Molières »Der Geizige« dreht ab dem 29. Juli auf der Bühne im Großen Haus jede Münze zweimal um
Geiz ist geil? Nicht wenn es nach dem französischen Schauspieler, Theaterdirektor und Dramatiker Jean-Baptiste Poquelin, der sich als Molière in die Theatergeschichte einschrieb, geht. Seine 1668 uraufgeführte Komödie »Der Geizige« zeigt einen Mann, der sich in seiner krankhaften Sparsamkeit von Gesellschaft, Familie und sich selbst dermaßen entfremdet, dass es fast bedrohliche Züge für Leib, Leben und Liebe annimmt – für die Figuren im Stück eine unerträgliche Situation, die für den Zuschauer zur amüsanten Unterhaltung wird.
Der Geizige, Harpagon mit Namen, ist felsenfest davon überzeugt, dass alle – Kutscher, Kinder, Koch – nur an sein Geld wollen. Harpagon hat panische Angst, man könnte ihn ausrauben, bestehlen, betrügen oder ihn auf anderem Wege um sein Geld bringen. Deshalb hat er nicht nur seine Geldkassette im Garten vergraben, sondern betreibt auch, zumindest was seinen Nachwuchs angeht, eine etwas spezielle Heiratspolitik, denn die ist – wie alles in seinem Leben – allein finanziellen Erwägungen unterworfen. So hat er seine Tochter Elise dem alten Anselme zur Frau versprochen, nur weil dieser bereit ist, auf eine Mitgift zu verzichten. Doch Elise liebt Valère, der sich extra in den Dienst des Geizkragens gestellt hat, um ihr nahe sein zu können. Sein Sohn Cléante soll eine reiche Witwe ehelichen und Harpagon selbst will die junge Mariane heiraten, die jedoch heimlich mit seinem Sohn liiert ist. Die Hochzeiten sollen möglichst schnell über die Bühne gehen, denn Zeit ist schließlich Geld, doch plötzlich ist die Geldkassette weg. Der Geizige rast und tobt wie ein verzweifelt Liebender. Natürlich bekommt am Ende jeder die Liebe seines Lebens zurück beziehungsweise an die Seite. Bis es allerdings so weit ist, ereignen sich noch einige vergnügliche Missverständnisse und heitere Überraschungen.
Wie können wir in der heutigen Konsumgesellschaft leben, in der Geiz nicht mehr geil sein kann, weil sich sparen kaum noch lohnt, in der »Geld die Welt regiert« und in der angeblich nur die Liebe und die Gesundheit unbezahlbar sind, in der »Geld aber auch nicht alles ist« und geldfreie Tauschbörsen sich steigender Beliebtheit freuen? Der ein oder andere Zuschauer mag über diese Fragen hinaus vielleicht in einem ähnlichen Dilemma stecken wie die Titelfigur: Eigentlich träumt Harpagon von einem unabhängigen, selbstbestimmten Leben im Wohlstand. Die Anhäufung von Kapital dient ursprünglich nur der Existenzsicherung, doch verselbstständigt sich und wird zur obsessiven, ja lächerlichen Fixierung aufs Kapital mit einhergehender panischer Angst vor dem Verlust desselben. Dieses Dilemma höchst unterhaltsam und komödiantisch auf die Bühne zu bringen, ist die große Kunst Molières.
Regisseur Alejandro Quintana inszeniert den vergnüglichen Kampf um Jung gegen Alt, um Geld oder Liebe, um Geiz und Glück (u. a. mit Frank Lienert-Mondanelli als Harpagon) auf einer überdimensionalen goldenen Münze (Bühne: Stefan Brandtmayr) im Großen Haus des Theaters.
Stefanie Symmank, Dramaturgin