Von der Schönheit eines halbgefüllten Glases

Steffen Nödl fängt mit seiner Kamera besondere Momente hinter den Kulissen ein

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Einmal war es nur der Schatten des Kronleuchters an der Wand, der seinen Blick fesselte. Dann wieder ein paar halbgefüllte Gläser mit (unechtem) Sekt, die am Bühnenrand auf ihren Einsatz warteten. Ein anderes Mal die glücklichen Gesichter der Schauspieler im Applaus nach der Vorstellung.
Steffen Nödl sucht nach den besonderen Momenten, nach den Kleinigkeiten im Theateralltag, die manch anderer überhaupt nicht wahrnimmt. Und er hält sie mit seiner Kamera fest. Die Nikon D 300s ist sein ständiger Begleiter bei der Arbeit, damit sie im rechten Moment einsatzbereit ist. Als Bühnentechniker kommt der 44-Jährige ganz nah ans Geschehen auf den weltbedeutenden Brettern heran, ist quasi selbst ein Teil davon. »Ich habe nur sehr selten mal ein Stück von vorn gesehen«, sagt er. Immer von der Seite oder von hinten. Vielleicht interessiert ihn die Zuschauerperspektive deshalb nicht so sehr. Er entdeckt das Besondere in der Normalität des Theateralltags, das kaum ein Zuschauer je zu Gesicht bekommt. Das Gespräch zwischen Schauspielern und Regisseur in der Probe, die Verwandlung der Kollegen in der Maske, die Pausenzigarette zwischen den Auftritten, die akkurat zurechtgelegten Requisiten vor der Vorstellung, die Kontrolle der Bühne durch die Inspizientin vor Beginn des Theaterabends, die für die schnellen Umzüge ausgebreiteten Kostüme, die konzentrierten Mienen der Schauspieler kurz bevor sie auf die Bühne müssen. Während des Fotografierens versucht er sich im Hintergrund zu halten und sich unsichtbar zu machen. Die Nähe stellt Steffen Nödl über die Brennweiten seiner Objektive her. Da Blitzlicht im Theater ein absolutes Tabu ist, hat er den Blitz nicht nur ausgeschaltet, sondern auch abgeklebt. Eine doppelte Absicherung, denn jedes unabgesprochene Lichtzeichen kann auf der Bühne zu Irritationen führen. Besonders gern fotografiert er das Spiel der Darsteller von der Seitenbühne oder von hinten. Fängt Situationen ein, wenn sie einsam auf der großen Bühne ganz vorn an der Rampe stehen – das Bild flößt Ehrfurcht und Respekt vor diesem Beruf ein.
Obwohl Steffen Nödl als Kind nur einmal in einer Theatervorstellung war – »das war in Ali Baba und die 40 Räuber, daran kann ich mich noch ganz genau erinnern« – ist das Theater schon immer ein Teil seines Lebens. Er ist ganz in der Nähe, in der Lammgasse, aufgewachsen und hat den Bau des Hauses am Berliner Platz beobachtet. Als in der Heilbronner Stimme ein Ausbildungsplatz für einen Schlosser im Theater ausgeschrieben war, bewarb er sich. »Die Bewerbung habe ich persönlich vorbei gebracht, damit nichts schief geht.« Nach den dreieinhalb Jahren Ausbildung wurde er in der Theaterschlosserei fest eingestellt und wechselte nach einiger Zeit in die Bühnentechnik – also in den Bereich, der die Kulissen auf- und abbaut und die Umbauten und Verwandlungen während der Vorstellungen realisiert. Mit einem Mal war er ganz dicht dran an der Kunst, ließ sich fesseln und inspirieren. Er entdeckte so manches Motiv, denn schon immer hat er seine Umgebung mit den Augen eines Fotografen beobachtet. Seit Kindertagen war die Fotografie sein Hobby. Und endlich traute er sich zu fragen, ob er hinter den Kulissen Aufnahmen machen dürfe, zunächst analog jetzt meistens digital. Aber bei manchen Inszenierungen lässt er sich auf das Abenteuer der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie ein. Er mag daran das Ungewisse, den viel bewussteren Umgang mit dem Material. Wenn er zu Hause im heimischen Fotolabor die Filme entwickelt und die Fotos vergrößert, ist das immer ein großer Moment. In erster Linie fotografiert er für sich selbst. Aber auch die Schauspieler und viele andere Kollegen im Haus mögen seinen besonderen Blick und behalten Steffen Nödls Bilder als unvergessliche Erinnerungen an die Inszenierungen, die ja immer nur eine endliche Zeit im Spielplan sind.

Matthieu Delaportes und Alexandre de la Patellières Bühnenerfolg »Der Vorname« im Komödienhaus

Brillant-böses Desaster-Dinner

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich mit Verwandten und alten Freunden beim gemeinsamen Abendessen zu Hause. Man kennt sich in- und auswendig – denkt man. Die Gastgeberin hat mit viel Aufwand ein exotisches Buffet vorbereitet, die Gäste haben den Wein mitgebracht. Jemand am Tisch ist schwanger, und natürlich fragt jemand: Wie soll das Kind denn heißen? Antwort: Adolf!

Soll das ein Scherz sein? Sprengt so etwas die Grenzen des guten Geschmacks, der politischen Korrektheit und der Toleranz? Wie viel Provokation vertragen Familien- und Freundschaftsbande wirklich? Und ist das komisch?

Die Antwort gibt der gigantische Erfolg, den »Der Vorname«, das Debütstück der beiden Franzosen Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, nicht nur im französischen und deutschen Sprachraum, sondern inzwischen auch international hat. Seit der Uraufführung 2010 in Paris begeistert die pointierte Konversationskomödie ihr Publikum, heimste den Preis SACD 2011 der Académie française und sechs Nominierungen für den wichtigsten französischen Theaterpreis, den Prix Molière, ein und wurde mit den Schauspiel-Stars Patrick Bruel und Charles Berling erfolgreich von den beiden Autoren auch auf die Kinoleinwand gebracht. Nicht verwunderlich, denn »eigentlich« arbeiten Delaporte und de la Patellière für Film und Fernsehen: Kennengelernt haben sich die beiden, als sie 1995 zufällig im selben Gebäude die Endfassung ihrer Filme schnitten. Gemeinsam waren sie bei der Produktionsfirma Onyx Films, schrieben Drehbücher und schufen die hoch gelobten Zeichentrickfilme »Renaissance« fürs Kino und »Skyland« fürs Fernsehen. Seit dem Überraschungserfolg von »Der Vorname« haben sie mit »Das Abschiedsdinner« und »Alles was Sie wollen« zwei weitere Theaterstücke herausgebracht.

