Jeden Tag Neue Denkanstöße

Neu in der Dramaturgie: Kristin Päckert

Kristin_Päckert_06„Ich bin die Querdenkerin in unserer Familie“, sagt Kristin Päckert, die seit September als Dramaturgin am Theater Heilbronn arbeitet. Aufgewachsen in einem Dorf in Sachsen-Anhalt, in dem die Eltern in soliden Berufen arbeiteten, hatten diese sich eigentlich auch einen „sicheren“ Beruf für die Tochter gewünscht, etwa als Bankangestellte. Ihre Mutter war Floristin in einem Laden in der Nähe ihrer Grundschule. „Oft bin ich nach der Schule zu ihr gegangen und durfte Sträuße binden. Einer wurde sogar gekauft.“, erinnert sich die 29-jährige lächelnd. Ihr Vater ist seit seiner Jugend Musiker. Aufgrund der jungen Familie, die es zu versorgen galt, blieb es aber bei der Musik als Hobby. „Mit Kunst kann man kein Geld verdienen“, so die Ansicht der Eltern. Er kann nahezu alle Instrumente spielen, was sie als Kind schon beeindruckt hat. Außerdem hatte er eine eigene Band, der Kristin als kleines Mädchen immer beim Proben zuhörte. Die bescherten der damals 4-Jährigen die ersten Bühnenerfahrungen. „Bis ich neun Jahre alt wurde, war ich oft mit dabei, dann hat mein Gesangstalent wohl nicht mehr ausgereicht“, sagt sie augenzwinkernd. Trotzdem hatte sie Wochenende für Wochenende Auftritte – als Kunstradfahrerin und als Tänzerin, 12 Jahre lang war das ihr Leben. Das erste Aha-Erlebnis in Sachen Theater hatte sie bei einer Schulvorstellung von Goethes „Faust“ an ihrem Heimattheater, der Landesbühne Sachsen-Anhalt in Eisleben. In der Rolle des Mephisto war eine umwerfende Frau zu erleben – Susanne Bard. „Von da an wollte ich Schauspielerin werden und probierte mich gleich in zwei Jugendclubs aus.“ Nach dem Abitur wusste sie nur eins, sie wollte ans Theater. „An Schauspielschulen habe ich mich dann doch nicht beworben, sah eher hinter den Kulissen und nicht auf der Bühne meinen Platz“, sagt sie. Sie begann dann mit dem Studium der Theater- und Medienwissenschaften in Bayreuth. Dort suchte sie gleich Kontakte in die Praxis an der Studiobühne Bayreuth und begann dort als Regieassistentin. Nach dem Wechsel der Hochschule und dem Umzug nach Nürnberg, ging es dort an unterschiedlichen Theatern und in verschiedenen Positionen weiter. 20 Produktionen begleitete sie innerhalb von drei Jahren.

Einmal kam sie noch zurück zur Studiobühne Bayreuth, wohnte dort während der Probenzeit mangels Wohnung 6 Wochen auf der Probebühne. Nebenan arbeitete Regisseur Georgios Kapoglou an dem „Leben des Galilei“. Abends redeten sie oft und lange. Er bekam das Angebot zur Inszenierung der wohl letzten Uraufführung Wagners „Eine Kapitulation – Lustspiel in antiker Manier“ beim Festival junger Künstler Bayreuth. „Wir haben ganze Nächte über die Konzeption gesprochen, irgendwann sagte er, er nimmt mich als Dramaturgin mit.“ Es wurde ein großer Erfolg, auch von internationaler Fachpresse gewürdigt. „Es hat mir derart viel Spaß gemacht, das Konzept mit zu entwickeln, durch die eigene Bearbeitung ganz eng an der Kunst dran zu sein, dass ich von da an wusste: Das ist es.“ Dennoch war der Weg ans Theater nicht einfach und sie probierte noch einiges aus: So arbeitete sie bei verschiedenen TV-Produktionsfirmen, in der Set-Aufnahmeleitung des ARD Vorabend-Krimis „Heiter bis Tödlich“ und in der Kulturredaktion des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin. Doch die Liebe zur Dramaturgie blieb. „Die redaktionelle Arbeit ist der dramaturgischen ähnlich. Doch das Theater ist direkter, lebendiger, unverfälschter.“ Sie bewarb sie sich auf eine Elternzeitvertretungsstelle in Kiel und, als diese nach zwei Spielzeiten zu Ende ging, in Heilbronn.

„Es ist großartig, dass man für das, was man so gerne macht, bezahlt wird“, sagt sie. Lesen zum Beispiel. Als Dramaturgin ist man ständig auf der Suche nach neuen Stücken. Sie liebt es auch, sich in philosophische, soziologische oder politische Schriften zu vertiefen, die relevant für die jeweiligen Inszenierungen sind. Sie mag es, bei den Proben dabei zu sein, zu sehen wie die geschriebenen Szenen mit Leben erfüllt werden. Sie sieht ihre Aufgabe darin, zwischen den künstlerischen Ansprüchen des Regisseurs und den des Hauses zu vermitteln, den Regisseur bei der Konzeption und Umsetzung seiner Ideen zu unterstützen, diese aber auch zu hinterfragen. Auch sich selbst in Frage zu stellen, gehört dazu, denn in den Diskussionen entwickelt man sich zwangsläufig weiter. Jeden Tag mehr zu lernen, der Austausch mit dem Publikum, in Einführungen oder Theaterfrühstücken, und immer wieder neue Denkanstöße zu bekommen – das bedeutet für sie Erfüllung. „Und was will man mehr von seinem Beruf?“, fragt sie.

