Im Sound-Laboratorium des Mr. Hannemann

Auf der Probebühne des Theaters Heilbronn entsteht das Live-Hörspiel »Jekyll & Hyde«

Ein Blecheimer mit Glasscherben wird geschüttelt, ein gefüllter Sack geworfen, ein altes Koffergrammophon wiederbelebt. »Nein,« unterbricht Eike Hannemann, »das klingt für eine Pubschlägerei noch nicht richtig. Vielleicht sollten wir doch den Wirsingkopf nehmen.«
Wir befinden uns im Laboratorium der Sounds und des Horrors. Auf der Probebühne im zweiten Untergeschoss des Theaters Heilbronn, wo sonst vor dem großen Spiegel an der Längsseite des Raumes choreografiert, eingetanzt und eingesungen wird. Und was auf drei T-förmig angeordneten Tischen aussieht wie ein sehr chaotischer Flohmarkt, ist der Probenaufbau für »Jekyll & Hyde«, das neue Live-Hörspiel, das ab dem 3. Mai in den Kammerspielen das schaurige Erbe von »Dracula« antreten wird.
Regisseur Eike Hannemann, der hier mit den Schauspielern Oliver Firit und Raik Singer begeistert drauflos experimentiert, gilt in der deutschen Theaterlandschaft längst als Experte für dieses Format, bei dem das Erzeugen der Klänge und Geräusche ebenso spannend und amüsant ist wie die dabei erzählte Geschichte. Und je umständlicher und fantasievoller der Weg zum Sound ist, desto größer der Spaß. Wie ist Hannemann auf die Idee gekommen, legendäre Film- und Romanstoffe in Live-Hörspiele für die Bühne zu verwandeln? »Mein erstes Live-Hörspiel war ‚Dark Star’, nach dem Science-Fiction-Film von John Carpenter. Das war damals am Deutschen Theater in Berlin. Und drauf gekommen bin ich über einen ehemaligen Kommilitonen von mir, Stefan Kaminski, der sehr viel Hörspiel gemacht hat und damals am Deutschen Theater war. Wir haben das dort als Serie konzipiert, zuerst mit ihm und einem Musiker, und später habe ich das dann für zwei oder drei Schauspieler erweitert.« Bei der Frage, das wievielte Live-Hörspiel »Jekyll & Hyde« für ihn ist, kommt Hannemann ins Stocken: »Da müsste ich jetzt ganz genau nachzählen. Es ist mindestens das Fünfzehnte.«
An Robert Louis Stevensons Horror-Klassiker »Jekyll & Hyde«, angeblich entstanden 1885 nach einem furchtbaren Alptraum des schottischen Schriftstellers, interessiert Eike Hannemann vor allem das Doppelgänger-Motiv: »Es gibt wahnsinnig viele Vorlagen, an die 130 Verfilmungen, an denen man sich abarbeiten kann. Wir überlegen gerade, wie sehr spielt man mit diesem Klischee, dass Hyde das ultimative Böse ist, und wie löst man die Doppelgesichtigkeit der Figur rein akustisch auf, wenn dem Schauspieler der Körper oder die Mimik genommen ist. Das ist die Herausforderung der ersten Proben.«
Inzwischen hat Raik Singer, sonst Dr. Jekyll und Mr. Hyde in stimmlicher Personalunion, jetzt gerade Pubschläger Nummer 1, eine Idee: Klingen die Erbsen, die er auf eine Untertasse spuckt, nicht genauso wie das Ausspucken ausgeschlagener Zähne? Und klingt es nicht eigentlich ganz anders, wenn man jemand in die Magengrube schlägt als ins Gesicht? Brauchen wir doch den Wirsing? Die Experimente im Sound-Laboratorium des Mr. Hannemann gehen weiter …

Andreas Frane, Dramaturg

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