»Der Vorname« spielt an einem Abend in der Pariser Wohnung des Literaturprofessors Pierre (bei uns gespielt von Stefan Eichberg) und seiner Frau Elisabeth (Judith Lilly Raab). Eingeladen sind Elisabeths jüngerer Bruder Vincent (Oliver Firit) und seine schwangere Partnerin Anna (Stella Goritzki), sowie der Posaunist Claude (Raik Singer), ein langjähriger Freund der Gastgeber. Was als netter Abend unter Freunden beginnt, entwickelt sich zwischen  schmackhaften Briouats und Zaalouk zu einem wahren Desaster-Dinner, bei dem sich hinter der Fassade des linksliberalen Bildungsbürgertums gar finstere (und urkomische) Abgründe auftun. Und dann serviert ausgerechnet die »Pflaume« Claude zum Dessert noch ein pikantes Familiengeheimnis.

Für Regisseur Jens Kerbel und Ausstatterin Carla Friedrich, die in der letzten Spielzeit »Rita will‘s wissen« auf die Bühne des Komödienhauses brachten, besteht der Reiz und die Herausforderung bei »Der Vorname« darin, wie »brillant und böse« durch den hinterhältig gelegten Sprengsatz einer Provokation sehr schnell gesellschaftliche Konventionen, aufgeklärte Wertvorstellungen und bequem eingerichtete Lebensentwürfe in die Luft gewirbelt werden. Aus der kontroversen Diskussion um den »Vornamen« wird ein rasantes verbales Gefecht, bei dem jede/r der Anwesenden mehr als genügend Angriffsfläche bietet. Sind die Grenzen erst einmal überschritten, gibt es kein Halten mehr – und nicht nur der Wohnzimmertisch geht zu Bruch. Viel Vergnügen!

Familienforschung oder wie hundemüde Kinder zu aktiven Schauspielern werden

Ab dem 6. November, 15 Uhr,  steht eines der beliebtesten Kinderstücke der vergangenen Spielzeit wieder auf dem Spielplan der BOXX: „Wir alle für immer zusammen“ von Guus Kuijer. Darin geht es um die 11jährige Polleke, in deren Leben es gerade drunter und drüber geht. Ihre Mutter ist in den Lehrer verliebt, ihr Freund will nicht mehr mit ihr zusammen sein und auf den Vater ist sowieso kein Verlass. Ganz schön viel für eine 11-Jährige! Aber Polleke ist ein großartiges Mädchen, das mit Witz und Geradlinigkeit alle Probleme meistert. Parallel zu den Wiederaufnahmeproben der Schauspieler beschäftigten sich Kinder in den Herbstferien mit dem Stück und entwickelten ein eigenes Theaterspiel zum Thema Familie Praktikantin Alina Joy war beim  Familienforschungsprojekt in den Herbstferien dabei und schildert ihre ersten Eindrücke: Mittwochmorgen, ich werde an der Pforte des Theaters abgeholt und Lea Kaiser, eine der Theaterpädagoginnen des Theaters, führt mich durch ein Gänge-Labyrinth in Richtung BOXX.  Vorbei an vielen Türen, die wieder in spezielle Räume oder weitere Gänge führen. Ich helfe der Theaterpädagogin bei diesem Herbstferienprojekt, das sich mit dem Thema Familie befasst.  Das Ziel unserer Woche ist ein kleines Stück mit den Kindern, aber auch zu lernen wie man miteinander etwas erarbeitet. Die Kinder kommen und wollen gleich mit dem Theaterspielen anfangen. Doch genau wie „richtige“ Schauspieler bereiten sie sich erst einmal auf ihr Thema  und auf das schauspielerische Handwerk vor.  Zunächst werden verschiedene Aufwärm-Spiele gespielt um die Kinder „aufzuwecken“, denn da sie Ferien haben, sind sie alle noch etwas müde. Anschließend erklärt ihnen Lea, dass sie „Familienforscher“ sind und sich Fragen überlegen sollen die sie schon immer an Familien interessiert haben. Einige Fragen haben mich berührt, andere zum Schmunzeln gebracht: „Wieso streiten Eltern so oft?“ oder „ Warum sind Mama und Papa immer strenger als Oma und Opa?“ Am nächsten Tag dürfen wir bei den Proben von „Wir Alle für immer zusammen“ zugucken. Es ist total interessant die Schauspieler bei der Arbeit und auch von ihrer persönlichen Seite zu sehen. Anschließend sind die Kinder wieder dran. Singend und tanzend wärmen sie sich auf und dann heißt es endlich: „ Jetzt dürft ihr euch Szenen überlegen“. Nun können sie Theater spielen und gehen richtig auf in ihren Rollen auf. Natürlich gibt es auch Uneinigkeiten und kleine Auseinandersetzungen. Aber das gehört zur Theaterarbeit dazu. Je tiefer wir alle in das Stück einsteigen, umso mehr Spaß macht es, das kleine Schauspiel auf die Beine zu stellen. Am Ende der Probe sind die Kinder fast schon etwas traurig, dass die Zeit schon vorbei ist und sie nicht weiter das Stück entwickeln können. Die Ergebnisse des Familienforschungsprojektes werden am Freitag, 4. November, um 15 Uhr in der BOXX vorgestellt. Neues Familienformat: story|Boxx startet am 12. November Junge Theaterbesucher werden selbst zu Dichtern Übrigens sollten sich alle jungen Theaterfreunde den 12. November vormerken. Da steht noch einmal Polleke, die Hauptfigur des Stückes, im Mittelpunkt. Sie ist Dichterin. Aus diesem Grund startet am 12. November im Anschluss an die Vorstellung um 15 Uhr ein neues Familienformat für junge Theaterbesucher und ihre Eltern in der BOXX, in dem die Kinder selbst zu Dichtern werden können – die story|Boxx. Wie die Hauptheldin aus dem Stück können die Kinder in spielerischen Aktionen selbst Geschichten erfinden oder kleine dichterische Kunstwerke erschaffen. Außerdem wird mit Ausschnitten aus seinen anderen Büchern die Neugier auf weitere Polleke-Romane von Guus Kuijer geweckt. Anmeldung für die Vorstellungsbesuche und die story|Boxx unter 07131/563001 oder 563050

Keine Angst vor der Zukunft

Junges Theater stiftet Diskurs zwischen Heranwachsenden und gesellschaftlichen Entscheidungsträgern

Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages) und Dr. Wolfgang Hansch (experimenta) im Gespräch
Josip Juratovic (Mitglied des Bundestages) und Dr. Wolfgang Hansch (experimenta) im Gespräch

„Wie lautet diesmal Ihr Urteil?“, fragt Theaterintendant Axel Vornam den Vorsitzenden Richter am Heilbronner Landgericht Roland Kleinschroth. „Sie werden verurteilt, diese Veranstaltung zu wiederholen und von nun an fest in Ihr Repertoire aufzunehmen“, sagt er Richter mit gespielt ernstem Blick. „Im Ernst“, ergänzt er: „Der Polit- Brunch ist ein tolles Format und ich bin auch beim nächsten Mal gern mit dabei.“

Bianca Sue Henne, der Leiterin des Jungen Theaters, und ihren Kolleginnen von der Theaterpädagogik fällt ein Stein vom Herzen. Zum ersten Mal haben sie das neue Format der future|Boxx ausprobiert,  ein unkonventionelles Begegnungsformat, mit dem zum einen das Junge Theater den Dialog mit seinem Publikum eröffnet und das zum anderen Jugendliche und erwachsene Entscheidungsträger aus der Region an einen Tisch bringt. Heranwachsende und gestandene Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft begegnen sich hier gleichberechtigt auf Augenhöhe und diskutieren über Themen, die die Jugendlichen umtreiben. Das Ganze bei einem leckeren Brunch mit einer reichen Auswahl an herzhaften und süßen Speisen – Gastronom Matthias Hornung hatte sich selbst übertroffen.

Viele wichtige Heilbronner Persönlichkeiten aus den unterschiedlichsten Bereichen fanden die Idee spannend, als sie die Einladung erhielten, und hatten sich spontan bereit erklärt mitzumachen. So kamen, neben Richter Kleinschroth, auch Josip Juratovic, Mitglied des Bundestages für die SPD; Roland Häussermann, Geschäftsführer der Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young in Heilbronn; Uwe Ralf Heer, Chefredakteur der Heilbronner Stimme; Roswitha Keicher, Leiterin der Stabsstelle für Partizipation und Integration der Stadt Heilbronn; Agnes Christner, erste Bürgermeisterin von Heilbronn; Dr. Wolfgang Hansch, Geschäftsführer des Science Centers Experimenta; Dr. Michael Krötz, Facharzt für Radiologie, Susanne Eicher vom Schulamt Heilbronn, Charlotte Mischler, Kulturamtsleiterin; Nadine Ratz von der Stadtbibliothek Heilbronn; Marlene Neumann vom Welcome Center Heilbronn-Franken; Jakob Dongus, stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos; sowie Uta Koschel, Chefregisseurin, und Andreas Frane, Chefdramaturg des Theaters Heilbronn.
Bereits am Nachmittag vorher hatten sich die Jugendlichen getroffen, um gemeinsam ihre brennendsten Zukunftsfragen zu diskutieren und herauszuarbeiten, worüber sie am nächsten Tag reden wollten. Sie einigten sich auf Themenfelder wie Leistungsgesellschaft, Krieg, Konsum, Freiheit, Musik und Heilbronn.

Warum verdienen Leute, die unser Geld verwalten, mehr als Menschen, denen wir unsere Kinder und unsere Großeltern anvertrauen? Diese Frage wurde am „Konsum“- Tisch diskutiert. Was kann man tun, um diese Ungerechtigkeit abzuschaffen? Schnell landete die Runde an diesem Tisch bei TTIP und bei der Rolle der USA in der Weltpolitik.
Sehr viel konkreter ging es am Heilbronn-Tisch zu: Wie schaffen wir es, Alkoholikern und Drogensüchtigen zu helfen und sie nicht als Aussätzige der Gesellschaft zu betrachten? Oder warum ist die Radwegesituation in Heilbronn so schwierig?

Am Musiktisch ging es unter anderem um illegale Downloads und darum, dass man Musik noch besser ins gesellschaftliche Leben integrieren könnte, um für gute Laune zu sorgen.
Gibt es Freiheit ohne Regeln? Sollte man Menschengruppen mit Regeln oder lieber über Wertevermittlung führen?
Wie kann die Schule besser aufs Leben  und auf die Berufsfindung vorbereiten?

Wie können Medien erreichen, dass sich die Menschen wieder mehr für Fakten als für emotionalisierte und personalisierte Skandale interessieren? Wie kann man den Leuten nahebringen, dass es auch in der Flüchtlingsfrage keine einfachen und schnellen Lösungen gibt? Was ist Wohlstand? Was macht die digitale Revolution mit den Arbeitsplätzen? Wird es irgendwann den stationären Handel noch geben oder geht alles nur noch online? Wie kann man das Tempo im Alltag drosseln?

Nicht die Erwachsenen, die Jugendlichen gaben die Themen vor. An insgesamt sechs Tischen hatten sie gemeinsam in gemischten Gruppen Platz genommen. „Für mich war es überraschend, dass wir wirklich auf Augenhöhe diskutiert haben“, schrieb eine der  Jugendlichen als ihr Fazit an die Pinnwand. Ein anderer resümierte, dass er verblüfft war, wie interessant politische Gespräche sein können.

Agnes Christner (Sozialbürgermeisterin der Stadt Heilbronn) und Chefregisseurin Uta Koschel beim politBrunch
Agnes Christner (Erste Bürgermeisterin der Stadt Heilbronn) und Chefregisseurin Uta Koschel beim politBrunch

Dass die Unterhaltungen sehr angeregt verliefen wurde deutlich, als keiner der future|Boxx-Teilnehmer die Veranstaltung nach dem offiziellen Ende verlassen wollte, sondern dass alle weiter redeten. „Der Ruf der Jugend, sie sei desinteressiert und denke nur an sich, ist nicht gerecht“, findet Josip Juratovic bestätigt. Einige Jugendliche wollen von ihm künftig im wöchentlichen Newsletter über seine Bundestagsarbeit informiert werden – ein Schritt zu einem Punkt, der den Heranwachsenden sehr wichtig ist: Transparenz in der Politik.
Dr. Wolfgang Hansch nimmt für sich als Fazit mit: „Man sollte Jugendlichen mehr zuhören und weniger selbst reden. Denn es ist ihre Zukunft, die wir heute gestalten.“
Auch Themenwünsche für die nächste future|Boxx wurden festgehalten: Globalisierung, gesellschaftliche Partizipation, Heimat, Gleichberechtigung, Sicherheit, soziale Ausgrenzung … Alle Teilnehmer wollen auch beim nächsten Mal wieder dabei sein.

