Die Lebensgeschichte eines Pflanzenfaser-Globetrotters ab dem 27. Juni in den Kammerspielen
Wie fühlt sich ein winziges Stück Baumwolle – zu klein, als dass es einen Namen dafür gäbe –, das Teil eines T-Shirts wird und seine Reise um den Erdball antritt? Philipp Löhle, seit Jahren einer der gefragtesten Dramatiker, verrät die Antwort in seinem turbulenten Globalisierungsstück »Das Ding«. Irgendwo an einem Strauch in Afrika kommt jenes »Ding« auf die Welt, wird gepflückt, verschifft, verarbeitet, wieder verschickt, getragen, durchlöchert und recycelt, um zuletzt an seinen Ursprungsort zurückzukehren. Schlaglichtartig werden dabei Verbindungen zwischen Menschen auf den verschiedenen Erdteilen erkennbar. Jener unter dem Namen Globalisierung bekannte intensivierte Austausch von Geld, Waren und Informationen, sonst nur als monströse Verflechtung vorstellbar, schrumpft hier auf handliche Größe zusammen. Dabei liegt Löhles Kunstgriff darin, dass er sich auf wenige Figuren auf den verschiedenen Kontinenten beschränkt. Mit rasantem Tempo und durch den Kurzschluss verschiedener Lebenswelten schlägt sein Schauspiel Funken von Komik. Was die Menschen dieser auf den Punkt gebrachten Welt wie ein roter Faden verbindet, ist die Reise des Baumwoll-Etwas. Da sind zum Beispiel: Zwei Chinesen, die als Start-Up-Unternehmer ihr Stück vom großen Kuchen der Marktwirtschaft erobern wollen, denen aber die alte Schwäche menschlicher Gefühle einen Strich durch die Rechnung macht. Ein Schweizer Idealist, der zusammen mit einem afrikanischen Bauern das Experiment Bio-Baumwolle wagt und gegen die verlockenden Angebote eines großen Saatgutkonzerns zu kämpfen hat. Und da ist ein Ehepaar irgendwo in Deutschland, das dermaßen beschäftigt ist, auf die Geschichte seiner enttäuschenden Beziehung zurückzuschauen, dass es herzlich wenig Gedanken an den Rest der Welt verschwendet. Löhle treibt diese Konstellation mit offensichtlichem Spaß am Absurden ins Maßlose. Ein originelleres Panorama der Verhältnisse im Zeitalter der Globalisierung ist bislang nicht bekannt. Löhle gelang zugleich eine Steilvorlage für die Fantasie von Regieteam und Schauspielern. Die Arbeitsweise von Regisseurin Martina Eitner-Acheampong, am Theater Heilbronn inszenierte sie u.a. »Emilia Galotti«, »Good morning boys and girls« und »Eine Sommernacht«, kommt dem ohne Zweifel entgegen. Auf den Proben schafft sie einen Rahmen, um spielerisch-assoziativ mit den Schauspielern eine szenische Umsetzung auszuloten. Mit Lust an Tempo und Gedankensprüngen geht sie die knappen Szenen an. Ausstatterin Ulrike Melnik stellt ihr dafür eine Bühne zur Verfügung, die wundervolle Spielmöglichkeiten eröffnet. Hier kann buchstäblich die ganze Welt erscheinen, um im nächsten Moment ersetzt zu werden durch eine ‚Tabula rasa‘. Puppenspieler Rodrigo Umseher animiert mit ebenbürtiger Hingabe an das freie Spiel »Das Ding«. Alles Weitere wächst auf den Proben …
Johannes Frohnsdorf, Dramaturg