Geschichte, Macht, Politik und Antigone

John von Düffel schreibt für das Theater Heilbronn eine neue Bearbeitung von »Antigone«

John von Düffel, Foto: Katja von Düffel
John von Düffel, Foto: Katja von Düffel

»Wie verhält man sich in Geschichte, ohne sich in sie zu verstricken und sich die Hände blutig zu machen?« fragt Johanna Schall. »Kann man politisch handeln, ohne schuldig zu werden?« Das sind Fragen, die in der letzten Spielzeit auch ihre Shakespeare-Inszenierungen in Bremen, in Heilbronn und in Schwäbisch Hall aufgeworfen haben. Und die sie nun an und mit »Antigone« stellt, die 2.500 Jahre alte Tragödie, die nichts von ihrer Kraft und Relevanz verloren hat. In ihren beiden lebendigen Klassikerinszenierungen in Heilbronn, »Cyrano de Bergerac« und »König Lear«, hat Schall die sehr unterschiedlichen Stoffe mit all ihren virulenten politischen Fragestellungen für heute erzählt, ohne sie krampfhaft ins Heute zu zerren.
So wird es auch bei »Antigone« sein. Und doch ein bisschen anders. Denn die Berliner Regisseurin hat sich in diesem Fall nicht für eine der bekannten Bearbeitungen entschieden, die von Friedrich Hölderlin über Jean Anouilh und Bertolt Brecht bis zu Walter Jens reichen. Sie hat stattdessen den Autor und Dramaturgen John von Düffel gebeten, eine eigene Fassung zu erarbeiten. Von Düffel gilt als ein genauer Beobachter und Beschreiber von Familienbeziehungen. Seine Bearbeitungen von »Buddenbrooks« und »Der dressierte Mann« waren bereits in Heilbronn zu sehen. 2012 schrieb er für das Deutsche Theater in Berlin eine hoch gelobte, sehr klare Dramatisierung der gesamten Sage um das fluchbeladene thebanische Geschlecht der Labdakiden, die mit der Geschichte des König Ödipus beginnt und mit dem Tod von Antigone endet. Für die Heilbronner Inseznierung hat er nun den »Antigone«-Teil abendfüllend ausgeweitet und um die Geschiochte von Eteokles und Polyneikes ergänzt. Drei Werke der drei großen griechischen Tragödienautoren hat von Düffel für seine Fassung herangezogen und kombiniert: Aischylos’ »Sieben gegen Theben«, Sophokles’ »Antigone« und Euripides’ »Die Phönizierinnen«. Er erzählt vom tödlichen Zwist der Ödipus-Söhne Eteokles und Polyneikes, vom Versuch des alten und neuen Herrschers Kreon,  nach Krieg und Untergang der Brüder die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Theben durch klare Regeln zu ordnen, und von der Ödipus-Tochter Antigone, die sich genau in diesem prekären Moment seinem Verbot, den zum Staatsfeind deklarierten Polyneikes zu bestatten, widersetzt und damit seine Macht herausfordert. Hegel hat in seiner berühmten Interpretation in diesem Konflikt von Staats- und Familieninteresse das Aufeinanderprallen von zwei gleichberechtigten Positionen gesehen. Doch mehr noch steht im Mittelpunkt – auch in von Düffels Fassung – eine Krise von Macht und Politik, ein Politiker, der als Ratgeber den Staat gerettet hat und nun als Machthaber scheitert, weil er beratungsresistent das Recht in die eigenen Hände nimmt. »Und das«, meint Johanna Schall, »ist eminent aktuell und politisch«.

Von Andreas Frane

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