Matthieu Delaportes und Alexandre de la Patellières Bühnenerfolg »Der Vorname« im Komödienhaus

Brillant-böses Desaster-Dinner

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen gemütlich mit Verwandten und alten Freunden beim gemeinsamen Abendessen zu Hause. Man kennt sich in- und auswendig – denkt man. Die Gastgeberin hat mit viel Aufwand ein exotisches Buffet vorbereitet, die Gäste haben den Wein mitgebracht. Jemand am Tisch ist schwanger, und natürlich fragt jemand: Wie soll das Kind denn heißen? Antwort: Adolf!

Soll das ein Scherz sein? Sprengt so etwas die Grenzen des guten Geschmacks, der politischen Korrektheit und der Toleranz? Wie viel Provokation vertragen Familien- und Freundschaftsbande wirklich? Und ist das komisch?

Die Antwort gibt der gigantische Erfolg, den »Der Vorname«, das Debütstück der beiden Franzosen Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière, nicht nur im französischen und deutschen Sprachraum, sondern inzwischen auch international hat. Seit der Uraufführung 2010 in Paris begeistert die pointierte Konversationskomödie ihr Publikum, heimste den Preis SACD 2011 der Académie française und sechs Nominierungen für den wichtigsten französischen Theaterpreis, den Prix Molière, ein und wurde mit den Schauspiel-Stars Patrick Bruel und Charles Berling erfolgreich von den beiden Autoren auch auf die Kinoleinwand gebracht. Nicht verwunderlich, denn »eigentlich« arbeiten Delaporte und de la Patellière für Film und Fernsehen: Kennengelernt haben sich die beiden, als sie 1995 zufällig im selben Gebäude die Endfassung ihrer Filme schnitten. Gemeinsam waren sie bei der Produktionsfirma Onyx Films, schrieben Drehbücher und schufen die hoch gelobten Zeichentrickfilme »Renaissance« fürs Kino und »Skyland« fürs Fernsehen. Seit dem Überraschungserfolg von »Der Vorname« haben sie mit »Das Abschiedsdinner« und »Alles was Sie wollen« zwei weitere Theaterstücke herausgebracht.

»Der Vorname« spielt an einem Abend in der Pariser Wohnung des Literaturprofessors Pierre (bei uns gespielt von Stefan Eichberg) und seiner Frau Elisabeth (Judith Lilly Raab). Eingeladen sind Elisabeths jüngerer Bruder Vincent (Oliver Firit) und seine schwangere Partnerin Anna (Stella Goritzki), sowie der Posaunist Claude (Raik Singer), ein langjähriger Freund der Gastgeber. Was als netter Abend unter Freunden beginnt, entwickelt sich zwischen  schmackhaften Briouats und Zaalouk zu einem wahren Desaster-Dinner, bei dem sich hinter der Fassade des linksliberalen Bildungsbürgertums gar finstere (und urkomische) Abgründe auftun. Und dann serviert ausgerechnet die »Pflaume« Claude zum Dessert noch ein pikantes Familiengeheimnis.

Für Regisseur Jens Kerbel und Ausstatterin Carla Friedrich, die in der letzten Spielzeit »Rita will‘s wissen« auf die Bühne des Komödienhauses brachten, besteht der Reiz und die Herausforderung bei »Der Vorname« darin, wie »brillant und böse« durch den hinterhältig gelegten Sprengsatz einer Provokation sehr schnell gesellschaftliche Konventionen, aufgeklärte Wertvorstellungen und bequem eingerichtete Lebensentwürfe in die Luft gewirbelt werden. Aus der kontroversen Diskussion um den »Vornamen« wird ein rasantes verbales Gefecht, bei dem jede/r der Anwesenden mehr als genügend Angriffsfläche bietet. Sind die Grenzen erst einmal überschritten, gibt es kein Halten mehr – und nicht nur der Wohnzimmertisch geht zu Bruch. Viel Vergnügen!

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