu verwenden. Tatsächlich bittet Karlos seinen Vater um das Kommando über die nach Flandern zu entsendenden spanischen Truppen, doch der König lehnt ab. Der Sohn ist politisch zu unerfahren. Der gewiefte Machtpolitiker Herzog Alba wird an seiner statt ins Krisengebiet geschickt. Don Karlos bleibt in Madrid und wird zum Spielball zahlreicher Intrigen und Interessenkämpfe, in die auch Posa verstrickt zu sein scheint. Aufgerieben zwischen privaten Konflikten und realpolitischen Notwendigkeiten geraten Vater und Sohn, König und Prinz, in eine aussichtslose Lage, in der es um Leben und Tod und um den Fortbestand Spaniens als Weltmacht geht.
Intendant und Regisseur Axel Vornam inszeniert »Don Karlos« in der Rigaer Fassung von 1787. In dieser verzichtet Schiller sowohl auf die Versform, als auch auf die klerikale Ebene. Das Changieren zwischen politischem Drama und Familientragödie, zwischen Utopie und Wirklichkeit, das Ringen um eine neue gesellschaftliche und politische Ordnung des Landes in Spanien um 1568 und im absolutistischen Deutschland nur wenige Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, bringt Idealist Schiller in dieser Fassung auf den Punkt.

Von Stefanie Symmank

Weihnachten ist eine schöne Zeit

Foto: Jule Fuchs
Foto: Jule Fuchs

Bei unserer alljährlichen Weihnachtsmatinee kann man es sich nicht nur bei leckeren Plätzchen und Lebkuchen gut gehen lassen, nein, man kann nebenher noch lustigen Weihnachtsgeschichten lauschen, das ein oder andere Weihnachtsliedchen mitsingen und es sich bei netter und amüsanter Gesellschaft gemütlich machen.

In Weihnachtsstimmung versetzen Sie unsere Schauspieler Oliver Firit, Sylvia Bretschneider und Sabine Unger.

Na wenn das mal kein guter Start in eine besinnliche Weihnachtszeit ist, dann kommt der Weihnachtsmann immer noch durch den Schornstein…oder so…

Für die Weihnachtsmatinée am 14. Dezember um 11 Uhr gibt es noch wenige Karten.

 

Erste Bühnenprobe für Antigone

Foto 2-1Eine erste Bühnenprobe ist bei jeder Inszenierung ein magischer Moment: Wochenlang haben Regieteam und Schauspieler auf der Probebühne in Attrappen Text, Situationen und Figuren erarbeitet, die Vorstellung vom Endergebnis nur im Kopf.

Jetzt stehen sie plötzlich auf der Bühne – und zu aller Überraschung ist diesmal ein Großteil des Bühnenbilds schon da. Sieben Säulen bilden gewaltig einen rechten Winkel. Ein abgebrochenes Säulenteil liegt links auf dem Boden. Anastasija Bräuniger, seit Ende letzter Spielzeit neu im Ensemble, wird hier ihre erste Klassiker-Hauptrolle spielen, Antigone. Beeindruckt blickt sie an der äußersten rechten Säule hoch zum Portal. Sie streicht über die glatte Oberfläche.

Von einem korinthischen Tempel inspiriert, hat Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Neugebauer mit Regisseurin Johanna Schall dieses Raumkonzept entwickelt. Wie eine Mahnung an die Vergänglichkeit der Macht steht das massiv wirkende Monument im Arbeitslicht. Und schon jetzt glänzen sie, die sieben Säulen, die das siebentorige Theben repräsentieren, denn sie sind nicht aus Stein, sondern aus Metall gefertigt.

Johanna Schall ruft ihre Spieler, acht an der Zahl, auf die Bühne. Im Halbkreis sitzen sie vor ihr. „Wenn wir jetzt durch den ersten Teil gehen, dann denkt an eines: Bitte nicht die hinteren Säulen bespielen, die sind noch nicht festgeschraubt.“ Nils Brück, der den Kreon spielt, zeigt auf das liegende Säulenteil: „Können wir uns draufsetzen?“ Johanna Schall fasst an das rechte Ende, aus dem noch metallene Streben ragen. „Ja“, meint sie, „aber passt hier bitte auf.“ Kaum gesagt, schon steht Bühnenmeister Pit Müller bereit – mit weißem Klebeband, das er um die Streben wickelt, damit niemand sich aus Versehen verletzen kann.

Die Regisseurin wechselt von der Bühne in den Zuschauerraum, die Schauspieler in ihre Haltungen als Eröffnungschor. Die Probe beginnt: „Hart greift in unser Land das fremde Heer, / Bedrängt mit Macht die Tore, Mauern, / Der Feind wie eine Flut rauscht auf uns zu, / Es stöhnt die Stadt, ihr Grund stöhnt von dem Ansturm!“ Ein magischer Moment.

Andreas Frane