Die Chose mit der Hose

Die Kostüme der »Affäre Rue de Lourcine« forderten den Einfallsreichtum unseres Herrenschneidermeisters Tilo Voss heraus. Denn die Kleidung der beiden ehemaligen Internatsabsolventen Lenglumé und Mistingue sollte nicht nur die glorreichen Zeiten des Slapsticks aus der Stummfilmzeit erinnern, sondern muss auch auf der Theaterbühne für Einiges herhalten.

»Die Affäre Rue de Lourcine« (v.l.n.r. Marek Egert, Nils Brück und Hannes Rittig)

Die Schnittmuster für die historischen Hosen im Buster-Keaton- / Charlie-Chaplin-Stil waren schnell entwickelt, doch wie sollten die Zusatzfunktionen in der Hose des Lenglumé untergebracht werden, ohne dass die Hose völlig aus der Form geriet?

In dieser Hose verschwinden nicht nur jede Menge Requisiten, sondern auch der Hausherr selbst. Das stellte den Schneidermeister vor die Herausforderung eine überproportionale Hose zu entwerfen, die jedoch zunächst möglichst normal aussieht. Bereits die historischen Hosen der Stummfilmhelden, die als Vorbild dienten, sind zu groß für ihre Träger. Die Proportionen weichen vom klassischen Hosenschnitt ab.

Wie lässt sich das noch steigern, so dass der Schauspieler Nils Brück nahezu komplett verschwinden kann?

Nils Brück bei der Anprobe

In mehreren Schritten haben Schneidermeister und Schauspieler sich an die endgültige Ausgestaltung der Hose herangetastet, bis alles saß. Vom tieferen Schnitt über die Einarbeitung eines Stretchkeils aus dehnbarem Stoff, eingelegte Falten in die Seitennäthe und die Verlängerung der Hose am Bund wurde sie immer wieder überarbeitet. Die Stoffmengen mussten so gut eingearbeitet werden, dass sie den Proportionen der Hose des zweiten Hauptdarstellers Hannes Rittig ähnlich blieben. Die Zusatzfunktionen wie die sieben Taschen, in denen ganze Wasserflaschen verschwinden, sollen natürlich nicht vorab erkennbar sein.  Die Bewährung fand die Hose dabei im Praxistest während der Proben: Ob jetzt einer oder mehrere Druckknöpfe oder Magneten die zusätzlichen Stoffe verschwinden lassen, testet Nils Brück immer wieder im Spiel, bis es optimal passte.

So wurde der Prototyp dieser ungewöhnlichen Hose in enger Zusammenarbeit von Schneiderei und Schauspieler weiterentwickelt, bis daraus das fertige Kostüm der Inszenierung entstand.  

Das Ergebnis könnt Ihr noch zwei Mal in der »Affäre Rue de Lourcine« bewundern. Und achtet genau drauf, was alles in der Hose verschwindet oder aus ihr heraus zum Vorschein kommt, um die Erinnerungslücken der durchzechten Nacht der beiden Zechbrüder zu füllen.

»Die Affäre Rue de Lourcine« läuft nur noch am 25. und 26. April 2019 im Komödienhaus des Theaters Heilbronn.

»Üben, üben, üben, bis alles sitzt«

In dieser Spielzeit hat er als Tartuffe, als Schöller und als Lenglumé in »Die Affäre Rue de Lourcine« das Publikum zum Schmunzeln, Lachen, sogar zum Japsen gebracht. Nils Brück spricht mit Dramaturg Andreas Frane über die harte Arbeit an der Komödie.

»Die Affäre Rue de Lourcine« Nils Brück, Hannes Rittig; Foto: Thomas Braun

Andreas Frane: Welche Voraussetzungen und Eigenschaften sollte man mitbringen, wenn man Komödie spielen will?

Nils Brück: Mein Wissen stützt sich vor allem auf Erfahrungen aus der Praxis. Komödie braucht aus meiner Sicht viele Zutaten: Zuerst einmal Spielfreude – Verspieltsein, Mut – Übermut, Disziplin – Anarchie, Timing, Rhythmus, Genauigkeit, Instinkt, Publikumsnähe und die Bereitschaft zum Scheitern.

Kann man »komisch sein« lernen?

