»Homo faber« kommt als Pocketversion in die BOXX

Homo_Faber_Presse 1Zwei Jahre lang lief die Heilbronner Inszenierung »Homo faber« nach dem Roman von Max Frisch mit großem Erfolg im Großen Haus. Abiturienten, die den Stoff in der Schule behandeln, saßen neben Menschen mittleren oder auch reiferen Alters, die sich wieder für das Thema interessieren und einen ganz neuen Zugang zur Lebensbeichte des Ingenieurs Walter Faber gewonnen haben. »In jedem Alter sieht man die Geschichte anders«, sagt auch der Heilbronner Intendant Axel Vornam und Regisseur der Bühnenfassung. Er hofft, dass die wunderbare Altersmischung im Publikum auch in der BOXX entsteht. Hier wird am 10. Oktober eine konzentrierte Pocketversion von »Homo faber« Premiere haben, die sich thematisch und ästhetisch eng an die Inszenierung im Großen Haus anlehnt und die Konflikte der Geschichte dieses verhinderten Menschen und sein versäumtes Leben, wie Max Frisch es selber beschrieb,  noch präziser auf den Punkt bringt.

Walter Faber, Schweizer Ingenieur bei der UNESCO in New York, ist Rationalist durch und durch. Er glaubt an die Mathematik. Begriffe wie Mystik und Schicksal haben in seinem Denken nichts zu suchen. »Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen.« Alleinsein ist der einzigmögliche Zustand für ihn. Mehr als vier Tage mit einer Frau hält er nicht aus, dann hat er wieder Sehnsucht nach seinen Turbinen.
Auf einem Flug nach Mexiko muss sein Flugzeug notlanden. Hencke, ein junger Deutscher fällt ihm auf, der, wie sich herausstellt, der Bruder seines früheren Studienfreundes Joachim ist.
»Wieso Fügung?«, resümiert Faber. »Ich gebe zu: Ohne die Notlandung …wäre alles anders gekommen; ich hätte diesen jungen Hencke nicht kennengelernt, ich hätte vielleicht nie wieder von Hanna gehört, ich wüsste heute noch nicht, dass ich Vater bin …Vielleicht würde Sabeth noch leben. Ich bestreite nicht: Es war mehr als ein Zufall, dass alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufällen.« Wieder in New York muss Faber sich gerade der heiratswütigen Ivy erwehren. Um ihr früher zu entkommen, tritt er seine nächste Reise nach Europa nicht wie geplant per Flugzeug, sondern mit dem Schiff an. An Bord lernt er das junge Mädchen Elisabeth kennen, das ihn mehr und mehr bezaubert. Sie ist das ganze Gegenteil von ihm: jung, lebhaft, verträumt, belesen, kulturinteressiert. Beide fühlen sich trotz des großen Altersunterschieds zueinander hingezogen. Faber wird auf merkwürdige Weise an seine Jugendliebe Hanna erinnert. Doch jegliche Verdachtsmomente, dieses Mädchen könne vielleicht sein Kind sein, rechnet er sich mit messerscharfem Verstand einfach weg …

Axel Vornam sieht Walter Faber als einen Mann, der sich emotional konditioniert hat, damit er sich selbst vor den Unwägbarkeiten dieser Welt schützt. »Das Leben ist für ihn ein permanenter Störfall, den man beherrschen muss. Seinen Verstand nutzt er, um Fehlerquellen zu vermeiden. Gefühle versteckt er hinter Lakonie und Ironie – dies sind für ihn Lebenswerkzeuge, um sich gegen emotionale Affekte, wie Liebe, zu schützen. Die Liebe ist für ihn der Mega-Gau, weil unberechenbar, genau wie alles, was damit im Zusammenhang steht wie Natur, Fruchtbarkeit und Tod. Hinter der intellektuellen Abwehrschlacht, die Faber ständig schlägt, steckt aber eine tiefe Sehnsucht nach Identität.«

»Weiß ich denn, wer ich bin, was ich bin und wer der Mensch mir gegenüber ist, den ich zu kennen glaube? (Max Frisch in seinem Roman »Stiller« (1954). Dies ist das zentrale Thema des Schriftstellers Max Frisch und die Lebensproblematik des Ingenieurs Walter Faber. »Dieser verhinderte Mensch, der von sich selbst ein Bildnis gemacht hat, das ihn verhindert, zu sich selber zu kommen.« (Max Frisch über Walter Faber) Faber arbeitet sich in seinem Bericht an diesem Bild ab und kommt zum Schluss: »Es stimmt nichts«. Er wird schuldlos schuldig.