Mit Literatur die Welt verstehen

Eva Bormann ist Dramaturgin und Autorin

Eva_Bormann_02Wenn man, wie Eva Bormann, in Weimar geboren wird, ist die Nähe zu Literatur und Theater fast in die Wiege gelegt. Die kleine Stadt in Thüringen steht als Synonym für Kultur und der Geist von Goethe und Schiller, aber auch von Liszt und Nietzsche ist allerorten spürbar. Eva Bormann hat als Schülerin im Abenddienst des Nationaltheaters gearbeitet und auch unzählige Inszenierungen im Schauspiel und Musiktheater angeschaut. Am Theater zu arbeiten, kam für sie aber erst einmal nicht in Frage: „Ich hatte einen viel zu großen Respekt vor dem dort versammelten Wissen“, sagt sie. Sie studierte dann zwar Theater- und Literaturwissenschaft und Soziologie in Leipzig, aber ihr Schwerpunkt lag bei der Literatur. Sie sah sich zukünftig als Wissenschaftlerin Bücher wälzen, allein mit sich und den bedeutenden Werken dieser Welt. Doch dann wollte es der Zufall, dass sie während des Studiums die Betreuung eines Stückes als Regieassistentin am Theater der Stadt Aalen angeboten bekam. Und wieder einmal bestätigt sich, dass, wer einmal so richtig Theaterluft geschnuppert hat, nicht wieder davon loskommt. Es folgte gleich die zweite Assistenz in Aalen und eine Lesung mit eigenen Texten – davon gleich mehr-, die sie selbst gestalten durfte. Nach einem dreijährigen Ausflug in die Wissenschaft ans Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig von 2007 bis 2009 ging es dann doch wieder ans Theater, in die Dramaturgie. Zunächst für ein halbes Jahr nach Wiesbaden und dann von 2010 bis 2015 ans Theater Marburg. Seit Sommer 2015 ist sie Dramaturgin am Theater Heilbronn, wo sie vorrangig für das Junge Theater, aber auch für Stücke im Abendspielplan verantwortlich ist. Ihre erste Dramaturgie hier am Haus hatte sie für „Leben des Galilei“.

Bereits in den Anfangsjahren ihres Studiums begann sie eigene Texte zu verfassen. Schreiben ist ihr Medium, um die Welt zu begreifen, um die Beziehungen zwischen den Menschen zu analysieren und auf den ersten Blick Unverständliches zu ordnen. Zunächst waren es Gedichte, die sie zusammen mit einer befreundeten Schauspielerin in musikalischen Lesungen dem Publikum vorstellte. Vor zwei Jahren hat sie mit Prosatexten begonnen und jetzt sind auch dramatische Texte im Entstehen. Ein Thema, das sie als Autorin immer wieder umtreibt, sind die Geschlechterklischees. „Wo lassen sich Rollenbilder auflösen oder wo müssen sie manifest sein?“ Einige ihrer Gedichte sind bereits in Anthologien erschienen. Im Frühjahr 2014 war sie als Autorin Artist-In-Residence der »maumau art residency« in Istanbul und 2015 Stipendiatin beim 19. Literaturkurs der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Sie arbeitet immer an mehreren Texten gleichzeitig – vor allem nachts, wenn die Theaterarbeit ruht: „Die Texte melden sich bei mir, wenn sie weitergeschrieben werden wollen“, beschreibt sie. Dabei geht sie sehr sorgfältig vor, bemüht sich, mit Worten genau die Bilder entstehen zu lassen, die sie im Kopf hat. Wann sie zum Schlafen kommt, ist ein Rätsel. Aber mit dem Schreiben erholt sie sich von ihrer dramaturgischen Arbeit und umgekehrt, erzählt sie. Dabei sind beide Tätigkeiten eng miteinander verwandt.

Denn das genaue Beobachten und präzise Beschreiben ist auch für sie Dramaturgin essentiell. Intensiv begleitet sie die Proben, saugt wie ein Schwamm alle Eindrücke auf und vermittelt diese ihren künstlerischen Partnern. „Ich mag die Fragen, die Schauspieler stellen, auf die würde ich niemals kommen. Denn es ist ein Unterschied, ob man als Regisseur gemeinsam mit der Dramaturgie eine Konzeption entwirft oder man als Figur darin agiert.“ Auffällig an Eva Bormann ist, dass sie in diesen Gesprächen immer genau und geduldig zuhört und ihre Antworten sehr überlegt formuliert. „Ich glaube, wenn der Dialog innerhalb einer Inszenierung gut ist, überträgt sich dieses Klima auch aufs Publikum“, sagt sie. Sie mag auch die Phasen ihrer Recherchearbeit, um mit Material aus Literatur, Philosophie oder bildender Kunst die Inszenierung zu bereichern. Dabei hört sie übrigens immer Musik. Ihre Top drei aus der jüngsten Zeit: Johann Sebastian Bachs Chaconne in d-Moll BWV 1004, für Klavier bearbeitet von Ferrruccio Busoni und interpretiert von Hélène Grimaud, Mozarts Klavierkonzert d- Moll von Matha Argerich und der Jazzpianist Chilly Gonzales mit „Unrequited love“. „Voll das Dramaturgenklischee“, sagt sie lachend. Aber wenn es nun mal so ist, dann ist es so. Klischee hin oder her.