Ich glaube, es gibt schon Schauspieler, die für dieses Genre besonders begabt sind. Und eine häufige Beschäftigung mit Komödien verschiedenster Herkunft (aus Frankreich, Großbritannien, Irland, Amerika, Deutschland) hilft sicher auch, seine Fähigkeiten auf diesem Gebiet zu entwickeln. Aber nur das und ausschließlich für die Bühne zu erlernen? Das gibt es wahrscheinlich nicht. Anders ist es im Zirkus. Da gibt es ja viele und auch tolle Clownsschulen. Auch die Pantomimen haben eine Spezialausbildung. Beide von mir sehr geschätzte und bewunderte Kunstformen.

Karl Valentin hat einmal gesagt: »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.« Trifft das besonders auf die Komödie zu?

Absolut. Man durchläuft während der Proben verschiedenste Phasen. Das Entwickeln einer Situation, das Ausreizen des Scheiterns (denn es geht in der Komödie immer um das Scheitern, um die Not von Individuen in Extremsituationen, um die Zuspitzung einer unlösbaren Schwierigkeit) macht gerade zu Beginn einer Arbeit großen Spaß. Dann geht es um Genauigkeit, um das richtige Timing und um eine Wiederholbarkeit des Ganzen. Das ist harte Arbeit. Auch das gesamte Team kann ja nicht zwanzig, dreißig Mal über das Gleiche lachen. Dabei geht oft der Spaß verloren. Und man muss wie ein Jongleur üben, üben, üben, bis alles sitzt. Belohnt wird man dann, sollte alles gelingen, mit dem herzlichen Lachen des Publikums.

Hierzu vielleicht eine kleine Anekdote aus unserer letzten Vorstellung der »Affaire Rue de Lourcine«: Nach einem Satz in meinem Monolog lachte eine Frau ganz laut auf. Als sie merkte, dass sie die Einzige war, sagte sie »Oh Gott« und hielt sich den Mund zu. Ich hatte mich aber über die Reaktion gefreut und habe sie von der Bühne aus angesprochen: »Ach bitte, Sie können ruhig weiter lachen. Wir freuen uns…« Zum Lachen muss man eben nicht in den Keller gehen …

»Die Affäre Rue de Lourcine« Hannes Rittig, Nils Brück ; Foto: Thomas Braun

Wie viele Freiheiten darf / kann man sich denn erlauben?

Tja, das ist eine gute Frage, die auch von uns immer wieder diskutiert wird. Denn wo ist der Grat zwischen dem, was neu hinzukommt und dem Abend gut tut, und dem, was den Abend eher beschädigt? Da trifft man den Punkt nicht immer. Aber trotzdem ist es wichtig, eine Lebendigkeit zu erhalten. Das ist nicht so leicht in unserem Metier.

Es ist viel von Techniken bei Komikern und Komödianten die Rede. Wie verhindert man andererseits, dass Komödie auf der Bühne »technisch« wird und wirkt?

Ich glaube bei allen Stücken, so auch in der Komödie, kommt es darauf an, die Spielsituationen immer wieder neu zu erleben. Jeder Abend sollte ein Unikat sein und somit ein Erlebnis für das Publikum schaffen, dass eben nur an dem speziellen Abend in dieser Form stattfindet. Es ist alles live! Es geht um ein Gemeinschaftserlebnis, mit allen Fehlern, die passieren, mit Zustimmung oder Ablehnung des Publikums. Man muss sich also als Schauspieler trauen, sich im Moment zu bewegen.

Gibt es Gags, Techniken, Witze, die beim Publikum garantiert funktionieren?

Ja, gibt es schon, denke ich. Man muss Sie aber dosiert einsetzen, sonst nutzen sie sich ab. Welche das sind, wird aber nicht verraten …

Nils, ich bedanke mich herzliche für dieses Gespräch.

Den mörderisch komischen Monsieur Lenglumé aus »Die Affäre Rue de Lourcine« spielt Nils Brück nur noch am 20., 25. Und 26. April im Komödienhaus.

»Die Affäre Rue de Lourcine« Sven-Marcel Voss, Nils Brück ; Foto: Thomas Braun

In der »Affäre Rue de Lourcine« geht es nicht mit rechten Dingen zu

Sven-Marcel Voss Zaubereien treiben den Irrwitz auf die Spitze

Sven-Marcel Voss als Diener Justin links
(v.l.n.r. Hannes Rittig, Nils Brück & Sabine Unger, Foto: Thomas Braun)

Leide ich an einer Sinnestäuschung  ̶  oder was ist da gerade passiert? Eben hat Sven-Marcel Voss als Diener Justin seinem Herrin Norine aus einer durchsichtigen Karaffe mit kristallklarer Flüssigkeit eingeschenkt, aber der Drink im Glas ist grasgrün. Eine Sekunde später füllt sich der Becher von Lenglumé aus derselben Karaffe mit einem blauen Getränk, und der Schluck in Mistingues Glas ist rot. Zauberei! Willkommen in der rasanten Komödie »Die Affäre Rue de Lourcine« von Eugene Labiche im Komödienhaus, in der nichts, aber auch gar nichts, so ist, wie es scheint. Nils Brück als Lenglumé und Hannes Rittig als Mistingue tun darin alles, um ein Verbrechen zu verschleiern, von dem sie vermuten, dass sie es im Zustand der völligen Trunkenheit begangen haben. Immer misstrauisch beäugt von Lenglumés Frau Norine (Sabine Unger), die sich über das merkwürdige Treiben der beiden Männer wundert und sich mit ihrem übergriffigen Vetter Potard (Marek Egert) und eben jenem so gar nicht diensteifrigen Angestellten Justin herumärgert. Als wenn das Geschehen nicht schon turbulent genug wäre, sorgt Justin mit seinen irritierenden Aktionen für zusätzliche Verwirrung. Er steckt beim Aufräumen eine Champagnerflasche in eine Papiertüte, um diese dann zusammenzuknüllen. Was doch eigentlich unmöglich ist! Er zieht sich eine meterlange Papierschlange aus dem Hals – wie geht das nur? Er lässt Schachteln aus seiner Hand verschwinden, seinen Kopf plötzlich auf einer Servierplatte auf dem Tisch auftauchen oder einen Spazierstock aus dem Nichts erscheinen. Von seinem Hechtsprung durch ein Gemälde an der Wand ganz zu schweigen.
Großer Bühnenzauber, von dem hier selbstverständlich nicht verraten wird, wie er funktioniert. Und der so leicht und beiläufig wirkt, als würde sich Sven-Marcel Voss als Justin selbst wundern über das, was ihm widerfährt. Dahinter stecken natürlich nicht nur ein großes komödiantisches Talent und schauspielerische Präzision, sondern auch jede Menge Zauberkunst.
»Das haben mir meine Kollegen eingebrockt«, sagt Sven-Marcel Voss augenzwinkernd. Als Regisseur Marc Becker im Ensemble herumfragte, welche besonderen Fähigkeiten jeder hat, erzählten die Schauspieler von Sven-Marcels Zauberkunststücken, mit denen er in launigen Runden gern für Unterhaltung sorgt.
»Allerdings sind das Kartentricks, die für die Bühne nicht geeignet sind«, sagt der junge Schauspieler. Vor rund anderthalb Jahren hat er angefangen Kartentricks zu üben, angeregt durch einen Kommilitonen, der Deutscher Vizemeister unter den Illusionskünstlern ist. Diese Tricks hat er sich selbst beigebracht, sie haben ausschließlich mit Fingerfertigkeit zu tun. Manche hat er sehr schnell drauf, für andere trainiert er lange, an anderen beißt er sich auch nach monatelanger Übung die Zähne aus. Bisher macht er das alles nur für sich und kleine Shows in geselliger Runde. Ein abgegriffenes Kartenspiel hat er dafür immer dabei.

Auf der Bühne zu zaubern verlangt nach mehr Hokuspokus und Magie, auch nach wesentlich mehr Ausstattung  und braucht natürlich auch viel Übung. Bei der Erarbeitung der kleinen Zaubernummern, die die Inszenierung noch charmanter machen, hatte er freie Hand und suchte nach Tricks, die zur jeweiligen Szene passen. Eigentlich lohnt es sich, schon allein wegen der Zaubertricks noch ein zweites Mal in die Vorstellung der »Affäre Rue de Lourcine« zu gehen. Aber auch sonst ist dieser Abend einfach ein Vergnügen. Nicht umsonst nennt Leonore Welzin ihn in ihrer Kritik in den Fränkischen Nachrichten »einen komödiantischen Volltreffer«.