Mit Literatur die Welt verstehen

Eva Bormann ist Dramaturgin und Autorin

Eva_Bormann_02Wenn man, wie Eva Bormann, in Weimar geboren wird, ist die Nähe zu Literatur und Theater fast in die Wiege gelegt. Die kleine Stadt in Thüringen steht als Synonym für Kultur und der Geist von Goethe und Schiller, aber auch von Liszt und Nietzsche ist allerorten spürbar. Eva Bormann hat als Schülerin im Abenddienst des Nationaltheaters gearbeitet und auch unzählige Inszenierungen im Schauspiel und Musiktheater angeschaut. Am Theater zu arbeiten, kam für sie aber erst einmal nicht in Frage: „Ich hatte einen viel zu großen Respekt vor dem dort versammelten Wissen“, sagt sie. Sie studierte dann zwar Theater- und Literaturwissenschaft und Soziologie in Leipzig, aber ihr Schwerpunkt lag bei der Literatur. Sie sah sich zukünftig als Wissenschaftlerin Bücher wälzen, allein mit sich und den bedeutenden Werken dieser Welt. Doch dann wollte es der Zufall, dass sie während des Studiums die Betreuung eines Stückes als Regieassistentin am Theater der Stadt Aalen angeboten bekam. Und wieder einmal bestätigt sich, dass, wer einmal so richtig Theaterluft geschnuppert hat, nicht wieder davon loskommt. Es folgte gleich die zweite Assistenz in Aalen und eine Lesung mit eigenen Texten – davon gleich mehr-, die sie selbst gestalten durfte. Nach einem dreijährigen Ausflug in die Wissenschaft ans Simon-Dubnow-Institut für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig von 2007 bis 2009 ging es dann doch wieder ans Theater, in die Dramaturgie. Zunächst für ein halbes Jahr nach Wiesbaden und dann von 2010 bis 2015 ans Theater Marburg. Seit Sommer 2015 ist sie Dramaturgin am Theater Heilbronn, wo sie vorrangig für das Junge Theater, aber auch für Stücke im Abendspielplan verantwortlich ist. Ihre erste Dramaturgie hier am Haus hatte sie für „Leben des Galilei“.

Bereits in den Anfangsjahren ihres Studiums begann sie eigene Texte zu verfassen. Schreiben ist ihr Medium, um die Welt zu begreifen, um die Beziehungen zwischen den Menschen zu analysieren und auf den ersten Blick Unverständliches zu ordnen. Zunächst waren es Gedichte, die sie zusammen mit einer befreundeten Schauspielerin in musikalischen Lesungen dem Publikum vorstellte. Vor zwei Jahren hat sie mit Prosatexten begonnen und jetzt sind auch dramatische Texte im Entstehen. Ein Thema, das sie als Autorin immer wieder umtreibt, sind die Geschlechterklischees. „Wo lassen sich Rollenbilder auflösen oder wo müssen sie manifest sein?“ Einige ihrer Gedichte sind bereits in Anthologien erschienen. Im Frühjahr 2014 war sie als Autorin Artist-In-Residence der »maumau art residency« in Istanbul und 2015 Stipendiatin beim 19. Literaturkurs der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Sie arbeitet immer an mehreren Texten gleichzeitig – vor allem nachts, wenn die Theaterarbeit ruht: „Die Texte melden sich bei mir, wenn sie weitergeschrieben werden wollen“, beschreibt sie. Dabei geht sie sehr sorgfältig vor, bemüht sich, mit Worten genau die Bilder entstehen zu lassen, die sie im Kopf hat. Wann sie zum Schlafen kommt, ist ein Rätsel. Aber mit dem Schreiben erholt sie sich von ihrer dramaturgischen Arbeit und umgekehrt, erzählt sie. Dabei sind beide Tätigkeiten eng miteinander verwandt.

Denn das genaue Beobachten und präzise Beschreiben ist auch für sie Dramaturgin essentiell. Intensiv begleitet sie die Proben, saugt wie ein Schwamm alle Eindrücke auf und vermittelt diese ihren künstlerischen Partnern. „Ich mag die Fragen, die Schauspieler stellen, auf die würde ich niemals kommen. Denn es ist ein Unterschied, ob man als Regisseur gemeinsam mit der Dramaturgie eine Konzeption entwirft oder man als Figur darin agiert.“ Auffällig an Eva Bormann ist, dass sie in diesen Gesprächen immer genau und geduldig zuhört und ihre Antworten sehr überlegt formuliert. „Ich glaube, wenn der Dialog innerhalb einer Inszenierung gut ist, überträgt sich dieses Klima auch aufs Publikum“, sagt sie. Sie mag auch die Phasen ihrer Recherchearbeit, um mit Material aus Literatur, Philosophie oder bildender Kunst die Inszenierung zu bereichern. Dabei hört sie übrigens immer Musik. Ihre Top drei aus der jüngsten Zeit: Johann Sebastian Bachs Chaconne in d-Moll BWV 1004, für Klavier bearbeitet von Ferrruccio Busoni und interpretiert von Hélène Grimaud, Mozarts Klavierkonzert d- Moll von Matha Argerich und der Jazzpianist Chilly Gonzales mit „Unrequited love“. „Voll das Dramaturgenklischee“, sagt sie lachend. Aber wenn es nun mal so ist, dann ist es so. Klischee hin oder her.

Querlenker Teil III – Die Fahrradflashmobs waren ein Hingucker

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Nach vier Tagen Probe ging es für die zehn „Querlenker“ raus aus der Theaterwerkstatt mitten unter die Leute. Bei bestem Wetter bauten sich die 12-15-Jährigen auf dem Kiliansplatz auf  und spielten ihre Fahrradchoreografie „Sicherheit hat Vorfahrt“ durch. Viele Passanten blieben stehen, schauten zu und schmunzelten, weil es ziemlich witzig war, wie die Mädchen und Jungen mit großen Straßentheatergesten vermittelten, wie wichtig Helm, funktionierende Bremsen und Blickkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmer sind. Zwei ältere Herren berichteten reumütig, dass ihre Fahrradhelme zu Hause seien und nahezu unbenutzt im Schrank hängen würden. Aber sie gelobten augenzwinkernd Besserung. Für den zweiten Flashmob begaben sich die Jugendlichen an den Götzenturm, um nach Radfahrern mit Helm Ausschau zu halten. Die wurden nämlich mit großen Schildern mit der Aufschrift „Beifall für Helme“ und mit Applaus empfangen. Zunächst war es aber gar nicht so leicht behelmte Radler zu finden. Diejenigen ohne Kopfschutz waren eindeutig in der Überzahl. Dafür wurden die Vorbildlichen mit umso mehr Jubel begrüßt. Alle schmunzelten, manche blieben stehen und kamen mit den Jugendlichen ins Gespräch. Eine Frau gestand, wegen ihrer Frisur niemals einen Helm aufzusetzen. Ein junges Paar, das zu Fuß unterwegs war, schaute eine Weile zu und debattierte über die Wichtigkeit dieser Aktion. Das letzte Wort hatte die Frau. Sie meinte, man könne gar nicht genug darauf hinweisen, wie wichtig Helme seien, denn so mancher schwere Radunfall hätte milder ausfallen können, wenn der Kopf geschützt gewesen wäre.

Nachdem die „Querlenker“ erschöpft vom vielen Klatschen und Jubeln waren, zogen sie vor die Stadtgalerie, wo sie noch einmal dicht umringt von Zuschauern den Flashmob „Sicherheit hat Vorfahrt“ zeigten. Dann ging es im Zeitlupenparcours, der auch viele Blicke und Fragen auf sich zog, wieder zum Kiliansplatz. Hier gab es Schokolade und Dankeschöngespräche für rücksichtsvolle Radfahrer. Stefan Papsch vom Heilbronner Amt für Straßenverkehr, das die Idee für die Kooperation mit dem Theater hatte, begleitete die Flashmobs mit großer Freude. „Wenn jeder, der heute etwas von diesen Aktionen mitbekommen hat, zu Hause oder im Freundeskreis davon erzählt, dann haben wir die Idee von der Rad-KULTUR wieder ein Stück vorangetrieben“, sagt er. Denn Heilbronn ist in diesem Jahr Modellkommune der Initiative Rad- Kultur des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden-Württemberg und strebt langfristig danach, eine wirklich fahrradfreundliche Stadt zu werden.

Als es am Abend dunkel wurde, rüsteten sich die „Querlenker“ für das Finale. Mit Lichterketten behängt fuhren sie durch die Innenstadt, um auf die Wichtigkeit der Fahrradbeleuchtung aufmerksam zu machen. Dabei wurden sie bestaunt, fotografiert und immer wieder angesprochen. Ein bisschen fühlten sie sich wie Stars, denn bei ihrer Ankunft auf dem Kiliansplatz baten viele Passanten darum, mit ihnen ein Selfie machen zu dürfen.

Wie ein geölter Blitz rannten die ganze Zeit Kameramann Nicolai Stiefvater und sein Assistent Conrad den Jugendlichen hinterher, um keine Situation zu verpassen. Auch viele Zuschauer des Projektes wurden interviewt und werden sich am Ende in einer rund 20minütigen Dokumentation wiederfinden.
Fazit der Jugendlichen: Theater ist klasse, aber Theater auf dem Fahrrad richtig krass. Sie wären gern alle wieder mit dabei, falls es eine Neuauflage des Projektes geben sollte. Und das Résumé von Projektleiterin Antjé Femfert: Sie ist müde, aber sehr glücklich über die fünf intensiven Tage mit zehn kreativen Jugendlichen im Dienste einer tollen Idee.

Video der Aktion auf unserer Facebookseite

„Querlenker“-Proben laufen auf Hochtouren

Am 6. November sind die Flashmobs in der Innenstadt zu erleben

Foto: Nikolai Stiefvater
Die Querlenker, v.l.n.r. Tanjo, Victoria, Arne, Kathi, Daniel, Annika, Lucia, Lea-Marie, Sará und Learta Foto: Nicolai Stiefvater

Die TheaterWerkstatt im Wollhaus hat schon viele verrückte Projekte gesehen. Aber dass da 10 Jugendliche mit Fahrrädern drin herumfahren und eine Fahrradchoreografie entwickeln, dürfte bisher einmalig sein. Unter dem Motto „Querlenker“ beschäftigen sich die Jungen und Mädchen im Alter zwischen 12 und 15 Jahren mit dem Thema Radfahren in Heilbronn, besonders unter dem Aspekt der gegenseitigen Rücksichtnahme. Zwei Tage lang waren sie zunächst auf Recherchetour an Verkehrspunkten, die von Radfahrern und Fußgängern gleichzeitig (Kiliansplatz und Sülmer Straße) und zum Teil zusätzlich noch von Autos (am Götzenturm) genutzt werden. Dabei haben die Jugendlichen nicht nur zugeschaut, erzählt Theaterpädagogin Antjé Femfert, die das Projekt leitet. Sie sind auch auf die Leute zugegangen und haben gefragt, warum sie in bestimmten Situationen lieber das Fahrrad schieben oder warum sie keinen Helm aufhaben. „Raser haben wir genauso gesehen wie absolut rücksichtsvolle Radfahrer.“

Jetzt verarbeiten die Jugendlichen ihre Eindrücke mit den Mitteln des Straßentheaters. Ihr Anliegen ist es dabei, auch negativen Erscheinungen mit positiven Reaktionen zu begegnen. In einer theatralisch nachgestellten Situation zum Beispiel spielt Tanjo Frese einen „Fahrradrowdy“, der sich ziemlich rücksichtslos und temporeich zwischen den Fußgängern hindurch schlängelt. Mit dunkler Sonnenbrille und lauter Musik auf den Ohren bekommt er kaum etwas von der Straßensituation mit. Einen Helm trägt er nicht. Die anderen Jugendlichen halten ihn an und zeigen ihm in einer witzigen Choreografie, was er auf jeden Fall besser machen muss, um seine Sicherheit und die der anderen nicht zu gefährden. Helm, Licht, Bremsen, Klingel, Schulterblick, Handzeichen, Blickkontakt gehören dazu. Das alles stellen sie mit großen Zeichen und Gesten in einer Straßentheateraktion dar. Mit diesem Flashmob „Sicherheit hat Vorfahrt“ wollen sie am Freitag, 6. November, um 15 Uhr auf dem Kiliansplatz starten, um in aller Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Weitere Flashmob-Varianten sind gerade in Erprobung und werden den ganzen Freitagnachmittag in der Heilbronner Innenstadt gezeigt. Es soll unter anderem eine Lichterkettenfahrt, sowie Belohnungs- und Beifallsaktionen für disziplinierte Radfahrer geben. Tanjo, Victoria, Arne, Kathi, Daniel, Annika, Lucia, Lea-Marie, Sará und Learta sind mit Feuereifer bei der Sache und sehr gespannt auf die Reaktionen der Passanten. Ein Kamerateam ist übrigens von Anfang an dabei und erstellt eine Dokumentation von dem Projekt, die später auch in Schulen gezeigt werden soll.

Alle Beteiligten hoffen, dass Heilbronn eine immer fahrradfreundlichere Stadt wird und stehen voll hinter den Ideen der Initiative RadKULTUR des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden Württemberg, welches das Projekt finanziert. Die Idee dafür hatte das Amt für Straßenwesen Heilbronn, das ein ganzes Jahr unterschiedliche Aktionen im Zeichen der Mobilität mit dem Fahrrad durchführt, denn Heilbronn ist 2015 Modellkommune der Initiative RadKULTUR.

„Querlenker“ – Straßentheaterprojekt für Jugendliche in den Herbstferien

RadKULTUR – Modellkommune Heilbronn und Theater Heilbronn kooperieren

744587_original_R_B_by_Frank-Martin-Lauterwein_pixelio.deRadfahren ist gesund und man kommt mitunter viel schneller vorwärts als mit dem Auto. Deshalb ist Heilbronn 2015 Modellkommune der Initiative RadKULTUR des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur des Landes Baden Württemberg. Das ganze Jahr steht im Zeichen der Mobilität mit dem Fahrrad. Während der Herbstferien vom 2.-6. November ist das Theater Heilbronn mit einem Straßentheaterprojekt für Jugendliche zwischen 12 und 15 Jahren an den Aktionen für ein fahrradfreundliches Heilbronn beteiligt. Unter dem Motto „Querlenker“ setzen sich zwölf Mädchen und Jungen besonders mit dem Aspekt Sicherheit und gegenseitige Rücksichtnahme auseinander und wollen mit Theateraktionen rund um das Fahrrad auch andere dafür sensibilisieren. Dieses Thema ist in einer Stadt, in der Fußgänger- und Radverkehr teilweise nicht voneinander getrennt sind, wie beispielsweise in der Allee oder in der Fußgängerzone der Innenstadt, besonders wichtig. Theaterpädagogin Antjé Femfert leitet das Projekt. Entstanden ist es auf Initiative des Amtes für Straßenwesen Heilbronn.

Ablauf des Projektes

In der Herbstferienwoche vom 2.-6. November 2015 beschäftigen sich Jugendliche im Alter von 12-15 Jahren auf augenzwinkernde Weise im darstellenden Spiel mit der Situation von Radfahrern in Heilbronn.
1.    Phase
An den ersten 2 Tagen (2. und 3. November) werden die Jugendlichen Verkehrssituationen im Zusammenhang mit Radfahrern beobachten und zusammentragen. Der Fokus wird sich vor allem auf die Sülmer Straße und das Neckarufer richten. In beiden Straßen sind sowohl Fußgänger als auch Radfahrer in einer gemeinsamen Zone unterwegs. Radfahrer sind manchmal zu schnell, viele jugendliche Fußgänger konzentrieren sich statt auf den Verkehr ringsherum auf ihr Smartphone. Nicht selten kommt es so zu brenzligen Situationen, Zusammenstößen und verbalen Auseinandersetzungen. Die Jugendlichen beobachten, ob Autofahrer, Stadtbahnfahrer, Fußgänger und Radfahrer Blickkontakt zueinander aufnehmen, ob sich Radler an das vorgeschriebene Schritttempo halten, ob Querungshilfen und Zebrastreifen genutzt werden und wieviel Rücksicht die Verkehrsteilnehmer aufeinander nehmen.

2.    Phase
Die gesammelten Eindrücke werden an den nächsten beiden Tagen (4. und 5. November) zu Theateraktionen verarbeitet, die in Form von Flashmobs am 6. November in verschiedenen Bereichen der Innenstadt gezeigt werden sollen – unter Einbeziehung der Passanten. Geprobt wird dafür in der Theaterwerkstatt im Wollhaus. Die Jugendlichen erlernen an diesen zwei Tagen Grundlagen des Straßentheaters, mit dessen Methoden es ihnen gelingen soll, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen.

Erste Ideen für Flashmobs sind beispielsweise besondere Fahrradchoreografien, Belohnungsaktionen für besonders vorbildliche Verkehrsteilnehmer, Zeitlupenfahrten durch die Innenstadt oder Beifallsaktionen für alle Radler, die einen Helm tragen. Geplant sind auch spontane „Talkshows“ zum Thema Verkehrssicherheit an zentralen Punkten der Innenstadt, in die die Passanten verwickelt werden sollen. Während der Probenarbeiten werden sicher weitere Flashmobs mit den Jugendlichen entstehen.

3.    Phase
Am 6. November ist der Flashmob-Marathon in der Innenstadt geplant. Dabei hoffen die Jugendlichen auf unmittelbare Reaktionen von Passanten. Ein Kamerateam begleitet im Auftrag des Theaters die einzelnen Aktionen und entwickelt eine 15-20 minütige Dokumentation. Diese kann zum Beispiel an Schulen gezeigt werden, um die Idee der RadKULTUR zu verbreiten.

Wundern Sie sich also nicht, wenn Ihnen demnächst Beifall geklatscht wird, weil Sie in angemessenem Tempo durch die Fußgängerzone radeln oder weil Sie einen Helm tragen.

Von Windmühlen und Vorurteilen

Jeton Neziraj schreibt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn

Jeton Neziraj

„Die Künstlerinnen und Künstler im Kosovo sind sich bewusst, dass sie in Europa nicht einfach so einen besseren Ort finden können“ als ihr Heimatland, sagte Jeton Neziraj kürzlich in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen. Er ist einer der wichtigsten Autoren und Intellektuellen seines Landes und schreibt jetzt ein Stück für das Junge Theater Heilbronn, das 2016/17  hier inszeniert und anschließend auch in seiner Heimatstadt Pristina gezeigt werden soll. Worum soll‘s gehen? Fest steht schon mal der grobe Plot unter dem durchaus doppeldeutigen Arbeitstitel „Windmühlen“. Einer der Protagonisten des Stücks, ein deutscher Ingenieur, soll Windmühlen, besser gesagt gigantische Windkraftanlagen im Kosovo aufbauen. Ein Projekt, das Jahre dauern wird. Deshalb sollen ihn seine Frau und seine Tochter begleiten. Die beiden sind entsetzt und haben überhaupt keine Lust auf das Land. Ihr Bild vom Kosovo ist geprägt von den Berichterstattungen in den Medien, in denen häufig nur Probleme und Katastrophen eine Rolle spielen. Doch dann begleiten sie den Vater und Ehemann. Zunächst leben sie abgeschirmt von den Einheimischen in einem Diplomatenviertel. Doch beim Spielen verlässt die Tochter den eingezäunten Bereich, kommt mit den kosovarischen Kindern in Kontakt und lernt das Land von einer ganz anderen Seite kennen …

Vorurteile abzubauen gleicht auch häufig einem Kampf gegen Windmühlen. Für Jeton Neziraj ist dies ein Lebensthema, wie er beim Pressefrühstück im Theaterrestaurant Gaumenspiel erzählte. Drei Tage lang weilte er zusammen mit seinem Kollegen Agon Myftari, dem künstlerischen Leiter des Nationaltheaters Kosovo, in Heilbronn, um sich über die hiesige Theaterarbeit zu informieren. Neziraj sieht Theater als Mittel der politischen Auseinandersetzung und als Medium der Kritik – besonders in seiner Heimat Kosovo. Dort gilt er als zugleich gefeierter und gehasster regierungskritischer Oppositioneller. Für sein Stück „Einer flog über das Kosovotheater“ (2012) , in dem er das jüngste Land Europas mit dem Irrenhaus in Ken Keseys „Einer flog über das Kuckucksnest“ vergleicht, bekam er Morddrohungen und musste sich von einigen Medien den Vorwurf des Antinationalismus gefallen lassen. Die Premiere kam nur dank politischer Fürsprecher und unter Polizeischutz zustande.

Ein geradezu unerhörtes Ereignis war und ist seine „Romeo- und Julia“ Adaption (2015), die die beiden Liebenden in serbischen bzw. kosovarischen Familien ansiedelt. Die absurden nationalen Grabenkämpfe zwischen Serbien und der seit 2008 autonomen ehemaligen serbischen Teilrepublik Kosovo machen eine junge Liebe kaputt. Neziraj zwingt sein Publikum dem Kosovo-Albanisch von Romeos Familie und dem Serbisch von Julias Familie zuzuhören, denn das erfordere seiner Meinung nach Respekt und Geduld. Dass dieses Theaterstück von der serbischen und der kosovarischen Regierung finanziert wurde, ist von enormer politischer Bedeutung für beide Länder. Allerdings findet jede Vorstellung unter Polizeipräsenz statt, weil sowohl die serbischen als auch die kosovarischen Nationalisten keine Versöhnung wollen und die Sprache des „Feindes“ als Zumutung empfinden.
Viele seiner Stücke hat er in Deutschland oder in der Schweiz herausgebracht: „Peer Gynt aus dem Kosovo“ über die (negativen) Migrationserfahrungen der Kosovaren (2014) zusammen mit dem Jungen Staatstheater Wiesbaden oder „Kosovo für Dummies“ (2015) mit dem Theater im Schlachthaus Bern. 2013 erschien sein mit Timon Perabo gemeinsam verfasstes Buch: „Sehnsucht im Koffer: Geschichten der Migration zwischen Kosovo und Deutschland“. Allein 15 Prozent der Kosovaren haben ihre Heimat in den letzten Jahren in Richtung Deutschland verlassen.

Er plädiert für ein Bleiben in der Heimat, für eine Einstellung der zum Teil absurden interkulturellen Auseinandersetzungen. Er zeigt, dass Minderheitenprobleme, Korruption und Bürokratie generelle Themen sind. Und er ironisiert die übersteigerten Hoffnungen seiner Landsleute, die sie an ein Leben etwa in Deutschland knüpfen. So heißt es in seinem Stück „Peer Gynt aus dem Kosovo“: Es gibt einen Ort, wo alles besser ist. „Dort ist eine andere Welt. Wenn du kein Geld mehr hast, gehst du zur Bank und stellst einen Antrag, und du bekommst es, ohne es je zurückzahlen zu müssen. Ihre Läden nennen sie Supermarkt, weil es dort super Lebensmittel gibt. Ihre Haustüren lassen sie Tag und Nacht offen, niemand klaut, weil alle alles haben. Dort ist alles aus Gold.“

Er selbst würde sein Heimatland nie verlassen. Die Widersprüche dort, die Ungereimtheiten und Schwierigkeiten sind für ihn der Stoff, aus dem seine Geschichten sind. „Es ist aufregend, gerade jetzt dort zu sein, historische Veränderungen zu begleiten und zu spüren und sie mit seiner Arbeit sogar voran zu treiben.“
Für das Theater Heilbronn wird die Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der kulturellen Vielfalt in dieser Stadt konsequent fortgesetzt, erinnert sei hier nur an Stücke wie „Heimat.com“, „Tito, mein Vater und ich“ oder „Die Leiden des jungen Osman.“

Gefördert wird die Zusammenarbeit aus dem Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden Württemberg rund vom Goetheinstitut Belgrad.

Theaterinstallation macht nachvollziehbar, was Flüchtlinge während des Asylverfahrens erleben

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Nach monatelanger Flucht heißt es zunächst erst einmal warten. Zwei Beamte registrieren dich und nehmen deine Fingerabdrücke. Du bekommst jetzt für 30 Minuten die Identität von Ellaha Saleh aus Afghanistan, 19 Jahre alt. Du bist geflohen, weil du mit 14 Jahren zwangsverheiratet wurdest. Dein Mann schlägt dich. Weil du es nicht mehr ausgehalten hast, bist du über den Iran, die Türkei, Griechenland, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland geflohen. Mit dem Auto, zu Fuß und mit dem Zug unter großen Strapazen. Doch die sind jetzt vergessen, denn du bist in Sicherheit und das Asylverfahren beginnt…

Mit der Theaterinstallation Fluchtpunkt: Berliner Platz wollen Schauspieler, Regieassistenten, Dramaturgen und Theaterpädagogen des Heilbronner Theaters nachvollziehbar machen, was Flüchtlinge in Deutschland während des Asylverfahren erleben. Dieses Projekt, das in kürzester Zeit realisiert wurde, hat Schauspielerin Anastasija Bräuniger initiiert und es ist allen Mitstreitern eine Herzensangelegenheit. Sie schlüpfen in die Rollen der Beamten, die das Asylverfahren durchführen.

In Zusammenarbeit mit den Werkstätten des Theaters wurden sechs behelfsmäßige Container auf dem Berliner Platz errichtet: Ein Ankunftsraum, ein Erstaufnahmelager, ein Asylbewerberheim, ein Raum, in dem Auszüge aus Leserbriefen, Facebook oder Internetforen ausgestellt sind und die zum Teil so krasse Vorurteile zum Ausdruck bringen, dass einem schlecht wird. Schließlich der Raum, in dem die Anhörung zum Asylverfahren läuft. Wieder Warten. Dann die Verkündung des Urteils … 

Als Ellaha Saleh hast du keine Papiere. Nur ein provisorisches Dokument, das die Deutschen ausgestellt haben. Du darfst im Erstaufnahmelager warten. Die einzige Unterhaltung ist ein Fernseher mit schlechtem Bild. Drei Monate verbringst du hier. Dann geht es weiter ins Asylbewerberheim, wo du mit 10 Menschen in einem Raum wohnst. Viereinhalb Quadratmeter Platz stehen dir zu. Die Waschräume sind nicht nach Männern und Frauen getrennt. Wenn du auf der Straße bist, siehst du die Abneigung in den Augen der Menschen, manche äußern sie auch direkt. Dann endlich die Anhörung, du bist aufgeregt. Der Beamte spricht schnell, schaut dich kaum an. Interessiert er sich überhaupt für dein Schicksal?  25 Fragen werden gestellt. Erst Frage Nummer 24 ist die nach den Gründen deiner Flucht. Da bist du schon ganz müde und ausgelaugt.

Wieder heißt es warten. Dann das Urteil: Als Frau in Afghanistan geschlagen und missbraucht zu werden, sei kein ausreichender Fluchtgrund. Denn das gehört in Afghanistan zur Normalität. Du wirst in Deutschland kein Asyl erhalten und darfst entweder freiwillig gehen oder wirst abgeschoben. Du schreist, dass dies dein Todesurteil ist. Aber das interessiert nicht. Die Gewalt gegen Frauen sei kein hinreichender Grund um als politisch Verfolgte anerkannt zu werden.

Der letzte Raum der Installation vereint Flughafengeräusche, Politikerstatements und Ankündigungen abgeschobener Flüchtlinge, es auf jeden Fall wieder zu versuchen, nach Deutschland zu gelangen, zu einer lauten Kakophonie.

»Homo faber« kommt als Pocketversion in die BOXX

Homo_Faber_Presse 1Zwei Jahre lang lief die Heilbronner Inszenierung »Homo faber« nach dem Roman von Max Frisch mit großem Erfolg im Großen Haus. Abiturienten, die den Stoff in der Schule behandeln, saßen neben Menschen mittleren oder auch reiferen Alters, die sich wieder für das Thema interessieren und einen ganz neuen Zugang zur Lebensbeichte des Ingenieurs Walter Faber gewonnen haben. »In jedem Alter sieht man die Geschichte anders«, sagt auch der Heilbronner Intendant Axel Vornam und Regisseur der Bühnenfassung. Er hofft, dass die wunderbare Altersmischung im Publikum auch in der BOXX entsteht. Hier wird am 10. Oktober eine konzentrierte Pocketversion von »Homo faber« Premiere haben, die sich thematisch und ästhetisch eng an die Inszenierung im Großen Haus anlehnt und die Konflikte der Geschichte dieses verhinderten Menschen und sein versäumtes Leben, wie Max Frisch es selber beschrieb,  noch präziser auf den Punkt bringt.

Walter Faber, Schweizer Ingenieur bei der UNESCO in New York, ist Rationalist durch und durch. Er glaubt an die Mathematik. Begriffe wie Mystik und Schicksal haben in seinem Denken nichts zu suchen. »Ich glaube nicht an Fügung und Schicksal, als Techniker bin ich gewohnt mit den Formeln der Wahrscheinlichkeit zu rechnen.« Alleinsein ist der einzigmögliche Zustand für ihn. Mehr als vier Tage mit einer Frau hält er nicht aus, dann hat er wieder Sehnsucht nach seinen Turbinen.
Auf einem Flug nach Mexiko muss sein Flugzeug notlanden. Hencke, ein junger Deutscher fällt ihm auf, der, wie sich herausstellt, der Bruder seines früheren Studienfreundes Joachim ist.
»Wieso Fügung?«, resümiert Faber. »Ich gebe zu: Ohne die Notlandung …wäre alles anders gekommen; ich hätte diesen jungen Hencke nicht kennengelernt, ich hätte vielleicht nie wieder von Hanna gehört, ich wüsste heute noch nicht, dass ich Vater bin …Vielleicht würde Sabeth noch leben. Ich bestreite nicht: Es war mehr als ein Zufall, dass alles so gekommen ist, es war eine ganze Kette von Zufällen.« Wieder in New York muss Faber sich gerade der heiratswütigen Ivy erwehren. Um ihr früher zu entkommen, tritt er seine nächste Reise nach Europa nicht wie geplant per Flugzeug, sondern mit dem Schiff an. An Bord lernt er das junge Mädchen Elisabeth kennen, das ihn mehr und mehr bezaubert. Sie ist das ganze Gegenteil von ihm: jung, lebhaft, verträumt, belesen, kulturinteressiert. Beide fühlen sich trotz des großen Altersunterschieds zueinander hingezogen. Faber wird auf merkwürdige Weise an seine Jugendliebe Hanna erinnert. Doch jegliche Verdachtsmomente, dieses Mädchen könne vielleicht sein Kind sein, rechnet er sich mit messerscharfem Verstand einfach weg …

Axel Vornam sieht Walter Faber als einen Mann, der sich emotional konditioniert hat, damit er sich selbst vor den Unwägbarkeiten dieser Welt schützt. »Das Leben ist für ihn ein permanenter Störfall, den man beherrschen muss. Seinen Verstand nutzt er, um Fehlerquellen zu vermeiden. Gefühle versteckt er hinter Lakonie und Ironie – dies sind für ihn Lebenswerkzeuge, um sich gegen emotionale Affekte, wie Liebe, zu schützen. Die Liebe ist für ihn der Mega-Gau, weil unberechenbar, genau wie alles, was damit im Zusammenhang steht wie Natur, Fruchtbarkeit und Tod. Hinter der intellektuellen Abwehrschlacht, die Faber ständig schlägt, steckt aber eine tiefe Sehnsucht nach Identität.«

»Weiß ich denn, wer ich bin, was ich bin und wer der Mensch mir gegenüber ist, den ich zu kennen glaube? (Max Frisch in seinem Roman »Stiller« (1954). Dies ist das zentrale Thema des Schriftstellers Max Frisch und die Lebensproblematik des Ingenieurs Walter Faber. »Dieser verhinderte Mensch, der von sich selbst ein Bildnis gemacht hat, das ihn verhindert, zu sich selber zu kommen.« (Max Frisch über Walter Faber) Faber arbeitet sich in seinem Bericht an diesem Bild ab und kommt zum Schluss: »Es stimmt nichts«. Er wird schuldlos schuldig.

Von Silke Zschäckel

Wohin würdest du gehen?

Eröffnung der Themenwoche “Krieg”

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“Mit der Themenwoche Krieg wollen wir dazu beitragen, den Hintergrund der Stücke noch besser zu verstehen”, so der Leiter des Jungen Theaters Heilbronn, Stefan Schletter. Niemand hatte bei der Auswahl des Theaterstücks “Krieg – stell Dir vor, er wäre hier” im Frühjahr dieses Jahres damit gerechnet, dass die Thematik so greifbar aktuell sein wird. Und so befasst sich die aktuelle Themenwoche in der BOXX intensiv mit der Flucht aus Kriegsgebieten.

_DSC0077Ein Bestandteil der Themenwoche ist die Ausstellung zum Thema Flucht. Melanie Skiba vom Flüchtlingsrat Baden-Württemberg zeigte in ihrem Vortrag zur Ausstellungseröffnung auf, warum Menschen ihr Heimatland verlassen. Zugleich wurde deutlich, wie kompliziert es ist in Deutschland als Asylbewerber oder als Flüchtling in Europa anerkannt zu werden und einen Aufenthaltsstatus zu erhalten. Hierbei wurde besonders deutlich, wie wichtig die Arbeit des Flüchtlingsrates ist, der Schutzsuchende beim Asylantrag unterstützt.

Nach dem Besuch der Ausstellung ist in der Inszenierung umso drastischer zu erleben, welche Lebensgeschichten hinter Statistiken und Gesetzen stecken. Das Stück “Krieg – stell dir vor, er wäre hier” unternimmt den Perspektivwechsel. Die Zuschauer werden hier vor die Frage gestellt “wohin würdest du gehen?”. Die häufigste Antwort der Zuschauer ist wohl “ich weiß es nicht”.

Am Mittwoch und Donnerstag (30.09.-01.10.) ist vor der BOXX die interaktive Theaterinstallation “Fluchtpunkt Berliner Platz” aufgebaut. Die Besucher sind eingeladen zwischen 15-18 Uhr am eigenen Leib das deutsche Asylverfahren zu erleben.

Die Themenwoche endet am Samstag mit der Premiere von Philipp Löhles “Wir sind keine Barbaren!”.

Das Junge Theater Heilbronn startet eine Kooperation mit Qendra Multimedia Prishtina/Kosovo

Kosovo»Willkommen in Monaco« steht in der Begrüßungs – SMS auf dem Display des Mobiltelefons bei Ankunft in Prishtina. Monaco? Schon bei der Fahrt vom modernen Flughafen auf staubigen Straßen in die quirlige Hauptstadt des Kosovos merkt man schnell, dass diese Land wenig zu tun hat mit dem mondänen Fürstentum am Mittelmeer. »Wir nutzen das Mobilfunknetz Monacos und Sloweniens, weil wir offiziell noch nicht von allen EU-Staaten anerkannt sind,« erklärt uns unser Fahrer auf Nachfrage. Schon ist man mittendrin in einem Land, das zwar geographisch in Europa liegt, sich aber auf Grund seiner Entstehungsgeschichte von vielen europäischen Staaten stark unterscheidet. Kaum 15 Jahre ist es her, dass hier Krieg herrschte. 15 Jahre in denen die Menschen des Kosovos um ihre Anerkennung kämpften und versuchten ein funktionierendes Staatswesen aufzubauen. Mittlerweile erkennen 109 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen das kleine Land auf dem Balkan an, aber in Ländern wie Spanien, Griechenland oder Indien gilt man mit einem kosovarischen Pass heute noch als staatenlos, und die Menschen haben keine Reisefreiheit in die Länder des Schengener Abkommens. Kosovo ist nicht nur wegen des Zeitpunkts der Gründung, sondern auch gemessen am Durchschnittsalter seiner Bevölkerung das jüngste Land Europas.