Querlenker Teil III – Die Fahrradflashmobs waren ein Hingucker

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Nach vier Tagen Probe ging es für die zehn „Querlenker“ raus aus der Theaterwerkstatt mitten unter die Leute. Bei bestem Wetter bauten sich die 12-15-Jährigen auf dem Kiliansplatz auf  und spielten ihre Fahrradchoreografie „Sicherheit hat Vorfahrt“ durch. Viele Passanten blieben stehen, schauten zu und schmunzelten, weil es ziemlich witzig war, wie die Mädchen und Jungen mit großen Straßentheatergesten vermittelten, wie wichtig Helm, funktionierende Bremsen und Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmer sind. Zwei ältere Herren berichteten reumütig, dass ihre Fahrradhelme zu Hause seien und nahezu unbenutzt im Schrank hängen würden. Aber sie gelobten augenzwinkernd Besserung. Für den zweiten Flashmob begaben sich die Jugendlichen an den Götzenturm, um nach Radfahrern mit Helm Ausschau zu halten. Die wurden nämlich mit großen Schildern mit der Aufschrift „Beifall für Helme“ und mit Applaus empfangen. Zunächst war es aber gar nicht so leicht behelmte Radler zu finden. Diejenigen ohne Kopfschutz waren eindeutig in der Überzahl. Dafür wurden die Vorbildlichen mit umso mehr Jubel begrüßt. Alle schmunzelten, manche blieben stehen und kamen mit den Jugendlichen ins Gespräch. Eine Frau gestand, wegen ihrer Frisur niemals einen Helm aufzusetzen. Ein junges Paar, das zu Fuß unterwegs war, schaute eine Weile zu und debattierte über die Wichtigkeit dieser Aktion. Das letzte Wort hatte die Frau. Sie meinte, man könne gar nicht genug darauf hinweisen, wie wichtig Helme seien, denn so mancher schwere Radunfall hätte milder ausfallen können, wenn der Kopf geschützt gewesen wäre.

Nachdem die „Querlenker“ erschöpft vom vielen Klatschen und Jubeln waren, zogen sie vor die Stadtgalerie, wo sie noch einmal dicht umringt von Zuschauern den Flashmob „Sicherheit hat Vorfahrt“ zeigten. Dann ging es im Zeitlupenparcours, der auch viele Blicke und Fragen auf sich zog, wieder zum Kiliansplatz. Hier gab es Schokolade und Dankeschöngespräche für rücksichtsvolle Radfahrer. Stefan Papsch vom Heilbronner Amt für Straßenverkehr, das die Idee für die Kooperation mit dem Theater hatte, begleitete die Flashmobs mit großer Freude. „Wenn jeder, der heute etwas von diesen Aktionen mitbekommen hat, zu Hause oder im Freundeskreis davon erzählt, dann haben wir die Idee von der Rad-KULTUR wieder ein Stück vorangetrieben“, sagt er. Denn Heilbronn ist in diesem Jahr Modellkommune der Initiative Rad- Kultur des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden-Württemberg und strebt langfristig danach, eine wirklich fahrradfreundliche Stadt zu werden.

Als es am Abend dunkel wurde, rüsteten sich die „Querlenker“ für das Finale. Mit Lichterketten behängt fuhren sie durch die Innenstadt, um auf die Wichtigkeit der Fahrradbeleuchtung aufmerksam zu machen. Dabei wurden sie bestaunt, fotografiert und immer wieder angesprochen. Ein bisschen fühlten sie sich wie Stars, denn bei ihrer Ankunft auf dem Kiliansplatz baten viele Passanten darum, mit ihnen ein Selfie machen zu dürfen.

Wie ein geölter Blitz rannten die ganze Zeit Kameramann Nicolai Stiefvater und sein Assistent Conrad den Jugendlichen hinterher, um keine Situation zu verpassen. Auch viele Zuschauer des Projektes wurden interviewt und werden sich am Ende in einer rund 20minütigen Dokumentation wiederfinden.
Fazit der Jugendlichen: Theater ist klasse, aber Theater auf dem Fahrrad richtig krass. Sie wären gern alle wieder mit dabei, falls es eine Neuauflage des Projektes geben sollte. Und das Résumé von Projektleiterin Antjé Femfert: Sie ist müde, aber sehr glücklich über die fünf intensiven Tage mit zehn kreativen Jugendlichen im Dienste einer tollen Idee.

Video der Aktion auf unserer Facebookseite

„Querlenker“-Proben laufen auf Hochtouren

Am 6. November sind die Flashmobs in der Innenstadt zu erleben

Foto: Nikolai Stiefvater
Die Querlenker, v.l.n.r. Tanjo, Victoria, Arne, Kathi, Daniel, Annika, Lucia, Lea-Marie, Sará und Learta Foto: Nicolai Stiefvater

Die TheaterWerkstatt im Wollhaus hat schon viele verrückte Projekte gesehen. Aber dass da 10 Jugendliche mit Fahrrädern drin herumfahren und eine Fahrradchoreografie entwickeln, dürfte bisher einmalig sein. Unter dem Motto „Querlenker“ beschäftigen sich die Jungen und Mädchen im Alter zwischen 12 und 15 Jahren mit dem Thema Radfahren in Heilbronn, besonders unter dem Aspekt der gegenseitigen Rücksichtnahme. Zwei Tage lang waren sie zunächst auf Recherchetour an Verkehrspunkten, die von Radfahrern und Fußgängern gleichzeitig (Kiliansplatz und Sülmer Straße) und zum Teil zusätzlich noch von Autos (am Götzenturm) genutzt werden. Dabei haben die Jugendlichen nicht nur zugeschaut, erzählt Theaterpädagogin Antjé Femfert, die das Projekt leitet. Sie sind auch auf die Leute zugegangen und haben gefragt, warum sie in bestimmten Situationen lieber das Fahrrad schieben oder warum sie keinen Helm aufhaben. „Raser haben wir genauso gesehen wie absolut rücksichtsvolle Radfahrer.“

