Und hoppla, jetzt werde ich 80

Mit Ingrid Richter-Wendel auf der Suche nach dem Geheimnis der ewigen Jugend

Es gibt Menschen, denen kann die Zeit nichts anhaben. Sie verblühen nicht, sie werden nicht unsichtbar, sie bleiben immer schön. Ingrid Richter-Wendel ist so ein Mensch. Am 20. Januar wird sie 80 Jahre alt. Wer sie sieht, ob auf der Bühne oder privat, der kann das kaum glauben. Intendant Axel Vornam erinnert sich an seine erste Begegnung mit ihr vor fünf Jahren in einem Heilbronner Café: »Da saß mir eine Mittsiebzigerin gegenüber, mit Augen, so lebendig wie bei einem jungen Mädchen, mit einem ansteckenden Lachen, einer großen Neugier und einer unglaublichen Attraktivität. Ich war hingerissen.«
Worin liegt das Geheimnis ihrer ewigen Jugend? »Ich zähle die Jahre nicht«, sagt Ingrid Richter-Wendel. »Ich spaziere von Anbeginn durchs Leben, mal frohgemut, mal mühselig und beladen und hoppla, jetzt werde ich 80.« Sie habe noch nicht einen Tag mit ihrem Alter gehadert. »Dafür hatte ich nie Zeit.« Als Schauspielerin mit vier Kindern, nach dem frühen Tod ihres ersten Mannes viele, viele Jahre alleinerziehend, waren ihre Tage übervoll und die Gelegenheiten, vor dem Spiegel nach Falten zu suchen, selten. Es galt, Proben, Vorstellungen und den Alltag für sich und die  Kinder zu organisieren: »Wenn mich heute einer fragt, wie das ging: Ich weiß es nicht. Aber es ging – auch dank meiner Nachbarn in der Weinsberger Straße, die mit auf meine Kinder aufgepasst haben und dank meiner Vermieterin, die sogar für uns gekocht hat.«

ingrid3 ingrid4

Außerdem habe sie sehr viel Glück gehabt, sagt sie mit blitzenden Augen und man ahnt, dass sie dieses Glück im Wesentlichen sich selbst zu verdanken hat. Ihr Schulrektor erkannte einst ihr Talent und schickte sie zum Vorsprechen an die Schauspielschule Leipzig. »An dem Tag war noch niemand genommen worden und ich war die Letzte. Die älteren Schauspielschüler haben mich gefragt, ob ich Stanislawski kenne, nach dessen Methode an der Schauspielschule unterrichtet würde. Keine Ahnung hatte ich davon und ich war mir sicher, dass ich es nicht schaffen würde.« Doch sie wurde genommen, war in einem Studienjahr mit Eberhard Esche und Klaus Piontek. Es folgten drei Jahre Schauspielschule mit einer hervorragenden Ausbildung (»Jeden Tag Sprecherziehung! – davon profitiere ich noch heute!«), ein praktisches Jahr in Dresden, das erste Engagement in Meiningen. Ihr Mann, der Regisseur Fritz Wendel, 25 Jahre älter als sie, war Westberliner und inszenierte vor dem Bau der Mauer an vielen Theatern in der DDR. Als das kleine Land im Osten begann, seine Menschen einzusperren, gingen die beiden in den Westen. »Dort bekam ich erst einmal die Kinder.« Ihr Mann arbeitete in den Theatern der Bundesrepublik, und sie eroberte nach und nach über Gastspielverträge die Bühne wieder zurück. Als ihr Mann, der auch in Heilbronn inszenierte, starb, erhielt sie einen Kondolenzbrief vom damaligen Heilbronner Intendanten Walter Bison, der ihr einen Gastvertrag als Schauspielerin anbot. Nach einem sehr kurzen Vorsprechen: »Spiel mal einen Ausbruch, kannst Du das?«, erhielt sie ein Festengagement und zog mit ihren Kindern nach Heilbronn. Die Intendanten Walter Bison und später Klaus Wagner sicherten ihr zu, dass sie sich niemals Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen müsse. »Das war ein sehr gutes Gefühl«, sagt Ingrid Richter-Wendel heute noch mit Dankbarkeit. Vor allem auch wegen der Kinder. Um diese nicht zu entwurzeln, hat sie Angebote anderer Häuser ausgeschlagen.  Seit über 40 Jahren steht sie in Heilbronn auf der Bühne und das Publikum liebt sie. »Es kam Intendant Martin Roeder-Zerndt und ich spielte weiter. Und jetzt ist Axel Vornam da und ich spiele weiter.«

Ingrid Richter-Wendel
Ingrid Richter-Wendel
Fotos: Fotostudio M42

Ganz klar ist das Theaterspielen für sie ein Jungbrunnen. Das Nachdenken über die zu verkörpernden Figuren und über die gesellschaftlichen Zusammenhänge ist ihr wichtig und es sorgt auf wohltuende Weise dafür, dass man sich selbst nicht so wichtig nimmt, meint sie. Sie ist eine Schauspielerin, die alles ausprobiert, sich für nichts zu schade ist – das schätzen ihre Kollegen an ihr. Wie ist es für sie, dass ihr Name quasi ein Synonym für das Theater Heilbronn ist? »Unheimlich«, sagt sie. »Aber auch schön. Ich erhalte Rückmeldungen für jede Inszenierung, Lob und Tadel. Und ich werde immer nach meiner Meinung  gefragt.« Dann bricht sie gern eine Lanze für Stücke, die das Publikum fordern. Sie kann es nicht begreifen, wenn jemand sich beschwert, dass ein Abend zu anstrengend sei. »Es macht Spaß, sich anzustrengen«, sagt sie. »Immer nur Schokolade essen, ist langweilig. Man muss auch mal was zu beißen haben.« Erst »Verbrennungen«, dann »Wie im Himmel« – deshalb liebt sie das Stadttheater.
Besonders ihr Stadttheater in Heilbronn, der Stadt, die sie warmherzig ihr Zuhause nennt. Hier fühlt sie sich geborgen und gut aufgehoben. »Es geht mir richtig gut.«
Wahrscheinlich ist dies das Geheimnis ihrer Jugend. Sie ist glücklich, weil sie glücklich sein will und aktiv dafür arbeitet. Sie genießt die Schönheiten des Lebens und betrachtet die Probleme als Herausforderungen. Sie liebt leidenschaftlich ihren Beruf, der sie immer wieder fordert und dessen Handwerk sie perfekt beherrscht. Sie schwärmt von ihrem Mann, dem bildenden Künstler Joachim Bertsch, mit dem sie seit über 30 Jahren wunderbar reden und auch heftig streiten kann. Sie erzählt liebevoll von ihren Kindern und Enkelkindern, zu denen sie eine innige Beziehung pflegt. Sie arbeitet gern mit ihren Kolleginnen und Kollegen, von denen sie sich  geschätzt fühlt. Sie hat ein Auge für die kleinen Feinheiten des Alltags und so viele Momente der Freude am Tag. Sie ist aufmerksam und sensibel für ihre Mitmenschen, über deren Erfolge sie sich ehrlich mitfreuen kann. Und sie ist von einer so liebenswerten Neugier und so unbändigen Lebenslust, dass man sich wünschte, die wären ansteckend.
Kurz vor ihrem 80. Geburtstag freut sie sich auf die nächsten Rollen: »Ja, ich spaziere noch ein bisschen weiter auf meinem Lebensweg, mal frohgemut, mal mühselig und beladen …« Sagt´s und lächelt schelmisch, wie ein junges Mädchen.

Mit einer Matinee in den Kammerspielen feiert das Theater am 20. Januar um 11 Uhr den Geburtstag von Ingrid Richter-Wendel. Gratulanten sind herzlich eingeladen.

Silke Zschäckel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert