oder wie aus einer Yogamatte ein wilde Haarpracht wurde
„Lockenhölzer, Bartkrepp, Resthaar, Leinen und Hanfschnüre“ steht in einem kleinen weißen Rechteck auf einem großen hölzernen Schrank. Sieben weitere Schränke schließen sich in einer Reihe an, voll mit den unterschiedlichsten und ungewöhnlichsten Materialen. Ich befinde mich in der Maskenwerkstatt des Theaters. Dort will ich etwas über Herstellung der eindrucksvollen Perücken des Stückes „Die Werkstatt der Schmetterlinge“ herausfinden. Sie sehen wirklich faszinierend aus. Ich kenne niemand, der solch eine Frisur trägt. Die Haare wirken künstlich, alles sitzt perfekt. Kein Lufthauch könnte auch nur ein Haar aus der scheinbar unzerstörbaren Frisur lösen. Es sind keine echten Haare. Als ich sie zum ersten Mal sehe, frage ich mich, um ehrlich zu sein, aus welchem Universum die wohl stammen? Da außerirdisches Leben noch nicht entdeckt wurde, treffe ich Caroline Steinhage, Chefmaskenbildnerin des Theaters. Sie wird mir erklären, aus welchem Material die Perücken angefertigt sind. Bevor eine Perücke in der Maske gestaltet wird, fertigt die Kostümbildnerin eine sogenannte Figurine an. Dabei handelt es sich um einen gezeichneten Entwurf einer Figur des Stückes, wie beispielsweise der Feodora. „Eine unserer künstlerischen Eigenleistungen ist es, ein Material für die Perücke auszusuchen, dass sie denselben Eindruck wie die Figurine vermittelt“, erklärt Caroline. Feodoras Perücke besteht beispielsweise aus einem auseinander geschnittenen Fugendichtungsprofil, einem ganz normalen Baumaterial also. Dieses hat die Maskenbildnerin Ketrin Lopez Moreno auf einen festen Unterbau aus Schaumstoff geklebt und mit Airbrush-Farben bemalt. Anders Rodolfos Perücke, welche aus einer zusammengerollten Schaumstoffmatte besteht. Etwas schwieriger zu bewerkstelligen war die Perücke der Weisen Alten. Angelehnt ist die Frisur an die historische „Wagenradfrisur“, die Ende des 19. Jahrhunderts zeitgemäß war. Gegenüber den modernen, fast futuristischen Frisuren der jungen Hauptcharaktere Rodolfo, Paganini und Feodora wirkt sie beinahe antik. Schließlich spiegeln sich in der Frisurenwahl die Positionen der Charaktere im Stück wider, während die jungen „Gestalter aller Dinge“ von neuen, fantastischen Wesen träumen, bremst sie die Weise Alte mit ihren altbewährten, festgefahrenen Regeln zunächst aus. Die Kostümbildnerin legte grün als Farbe der Frisur der Weisen Alten fest. Leider gibt es jedoch keinen grünen Schaumstoff. Caroline Steinhage kaufte daraufhin eine grüne Yogamatte. Vom Profil her und der Farbe passt diese perfekt. In der Maske wurde sie auseinandergeschnitten und um Lockenwickler gerollt und zu einer Frisur zusammengeklebt. Das hätte sich die Yogamatte wohl im Leben nicht gedacht, dass sie einmal auf dem Kopf eines Schauspielers landen würde! Circa zwei Wochen nahmen die Anfertigung der Perücken in Anspruch, unter anderem wegen Trocknungsphasen. Auf der Bühne erkennen die Zuschauer das eigentliche Material nicht mehr. Eigentlich alltägliches Material wird zu neuem Leben erweckt. Ziel der Maske ist es schließlich auch, dass die Perücke als „echte“ Frisur der Rolle anerkannt wird. Caroline meint dazu: „Am Ende sitzt da keine Bastelarbeit auf dem Kopf. Es ist eine künstlerische Arbeit: Die Verfremdung der Yogamatte zum Kunstobjekt.“Auf eine Frisur aus einer Yogamatte wäre Ayleen Kern nie gekommen. Die 21-jährige studiert Medienwissenschaften und Rhetorik in Tübingen. Für vier Wochen ist sie Praktikantin der Presse und Öffentlichkeitsarbeit am Theater Heilbronn.