Jetzt verarbeiten die Jugendlichen ihre Eindrücke mit den Mitteln des Straßentheaters. Ihr Anliegen ist es dabei, auch negativen Erscheinungen mit positiven Reaktionen zu begegnen. In einer theatralisch nachgestellten Situation zum Beispiel spielt Tanjo Frese einen „Fahrradrowdy“, der sich ziemlich rücksichtslos und temporeich zwischen den Fußgängern hindurch schlängelt. Mit dunkler Sonnenbrille und lauter Musik auf den Ohren bekommt er kaum etwas von der Straßensituation mit. Einen Helm trägt er nicht. Die anderen Jugendlichen halten ihn an und zeigen ihm in einer witzigen Choreografie, was er auf jeden Fall besser machen muss, um seine Sicherheit und die der anderen nicht zu gefährden. Helm, Licht, Bremsen, Klingel, Schulterblick, Handzeichen, Blickkontakt gehören dazu. Das alles stellen sie mit großen Zeichen und Gesten in einer Straßentheateraktion dar. Mit diesem Flashmob „Sicherheit hat Vorfahrt“ wollen sie am Freitag, 6. November, um 15 Uhr auf dem Kiliansplatz starten, um in aller Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Weitere Flashmob-Varianten sind gerade in Erprobung und werden den ganzen Freitagnachmittag in der Heilbronner Innenstadt gezeigt. Es soll unter anderem eine Lichterkettenfahrt, sowie Belohnungs- und Beifallsaktionen für disziplinierte Radfahrer geben. Tanjo, Victoria, Arne, Kathi, Daniel, Annika, Lucia, Lea-Marie, Sará und Learta sind mit Feuereifer bei der Sache und sehr gespannt auf die Reaktionen der Passanten. Ein Kamerateam ist übrigens von Anfang an dabei und erstellt eine Dokumentation von dem Projekt, die später auch in Schulen gezeigt werden soll.

Alle Beteiligten hoffen, dass Heilbronn eine immer fahrradfreundlichere Stadt wird und stehen voll hinter den Ideen der Initiative RadKULTUR des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden Württemberg, welches das Projekt finanziert. Die Idee dafür hatte das Amt für Straßenwesen Heilbronn, das ein ganzes Jahr unterschiedliche Aktionen im Zeichen der Mobilität mit dem Fahrrad durchführt, denn Heilbronn ist 2015 Modellkommune der Initiative RadKULTUR.

„Querlenker“ – Straßentheaterprojekt für Jugendliche in den Herbstferien

RadKULTUR – Modellkommune Heilbronn und Theater Heilbronn kooperieren

744587_original_R_B_by_Frank-Martin-Lauterwein_pixelio.deRadfahren ist gesund und man kommt mitunter viel schneller vorwärts als mit dem Auto. Deshalb ist Heilbronn 2015 Modellkommune der Initiative RadKULTUR des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden Württemberg. Das ganze Jahr steht im Zeichen der Mobilität mit dem Fahrrad. Während der Herbstferien vom 2.-6. November ist das Theater Heilbronn mit einem Straßentheaterprojekt für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren an den Aktionen für ein fahrradfreundliches Heilbronn beteiligt. Unter dem Motto „Querlenker“ setzen sich zwölf Mädchen und Jungen besonders mit dem Aspekt Sicherheit und gegenseitige Rücksichtnahme auseinander und wollen mit Theateraktionen rund um das Fahrrad auch andere dafür sensibilisieren. Dieses Thema ist in einer Stadt, in der Fußgänger- und Radverkehr teilweise nicht voneinander getrennt sind, wie beispielsweise in der Allee oder in der Fußgängerzone der Innenstadt, besonders wichtig. Theaterpädagogin Antjé Femfert leitet das Projekt. Entstanden ist es auf Initiative des Amtes für Straßenwesen Heilbronn.

Ablauf des Projektes

In der Herbstferienwoche vom 2.-6. November 2015 beschäftigen sich Jugendliche im Alter von 12-15 Jahren auf augenzwinkernde Weise im darstellenden Spiel mit der Situation von Radfahrern in Heilbronn.
1.    Phase
An den ersten 2 Tagen (2. und 3. November) werden die Jugendlichen Verkehrssituationen im Zusammenhang mit Radfahrern beobachten und zusammentragen. Der Fokus wird sich vor allem auf die Sülmer Straße und das Neckarufer richten. In beiden Straßen sind sowohl Fußgänger als auch Radfahrer in einer gemeinsamen Zone unterwegs. Radfahrer sind manchmal zu schnell, viele jugendliche Fußgänger konzentrieren sich statt auf den Verkehr ringsherum auf ihr Smartphone. Nicht selten kommt es so zu brenzligen Situationen, Zusammenstößen und verbalen Auseinandersetzungen. Die Jugendlichen beobachten, ob Autofahrer, Stadtbahnfahrer, Fußgänger und Radfahrer Blickkontakt zueinander aufnehmen, ob sich Radler an das vorgeschriebene Schritttempo halten, ob Querungshilfen und Zebrastreifen genutzt werden und wieviel Rücksicht die Verkehrsteilnehmer aufeinander nehmen.

2.    Phase
Die gesammelten Eindrücke werden an den nächsten beiden Tagen (4. und 5. November) zu Theateraktionen verarbeitet, die in Form von Flashmobs am 6. November in verschiedenen Bereichen der Innenstadt gezeigt werden sollen – unter Einbeziehung der Passanten. Geprobt wird dafür in der Theaterwerkstatt im Wollhaus. Die Jugendlichen erlernen an diesen zwei Tagen Grundlagen des Straßentheaters, mit dessen Methoden es ihnen gelingen soll, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen.

Erste Ideen für Flashmobs sind beispielsweise besondere Fahrradchoreografien, Belohnungsaktionen für besonders vorbildliche Verkehrsteilnehmer, Zeitlupenfahrten durch die Innenstadt oder Beifallsaktionen für alle Radler, die einen Helm tragen. Geplant sind auch spontane „Talkshows“ zum Thema Verkehrssicherheit an zentralen Punkten der Innenstadt, in die die Passanten verwickelt werden sollen. Während der Probenarbeiten werden sicher weitere Flashmobs mit den Jugendlichen entstehen.

3.    Phase
Am 6. November ist der Flashmob-Marathon in der Innenstadt geplant. Dabei hoffen die Jugendlichen auf unmittelbare Reaktionen von Passanten. Ein Kamerateam begleitet im Auftrag des Theaters die einzelnen Aktionen und entwickelt eine 15-20 minütige Dokumentation. Diese kann zum Beispiel an Schulen gezeigt werden, um die Idee der RadKULTUR zu verbreiten.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen demnächst Beifall geklatscht wird, weil Sie in angemessenem Tempo durch die Fußgängerzone radeln oder weil Sie einen Helm tragen.

