EINS PLUS EINS IST EINS

»Verbrennungen« von Wajdi Mouawad im Großen Haus

Es gibt Wahrheiten, die man selber entdecken muss, heißt es in Wajdi Mouawads Stück »Verbrennungen«. Und es gibt auch Theaterstücke, die man als Zuschauer selber erfahren muss und soll: Man kann sie nicht erzählen, darf ihr Ende, das kommt wie ein »einstürzender Himmel«, wie das verwirrende Erwachen aus einem langen, quälenden Traum, nicht verraten. So urteilte Bernd Noack auf Deutschlandradio nach der Deutschsprachigen Erstaufführung von »Verbrennungen« im Jahre 2006.
Dieses Stück erzählt eine so unglaubliche, eine so berührende, eine so unvorhersehbare Geschichte – wie sie kaum vorstellbar ist. Eine Geschichte, die alle Gesetze außer Kraft zu setzen scheint, an deren Ende die logischste aller Aufgaben – eins plus eins ist gleich zwei – nicht mehr stimmt. Es ist die Geschichte von Nawal Marwan.
Fünf Jahre lang hatte sie geschwiegen. Dann ist Nawal im Alter von 60 Jahren gestorben.  Ihren Kindern, Jeanne und Simon, Zwillingen von 22 Jahren, hinterlässt sie ein eigenartiges Testament. Jeanne soll ihren Vater finden, von dem sie meint, dass er im Freiheitskampf für sein Land längst gefallen sei. Simon soll sich auf die Suche nach seinem Bruder machen, von dessen Existenz er noch nie etwas gehört hat. Besonders Simon ist wütend, sein Verhältnis zur Mutter war alles andere  als gut. Sie hatte ein Herz aus Stein, glaubt er. Warum sonst war sie so kalt zu ihren Kindern und hat so viele Jahre kein Wort gesagt? Jeanne ist vor allem erschüttert, als sie hört, dass ihr Vater noch lebt und sie sogar einen Bruder hat. Aber sie will sich auf die Suche machen. Vielleicht findet sie auf diese Weise heraus, was hinter dem Schweigen der Mutter steckt. Und sie begibt sich in das von Bürgerkriegen zerrüttete Heimatland der Mutter, aus dem sie in den Westen floh. Jeanne  erfährt, dass Nawal im Alter von 14 Jahren ein Baby bekommen hat, einen Jungen, der ihr sofort nach der Geburt weggenommen wurde. Trotz ihrer Jugend war sie verzweifelt, denn es war ein Kind der Liebe. Sie verließ ihren Heimatort, um ihr Kind zu suchen und um der Aufforderung ihrer Großmutter zu folgen: »Lerne lesen, lerne schreiben, lerne rechnen, lerne reden. Lerne. Das ist die einzige Möglichkeit, um nicht zu sein, wie wir …«

»Verbrennungen« ist auf keinen Fall ein Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln zu kennen, so wie es falsch ist zu glauben, es sei ein Stück über den Krieg. Es ist vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten.
(Wajdi Mouawad)

Silke Zschäckel, Pressereferentin

 

Ein zentraler Gedanke aus dem Stück.

Premiere am 05. Mai 2012, 19.30 Uhr
im Großen Haus

Regie: Esther Hattenbach
Bühne: Geelke Gayken
Kostüme: Alice Nierentz
Dramaturgie: Christian Marten-Molnár
Mit: Julia Apfelthaler, Nils Brück, Judith Lilly Raab, Sabine Unger, Peter Volksdorf, Sebastian Weiss, Ingrid Richter-Wendel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert