Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen, und können sich nicht vorstellen, dass dort fast rund um die Uhr und natürlich auch vormittags gearbeitet wird. Zum Beispiel in der Dekoabteilung
Roter Samt und goldene Borte – das Bett von »Lola« für das gleichnamige Schauspiel nach Fassbinder braucht einen altmodisch-plüschigen und etwas anrüchigen Charakter. Schließlich ist Lola Nachtclubsängerin in einem Edelbordell. Für das richtige Interieur einer Inszenierung sorgt die von allen schlicht als »Deko« bezeichnete Abteilung. Die Werkstatt wirkt trotz ihrer Größe sehr gemütlich – schließlich ist der Sinn für Atmosphäre in Räumen eine der wichtigsten Eigenschaften, die man in diesem Beruf mitbringen muss. In der Mitte steht ein riesiger Arbeitstisch, an dem alle sechs Kollegen gleichzeitig tätig sein können. An den Wänden hängen bunte Teppiche, die für schon abgespielte Inszenierungen angefertigt wurden. In Regalen lagern farbige Stoffballen, PVC-Rollen, Stahlfedern für Sitzmöbel, robuste Scheren oder Seile und Kordeln aller Art. An der Fensterseite stehen 6 Nähmaschinen – eine, so laut wie ein LKW, ist für schwere Vorhangstoffe gedacht und kapituliert auch nicht vor Plastikbahnen. Viele Näh-Arbeiten werden aber noch mit der Nadel in der Hand verrichtet. So wie jetzt eben das Nähen der goldenen Kordel um das rote Samtbett. Sandra Horvath liebt diese Tätigkeit, die sie sehr akribisch verrichtet. »Nur weil das Möbelstück meterweit vom Auge des Betrachters entfernt steht, darf man sich trotzdem nicht um einen halben Zentimeter vertun. Man sieht es, wenn es nicht stimmt«, versichert sie. Mit dem gleichen roten Samt bezieht ihr Kollege Reiner Hennrich einen alten Sessel, der die Einrichtung von »Lola« komplettieren wird. Dafür wurde ein altes, ziemlich abgewirtschaftetes Möbelstück aus dem Fundus geholt, die Federn neu gespannt, frisch gepolstert und schließlich bezogen. Reiner Hennrich ist seit zwanzig Jahren am Theater Heilbronn. Früher hat er Autositze in teure Limousinen eingebaut. Als das Theater eine Stelle als Dekorateur ausschrieb, hat er sich beworben, um den zugegebenermaßen sehr gut bezahlten Job in der Autoindustrie mit der sehr abwechslungsreichen Arbeit im Theater einzutauschen.
Ähnlich kam Angelika Wagner, die seit zwei Jahren die Abteilung leitet, ans Theater. Sie ist gelernte Raumausstatterin. Ihr Markenzeichen ist eine große Schere, die sie immer in der Hosentasche trägt und Stecknadeln am Pullover. »Nähen, polstern, tapezieren, Fußböden verlegen – das sind unsere Arbeiten, wie bei einem Raumausstatter auch«, beschreibt sie. Allerdings sind die Dimensionen viel größer und die Deko-Artikel alles andere als gewöhnlich. Wann braucht man in einer Wohnung schon mal einen riesigen Vorhang aus Goldlaméstreifen wie bei »Ladies Night«? Die Blasen an den Händen vom Zuschneiden sind mittlerweile verheilt. Oder wer benutzt Toilettenpapier von einem Meter Breite – wie es in »Hase Hase« gebraucht wurde? Wer weiß, wie man handgemalte Tapeten verklebt, wie es bei »Arsen und Spitzenhäubchen« erforderlich war? Eine der spannendsten Herausforderungen waren die Stalaktiten aus Stoffballen, die in der Inszenierung »Die Irre von Chaillot« von der Decke hingen und für die Tonnen von Stoffresten verarbeitet wurden. Für diese Stoffinstallationen gab es in so mancher Vorstellung Szenenapplaus – diese unmittelbare Reaktion auf ihre Arbeit erfahren die Dekorateure nur selten. Ihren persönlichen Beifall erhalten sie zumeist am Tag der technischen Einrichtung vom Bühnenbildner rund zehn Tage vor der Premiere. »Das sind quasi unsere Auftraggeber«, erklärt Angelika Wagner. Das Bühnenbildmodell, technische Zeichnungen und schriftliche Erläuterungen sind ihre Arbeitsgrundlage. Diese sind für jede Inszenierung auf einem gelben Blatt festgehalten, das an der Eingangstür zur Deko klebt. WAS sie bauen und einrichten sollen, geht daraus hervor. WIE sie es tun, ist ihrer Kreativität, ihrer Stilsicherheit und ihrem handwerklichen Geschick überlassen. »Wir entwickeln Proben und sprechen die Materialien mit dem Bühnenbildner ab. Anschließend wird in Großformat gearbeitet«, erklärt die Abteilungsleiterin. Für »Lola« zum Beispiel lautete die Anforderung: Gebraucht wird ein wunderschöner Sternenhimmel. Der entsteht aus pechschwarzem Samt: 15 Meter breit, 10 Meter hoch, in den viele kleine Löcher gestanzt werden. Mit Hilfe einer kunstvollen Beleuchtung von hinten erhält man auf diese Weise die perfekte Illusion einer sternenklaren Nacht.
Silke Zschäckel, Pressereferentin