Von Windmühlen und Vorurteilen

Jeton Neziraj schreibt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn

Jeton Neziraj

„Die Künstlerinnen und Künstler im Kosovo sind sich bewusst, dass sie in Europa nicht einfach so einen besseren Ort finden können“ als ihr Heimatland, sagte Jeton Neziraj kürzlich in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen. Er ist einer der wichtigsten Autoren und Intellektuellen seines Landes und schreibt jetzt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn, das 2016/17  hier inszeniert und anschließend auch in seiner Heimatstadt Pristina gezeigt werden soll. Worum soll‘s gehen? Fest steht schon mal der grobe Plot unter dem durchaus doppeldeutigen Arbeitstitel „Windmühlen“. Einer der Protagonisten des Stücks, ein deutscher Ingenieur, soll Windmühlen, besser gesagt gigantische Windkraftanlagen im Kosovo aufbauen. Ein Projekt, das Jahre dauern wird. Deshalb sollen ihn seine Frau und seine Tochter begleiten. Die beiden sind entsetzt und haben überhaupt keine Lust auf das Land. Ihr Bild vom Kosovo ist geprägt von den Berichterstattungen in den Medien, in denen häufig nur Probleme und Katastrophen eine Rolle spielen. Doch dann begleiten sie den Vater und Ehemann. Zunächst leben sie abgeschirmt von den Einheimischen in einem Diplomatenviertel. Doch beim Spielen verlässt die Tochter den eingezäunten Bereich, kommt mit den kosovarischen Kindern in Kontakt und lernt das Land von einer ganz anderen Seite kennen …

Vorurteile abzubauen gleicht auch häufig einem Kampf gegen Windmühlen. Für Jeton Neziraj ist dies ein Lebensthema, wie er beim Pressefrühstück im Theaterrestaurant Gaumenspiel erzählte. Drei Tage lang weilte er zusammen mit seinem Kollegen Agon Myftari, dem künstlerischen Leiter des Nationaltheaters Kosovo, in Heilbronn, um sich über die hiesige Theaterarbeit zu informieren. Neziraj sieht Theater als Mittel der politischen Auseinandersetzung und als Medium der Kritik – besonders in seiner Heimat Kosovo. Dort gilt er als zugleich gefeierter und gehasster regierungskritischer Oppositioneller. Für sein Stück „Einer flog über das Kosovotheater“ (2012) , in dem er das jüngste Land Europas mit dem Irrenhaus in Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ vergleicht, bekam er Morddrohungen und musste sich von einigen Medien den Vorwurf des Antinationalismus gefallen lassen. Die Premiere kam nur dank politischer Fürsprecher und unter Polizeischutz zustande.

Ein geradezu unerhörtes Ereignis war und ist seine „Romeo- und Julia“ Adaption (2015), die die beiden Liebenden in serbischen bzw. kosovarischen Familien ansiedelt. Die absurden nationalen Grabenkämpfe zwischen Serbien und der seit 2008 autonomen ehemaligen serbischen Teilrepublik Kosovo machen eine junge Liebe kaputt. Neziraj zwingt sein Publikum dem Kosovo-Albanisch von Romeos Familie und dem Serbisch von Julias Familie zuzuhören, denn das erfordere seiner Meinung nach Respekt und Geduld. Dass dieses Theaterstück von der serbischen und der kosovarischen Regierung finanziert wurde, ist von enormer politischer Bedeutung für beide Länder. Allerdings findet jede Vorstellung unter Polizeipräsenz statt, weil sowohl die serbischen als auch die kosovarischen Nationalisten keine Versöhnung wollen und die Sprache des „Feindes“ als Zumutung empfinden.
Viele seiner Stücke hat er in Deutschland oder in der Schweiz herausgebracht: „Peer Gynt aus dem Kosovo“ über die (negativen) Migrationserfahrungen der Kosovaren (2014) zusammen mit dem Jungen Staatstheater Wiesbaden oder „Kosovo für Dummies“ (2015) mit dem Theater im Schlachthaus Bern. 2013 erschien sein mit Timon Perabo gemeinsam verfasstes Buch: „Sehnsucht im Koffer: Geschichten der Migration zwischen Kosovo und Deutschland“. Allein 15 Prozent der Kosovaren haben ihre Heimat in den letzten Jahren in Richtung Deutschland verlassen.

Er plädiert für ein Bleiben in der Heimat, für eine Einstellung der zum Teil absurden interkulturellen Auseinandersetzungen. Er zeigt, dass Minderheitenprobleme, Korruption und Bürokratie generelle Themen sind. Und er ironisiert die übersteigerten Hoffnungen seiner Landsleute, die sie an ein Leben etwa in Deutschland knüpfen. So heißt es in seinem Stück „Peer Gynt aus dem Kosovo“: Es gibt einen Ort, wo alles besser ist. „Dort ist eine andere Welt. Wenn du kein Geld mehr hast, gehst du zur Bank und stellst einen Antrag, und du bekommst es, ohne es je zurückzahlen zu müssen. Ihre Läden nennen sie Supermarkt, weil es dort super Lebensmittel gibt. Ihre Haustüren lassen sie Tag und Nacht offen, niemand klaut, weil alle alles haben. Dort ist alles aus Gold.“

Er selbst würde sein Heimatland nie verlassen. Die Widersprüche dort, die Ungereimtheiten und Schwierigkeiten sind für ihn der Stoff, aus dem seine Geschichten sind. „Es ist aufregend, gerade jetzt dort zu sein, historische Veränderungen zu begleiten und zu spüren und sie mit seiner Arbeit sogar voran zu treiben.“
Für das Theater Heilbronn wird die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der kulturellen Vielfalt in dieser Stadt konsequent fortgesetzt, erinnert sei hier nur an Stücke wie „Heimat.com“, „Tito, mein Vater und ich“ oder „Die Leiden des jungen Osman.“

Gefördert wird die Zusammenarbeit aus dem Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden Württemberg rund vom Goetheinstitut Belgrad.

Abformung eines menschlichen Körpers – oder wie ein künstlicher Toter hergestellt wird

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Ja, auf der Bühne wird auch gestorben. Nicht in Wirklichkeit – zum Glück, sondern nur zum Schein für die Kunst. Und manchmal müssen die „toten“ Körper nach ihrem Bühnensterben noch so allerhand ertragen, was ein quicklebendiger Schauspieler selbst mit größter Körperspannung nicht aushalten würde – stundenlang kopfunter hängen zum Beispiel. An dieser Stelle kommen unsere Meister der perfekten Täuschung ins Spiel – die Kolleginnen und Kollegen aus dem Malersaal. Diese verwandeln nicht nur schnödes Holz in Gold oder Styropor in Marmor, um nur mal zwei Beispiele zu nennen. Sie können auch täuschend echte Leichen herstellen. „Abformung eines menschlichen Körpers“ nennt sich ihr Verfahren. Für Heiner Müllers Schauspiel „Der Auftrag“ war dieser Tage ihr ganzes Können gefordert. Das hat zwar erst im Januar Premiere, aber die Werkstätten sind immer die ersten, die alle Zuarbeiten für eine Inszenierung geleistet haben.  Aus dem Malersaal kommen also diesmal unter anderem die „Leichen“.

Zunächst galt es, zwei Freiwillige zu finden, die sich als Schablone für diesen zugegeben etwas makaberen Job zur Verfügung stellen. Unsere zwei Schreinergesellen Luke Pantke und Lucas Steinhoff ließen sich nicht lange bitten. Wann wird schon mal der eigene Körper für die Kunst verewigt? Ob sie während des Procederes der Abformung glücklich waren, dass sie sofort zugesagt haben? Das hatte es nämlich ganz schön in sich und kostete sie Nerven, Geduld und so manches kleine Körperhärchen.

Die Konturen des Körpers werden zunächst mit Gips abgeformt. Am ersten Tag die Vorderseite. Dafür legten sich die beiden in der Stellung, die der „tote“ Körper später einnehmen soll, auf den Rücken. Sie mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen, die Hose wurde mit Klarsichtfolie umwickelt, damit man keine Abdrücke sieht. Dann wurden Luke und Lucas von Kopf bis Fuß dick mit Vaseline eingecremt. Röhrchen zum Atmen kamen in Mund und Nase. Und alle, die im Malersaal eine freie Hand hatten, deckten die Körper mit Gipsbinden zu. Man kennt diese Binden vom Arzt, wenn man sich einen Arm oder ein Bein gebrochen hat. Sie werden in Wasser getaucht, in noch weichem Zustand auf den Köper gedrückt und härten dann aus. Wer schon mal einen Gips hatte, weiß, wie unangenehm das sein kann. Doch hier wurde eine Hälfte des kompletten Körpers von Kopf bis Fuß eingegipst. Rund 20 Minuten durften sich die beiden nicht bewegen. Ganz klar, dass gerade in so einem Moment die Nase juckt und dass es Krämpfe in den Beinen gibt. Aber der Gipspanzer verhinderte auch das kleinste Zucken. Dann die Erlösung: Das Team um Malersaal-Vorstand Herbert Kübler und Karlheinz Kirchler hob vorsichtig die Gipshülle ab. Die Form wurde dann mit PU-Schaum und Gips stabilisiert. Denn schon am nächsten Tag mussten sich die beiden da rein legen, um die Hinterseite abformen zu lassen – wieder das unerträgliche Jucken, die Krämpfe, das regungslose Liegen – 20 unendlich lange Minuten. Dann war die Schablone fertig.

Wie Sandkastenförmchen werden diese Formen in einem nächsten Schritt komplett ausgefüllt – mit einer speziellen Gummimilch, die, wenn sie aushärtet, wie Fleisch aussieht. Stabilisiert wird das Ganze mit einem „Skelett“ aus Holzwirbeln, Knochen und Scharnieren (pardon Gelenken) – ganz nach dem Vorbild eines echten Menschen. Dies wird von den Abteilungen Schlosserei und Schreinerei beigesteuert. Anschließend sind wieder die Maler und zusätzlich die Abteilung Maske dran, die dem Gebilde aus „Muskeln“ und „Knochen“ noch Haut und Haare verpassen. Und dann dürfen die „Toten“ auf die Bühne.

Ich denke wieder einmal: was ist das Theater nur für ein verrückter, wunderbarer Ort, nicht nur auf der Bühne, sondern jeden Tag aufs Neue auch hinter den Kulissen.
Silke Zschäckel

Oliver Firit macht Stop-Motion-Filme mit Star-Sprechern

FiritWenn jemand wie Darth Vader sich ändern kann, dann schafft es jeder. Das ist die Moral von der Geschicht’ in Oliver Firits Version von Charles Dickens’ Christmas Carol. Hier steht der dunkle Lord im Mittelpunkt und wird durch die Begegnungen mit den Geistern der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft von einem ignoranten, ja bösartigen Wesen zu einem liebevollen Vater, einem guten Lehrer und einem großen Vorbild. 57 Minuten dauert diese Stop-Motion-Produktion von »firi-film«. »A Sithmas Carol« ist sein bisher dritter Film, zwei davon abendfüllend, und Höhepunkt seiner Heuballen-Trilogie (weil in jeder Folge ein Heuballen auftaucht). Die ersten beiden Animationsstreifen heißen »Abenteuer auf Tatooine« (23 Minuten) und »The Omega Game« (72 Minuten). In diesen Action-Film-Persiflagen stolpern munter alle Haupthelden aus dem Star-Wars-Universum, aus »Herr der Ringe« und kämpferische Ninja Turtles durcheinander und werden zu Darstellern ganz neuer Geschichten, die Oliver Firit erfindet und mit vielen Effekten, Soundtracks und mit Profi-Sprechern umsetzt. Fast das ganze männliche Schauspielensemble und auch einige Schauspielerinnen des Heilbronner Theaters sind involviert und voller Begeisterung dabei – denn hier dürfen sie noch mal Kind sein. Und mit dabei ist auch ein echter Filmstar: Christian Friedel, der Darsteller des Elser aus »Elser – er hätte die Welt verändert«. Ein Freund von Oliver Firit seit Kindertagen. Beide sind zusammen in Magdeburg eingeschult worden, waren gemeinsam im Theaterjugendclub und haben dann beide Schauspiel studiert. Neben professionellen Sprechern haben die Animationsstreifen auch sonst alles, was zu großen Kino-Filmen gehört: Trailer, Plakate und ein lustiges Making Off.