Von Silke Zschäckel

Wohin würdest du gehen?

Eröffnung der Themenwoche “Krieg”

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“Mit der Themenwoche Krieg wollen wir dazu beitragen, den Hintergrund der Stücke noch besser zu verstehen”, so der Leiter des Jungen Theaters Heilbronn, Stefan Schletter. Niemand hatte bei der Auswahl des Theaterstücks “Krieg – stell Dir vor, er wäre hier” im Frühjahr dieses Jahres damit gerechnet, dass die Thematik so greifbar aktuell sein wird. Und so befasst sich die aktuelle Themenwoche in der BOXX intensiv mit der Flucht aus Kriegsgebieten.

_DSC0077Ein Bestandteil der Themenwoche ist die Ausstellung zum Thema Flucht. Melanie Skiba vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg zeigte in ihrem Vortrag zur Ausstellungseröffnung auf, warum Menschen ihr Heimatland verlassen. Zugleich wurde deutlich, wie kompliziert es ist in Deutschland als Asylbewerber oder als Flüchtling in Europa anerkannt zu werden und einen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Hierbei wurde besonders deutlich, wie wichtig die Arbeit des Flüchtlingsrates ist, der Schutzsuchende beim Asylantrag unterstützt.

Nach dem Besuch der Ausstellung ist in der Inszenierung umso drastischer zu erleben, welche Lebensgeschichten hinter Statistiken und Gesetzen stecken. Das Stück “Krieg – stell dir vor, er wäre hier” unternimmt den Perspektivwechsel. Die Zuschauer werden hier vor die Frage gestellt “wohin würdest du gehen?”. Die häufigste Antwort der Zuschauer ist wohl “ich weiß es nicht”.

Am Mittwoch und Donnerstag (30.09.-01.10.) ist vor der BOXX die interaktive Theaterinstallation “Fluchtpunkt Berliner Platz” aufgebaut. Die Besucher sind eingeladen zwischen 15-18 Uhr am eigenen Leib das deutsche Asylverfahren zu erleben.

Die Themenwoche endet am Samstag mit der Premiere von Philipp Löhles “Wir sind keine Barbaren!”.

Axel Vornam inszeniert Philipp Löhles brandaktuelle Gesellschaftssatire im Großen Haus

fotolia»Löhles Kommentar zur Wirklichkeit«: Das war der Titel der Veranstaltungsreihe, die der Dramatiker Philipp Löhle am Berliner Maxim Gorki Theater entwickelt hatte. Und das könnte auch als Motto über seinen Stücken stehen, die sich kritisch, zuspitzend, provozierend und oft mit beißendem Witz mit den aktuellen gesellschaftlichen und politischen Themen und Fragestellungen auseinander setzen. Löhles rasante »Globalisierungsfarce« »Das Ding« hatte das Theater Heilbronn bereits in der Spielzeit 2013/14 auf die Bühne der damaligen Kammerspiele gebracht. Jetzt zeigen wir auf der großen Bühne »Wir sind keine Barbaren!«.

Ganz und gar nicht als Barbaren, nein, als Gutmenschen empfinden sich die beiden jungen, offensichtlich wohlsituierten Pärchen Barbara und Mario und ihre Nachbarn Linda und Paul. Wobei ihnen das Etikett »Gutmenschen« sicher zu spießig wäre, immerhin sind sie als neuerdings vegane Köchin, mobile Fitnesstrainerin – Zumba! Bokwa! Crossfit! – oder als Sound-Entwickler für Elektroautos – wegen der Blinden! – ganz auf der Höhe der Zeit. Und alle Fragen und Entscheidungen des Wohlstands-Lebens könnten sich behaglich auf Prosecco oder Rosé, Klapp-räder oder Flachbildfernseher – mit Ultra HD! – beschränken, würde Barbara nicht ausgerechnet an ihrem Geburtstag einem Flüchtling Tür und Heim öffnen. Bobo – oder heißt er doch Klint? – bringt allein durch seine Anwesenheit den Hausfrieden in Schieflage, Ängste und Vorurteile, Aggression und verdrängtes Begehren brechen unter der Oberfläche scheinbarer Toleranz und Hilfsbereitschaft hervor. Und dann ist plötzlich der Flachbildfernseher zerstört. Und Barbara verschwunden.

