Eines Tages werde ich alles vergessen haben

»Am Horizont« von Petra Wüllenweber hat am 11. Januar Premiere in den Kammerspielen 

ICH WERDE ALLES VERGESSEN. IRGENDWANN WERDE ICH SOGAR VERGESSEN HABEN, DASS DU MEIN ENKEL BIST erklärt der Opa seinem Enkelsohn Janek in dem Theaterstück »Am Horizont«.
Ungefähr 20 Prozent der deutschen Bevölkerung sind 65 Jahre und älter. Schätzungsweise 1,2 Millionen Menschen leiden in Deutschland an der Alzheimer-Krankheit. Diese Diagnose bedeutet immer einen tiefen Einschnitt im Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen, denn zu den Symptomen gehören unter anderem Gedächtnisverlust, Verlust der Sprachfähigkeit und des Urteilsvermögens, weitgehende Veränderung der Persönlichkeit sowie starke Stimmungsschwankungen. Gerade Kinder sind mit der Situation überfordert, wenn die geliebten Großeltern sich auf einmal verändern. Dazu kommt, dass etwa 70 Prozent aller Demenz-Kranken zu Hause gepflegt werden und Kinder so noch viel direkter den Verlauf der Krankheit, für dies es bislang keine Heilung gibt, mitbekommen. Dass dies nicht einfach ist, zeigt das Stück »Am Horizont«, das die Überforderung der Familienmitglieder aus der Sicht eines 10-Jährigen erzählt.

Erst sah es nur aus wie Schusseligkeit, als der Großvater im Bademantel ins Kino wollte ... Stefan Eichberg spielt den demenzkranken Großvater von Janek.  Foto: Antjé Femfert
Erst sah es nur aus wie Schusseligkeit, als der Großvater im Bademantel ins Kino wollte … Stefan Eichberg spielt den demenzkranken Großvater von Janek.
Foto: Antjé Femfert

Janek und seinen Opa verbindet die Leidenschaft für den Schwimmsport. Sein Opa, der 1968 Mitglied der deutschen Olympia-Mannschaft im Schwimmen war, trainiert ihn. Janek ist zunächst gar nicht begeistert davon, dass der Großvater plötzlich bei ihnen einzieht. Doch nach und nach stellt sich heraus, warum Opa nicht mehr alleine leben kann: Er wird immer vergesslicher. Erst liest er die Zeitung von gestern, dann will er im Bademantel ins Kino gehen und schließlich erkennt er sein eigenes Spiegelbild nicht mehr. Diagnose: Alzheimer. In Anna, einer neuen Mitschülerin, findet Janek eine Freundin und Verbündete.
Petra Wüllenweber, die Autorin des Stückes, ist auch als Regisseurin bekannt. In der Spielzeit 2011/2012 inszenierte sie  »Das Herz eines Boxers« von Lutz Hübner. Sie schildert in »Am Horizont« die Not der Angehörigen, ihre Überforderung und ihre Verzweiflung. Und trotzdem gelingt es ihr, die schönen Momente festzuhalten, die Janek mit seinem Opa teilt. Das Stück wurde 2010 bei den Mülheimer Theatertagen nominiert und belegte den 3. Platz. Auf die Frage, wie viel Realität man 10-Jährigen im Theater zumuten kann, antwortet Petra Wüllenweber: »Das Drastische begegnet den Kindern im Leben. Und in diesem Fall viel unmittelbarer und nicht nur als »Theater«. Das Stück »Am Horizont« bietet eine Chance zu verstehen, was passiert, wenn jemand an Alzheimer erkrankt. Und es zeigt auch, wie schwer dieser Zustand für die Angehörigen ist. Das Thema Demenz existiert in unserer Gesellschaft – es aufzugreifen heißt, Kinder mit ihren Fragen dazu ernst zu nehmen.«
Regisseur Nils Brück, der als Schauspieler am Theater Heilbronn engagiert ist und gerade mit dem Kilianspreis ausgezeichnet wurde, setzt das Stück für Kinder ab 10 Jahren einfühlsam in Szene.

»Ich weiß jetzt, wie Opa in den Himmel gelangt. Schließlich ist er ein Delphinschwimmer. Wenn du am Strand stehst, siehst du, wie sich weit draußen Meer und Himmel berühren. Da schwimmt Opa hin. Er schwimmt zum Horizont.« Janek in »Am Horizont«

Antjé Femfert

 

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