Seit Anfang 2014 pflegt Oliver Firit sein, wie er zugibt, zeitraubendes Hobby. Alles begann damit, dass er für seinen ältesten, heute fünfjährigen Sohn Bastian eine Kiste mit alten Superheldenfiguren aus dem Keller holte und diese im Spiel zum Leben erweckte. »Und da erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich schon immer mal einen Puppentrickfilm machen wollte«, sagt er. Das Computerprogramm Movie-Maker machte es möglich: Mit einem Fotoapparat fotografierte er Veränderung für Veränderung – Arme und Beine, die sich heben und senken, Figuren, die in Flugobjekten durch den Raum fliegen. Bild für Bild wird bearbeitet, die Hände etwa, die Raketen durch den Raum fliegen lassen, werden rausretuschiert, stattdessen  blinkende Laserschwerter, sich bewegende Münder oder Lichteffekte hineinmontiert. Für Flugszenen am Himmel hat er ein ganzes Arsenal an schönen Wolken fotografiert, die je nach Bedarf zusammengefügt werden. Auch seine ganze Wohnung dient als Film-Kulisse. Das Bett mit einer dicken grauen Decke wird zu einer morbiden Gesteinslandschaft, bemalte Latexreste aus der Maske des Theaters werden zu Lavaströmen, die weißen Fliesen des häuslichen Bades zum hermetisch abgeriegelten Reich des Darth Vader auf dem Todesstern, sogar das Töpfchen von Benjamin, dem kleinsten Sprössling von Oliver Firit, dient in seiner spacigen Form als Kulisse. Ansonsten entstehen aus den Baukästen von Lego und Co, aus Pappe und Papier die wunderbarsten Hintergründe.

10 Bilder braucht er, um eine einzige Sekunde Film zu produzieren. Man kann sich vorstellen, wie lange er an einem Streifen sitzt. Angefangen von den gestellten Szenen, über die eingesprochenen Texte bis hin zum Schneiden und zur Postproduktion, wenn Sprache, Musik, Licht- und Toneffekte eins werden – alles wird mit Liebe und einem großen Augenzwinkern gemacht. Seine Frau Sabine ist nur manchmal ein bisschen sauer, wenn tatsächlich in der ganzen Wohnung Kulissen aufgebaut sind und sie kaum ein Bein vors andere setzen kann. Sie freut sich aber auch, wenn die Kinder Bastian, Lina und sicher irgendwann auch der Kleinste Benny, schon mitspielen und den Kinderfiguren ihre Stimmen leihen. Bastian und Lina haben sogar schon selbst angefangen, unter Anleitung vom Papa, kleine Animationsfilme mit ihren Spielsachen herzustellen. Hat er Lust, der Schauspielerei mal ganz den Rücken zu kehren und sich ausschließlich auf Animationsfilme zu konzentrieren? »Nein!«, sagt Oliver Firit. Erstens habe er als Schauspieler einen sehr spannenden Beruf – den er übrigens nicht nur als Sprecher, sondern auch manchmal als leibhaftiger gigantischer Actionheld, der im Film auf die Größe seiner Spielfiguren schrumpft, in seine Filme mit einbringt. Und zweitens würden ihm die Geduld und der Perfektionismus fehlen, welche die Macher von Filmen wie »Shaun das Schaf« und »Wallace und Gromit« an den Tag legen. Und er gesteht: »Das Sandmännchen«, auch eine animierte Figur, sehe er jetzt mit ganz anderen Augen. Voller Hochachtung für die Arbeit, die dahinter steckt.