Der 37jährige Ravensburger Philipp Löhle schrieb »Wir sind keine Barbaren!« 2014 für das Stadttheater Bern, mitten in einer öffentlichen Debatte um Zuwanderung und »Überfremdung« in der Schweiz. Zwei Tage nach der Uraufführung am 8. Februar wurde in der Eidgenossenschaft über die rechte Volksinitiative »Gegen Masseneinwanderung« abgestimmt. In Anbetracht der Flüchtlingssituation, der PEGIDA-Bewegung und der zunehmend schärfer geführten Diskussionen um Aufnahmequoten, Asylrecht und Fremdenfeindlichkeit erweist sich »Wir sind keine Barbaren!« als brandaktuelles Zeitstück, das mit seinem spitzen Humor den wohl zur Zeit wundesten Punkt der westlichen Demokratie trifft.

Löhles Theatertext setzt dabei zwei besondere dramaturgische Kniffe ein: Der »schwarze« Flüchtling tritt nie auf der Bühne in Erscheinung, wir bekommen ihn nur gefiltert durch die Meinungen der anderen Figuren vermittelt. Und es gibt – neben Barbaras Schwester Anna – noch eine weitere Hauptfigur im Stück: den »Heimatchor«, der immer wieder mit einem kräftig artikulierten WIR-Gefühl die Handlung unterbricht und kommentiert (»Hier sind WIR / WIR sind viele / Kein Platz mehr sonst«). In seinen Texten artikuliert sich eine Mischung aus nachvollziehbaren Ängsten und erschreckender Stammtischrhetorik, die die Abgründe hinter der Fassade so manches wohlsituierten Bürgers aufzeigt. Für diesen Chor, der einmal auch leibhaftig ins Singen kommt, hat sich Regisseur Axel Vornam eine spannende Lösung ausgedacht: Ein gutes Drittel besteht aus Schauspielern des Ensembles und Gästen, die Mehrheit aus Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und Region Heilbronn. Passend am 3. Oktober – und als Abschluss der Themenwoche »Krieg« – bringen wir »Wir sind keine Barbaren!« im Großen Haus des Theaters Heilbronn zur Premiere.

Von Andreas Frane

Wo Männer noch Männer sind …

maennerhort»Shoppingscheiße«, stoßseufzt Eroll (gesprochen: Ehroll, gespielt von Gabriel Kemmether), Programmierer bei der HUK-Coburg und Ehemann von Connie. Wie jeden Samstag hat er den Einkaufs-Parcours im Happy Center nur mit Mühe überstanden. Und wie jeden Samstag ist ihm nach fünf Stunden die Flucht gelungen – in den »Männerhort« im Heizungskeller, den der ebenso shopping-gestresste Pilot Helmut (gespielt von Raik Singer), Ehemann von Alexis, als Fluchtpunkt, Insel und Oase eingerichtet hat. Als Ort, wo Männer das tun können / dürfen, was Männer so tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen: Fußball gucken, Bier trinken, über Frauen lästern. Dritter im Bunde ist die »Führungskraft« Lars (gespielt von Nils Brück), Ehemann von Anne, der einen penetranten Hang zum Besser-Schneller-Höher hat. Alles könnte so schön sein, wenn, ja wenn nicht eines Samstags der Brandschutzbeauftragte Mario Breger (gespielt von Tobias D. Weber) das Geheimversteck entdeckt hätte. Nicht nur, dass er die anderen drei Herren damit in der Hand hat und jederzeit aufliegen lassen kann, nein, er muss auch das prekäre Einkaufs-Freizeit-Verhältnis und die Männerfreundschaft des Trios ins Kippen bringen …