Das Junge Theater sammelt die Gedanken, die an diesem Tag ausgetauscht wurden, und hat schon erste Ideen, wie sich zumindest einige der Themen im Spielplan für die Saison 2017/2018 wiederfinden können.

Eine Woche am Jungen Theater Heilbronn gegen Rechtsextremismus

Robin Brodt von der Landeszentrale für politische Bildung
Robin Brodt von der Landeszentrale für politische Bildung

 

Die Zahlen sprechen für sich. Politisch motivierte Straftaten nehmen zu. Waren es 2013 in Baden-Württemberg 925 stieg die Zahl 2015 auf 1604. Allein 1408 Straftaten in 2015 hatten in Baden-Württemberg einen rechtsextremen Hintergrund. Mit Stand 20. Oktober dieses Jahres wurden die ohnehin schon hohen Zahlen des Vorjahres im Bereich Angriffe auf Asylsuchende übertroffen. Gab es 2015 vier verletzte Asylsuchende in Baden-Württemberg, sind es bis zum 20. Oktober 2016 schon 28. Doch diese Zahlen, die Robin Brodt von der Bundeszentrale für politische Bildung in seinem Eröffnungsreferat über „Die extreme Rechte in Baden-Württemberg“ nannte, sind nur die Spitze des Eisberges. Rechtsextreme sind nicht mehr so einfach zu erkennen und sie agieren nicht mehr am Rand der Gesellschaft. Rechtspopulistische Strömungen verkünden ihre Propaganda auf Demonstrationen und Wahlveranstaltungen – PEGIDA und ihre Ableger in den verschiedenen Regionen Deutschlands und die neue Partei AfD polemisieren laut gegen Flüchtlinge und eine angebliche Überfremdung Deutschlands und sammeln Kräfte aus allen sozialen und intellektuellen Schichten. Die jüngst erschienene Mitte-Studie 2016 der Universität Leipzig unter der Überschrift „Die enthemmte Mitte“ zeigt, wie weit antidemokratisches und rechtsextremes Gedankengut in den Köpfen verbreitet ist: Jeder Zehnte wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent der Bürger glauben, dass Juden zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen.

„Wir haben das Gefühl, dass in der Gesellschaft etwas brennt“, sagt Bianca Sue Henne, die Leiterin des Jungen Theaters Heilbronn. „Wir wollen und müssen dazu Stellung beziehen.“ Deshalb steht die Inszenierung „Kriegerin“ nach dem gleichnamigen Film von David Wnendt auf dem Spielplan, die eindringlich zeigt, welches Verführungspotential rechte Ideologien für Jugendliche haben können, wie sie sich radikalisieren, aber auch, was passiert, wenn sie den Ausstieg versuchen. Vom 24.-28. Oktober hat das Junge Theater eine ganze Themenwoche rund um die Inszenierung „Kriegerin“ gestrickt, die weit über das ohnehin schon große theaterpädagogische Programm zum Stück hinausgeht. Die jugendlichen Theaterbesucher absolvieren jeweils vor den Vorstellungen einen Workshop. Im Anschluss an die Vorstellungen gibt es Nachgespräche mit den Darstellern und den Theaterpädagogen. Außerdem finden drei ganztägige Workshops der Landeszentrale für politische Bildung unter der Überschrift „Planspiel Soundcheck“ statt. Hier geht es um die „Einstiegsdroge“ rechtsradikale Musik, die mit eingängigen Rhythmen über Ohr und Emotionen mit ihren Texten den Weg direkt ins Hirn der Jugendlichen findet.
Robin Brodt beschreibt, dass die Schulhof-CDs mit rechtsextremer Musik, immer noch gratis unter Heranwachsenden verteilt werden und sich vordergründig gegen „Pauker und Spießer“ richten um unterschwellig das rechte Gedankengut in die Köpfe zu pflanzen. Rechte nutzen darüber hinaus ihr ehrenamtliches Engagement in Sportverbänden oder engagieren sich in Elternvertretungen.

Rund 1800 Personen gehören in Baden-Württemberg zur organisierten rechtsextremen Szene. Den aktivsten Kreisverband der NPD habe die Region Heilbronn-Franken, erklärt der Referent. Darüber hinaus entwickeln sich weitere Strömungen wie die Identitäre Bewegung, die aus Frankreich kommt. Deren Mitglieder gerieren sich nicht als Nazis, aber als Verteidiger der deutschen bzw. der abendländischen Kultur. Auch unter dem Deckmantel der Verteidigung konservativer Werte sammeln sich viele Gruppierungen mit rassistischen, völkischen und demokratiefeindlichen Ansichten.

Der Referent verwies aber auch auf die vielen Kräfte, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren und Menschen, die aus der Szene austeigen wollen:

Von der tiefen Klugheit der Kinder

Bianca Sue Henne ist die neue Leiterin des Jungen Theaters

Foto: Thomas Braun
Foto: Thomas Braun

Zum Abschied aus Nordhausen hat Bianca Sue Henne von ihren Kollegen unter anderem eine orangefarbene Maus geschenkt bekommen. Ja, DIE Maus, aus der »Sendung mit der Maus«. Nicht nur weil die neue Leiterin des Jungen Theaters Heilbronn eine leidenschaftliche Sendung-mit-der-Maus-Guckerin ist, sondern weil sie auch den Maus-Türöffner-Tag am Theater Nordhausen installiert hat. Dieses Ereignis auch nach Heilbronn zu holen, ist eine ihrer ersten Amtshandlungen an ihrer neuen Wirkungsstätte. Am 3. Oktober 2016 lädt das Junge Theater Heilbronn erstmals zum Maus-Türöffner-Tag und damit die kleinen Besucher zu einem aufregenden Blick hinter die Kulissen ihres Theaters ein – Anmeldungen ab September über die Internetseiten der »Sendung mit der Maus«. Die 38-jährige mit dem roten Lockenkopf freut sich schon auf die neugierigen Fragen und die klugen Kommentare der Knirpse, wenn sie ganz aus der Nähe erleben, wie ein Theaterstück entsteht.