Von Silke Zschäckel

Rauschhaftes »Pariser Leben«

Pariser Leben 6_klein»Tollheit durchrast diese fünf Akte«, schrieb der Librettist Ludovic Halévy über Jacques Offenbachs Komposition zur Operette »Pariser Leben«. »Die betörende Musik stürmt dahin, reißt mit, verwirrt die Sinne, putscht auf und nimmt den Atem. Alles tanzt, alles wirbelt dahin …« Damit hatte Offenbach zweifellos erfüllt, was seine Auftraggeber von ihm verlangten. Zur großen Weltausstellung in Paris 1867 sollte er eine Opera buffa komponieren, die dem Charakter der Metropole an der Seine gerecht werden sollte.
Paris war im 19. Jahrhundert die Hauptstadt Europas und internationaler Treffpunkt der mondänen Gesellschaft. Bereits 1866 feierte sein »Pariser Leben« Uraufführung. Entgegen den Befürchtungen der Beteiligten, die wegen des etwas frivolen Charakters des Werkes durchaus mit einem Skandal rechneten, wurde diese Operette ein Riesenerfolg. Bis heute zählt »Pariser Leben« neben »Orpheus in der Unterwelt« und »Die schöne Helena« zu den größten Erfolgen Offenbachs.
Jetzt kommt das Pfalztheater Kaiserslautern mit der Inszenierung von Andreas Bronkalla und einem Großaufgebot an Sängern, Tänzern und Musikern nach Heilbronn. Das Urteil nach der Premiere in Kaiserlautern lautete: »Mit prächtigen Kostümen, einem wohldurchdachten Bühnenbild und einer leichtfüßigen Inszenierung ließ das >Pariser Leben< keine Wünsche offen.« Diese Operette ist vor allem eins: eine Hommage an Paris als die Stadt der Liebe und des Flirts.
Metella, eine schöne Dame von etwas zweifelhaftem Charakter, hat so manchem Mann das Herz gebrochen. So auch den beiden Freunden und Lebemännern Raoul de Gardefeu und Bobinet Chicard, die darüber in Streit gerieten und nun am Pariser Bahnhof auf die Dame ihres Herzens warten. Metella jedoch steigt mit einem anderen Herrn aus dem Zug und ignoriert ihre beiden Verehrer, die in ihrer Not wieder zu alter Verbundenheit, aber auch zu gemeinsamen Streichen zurück finden. Um sich über Metella hinwegzutrösten, versuchen sie an andere schöne Frauen heranzukommen. Wie soll das besser gelingen, als in der Rolle eines Fremdenführers, der Damen von internationaler Klasse mit den schönen Seiten von Paris vertraut macht. Gardefeu schlüpft in diese Rolle und kümmert sich um ein adeliges schwedisches Paar, Baron Gondremarck und dessen Frau Christine. Während der Baron ein besonderes Faible für die Pariser Frauen hat, von denen ihm eine gewisse Metella besonders ans Herz gelegt wurde, interessiert sich seine Frau, die so ganz nach Gardefeus Geschmack ist, für Oper und die Sehenswürdigkeiten der Stadt. Kurzerhand verwandelt Raoul Gardefeu sein Haus in eine »Dependance« des Grand Hotels und kostümiert seine Nachbarn und zufällig anwesende Handwerker als Herrschaften der besseren Gesellschaft. Als Metella auf Wunsch des schwedischen Barons vorbeikommt, sieht sie natürlich sofort, dass Gardefeu sein Interesse an ihr verloren hat und ist eifersüchtig. Dennoch wird ein rauschendes Fest gefeiert, das sein Freund Bolinet am nächsten Tag in der Wohnung seiner Tante in ähnlicher Besetzung wiederholt. Jetzt reicht es Metella. In einem Brief an die Baronin Christine offenbart sie den ganzen Schwindel und die Frauen beschließen, nun ihrerseits die Männer an der Nase herumzuführen…

Von Silke Zschäckel

Theaterinstallation macht nachvollziehbar, was Flüchtlinge während des Asylverfahrens erleben

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Nach monatelanger Flucht heißt es zunächst erst einmal warten. Zwei Beamte registrieren dich und nehmen deine Fingerabdrücke. Du bekommst jetzt für 30 Minuten die Identität von Ellaha Saleh aus Afghanistan, 19 Jahre alt. Du bist geflohen, weil du mit 14 Jahren zwangsverheiratet wurdest. Dein Mann schlägt dich. Weil du es nicht mehr ausgehalten hast, bist du über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geflohen. Mit dem Auto, zu Fuß und mit dem Zug unter großen Strapazen. Doch die sind jetzt vergessen, denn du bist in Sicherheit und das Asylverfahren beginnt…

Mit der Theaterinstallation Fluchtpunkt: Berliner Platz wollen Schauspieler, Regieassistenten, Dramaturgen und Theaterpädagogen des Heilbronner Theaters nachvollziehbar machen, was Flüchtlinge in Deutschland während des Asylverfahren erleben. Dieses Projekt, das in kürzester Zeit realisiert wurde, hat Schauspielerin Anastasija Bräuniger initiiert und es ist allen Mitstreitern eine Herzensangelegenheit. Sie schlüpfen in die Rollen der Beamten, die das Asylverfahren durchführen.

In Zusammenarbeit mit den Werkstätten des Theaters wurden sechs behelfsmäßige Container auf dem Berliner Platz errichtet: Ein Ankunftsraum, ein Erstaufnahmelager, ein Asylbewerberheim, ein Raum, in dem Auszüge aus Leserbriefen, Facebook oder Internetforen ausgestellt sind und die zum Teil so krasse Vorurteile zum Ausdruck bringen, dass einem schlecht wird. Schließlich der Raum, in dem die Anhörung zum Asylverfahren läuft. Wieder Warten. Dann die Verkündung des Urteils … 

Als Ellaha Saleh hast du keine Papiere. Nur ein provisorisches Dokument, das die Deutschen ausgestellt haben. Du darfst im Erstaufnahmelager warten. Die einzige Unterhaltung ist ein Fernseher mit schlechtem Bild. Drei Monate verbringst du hier. Dann geht es weiter ins Asylbewerberheim, wo du mit 10 Menschen in einem Raum wohnst. Viereinhalb Quadratmeter Platz stehen dir zu. Die Waschräume sind nicht nach Männern und Frauen getrennt. Wenn du auf der Straße bist, siehst du die Abneigung in den Augen der Menschen, manche äußern sie auch direkt. Dann endlich die Anhörung, du bist aufgeregt. Der Beamte spricht schnell, schaut dich kaum an. Interessiert er sich überhaupt für dein Schicksal?  25 Fragen werden gestellt. Erst Frage Nummer 24 ist die nach den Gründen deiner Flucht. Da bist du schon ganz müde und ausgelaugt.

Wieder heißt es warten. Dann das Urteil: Als Frau in Afghanistan geschlagen und missbraucht zu werden, sei kein ausreichender Fluchtgrund. Denn das gehört in Afghanistan zur Normalität. Du wirst in Deutschland kein Asyl erhalten und darfst entweder freiwillig gehen oder wirst abgeschoben. Du schreist, dass dies dein Todesurteil ist. Aber das interessiert nicht. Die Gewalt gegen Frauen sei kein hinreichender Grund um als politisch Verfolgte anerkannt zu werden.

Der letzte Raum der Installation vereint Flughafengeräusche, Politikerstatements und Ankündigungen abgeschobener Flüchtlinge, es auf jeden Fall wieder zu versuchen, nach Deutschland zu gelangen, zu einer lauten Kakophonie.