Als der ausgebildete Kirchenmusiker und inzwischen für seinen Roman »Das war ich nicht« mehrfach preisgekrönte Kristof Magnusson 2003 sein Stück »Männerhort« schrieb, konnte er nicht ahnen, dass er (nicht nur) dem uraufführenden Schauspiel Bonn einen Kulthit bescheren würde. Selbst gestrenge Kritiker von großen deutschen Tageszeitungen bejubelten die Komödie gleich als »ein Geschenk des Himmels – auch für Schauspieler«, der Erfolg hat nun schon mehr als zehn Jahre gehalten und im letzten Jahr sogar zu einer starbesetzten Kinoversion geführt. Das Männerbild, das »Männerhort« dabei genüsslich ausbreitet und geradezu verständnisvoll demontiert, ist offensichtlich dasselbe geblieben: Hinter den vermeintlichen Machos verbergen sich meist Memmen, das männliche Revier will markiert sein, das Kind im Manne schlägt gerne durch und zu, und selbstverständlich will kein Mann der Loser sein. Sowohl die Typen als auch der Humor des Stückes scheinen auch noch international zu sein. Erfolgreiche fremdsprachige Übersetzungen ins Englische und Französische, ins Polnische, Bulgarische und Türkische, in Marathi und sogar in Platt belegen, dass männliches Verhalten und männliche Befindlichkeiten überall gleich sind. Ein erschreckender Gedanke?

Keine Sorge: Die vier Herren in Lothar Maningers Inszenierung, die den Premierenreigen im Komödienhaus eröffnet, sind – trotz ihrer ganzen Fehler und Schwächen – eigentlich ganz sympathische Kerle und im Grunde alle arme Würstchen. Und vielleicht werden sie am Ende ja ziemlich beste Freunde.

Von Andreas Frane

Das Junge Theater Heilbronn startet eine Kooperation mit Qendra Multimedia Prishtina/Kosovo

Kosovo»Willkommen in Monaco« steht in der Begrüßungs – SMS auf dem Display des Mobiltelefons bei Ankunft in Prishtina. Monaco? Schon bei der Fahrt vom modernen Flughafen auf staubigen Straßen in die quirlige Hauptstadt des Kosovos merkt man schnell, dass diese Land wenig zu tun hat mit dem mondänen Fürstentum am Mittelmeer. »Wir nutzen das Mobilfunknetz Monacos und Sloweniens, weil wir offiziell noch nicht von allen EU-Staaten anerkannt sind,« erklärt uns unser Fahrer auf Nachfrage. Schon ist man mittendrin in einem Land, das zwar geographisch in Europa liegt, sich aber auf Grund seiner Entstehungsgeschichte von vielen europäischen Staaten stark unterscheidet. Kaum 15 Jahre ist es her, dass hier Krieg herrschte. 15 Jahre in denen die Menschen des Kosovos um ihre Anerkennung kämpften und versuchten ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen. Mittlerweile erkennen 109 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen das kleine Land auf dem Balkan an, aber in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Indien gilt man mit einem kosovarischen Pass heute noch als staatenlos, und die Menschen haben keine Reisefreiheit in die Länder des Schengener Abkommens. Kosovo ist nicht nur wegen des Zeitpunkts der Gründung, sondern auch gemessen am Durchschnittsalter seiner Bevölkerung das jüngste Land Europas.

In Prishtina lebt und arbeitet der Autor Jeton Neziraj, der eigens für das Junge Theater Heilbronn ein Stück über kulturelle und religiöse Vielfalt schreiben wird, eine Vielfalt die auf dem Balkan seit Jahrhunderten Alltag ist. Gemeinsam mit Theaterpädagogin Katrin Singer reiste Stefan Schletter, Leiter des Jungen Theaters, im Juni zu einem ersten Besuch in den Kosovo. Finanziert wurde dieses Treffen vom Goethe Institut Belgrad, für den Herbst ist der Besuch einer kosovarischen Delegation am Theater Heilbronn geplant. Durch die Unterstützung des Innovationsfonds Baden-Württemberg ist es nun möglich geworden, den Stückauftrag an Jeton Neziraj zu vergeben. Die Planung dieses Projektes und der Austausch über die Situation von Theater in beiden Ländern waren die Kernpunkte bei den vielen Gesprächen vor Ort. Besonderes Interesse zeigten die kosovarischen Kollegen an der theaterpädagogischen Arbeit des Theaters Heilbronn. »So etwas gibt es hier nicht,« sagt Jeton Neziraj. Theaterpädagogik könne aber ein wichtiger Baustein sein, um jungen Menschen hier eine Perspektive aufzuzeigen und ihnen Mut zu machen, hofft er. Das Junge Theater Heilbronn wird die spannende Zusammenarbeit mit den Kollegen im Kosovo weiter vertiefen und vielleicht steht ja beim nächsten Besuch schon »Willkommen im Kosovo« auf den Displays der Mobiltelefone.