Theater für Kinder und Jugendliche zu machen, ist für sie eine Herzensangelegenheit, die sich im Laufe der letzten Jahre manifestiert hat. Dass sie überhaupt ihren Weg ans Theater finden würde, war in ihrer Jugend keineswegs abzusehen. Ihr Vater ist Schlosser, die Mutter Wirtschafterin, kulturelle Bildung spielte im Elternhaus keine große Rolle. »Aber ich hatte so einen Hunger danach«, sagt Bianca Sue Henne, der in der 20 000 Einwohner zählenden Stadt Brilon im Sauerland kaum befriedigt werden konnte. Sie lernte Flöte und Gitarre und finanzierte sich mit Nachhilfestunden selbst den Gesangsunterricht bei einer ehemaligen Opernsängerin der Staatsoper unter den Linden. Doch für ihren großen Traum, selbst Opernsängerin zu werden, hatte sie viel zu großes Lampenfieber, das sich sofort auf die Stimme setzte. Also suchte sie einen anderen Weg zur Bühne und studierte Theaterwissenschaft, Komparatistik und Philosophie in Bochum und lernte Theater zu gucken und darüber zu sprechen. Nebenbei arbeitete sie in unterschiedlichen Funktionen an Theatern. Sie leitete ein Theaterprojekt mit türkischen Jugendlichen, absolvierte Dramaturgiehospitanzen am Schauspielhaus Bochum, arbeitete als Regieassistentin beim ppp Musiktheaterverein, der sich auf Wiederentdeckungen romantischer Opern spezialisiert hatte, war Regieassistentin an der Kammeroper Köln und beendete nebenbei ihr Studium als Magister.

Ihr erstes Festengagement führte sie dann 2006 als Theaterpädagogin ans thüringische Theater Nordhausen. »Ich kam in eine Stadt, die gerade um den Erhalt des Theaters kämpfte. Viele Leute gingen auf die Straße, weil sie es wichtig fanden, ein Theater zu haben, auch wenn sie selbst nicht hingingen. Jetzt, zehn Jahre später, gehen sie alle.« In dieser Dekade leistete Bianca Sue Henne dort eine große Aufbauarbeit im Kinder- und Jugendbereich, nicht nur als Theaterpädagogin, sondern auch als Dramaturgin und Regisseurin. Ihre erste Inszenierung war »Moby Dick«, ein Stück, in dem es eigentlich keine Frauenfiguren gibt, gespielt von zwei Damen, erzählt sie lachend. Bald schrieb sie ihr erstes Stück »Die kleine Meerjungfrau« in einer Fassung für zwei Schauspielerinnen, eine Sängerin und eine Harfe. Weil es so wenig zeitgenössische Musiktheaterstücke für junges Publikum gibt, schrieb sie eigene Opern für Kinder wie »Kannst du pfeifen, Johanna«, die nach Nordhausen jetzt auch in Augsburg gespielt wurde, und für junge Erwachsene »Bonnie und Clyde«, die in der kommenden Spielzeit in Nordhausen Premiere haben wird. Sie absolvierte eine Zusatzqualifikation als Figurentheaterspielerin und integrierte das Puppenspiel mit in die Angebote für Heranwachsende. Drei Jahre lang spielte sie ihr Stück »Der Luftballonverkäufer« von Roberto Frabetti. Ihr Steckenpferd sind genreübergreifende Projekte wie zuletzt »Die Tänzerin von Auschwitz«, eine Inszenierung für zwei Tänzer und zwei Puppenspieler, die von der Kulturstiftung des Bundes unterstützt wurde, und mit der sie sich jetzt aus Nordhausen verabschiedet hat.
Die Stellenausschreibung von Heilbronn kam für sie zu einer guten Zeit. »Mein nächstes künstlerisches Ziel war es, eine junge Sparte zu leiten« erzählt sie. Dass es diese Sparte gibt, weil sie sehr gewollt ist und gerade erst gegründet wurde, und nicht, weil sie seit alters her dazu gehört, ist ein zusätzliches Argument gewesen, sich für Heilbronn zu bewerben. Tatsächlich mag sie das Schwäbische, die Landschaft mit den Weinbergen, die sogar vom Stadtzentrum aus zu sehen sind, die Größe der Stadt, die alles bietet und trotzdem gemütlich ist. Die Arbeit von Intendant Axel Vornam kannte sie noch aus seiner Zeit in Thüringen und hat sie aus der Ferne auch in Heilbronn verfolgt.

Schon in ihrer Bewerbungsphase hat sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Patrick Jech, einem Figurentheaterspieler, die Stadt Heilbronn erkundet und versucht, ihren Geist zu erspüren. Sie hat sich über die wichtigsten Ansprechpartner in allen Bereichen informiert, um später Kontakte für das Junge Theater knüpfen zu können.
Dialog mit den Zuschauern ist ihr wichtigstes Stichwort. Sie meint damit einen Dialog, der weit über die bekannten Publikumsgespräche hinausgeht. In der future|BOXX möchte sie gemeinsam mit ihrem Publikum die Themen erkunden, die auf den Nägeln brennen und diese in den Spielplan aufnehmen. Gesellschaftliche Mitbestimmung fängt nicht erst im Wählalter an, sagt sie.
Für ihre Art von Theater braucht sie Mitstreiter, die sich bewusst für die herausfordernde Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entscheiden. »Wer Kindern und Jugendlichen einen gleichberechtigten Dialog anbietet, wird Erstaunliches erleben«, sagt sie. »Kinder lassen großzügig an ihrer Sicht auf die Welt teilhaben, zu der der Zugang für Erwachsene sonst schwer ist. Ihre Weltsicht weicht von unserer ab, und diese Reibung erzeugt Komik, aber wer sich wirklich auf die Erklärungen des Kindes einlässt, wird feststellen, dass seine Welt sehr logisch aufgebaut ist, was für eine tiefe Klugheit spricht. Und Jugendliche sind bereit, sich zu öffnen, wenn sie merken, dass es wirklich um sie geht, dass sie gefragt sind und ihre Antwort zählt. Das gilt auch für die Kommunikation zwischen Bühne und Zuschauerraum.«

