Spiel der Erinnerungen

Marius von Mayenburgs »Der Stein« erzählt deutsche Geschichte als Mosaik aus Geschichten
Premiere am 26. April 2013 im Großen Haus
Ich will hier nicht sein – sagt Hannah. »Ich gehör hier nicht hin.« Das »Hier« ist das Haus in Dresden, in das drei Generationen der Heising-Frauen 1993 zurückkehren. Für Hannahs Mutter Heidrun und ihre Großmutter Whita bedeutet diese Rückkehr etwas anderes: »Ich bin hier zu Hause«, sagt Whita. »Ich kenn jeden Stein.« Ein Pflasterstein, 1935 in eines der Fenster geworfen, später im Garten vergraben, 1978 wieder ausgegraben und seitdem als Erinnerungsstück hoch gehalten, wird dann auch zum sichtbaren Zeichen einer (Familien-)Geschichte, die sich – Steinchen für Steinchen wie ein Mosaik – für die Zuschauer zusammensetzt.

Nach »Feuergesicht« stellen wir mit »Der Stein« zum zweiten Mal ein »Familienstück« des  Autors und Regisseurs Marius von Mayenburg am Theater Heilbronn vor. Der international gefeierte Kleist-Förderpreisträger schafft mit seinem Spiel der Erinnerungen, das in 34 kurzen Szenen durch sechs Zeitebenen springt, einen großen Wurf: Er hat ein deutsches Geschichtsdrama des 20. Jahrhunderts geschrieben. Von Mayenburg zeigt Geschichte als Geschichten, die von Generation zu Generation weitererzählt werden. Und er zeigt, wie erzählte Erinnerungen als (Familien-)Geschichte inszeniert und konstruiert werden. Die schöne Fassade vom Großvater Wolfgang, der mit dem Kauf des Dresdner Hauses einer jüdischen Familie die Flucht nach Amerika ermöglichte, bekommt durch die bedrängenden Erinnerungen Whitas und die neugierigen Fragen Hannahs hässliche Risse. Und auch die junge Stefanie, die urplötzlich auftaucht, »um zu stören«, hat eine ganz eigene Sicht auf das Haus und seine Besitzer.
»Manche Dinge bekommen dadurch, dass man sie oft genug erzählt bekommt, ihre eigene Realität,« beschreibt Marius von Mayenburg in einem Interview. »So eine nicht auflösbare Unsicherheit, was von den verschiedenen Details stimmt, besser: was auf welcher Ebene stimmt, – diese Unklarheit ist typisch für unsere heutige Perspektive auf die Vergangenheit.«
Für das Theater Heilbronn wird die Berliner Regisseurin Esther Hattenbach »Der Stein« inszenieren. Ihre bisherigen Arbeiten in Heilbronn – »Angst essen Seele auf«, »Groß und klein« und »Verbrennungen« – zeichneten sich durch Klarheit und Intensität aus. Für sie ist eine der größten Herausforderungen des Stücks, »die vielen Zeitsprünge und Erinnerungsfragmente nachvollziehbar und sinnlich erfahrbar zu machen«.

Andreas Frane, Dramaturg

 

 

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