Unsichtbar aber unverzichtbar

Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen, und können sich nicht vorstellen, dass Mitarbeiter dort fast rund um die Uhr arbeiten. Zum Beispiel die Ankleiderinnen.

Ankleiderinnen

Eben war Schauspielerin Katharina Voß noch die Bürodame mit dunkler Kurzhaarperücke, hellblauer Bluse und dunkelblauem Rock. Nur einen Augenblick später huscht sie in einem rosa Kleid und mit rotem Lockenkopf über die Bühne. Wenige Minuten später ist sie schon wieder eine komplett andere – diesmal eine Asiatin in einem wunderschönen Kimono. Das Publikum des Musicals »Das Apartment« schaut zweimal hin. Ist sie es wirklich? Wie macht sie das nur, dass sie sich so schnell verwandelt?
Was niemand von den Zuschauern sieht, ist das geschäftige Treiben hinter der Bühne – wortlos und präzise wie bei einem  Uhrwerk greift ein Rädchen ins andere. Eine wichtige Funktion im Getriebe eines Theaterabends haben die Ankleiderinnen, von denen wir stellvertretend für ihre 11 Kolleginnen die Dienstälteste am Theater Heilbronn vorstellen: Ilse Beer. Seit 29 Jahren zieht sie die Schauspieler(innen) an und gibt ihnen, bevor sie auf die Bühne müssen, den letzten Schliff. Sobald Katharina Voß den Auftritt in der jeweiligen Rolle hinter sich hat, rennt sie auf Zehenspitzen in einen mit schwarzen Tuchwänden abgeteilten 3×3 Meter großen Raum auf der Hinterbühne. Während die Maskenbildnerin ihr die neue Perücke aufsetzt, zieht Ankleiderin Ilse Beer ihr das Kostüm aus und das neue wieder an. Die hellblaue Bluse hat ihre Knopfleiste nur als Zierde. Dahinter sitzen Druckknöpfe, die sich schneller öffnen lassen. Ilse Beer hilft ihr in den rosa Rock und das passende Oberteil. Knöpfe und Reißverschluss zu. Ein kritischer Blick – und raus geht es zum nächsten Auftritt – im Laufschritt auf Zehenspitzen.
Ilse Beer hat nur wenig Zeit, um das Kostüm für den nächsten Wechsel vorzubereiten. Sie legt es fein säuberlich auf den Stuhl – so dass das Anziehen möglichst effektiv vonstatten gehen kann.  Wenn ein Kostüm in dieser Vorstellung nicht mehr gebraucht wird, räumt sie es sofort weg, damit der Überblick nicht verloren geht. Ihre Kolleginnen, die die Frauen in diesem Stück ankleiden, machen es genauso: Gertrud Kleofass betreut die vielen Umzüge von Julia Apfelthaler und Waltraud Mika  die Verwandlungen von Angelika Hart. Dazu arbeiten drei Maskenbilderinnen in dem kleinen Raum auf der Hinterbühne. Wenn alle Schauspielerinnen gleichzeitig kommen, wird es ganz schön eng. Da heißt es Ruhe bewahren.
Gelassen und absolut organisiert zu sein, betrachtet die gelernte Schneiderin als wichtige Voraussetzungen für den Beruf der Ankleiderin – neben ganz viel Einfühlungsvermögen in die Eigenheiten des Schauspielers. Sie weiß zum Beispiel genau, ob ein Schauspieler zuerst mit dem linken oder dem rechten Bein in die Hose steigt und sie richtet sich danach.

Ankleiderinnen2

Rund drei Stunden vor Vorstellungsbeginn ist sie im Theater. Zunächst geht es in die Schneiderei, dort holt sie die frisch gewaschene Wäsche und die Strümpfe für die Darsteller. Diese werden kontrolliert – besonders die Strumpfhosen auf Laufmaschen – und in den Schauspielergarderoben am jeweiligen Platz verteilt. Dann holt sie die Kostüme aus dem Fundus und prüft: Funktionieren die Reißverschlüsse? Sind alle Knöpfe dran? Haben alle Schuhe Schnürsenkel? Ist etwas kaputt, wird es schnell ausgebessert. Sie bügelt die Kostüme, putzt die Schuhe und bereitet die Kleidungsstücke für den ersten Auftritt in der Schauspielergarderobe vor. Rund anderthalb Stunden vor Vorstellungsbeginn kommen die Schauspieler, denen sie beim Ankleiden hilft. In früheren Jahren gehörte es mit dazu, mit Tricks und Raffinessen kleine Figurprobleme zu kaschieren. »Aber diese gibt es im derzeitigen Ensemble nicht«, sagt sie und lacht. Hat sie den Damen ins erste Kostüm geholfen, bringt sie den Ständer mit den anderen Kleidern auf die Hinterbühne. Zur Sicherheit hat sie ihre Notizen über die Abgänge und Auftritte der Schauspieler. Aber eigentlich braucht sie die nicht mehr, denn das An- und Umziehen der Darsteller trainiert sie in den Endproben genauso wie die Schauspieler das Spiel auf der Bühne. »Wenn die Probenzeit nicht ausreicht, machen wir Trockenübungen in der Garderobe. Besonders bei aufwändigen historischen Kostümen ist das wichtig.«
Während der Vorstellung ist sie, um garantiert unsichtbar zu sein, schwarz gekleidet. In ihrer Hosentasche hat sie Nähzeug, im Saum des Pullovers Sicherheitsnadeln – falls doch mal ein Reißverschluss klemmt. Auf dem Fußboden neben ihrem Stuhl liegt eine Schere – für den Fall, dass ein Kostüm sich nicht öffnen lässt. Dann muss die Schere ran, denn der punktgenaue Auftritt des Schauspielers darf nicht gefährdet werden. Repariert wird nach der Vorstellung. Ist der Applaus verklungen, räumen die Ankleiderinnen alle Sachen zusammen. Sind die Kostüme stark verschmutzt – etwa bei »Dantons Tod« – werden sie mit der Hand vorgewaschen und über Nacht eingeweicht. Ilse Beer sortiert: Was kann in den Fundus? Was muss in die Reinigung? Was kommt in die Waschmaschine? Dann ist für sie rund anderthalb Stunden nach Vorstellungsschluss der Arbeitstag zu Ende.
Übrigens ist Ilse Beer eine der wenigen am Theater, die tatsächlich fast ausschließlich abends arbeitet – außer bei Vormittagsvorstellungen.

Silke Zschäckel, Pressereferentin

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