Turmhohe Wellen

 »Der fliegende Holländer« von Richard Wagner kommt als Gastspiel aus Heidelberg

»Selten hat man turmhohe Wellen so schäumen gehört«, jubelte der Kritiker des Neuen Merkers Wien über Lydia Steiers Inszenierung der Oper »Der fliegende Holländer«, die im April 2016 in Heidelberg Premiere hatte. Nun kommt die Inszenierung der international renommierten Regisseurin als Gastspiel für 9 Vorstellungen zwischen Oktober 2016 und Februar 2017 nach Heilbronn. Das hiesige Publikum kennt unter anderem Lydia Steiers opulente Inszenierung des Händel-Oratoriums »Saul«, die hier als Gastspiel des Staatstheaters Oldenburg zu sehen und für den Theaterpreis »Faust« nominiert war.
Die frühesten Versionen des Stoffes vom fliegenden Holländer sind aus dem 18. Jahrhundert überliefert. Heinrich Heine, dessen Handlungsverlauf aus den »Memoiren des Herren von Schnabelewopski« Richard Wagner als Grundlage für sein Opernlibretto diente, fasste die Fabel folgendermaßen zusammen: »Es ist die Geschichte von dem verwünschten Schiffe, das nie in den Hafen gelangen kann, und jetzt schon seit undenklicher Zeit auf dem Meere herumfährt. (…) Jenes hölzerne Gespenst, jenes grauenhafte Schiff, führt seinen Namen von seinem Kapitän, einem Holländer, der einst bei allen Teufeln geschworen, dass er irgendein Vorgebirge, dessen Name mir entfallen, trotz des heftigsten Sturms, der eben wehte, umschiffen wolle, und sollte er auch bis zum Jüngsten Tage segeln müssen. Der Teufel hat ihn beim Wort gefasst, er muss bis zum Jüngsten Tage auf dem Meere herumirren, es sei denn, dass er durch die Treue eines Weibes erlöst werde. Der Teufel, dumm wie er ist, glaubt nicht an Weibertreue, und erlaubte daher dem verwünschten Kapitän alle sieben Jahr einmal ans Land zu steigen, und zu heiraten, und bei dieser Gelegenheit seine Erlösung zu betreiben …«
1843 in Dresden uraufgeführt, ist »Der fliegende Holländer« Richard Wagners erste romantische Oper und gilt als Durchbruch zu seinem eigenen Stil. »Aus den Sümpfen des Lebens« sei ihm dieses »mythische Gedicht des Volkes so wiederholt und mit unwiderstehlicher Anziehungskraft« aufgetaucht, schrieb Richard Wagner. Seiner Komposition liegt ein eigenes Erlebnis zugrunde. 1839 gerieten Richard und Minna Wagner auf einem Handelsfrachter in einen Sturm, bei dem sie um ihr Leben fürchteten. Minna habe sich dabei, so heißt es, mit einem Tuch an ihren Mann binden lassen, um notfalls gemeinsam mit ihm zu sterben. Wagner suchte nach einer Möglichkeit, um dieses Erlebnis zu verarbeiten. Ob es dabei um Erlösungsprojektionen geht oder um die Macht der Phantasie, um Fanatismus oder Opfermut – in jedem Fall entwarf Wagner mit Senta das Porträt einer jungen Frau, die sich mit so kraftvoller wie provozierender Unbedingtheit und bis um den Preis des Todes ihrer Überzeugung verschreibt.
Regisseurin Lydia Steier zeichnet in ihrer Inszenierung mit dem Holländer und Senta zwei Außenseiter, die wie im Brennglas verdichtete Symptome einer Gesellschaft sind, die zu Gesicht bringt, was diese produziert und dann verdrängt, erläutert die Regisseurin. Sie sagt: »Das Bild des Holländers, den das jahrhundertelange Ausgesetzthollaender_khp_p_011

Lieblingsstück ist immer das aktuelle

Uta Koschel ist die neue Chefregisseurin

Foto: Thomas Braun
Foto: Thomas Braun

Eigentlich verbietet sich das Attribut neu im Zusammenhang mit Uta Koschels Tätigkeit am Theater Heilbronn. Denn seit Beginn von Axel Vornams Intendanz 2008 ist die Regisseurin fast jedes Jahr mit einer oder mehreren Inszenierungen am Berliner Platz vertreten und prägt somit auch schon seit langem das künstlerische Profil des Hauses mit. Mit Inszenierungen wie zuletzt »Ziemlich beste Freunde«, »Das Fest«, »Der nackte Wahnsinn« oder »Die Katze auf dem heißen Blechdach« hat sie bereits wichtige Akzente gesetzt. Neu ist jetzt ihre Position am Theater. Ab dieser Spielzeit übernimmt sie als Chefregisseurin die Nachfolge von Alejandro Quintana. Sie wird nicht nur verschiedene Inszenierungen verantworten, sondern auch den Spielplan mitgestalten und ein wichtiger Ansprechpartner für das Schauspielensemble sein.
Die Theaterleidenschaft hat sie mit in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Mutter war Schauspielerin, der Vater Dramaturg. Nach dem Abitur studierte Uta Koschel an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin Schauspiel und ging nach dem Studium 1989 mit einer Gruppe von sieben jungen Absolventen ans Theater Rudolstadt, wo der seinerzeit jüngste Oberspielleiter des Landes, Axel Vornam, ein aufregendes und neues Konzept ausprobieren durfte. Zweite Hausregisseurin war damals Konstanze Lauterbach, und die jungen Schauspieler wurden durch diese zwei sehr unterschiedlichen Regisseure sehr gefordert. Nächtelang diskutierten alle gemeinsam über künstlerische Konzepte und Figurenzeichnungen. Eine gute Schule, prägend bis heute. Das Theater Rudolstadt machte sich damals weit über die Grenzen Thüringens hinaus einen Namen. Als Uta Koschel während eines Probenzyklus mal nicht besetzt war, übernahm sie die Regieassistenz für eine Inszenierung. »Daher rührt mein großer Respekt für alle Regieassistenten«, sagt sie. Offenbar kniete sie sich so hinein, dass Axel Vornam sie fragte, ob sie es nicht mal selbst versuchen möchte, Regie zu führen. Der ersten Inszenierung, einer Ufa-Schlagerrevue »Wir machen Musik«, folgten bald weitere Regiearbeiten. Der Perspektivwechsel vom Schauspieler, der sich gedanklich und emotional mit seiner Rolle auseinandersetzt, hin zum analytischen Gestalter, der die Figuren miteinander in Beziehung bringt und mit den unterschiedlichsten Mitteln einen Text mit Leben erfüllt, gefiel ihr zunehmend gut. Ihr nächstes Engagement in Greifswald/Stralsund von 1996  bis 2003 unterschrieb sie dann schon als Schauspielerin mit Regieverpflichtung. Bis sie eines Tages beschloss, ausschließlich als Regisseurin zu arbeiten. Zunächst war sie freischaffend tätig unter anderem in Leipzig, am Maxim-Gorki-Theater Berlin, in Schleswig, Magdeburg und weiterhin in Greifswald/Stralsund. Dann kehrte sie als Oberspielleiterin nach Rudolstadt zurück, wo Axel Vornam inzwischen Intendant war. Dort inszenierte sie unter anderem »Yvonne, die Burgunderprinzessin«, den »Sommernachtstraum« und »Romeo und Julia« von Shakespeare, »Die Ratten« von Gerhart Hauptmann oder die deutsche Erstaufführung von »Hafen der Sehnsucht« von Armin Petras. Sehr viel Spaß macht ihr auch die Arbeit mit Schauspielstudenten. So erarbeitete sie mit Studierenden der Schauspielschulen in Leipzig, Rostock und der Ernst-Busch-Hochschule in Berlin ihre jeweiligen Abschlussinszenierungen.

