Eine erste Bühnenprobe ist bei jeder Inszenierung ein magischer Moment: Wochenlang haben Regieteam und Schauspieler auf der Probebühne in Attrappen Text, Situationen und Figuren erarbeitet, die Vorstellung vom Endergebnis nur im Kopf.
Jetzt stehen sie plötzlich auf der Bühne – und zu aller Überraschung ist diesmal ein Großteil des Bühnenbilds schon da. Sieben Säulen bilden gewaltig einen rechten Winkel. Ein abgebrochenes Säulenteil liegt links auf dem Boden. Anastasija Bräuniger, seit Ende letzter Spielzeit neu im Ensemble, wird hier ihre erste Klassiker-Hauptrolle spielen, Antigone. Beeindruckt blickt sie an der äußersten rechten Säule hoch zum Portal. Sie streicht über die glatte Oberfläche.
Von einem korinthischen Tempel inspiriert, hat Bühnen- und Kostümbildnerin Heike Neugebauer mit Regisseurin Johanna Schall dieses Raumkonzept entwickelt. Wie eine Mahnung an die Vergänglichkeit der Macht steht das massiv wirkende Monument im Arbeitslicht. Und schon jetzt glänzen sie, die sieben Säulen, die das siebentorige Theben repräsentieren, denn sie sind nicht aus Stein, sondern aus Metall gefertigt.
Johanna Schall ruft ihre Spieler, acht an der Zahl, auf die Bühne. Im Halbkreis sitzen sie vor ihr. „Wenn wir jetzt durch den ersten Teil gehen, dann denkt an eines: Bitte nicht die hinteren Säulen bespielen, die sind noch nicht festgeschraubt.“ Nils Brück, der den Kreon spielt, zeigt auf das liegende Säulenteil: „Können wir uns draufsetzen?“ Johanna Schall fasst an das rechte Ende, aus dem noch metallene Streben ragen. „Ja“, meint sie, „aber passt hier bitte auf.“ Kaum gesagt, schon steht Bühnenmeister Pit Müller bereit – mit weißem Klebeband, das er um die Streben wickelt, damit niemand sich aus Versehen verletzen kann.
Die Regisseurin wechselt von der Bühne in den Zuschauerraum, die Schauspieler in ihre Haltungen als Eröffnungschor. Die Probe beginnt: „Hart greift in unser Land das fremde Heer, / Bedrängt mit Macht die Tore, Mauern, / Der Feind wie eine Flut rauscht auf uns zu, / Es stöhnt die Stadt, ihr Grund stöhnt von dem Ansturm!“ Ein magischer Moment.
Andreas Frane