In Prishtina lebt und arbeitet der Autor Jeton Neziraj, der eigens für das Junge Theater Heilbronn ein Stück über kulturelle und religiöse Vielfalt schreiben wird, eine Vielfalt die auf dem Balkan seit Jahrhunderten Alltag ist. Gemeinsam mit Theaterpädagogin Katrin Singer reiste Stefan Schletter, Leiter des Jungen Theaters, im Juni zu einem ersten Besuch in den Kosovo. Finanziert wurde dieses Treffen vom Goethe Institut Belgrad, für den Herbst ist der Besuch einer kosovarischen Delegation am Theater Heilbronn geplant. Durch die Unterstützung des Innovationsfonds Baden-Württemberg ist es nun möglich geworden, den Stückauftrag an Jeton Neziraj zu vergeben. Die Planung dieses Projektes und der Austausch über die Situation von Theater in beiden Ländern waren die Kernpunkte bei den vielen Gesprächen vor Ort. Besonderes Interesse zeigten die kosovarischen Kollegen an der theaterpädagogischen Arbeit des Theaters Heilbronn. »So etwas gibt es hier nicht,« sagt Jeton Neziraj. Theaterpädagogik könne aber ein wichtiger Baustein sein, um jungen Menschen hier eine Perspektive aufzuzeigen und ihnen Mut zu machen, hofft er. Das Junge Theater Heilbronn wird die spannende Zusammenarbeit mit den Kollegen im Kosovo weiter vertiefen und vielleicht steht ja beim nächsten Besuch schon »Willkommen im Kosovo« auf den Displays der Mobiltelefone.

YOLO oder ich will keinen oktopus über die bühne robben sehen

Anastasija Bräuniger und Katharina Leonore Goebel entwickeln ein kurzes Schauspiel über die Lage ihrer Generation

Katharina_GoebelStammt der Text von Heiner Müller oder Elfriede Jelinek? Beim ersten Hinhören könnte man dies fast vermuten. Aber nein! Dieser Text stammt von den zwei jüngsten Schauspielerinnen des Heilbronner Ensembles, Anastasija Bräuniger und Katharina Leonore Goebel, den sie zusammen mit dem Berliner Philosopiestudenten David Heering  geschrieben haben: „YOLO oder ich will keinen oktopus über die bühne robben sehen“, lautet der Titel ihrer 20- minütigen, sehr intensiven und kritischen Auseinandersetzung mit der Lage ihrer Generation. Am Tag der offenen Tür des Theaters Heilbronn, dem 11. Juli, werden sie ihr kleines Schauspiel in drei Vorstellungen dem Publikum präsentieren – um 14.15 Uhr, um 15 Uhr und um 16.15 Uhr in der Montagehalle.
Ihr Denken, ihr Schreiben ist geschult an diesen beiden Großen der deutschsprachigen Dramatik. Was sie umtreibt? „Alles ist möglich, alles ist denkbar, alles ist legitim und man tut am Ende nichts“, sagt Katharina Leonore Goebel. „Es gibt nichts mehr, wozu man eine Haltung beziehen muss, wogegen man rebellieren kann“, ergänzt Anastasija Bräuniger. Und das macht die beiden wütend. „Wir wollen etwas leisten und nicht so eine verschwendete Generation sein, die sich nur um sich selber dreht.“ Das reicht den beiden nicht. Denn „YOLO!“, dieser Begriff wurde 2012 zum Jugendwort des Jahres gewählt und steht für – you only live once.Anastasija_Bräuniger
Anastasija Bräuniger und Katharina Leonore Goebel haben in ihrem Stück zwei Prinzipien gegenüber gestellt. Auf der einen Seite steht Ikarus, dieser fliegende Junge aus der griechischen Mythologie, der sich mit seinen durch Wachs zusammengehaltenen Flügeln zu nahe an die Sonne wagte und abstürzte. Er hat sein Streben nach immer Höherem mit dem Leben bezahlt. Auf der anderen Seite steht ein Partygirl von heute, dessen meistgebrauchte Wörter geil und krass sind, dem die ganze Welt offen steht und das sich vor lauter Möglichkeiten für keine einzige entscheidet. Sie ist immer online, liest die News und findet vieles ganz „schlimm“. Und ihr Ich ist so satt und müde, dass in ihr eine unerklärliche Zerstörungswut reift, um aus diesem Stillstand ausbrechen zu können.
Wie dieser Kampf dieser beiden Prinzipien ausgeht und was es mit dem über die Bühne robbenden Oktopus auf sich hat, kann man sich am Tag der offenen Tür ansehen. „Wir können zwar nicht auf die Barrikaden gehen, aber wir können Kunst machen“, sagen Anastasija Bräuniger und Katharina Leonore Goebel und hoffen, dass sie viele Menschen damit erreichen.