Nach nunmehr acht erfolgreichen Jahren der Freiberuflichkeit, in denen Berlin ihr Lebensmittelpunkt war und sie an vielen Theatern in ganz Deutschland gearbeitet hat, hat sie nun wieder Sehnsucht nach einem festen Haus. Heilbronn schätzt sie nicht nur wegen des sehr feinen Ensembles, wie sie sagt. Kürzlich hat sie in einer Woche so unterschiedliche Inszenierungen wie »Der nackte Wahnsinn«, »Der Auftrag« und »The Rocky Horror Show« gesehen und dabei zum Teil die gleichen Schauspieler völlig unterschiedlich erlebt. »Für diese Vielfalt liebe ich Theater.« Aber auch die Werkstätten seien großartig, das ganze Haus außergewöhnlich gut organisiert und von einem hohen Arbeitsethos geprägt. Die Stadt ist, wenn auch nicht hübsch, so doch quirlig und dynamisch, das Publikum überaus wach und dem Theater sehr zugetan. Einen Wermutstropfen hat ihr Engagement im Südwesten: Mit ihrem Lebensgefährten Jon-Kaare Koppe, Schauspieler in Potsdam, wird sie weiter eine Fernbeziehung führen. Schon seit der Schauspielschule sind die beiden ein Paar.
Die Schauspielerin merkt man ihr auch noch deutlich an. Wenn sie Dinge beschreibt, tut sie dies mit intensiver Mimik und sehr gestenreich. »Die vier Jahre Studium und die vielen Jahre auf der Bühne haben mich natürlich geprägt, und sie sind für meine Arbeitsweise sehr wichtig«, sagt sie. Eine bestimmte, sofort erkennbare Ästhetik als Markenzeichen habe sie nicht. Sie entwickelt die Inszenierung immer aus dem jeweiligen Stoff heraus gemeinsam mit ihrem Team. Dass sie beide Seiten sehr gut kennt: Die Einsamkeit des Regisseurs, von dem alle die richtige Entscheidung erwarten, und die Ängste des Schauspielers, eine Rolle eventuell nicht zu bewältigen, macht sie nicht nur zur Autoritäts- sondern auch zur Vertrauensperson.
Welches ist ihr Lieblingsstück? »Im besten Fall immer das, an dem ich gerade arbeite«, sagt sie. Freuen wir uns also auf Uta Koschels aktuelles Traumstück »Der Besuch der alten Dame«, mit dem die Theatersaison 2016/17 eröffnet wird.

Mit »Don Quijote« verabschiedet sich Alejandro Quintana als Chefregisseur

Alejandro QuintanaAcht Jahre lang hat Alejandro Quintana als Chefregisseur die künstlerische Entwicklung im Schauspiel des Theaters Heilbronn mitgeprägt. Jetzt verabschiedet er sich mit der Inszenierung des »Don Quijote« und geht mit 65 Jahren in den Un-Ruhestand, will heißen: in die freie berufliche Arbeit. »Denn richtige Theaterleute gehen nie in Pension«, sagt er. Der »Don Quijote« nach Cervantes ist ihm eine Herzensangelegenheit. Der Stoff hat in Lateinamerika, Quintana stammt aus Chile, mindestens die Bedeutung wie bei uns Goethes »Faust« und wurde von einer Jury aus 100 bekannten Schriftstellern 2002 zum besten Buch der Welt gekürt. Kein Wunder, meint Alejandro Quintana. Diese Geschichte über den verrückten Ritter ist, wenn man genauer hinschaut, ein zutiefst philosophisches Werk über das Leben in all seinen Facetten. Es geht um die Suche nach Gerechtigkeit, um tiefe Freundschaft, ums Scheitern und Weitermachen, um Träume, Utopien und darum, dass man alles wagen muss, damit sie wahr werden. Don Quijote prägt die Menschen in Lateinamerika von Kindesbeinen an. Er ist dort, wo das Leben viel schwieriger ist als hier in Deutschland, Trost und Ermunterung zum Aufbegehren zugleich. Dieser Held seiner Kindheit und Jugend hat Alejandro Quintana auch in seine zweite Heimat Deutschland begleitet, in der er seit 43 Jahren lebt. »Fast hätte ich den Luxus, in dem wir hier arbeiten können, als Selbstverständlichkeit gesehen«, sagt er. Aber als er 2014 nach über 40 Jahren wieder in Santiago de Chile inszeniert hat, wurde ihm bewusst, auf welcher Insel der Glückseligen wir leben; erst recht in einer wohlhabenden, prosperierenden Stadt wie Heilbronn.
Acht Jahre Heilbronn. Was wird für ihn bleiben? Erinnerungen an eine wunderbare Theaterzeit mit einem unglaublich interessierten Publikum, wie er es in keiner anderen Stadt bisher erlebt hat. Gute Schauspieler, die im Laufe der Jahre noch besser geworden sind und auf jeder Bühne bestehen könnten. Inszenierungen, von denen er sagt, es seien alles seine Kinder. »Das eine hat eine zu lange Nase, das nächste zu große Ohren – aber ich stehe zu ihnen und liebe jedes  auf seine Weise.« Heilbronn wird aber auch ewig mit einem der bittersten Momente seines Lebens verbunden sein: Ein Journalist hat versucht, mit gegen ihn gerichteten Stasi-Vorwürfen den Neuanfang am Theater unter Intendant Axel Vornam zu torpedieren. Und das, indem er diese gezielt zwei Tage vor dem Start der neuen Mannschaft in der Presse lancierte. Durch gründliche Recherchen anderer Medien erwiesen sich die Anschuldigungen schnell als unhaltbar. Mit dieser bedrohlichen Erfahrung ist aber auch eine seiner schönsten eng verbunden, sagt Alejandro Quintana: Die Haltung der Stadt Heilbronn, der Zuschauer und des Intendanten, die besonnen reagiert und ihm die Chance zur Aufklärung gegeben haben. Er ist immer noch berührt, wenn er an seine Eröffnungspremiere von »Nathan der Weise« denkt, als die Zuschauer im ausverkauften Saal minutenlang im Stehen applaudiert haben. »Ich habe die Stadt sehr zu schätzen gelernt«, sagt Alejandro Quintana. Denn schon damals habe sich gezeigt, dass das Zusammenleben in Heilbronn von einer starken funktionierenden Bürgerschaft geprägt sei, die Verantwortung übernimmt. Heilbronn sei ein Musterbeispiel an Integration. »Humanismus und Bürgerlichkeit im besten Sinne gehen hier zusammen«, sagt er und ergänzt: »Den Leuten geht es gut, sie können sich das leisten.«
Zusammen mit seiner Partnerin Sylvia Bretschneider zieht Alejandro Quintana nun ins Mecklenburgische Feldberg, in die Nähe von Familie und Freunden. Den Ort und die Menschen dort kennen die beiden aus vielen Urlauben, da wollen sie leben und, so ist es verabredet, zusammen mit der Gemeinde kulturelle Projekte für Menschen der unterschiedlichsten Altersgruppen entwickeln. Außerdem warten auf Alejandro Quintana Aufgaben als Schauspieldozent und Regieaufträge von verschiedenen Theatern. Zudem wird er mindestens alle 18 Monate in Chile ein Schauspiel realisieren. Seine jüngste Inszenierung »Fausto sudaca« feierte im Dezember Premiere in Santiago de Chile und wurde von der Kritik überschwänglich gefeiert. »Ein mitreißendes und faszinierendes Stück Theater, was vor allem auch der Inszenierung Alejandro Quintanas geschuldet ist. Dem Chefregisseur am Theater Heilbronn gelingt es, seine Ansprüche an das Bühnenspiel glänzend einzulösen: ›Das Theater muss durch Augen und Ohren dringen, auf den Magen schlagen und den Kopf erreichen. Sehen, fühlen, eine Katharsis ermöglichen und das Denken anregen‹«, heißt es in einer Kritik. Typisch Alejandro!
Deshalb ist es schön, dass er Heilbronn auch weiterhin als Regisseur verbunden bleibt. Aber erst einmal freuen wir uns auf seinen »Don Quijote«.

Immer im Kontakt mit dem Publikum

Leiter Besucherservice und Vertrieb: David Eberhard

David_Eberhard_01Seit September 2015 leitet David Eberhard den Besucherservice und Vertrieb des Theaters Heilbronn, ist Chef aller Bereiche, die in direktem Kontakt zum Publikum stehen, wie die Theaterkasse, das Abonnentenbüro, der Einlass- und Garderobendienst. Trotz seiner Jugend hat er sich sehr schnell die Wertschätzung seiner Kolleginnen und Kollegen erarbeitet. Denn David Eberhard gilt nicht nur als freundlich und zuvorkommend, mit großen Kenntnissen im Theater- und Kulturbereich. Er setzt sich auch selbst an die Kasse und übernimmt persönlich Einlass- und Garderobendienste. „Ich kann nur dann ein guter Leiter sein, wenn ich selbst weiß, wie alles funktioniert“, sagt er. Außerdem mag er den direkten Kontakt mit dem Publikum und findet die Liebe der Heilbronner zu ihrem Theater schon außergewöhnlich. Das äußere sich nicht nur in den unwahrscheinlich hohen Abonnentenzahlen, die in Deutschland spitze sind, sondern auch in der „Feedback-Kultur“ der Zuschauer. Wenn beispielsweise jemand extra in den Besucherservice kommt, nur um Bescheid zu sagen, dass ihm eine Inszenierung gefallen habe, sei das sehr schön. Und wenn Kritik geübt werde, dann habe er das bisher größtenteils nicht als Gemecker, sondern als konstruktive Einlassung erlebt.

David Eberhard stammt aus Dresden und hat bis zum Sommer 2015 als Mitarbeiter des Künstlerischen Betriebsbüros am Staatsschauspiel Dresden gearbeitet. Ursprünglich gehörte seine Liebe der Musik, seit seinem 9. Lebensjahr war er Mitglied des Philharmonischen Kinderchores in Dresden, eines der namhaftesten Chöre in Deutschland, der mit vielen bedeutenden Dirigenten zusammenarbeitet. Als er sich nach dem Abitur für das Studium „Kultur und Management“ in Görlitz und der Musikwissenschaften in Rom entschied, sah er sich zukünftig als Manager eines Chores oder eines Orchesters. Doch der Zufall brachte ihn zum Sprechtheater.

„Es gibt keinen Ort, den Theaterbetrieb besser kennenzulernen, als in einem Künstlerischen Betriebsbüro. Das ist die Schnittstelle, wo alle Fäden zusammenlaufen“, sagt er. Sein Verantwortungsbereich waren neben den tagesaktuellen Planungen vor allem die Organisation von Festivals und Gastspielen – eine spannende Zeit. Da in Dresden ein Intendantenwechsel ins Haus stand, suchte er nach neuen Herausforderungen und kam als Leiter des Besucherservice und Vertrieb eben nach Heilbronn. Er ist selbst begeistert wie vielfältig die neuen Aufgaben sind. Er kümmert sich um die Vermietung der Theaterspielstätten und Foyers an externe Nutzer oder um Besuchergruppen und die Vermittlung ihrer gastronomischen Wünsche. Er betreut Künstler, die ein Gastspiel am Theater Heilbronn haben. Und er versucht die Spezifik verschiedener Publikumsschichten zu ergründen und gemeinsam mit seinem Kollegen Johannes Pfeffer vom Marketing neue Strategien der Zuschauerbindung zu entwickeln. Um die wachsende Studentenschar dieser Stadt für das Theater zu interessieren, sind Gespräche mit den Studentenvertretungen der Hochschulen geplant. Neue Angebote für unterschiedliche Zielgruppen werden geschnürt, die Abo-Strukturen werden weiterentwickelt. Es gibt viel zu tun, um die hohe Zahl an Zuschauern zu halten und neue Kreise zu gewinnen. Aber David Eberhard ist mit seinen Ideen noch längst nicht am Ende.