Rassismus ist die größte Ungerechtigkeit

Herzensangelegenheit: Sarah Finkel und Lucas Janson gestalten einen Theaterabend über »Die Angst vor dem Fremden«

Zwei Menschen, eine junge Frau und ein junger Mann, sitzen gemeinsam auf einer Bank im Park und grüßen freundlich die vorübergehenden Passanten. Sie wird zurückgegrüßt. Er nicht.
Beide haben dunkle, lockige Haare. Sie hat sehr blaue Augen und helle Haut. Seine Augen sind dunkelbraun und seine Haut hat einen warmen goldbraunen Ton. Es ist wegen seines Aussehens, da ist sich Lucas Janson sicher, dass die Vorbeigehenden ihn ignorieren. Eine Erfahrung, die er immer wieder in den unterschiedlichsten Facetten machen muss. Seine Kollegin Sarah Finkel, die eben Zeugin dieser Form von Alltagsrassismus geworden ist, mag sich damit nicht abfinden. Diese Begebenheit ist für die beiden Schauspieler des Heilbronner Ensembles zunächst Anlass für ein langes Gespräch, das schließlich in einem Beschluss gipfelt: Wir müssen die »Angst vor dem Fremden« zum Thema eines Theaterabends machen. »Das war lange vor George Floyd«, betont Sarah Finkel. Am 3. und 4. Juli zeigen sie ihre theatrale Erkundung in die Abgründe der Xenophopie in der Boxx@Night_Corona-Edition, zusammen mit Markus Herzer am Klavier.

Sarah Finkel und Lucas Janson (Foto: Rebekka Mönch)

Beide haben großen Respekt vor dem Abend, denn sie schlüpfen nicht nur in verschiedene Rollen oder singen Songs, sondern sie verantworten komplett das künstlerische Konzept und verarbeiten zudem ihre ganz persönlichen Erfahrungen in eigenen Texten.  Sarah Finkel sagt: »Dass ich durch mein Aussehen, das keinen Migrationshintergrund verrät, privilegiert bin, empfinde ich als himmelschreiende Ungerechtigkeit.«  Aufgewachsen in einem Stadtteil von Landshut, in dem Menschen aller Herren Länder zusammenleben, hat sie erfahren müssen, wie ihre Freunde, die aus dem Libanon oder aus der Türkei stammen, nicht die gleichen Chancen bekamen wie sie. Wenn sie versuche, sich hineinzuversetzen in ein permanentes Gefühl des ausgegrenzt Seins, des in Schubladen gesteckt Werdens, des weniger Chancen Habens, des immer ein bisschen härter arbeiten Müssens, dann bekommt sie Kopfschmerzen, erzählt sie und findet ein simples Beispiel. »Stellt euch den demütigenden Moment vor, wenn im Sportunterricht eine Mannschaft gewählt wird und man selbst bleibt bis zum Schluss stehen. Dieses Gefühl ist für Menschen, die rassistisch ausgegrenzt werden, nicht nur eine Momentaufnahme, sondern Dauerzustand.«

Lucas Janson, der in einer linksliberalen Bildungsbürgerfamilie großgeworden ist, hat indische und schwedische Wurzeln. Von der indischen Familie mütterlicherseits ist sein Aussehen geprägt, von der schwedischen Familie väterlicherseits hat er den Namen. Obwohl seine Vorfahren seit drei Generationen in Deutschland leben, Lucas in Hessen geboren und aufgewachsen ist, wird er immer wieder gefragt, aus welchem Land er komme oder wo seine Wurzeln liegen. Das ist häufig die allererste Frage. Nicht: Was machst du? Oder wie heißt du? Er ist äußerst höflich und zuvorkommend, sagt lieber dreimal danke, als einmal zu wenig. Das sei ein Ergebnis der mütterlichen Erziehung, meint Lucas Janson: Sei freundlich und höflich, falle nur nicht auf, passe dich an. »Als Migrantenkind der dritten Generation habe ich mich emanzipiert, bin selbstbewusst, stehe auf der Bühne. Dennoch wird mir immer wieder das Gefühl vermittelt, nicht hierher zu gehören.« Seit der Flüchtlingskrise 2015 habe sich das extrem verschärft.  Auf ihrer Recherche zum Thema Fremdenangst sind die beiden in Theatertexten fündig geworden – etwa in Koltès Stücken »Der Kampf des Negers und der Hunde« und  »Roberto Zucco«, in Heiner Müllers »Medea« oder in Dea Lohers »Unschuld«, aus denen sie Ausschnitte ausgewählt haben. Sie verflechten die Monologe mit philosophischen Einlassungen von Zygmunt Bauman, mit Songs von Hildegard Knef bis Faber und verbinden sie mit ihren eigenen Texten und Gedanken zu einer szenischen Collage. Sie wollen reflektieren, provozieren, ihr Herz ausschütten, ihre Gedanken teilen – über die Angst vor dem Fremden, aber auch über das Gefühl des Fremdseins. Es wird ein sehr persönlicher, ehrlicher Theaterabend der beiden Schauspieler: Eine Stunde im leeren Raum, ohne Requisiten, ohne Lichtdesign,  aber mit brennenden Herzen und der Hoffnung, dass die Zuschauer hinterher rausgehen, diskutieren und sich die Frage stellen: Wo stehen wir eigentlich?

BOXX@Night »Angst vor dem Fremden« am 3. und 4. Juli 2020 um 20.00 Uhr in der BOXX.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert