Meister des schönen Scheins

Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen, und können sich nicht vorstellen, dass dort fast rund um die Uhr und natürlich auch vormittags gearbeitet wird. Zum Beispiel im Malersaal
Sie können sich ihren eigenen Palast bauen — richtig preiswert noch dazu. Marmor, Gold, edle Hölzer, wertvolle Tapeten und Gemälde – alles kein Problem. Sie brauchen dafür lediglich ein paar Sperrholzplatten, die sie mit Farbe und verschiedenen Materialien bearbeiten.  »Wir sind die Meister des schönen Scheins«, sagt Kirstin Köppel, stellvertretender Vorstand im Malersaal. »Die Blender und Täuscher«, fügt sie verschmitzt hinzu. Dass sie und ihre Kollegen falsche Tatsachen vortäuschen, ist kein Verbrechen, sondern eine hohe Kunst, die mit einfachen Mitteln die schönsten Welten auf der Bühne entstehen lässt.

Karlheinz Kirchler, Herbert KÜbler und Kirstin Koeppel – das starke Team des Malersaals.

Seit 1993 arbeitet Kirstin Köppel als Malerin und Plastikerin im Theater Heilbronn, ihr Kollege Karlheinz Kirchler ist seit 1998 mit dabei. Gelernt haben sie ihre Kunst beim dienstältesten Mitarbeiter des Heilbronner Theaters, bei Herbert Kübler, der als Vorstand die Abteilung  leitet, seit 1977 seinem Haus die Treue hält und Jahr für Jahr talentierte junge Leute in seinem Beruf ausbildet. Stefan Dittrich hat im vergangenen Jahr seine Ausbildung abgeschlossen. Derzeit baut er einen 2,90 Meter großen Männerakt aus Marmor für das Musical »Ein Käfig voller Narren«. Natürlich ist die Figur nicht wirklich aus Marmor, sondern aus Styropor. Das wird mit einer Kaschiermasse aus Kreide und Leim bestrichen und anschließend poliert. Und siehe da, die Statue glänzt wie feinster Marmor. Nicht nur aus der Ferne wirkt sie sagenhaft schwer und wertvoll. Um diese Figur zu bauen, bekam Stefan Dittrich lediglich ein Foto als Vorlage. Wie nur bekommt man den Kerl dreidimensional? Um sich die Rückfront des Herrn vorstellen zu können, ahmt Stefan Dittrich die Bewegung auf dem Bild nach und fotografiert sich von hinten. So hat er eine Ahnung, wie die Muskeln auf dem Rücken verlaufen könnten und wie die Beine stehen müssen. Dann fertigt er Zeichnungen von allen Seiten und schließlich geht’s ran an das Styropor. Zunächst mit einer großen Drahtsäge, der man auf keinen Fall zu nahe kommen sollte. Dann mit Messern und Raspeln. Die Arbeitsweise unterscheidet sich keinen Deut von der eines Bildhauers.

Stefan Dittrich baut den 2,90-Meter-Mann.

Ähnlich ist es in der Theatermalerei. Alle Kollegen im Malersaal sind hervorragende Maler und Zeichner und gehen seit frühester Kindheit diesem Hobby nach. Beruflich schaffen sie Auftragswerke in riesigen Formaten. Auftraggeber sind in diesem Fall die Bühnenbildner, die mit Modellen und Fotos der Bühne kommen und sagen, was sie sich wünschen. »Wie wir das umsetzen, das ist unserer Kreativität überlassen. Es muss nicht nur schön, sondern immer auch kostengünstig und den Erfordernissen des Theateralltags gewachsen sein«, erklärt Karlheinz Kirchler.  Eine Aufgabe für den »Käfig voller Narren« war es zum Beispiel eine 10 Meter breite und 6,50 Meter hohe Stadt-Silhouette von St. Tropez in Abenddämmerung auf Leinwand zu malen. Die Vorlage war ein Foto. Hier bedienen sich die Künstler im Malersaal, in diesem Fall Sarah Michel und Benedikt Finteis aus dem zweiten Lehrjahr, der Rastertechnik. Über das Foto wird ein Liniengitter gezeichnet, welches das Bild in kleine Kästchen teilt. Diese Kästchen werden dann maßstabsgetreu mit Schnüren auf der riesigen grundierten Leinwand auf dem Boden übertragen. Dann werden die Umrisse aus den kleinen Kästchen in die großen gezeichnet. Anschließend werden ohne Schnurnetz die Farben aufgetragen. Für Formate von bis zu 19×19 Metern ist im Heilbronner Malersaal Platz. Die Maler arbeiten im Stehen mit Pinseln an ca. ein  Meter langen Stielen. Von den wertvollen Langschaftpinseln hat jeder Theatermaler sein eigenes Sortiment, das er wie seinen Augapfel hütet.

Die Farben werden nicht etwa fertig gekauft, sondern selbst mit Wasser, Kaltleim und Farbpigmenten angerührt. Das ist für Malersaalvorstand Herbert Kübler wichtig wegen der Brillanz und deshalb eine Frage der Ehre. Die Farbküche ist mit ihren bunten Kisten, in denen die Pigmente in allen Abstufungen der Regenbogenfarben lagern, eine Wohltat für Auge und Seele – gerade in der grauen Jahreszeit.  Vielleicht sind deshalb die Kollegen im Malersaal immer gut gelaunt, auch wenn es noch so dicke kommt. Wie alle Abteilungen im Haus auch haben sie ein enges Terminraster. Ein Rädchen greift ins andere, wenn die  Arbeitsschritte mit den anderen Abteilungen wie der Schreinerei, der Schlosserei und der Dekowerkstatt koordiniert werden, die alle gemeinsam am Bühnenbild für eine Inszenierung arbeiten. Und jeder Auszubildende lernt vom ersten Tag an, sich die Zeit perfekt einzuteilen und muss gleich richtig mithelfen. Elisabeth Eis und Charlotte von Davier dürfen sich bereits  im ersten Lehrjahr an Picasso-Imitationen heranwagen – in riesigen Formaten, denn anders würden sie den Ansprüchen der Bühne einfach nicht genügen.

Silke Zschäckel, Pressereferentin

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