„Jeder Mensch kann tanzen“ und „Selber tanzen macht glücklich“ – das wurde in den vergangenen Jahren schon bei Tanz! Heilbronn unter Beweis gestellt: in Tanzprojekten mit Jugendlichen und Senioren und in verschiedenen Workshops. Dass jeder tanzen kann, gilt auch für Menschen mit ganz unterschiedlichen Körpern, mit Krankheiten oder Behinderungen. Jeder Körper bringt durch seine spezielle Beschaffenheit eine ganz bestimmte Bewegungsqualität mit sich. Und die vermeintliche Einschränkung birgt oft eine besondere Befähigung. Um zu diesem Thema zu recherchieren, habe ich mir im Verlauf des letzten Jahres Stücke von professionellen integrativen Tanzkompanien angesehen, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammen auftreten. Eine Erfahrung wurde dabei besonders deutlich. Sie hat mit der Bühnensituation zu tun: auf der Straße würde ich jemanden, der „anders“ aussieht, z.B. kleinwüchsig ist oder eine Prothese trägt, nicht lange anschauen, um keine unangenehme oder peinliche Situation zu erzeugen. Jemanden, der auf einer Bühne steht, darf ich ansehen. Erst recht in einem integrativen Tanzstück, in dem die Darsteller nicht ausgestellt werden sondern als Künstler agieren. Und nach einer gewissen Zeit des Schauens ist es – Normalität. Es wird völlig selbstverständlich, ganz verschiedene Körper auf der Bühne zu sehen. So selbstverständlich sollte es ja auch im Alltag sein. Auf die Diskrepanz zwischen diesem Ideal und der Realität machen integrative Tanzcompagnien aufmerksam, meistens ohne erhobenen Zeigefinger sondern einfach durch ihre selbstbewusste Arbeit.
Im Gespräch mit den Künstlern und auch bei ersten Projektbeschreibungen bin ich dann immer wieder über die Sprache gestolpert. Wie benennt man Unterschiedlichkeiten ohne zu diskriminieren oder auszugrenzen? Im Englischen gibt es für integrative Gruppen das Adjektiv „mixed-abled“, also „mit unterschiedlichen Befähigungen“, das ist nicht wertend. Im Deutschen gibt es dafür nur die umständliche Umschreibung, man sagt „Behinderte und Nicht-Behinderte“. Das Wort „behindert“ ist aber erst in seiner Umdeutung nicht diskriminierend, nämlich: der jeweilige Mensch IST nicht behindert, sondern er WIRD behindert: von seiner Umwelt, die nicht auf seine Bedürfnisse eingerichtet ist, sei es ein rollstuhlgerechter Zugang, Blindenschrift oder ein Gebärdendolmetscher.
Im Mai wird die englische Tanzcompany Candoco zu Gast sein und ein integratives Projekt mit Schülern der Fritz-Ulrich-Werkrealschule und mit hör- und sprachbehinderten Schülern der Lindenparkschule leiten. Mein Vorsatz ist, bis dahin mindestens „Hallo“, „Bitte“ und „Danke“ in Gebärdensprache zu können.
Karin Kirchhoff, Tanz Heilbronn Kuratorin