In der Schaltzentrale

Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen und können sich nicht vorstellen, dass Mitarbeiter dort fast rund um die Uhr arbeiten. Zum Beispiel im Künstlerischen Betriebsbüro

 

Hier wird geplant: Der Arbeitsplatz  unserer Chefdisponentin Vera Högemann Foto: Antjé Femfert
Hier wird geplant: Der Arbeitsplatz unserer Chefdisponentin Vera Högemann
Foto: Antjé Femfert


»Ihr wißt auf unseren deutschen Bühnen probiert ein jeder, was er mag«, schrieb Johann Wolfgang von Goethe, der nicht nur Schriftsteller, sondern auch Theaterdirektor war. Wie auch immer der geschätzte Herr Geheimrat diesen Satz gemeint haben mag, der Alltag an einem Theater sieht ganz anders aus. Nichts stimmt von dem Klischee des lasterhaften Künstlers, der locker in den Tag hineinlebt und sich gern dem Müßiggang hingibt – obwohl sich diese Vorstellung bei Menschen, die nicht ganz eng mit dem Theater verbunden sind, hartnäckig hält.

Der Proben- und Vorstellungsbetrieb am Theater läuft präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Alles ist perfekt organisiert und verlangt von allen Mitarbeitern, ob auf der Bühne oder hinter den Kulissen, eiserne Disziplin und Pünktlichkeit. Dreh- und Angelpunkt dieses »Getriebes« ist das Künstlerische Betriebsbüro, kurz KBB. Seit 10 Jahren wird es am Theater Heilbronn von Vera Högemann geleitet. Ihre Planung einer Spielzeit gleicht einem komplizierten Puzzle aus einer unüberschaubaren Anzahl von Teilen. Das Grundgerüst liefert die Jahresplanung. Wenn die Künstlerische Leitung sich für alle Stücke der neuen Spielzeit entschieden hat, geht Vera Högemann mit dem Technischen Leiter daran, zu planen: Wann sind die eigenen Premieren auf den drei Bühnen? Wann ist zeitlich Platz für die Gastspiele von anderen Theatern – das muss sie mit den Chefdisponenten der anderen Häuser koordinieren. Dann werden die einzelnen Vorstellungen geplant – über 500 sind das pro Spielzeit. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass alle Abonnenten ihre Stücke in einem angemessenen Abstand zwischen den Vorstellungen sehen können. Eingeplant werden müssen außerdem die Probenzeiten für jedes einzelne Stück – wann ist es auf der Probebühne, wann kann es auf die eigentliche Bühne? Wann probieren Regie und Schauspieler allein, wann kommen Licht, Ton, Kostüme oder Maske dazu? Sie muss auch gemeinsam mit der technischen Leitung die Werkstattzeiten im Blick haben – ob in der Schneiderei, in der Schlosserei oder im Malersaal – überall brauchen die Kollegen genügend Zeit und Raum, um an drei bis vier Inszenierungen parallel arbeiten zu können. Jeden Monat geht die Planung weiter ins Detail: Ist vielleicht ein Stück so kompliziert, dass man Verständigungs- oder Durchsprechproben vor den Vorstellungen einschieben muss? Speziell wenn Stücke von einer Saison in die neue übernommen werden, müssen Zusatzproben angesetzt werden, allerdings unter Beachtung der festgeschriebenen Ruhezeiten. Sind die täglichen Umbauten oder die Licht- und Toneinrichtungen auf den Bühnen in der vorgesehenen Zeit zu bewältigen? Im wöchentlichen Plan, den das KBB nach Abstimmung mit allen technischen Abteilungen herausgibt, ist die Planung noch feiner.

Letztlich bindend für alle ist der minutiös ausgearbeitete Tagesplan, den Vera Högemann bis 14 Uhr für den Folgetag ausgehängt und ins Internet gestellt haben muss.
Dort sind etwa alle Vorstellungen mit Vorbereitungen wie Einsingen, Eintanzen, Fechtchoreografie oder Soundcheck aufgeführt. Außerdem Probenzeiten für die einzelnen Inszenierungen – derzeit werden vier Stücke parallel geprobt: Da steht dann zum Beispiel, dass Schauspieler X für die 1. Szene des Stückes zusammen mit Schauspieler Y um 10 Uhr zur Probe kommen muss und Schauspielerin Z für Szene 2 um 11 Uhr dazustößt. Aufgeführt wird auch, welcher Darsteller wann in die Schneiderei geht, um Kostüme anzuprobieren. Jede Minute wird genutzt, das Raster ist eng und lässt keine Fehler zu.
Es gibt aber auch Momente, da gerät Sand in das perfekt durchorganisierte Getriebe. Etwa, wenn ein Schauspieler oder eine Schauspielerin plötzlich erkrankt. Eigentlich passiert das sehr selten, weil die meisten Darsteller versuchen, ihre Vorstellungen unbedingt zu spielen, auch wenn sie nicht ganz auf dem Damm sind. Aber manchmal geht es eben nicht und das KBB ist gefragt. Dann heißt es blitzschnell einen Plan B zu organisieren – jemanden zu finden, der die Rolle übernimmt, und für alle Beteiligten Umbesetzungsproben einzuberufen oder eine andere Vorstellung anzusetzen. Deshalb muss die KBB-Direktorin ständig erreichbar sein, um im Notfall rechtzeitig reagieren zu können. Zu ihrem Tagesgeschäft gehört außerdem die Unterbringung der Gäste wie Regisseure und Bühnenbildner, die für viele Wochen in Heilbronn arbeiten und ihr Zuhause auf Zeit in Theaterwohnungen haben. Und Vera Högemann organisiert die vielen Hotelzimmer für Musiktheater- und Tanzgastspiele, für Solisten, Chöre, Tänzer, Orchester und technische Mannschaften, die aus anderen Theatern anreisen – oft sind dies weit mehr als 100 Kollegen – sehr zur Freude der Heilbronner Hoteliers.

Eine klassische Ausbildung für diesen Beruf gibt es nicht. Vera Högemann kam über das Studium der Theaterwissenschaften, Germanistik und Romanistik und die Stationen Oper Frankfurt, den S. Fischer Verlag und das Schauspiel Leipzig ans Theater Heilbronn. Voraussetzung um so eine Aufgabe gut zu bewältigen, ist neben dem Organisationstalent die Kenntnis des Theaterbetriebes in allen Bereichen. Man muss sowohl technische als auch künstlerische Prozesse einschätzen können und man muss sich in Tarifverträgen und im Arbeitsrecht auskennen. Im Theater Heilbronn sind die Abläufe meistens reibungslos. Wenn Gastkünstler von außen kommen, beschreiben sie, dass kaum ein Haus so gut organisiert ist, wie das Heilbronner. Ein schönes Kompliment für die Künstlerische Betriebsdirektorin, die es allerdings sofort weitergibt an alle Abteilungen des Hauses und sagt: »Wenn nicht ein Rädchen ins andere greifen würde und man sich nicht auf alle Kollegen verlassen könnte, nütze die schönste Koordination in der »Schaltzentrale« nichts.«

Silke Zschäckel, Pressereferentin

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