Gerhart Hauptmanns »Einsame Menschen« ab dem 12. Januar im Großen Haus
Kann es zwischen einem Mann und einer fremden Frau eine kameradschaftliche, intellektuelle Verbindung geben, ohne dass seine Ehe deshalb in Gefahr gerät? Der in Niederschlesien geborene Autor und selbsternannte »Sohn von Goethe« Gerhart Hauptmann (1862-1946) spielt diese Frage in seinem 1890 entstandenen Drama »Einsame Menschen« durch und kommt zu dem – vielleicht nicht ganz so überraschenden – Schluss: Drei ist immer einer zuviel.
Das Stück spielt in einem Landhaus am Müggelsee. Der junge Gelehrte Johannes Vockerat und seine Frau Käthe haben ihr erstes Kind bekommen. Johannes kommt mit seiner wissenschaftlichen Arbeit nicht voran und wird zunehmend gereizter. Weder sein Freund, der Maler Braun, noch Käthe vermögen ihn zu beruhigen oder ihm die nötige Kraft zum Weiterschreiben zu geben. Erst als die russische Studentin Anna auftaucht, blüht Johannes plötzlich auf. Er ist hingerissen von der klugen, selbstbewussten und unabhängigen jungen Frau. In ihr findet er eine ebenbürtige Gesprächspartnerin. Doch die zunehmende Vertrautheit zwischen Anna und Johannes fordert ihren Preis. Käthe fühlt sich mehr und mehr überflüssig, auch Braun kommt nicht mehr zu Besuch und Johannes’ fromme Eltern äußern moralische Bedenken. Doch Johannes möchte Anna in seinem Leben nicht mehr missen. Die Katastrophe scheint unausweichlich.
Gerhart Hauptmann galt und gilt als einer der Naturalisten des deutschen Dramas. Wirklichkeitsgetreu und ohne Deutung und Verklärung wollten die Naturalisten schreiben. Auch Hauptmann bediente sich vor allem vieler Themen und Situationen aus der Realität der zunehmenden Industrialisierung (»Die Weber«, 1892; »Vor Sonnenaufgang«, 1888/89), aber auch aus dem privaten Leben. »Einsame Menschen« sei immer sein liebstes Stück gewesen. Durchlebt wurde es bereits in aller Ausführlichkeit von seinem Bruder Carl. Drei Hauptmann-Brüder haben drei Thienemann-Schwestern geheiratet. Als die junge polnische Studentin Josepha in Carls Leben tritt, scheinen die engen Familienbande gefährdet.
Carl unternimmt lange Spaziergänge mit ihr, bittet sie, eine Zeit in Berlin mit seiner Frau zu verbringen und auch Gerhart stellt er sie vor. Doch bevor »das Gift einer eiternden Wunde binnen kurzem alles vergiften konnte«, wird Carl, nicht zuletzt von Bruder Gerhart, gedrängt, das »Verhältnis« zu beenden.
»Einsame Menschen« ist kein soziales Drama, sondern ein Familiendrama. Es beschreibt die Veränderung der sozialen Rollen im Zuge der Modernisierung des 20. Jahrhunderts. Wenn der Mann (Johannes) nicht mehr die Grundbedingungen des männlichen Geschlechtscharakters verkörpert, sondern eine junge Frau (Anna), dann muss das geschlechtskonforme Verhalten der Ehefrau (Käthe) ins Leere laufen und damit in einem Drama enden. Zurück bleiben moderne, aber schwache Menschen.
Einsame Menschen eben, deren Entfremdung in der Inszenierung von Chefregisseur Alejandro Quintana einen kraftvollen Ausdruck findet. Durch einen technisch-optischen Kniff wird im Bühnen- und Kostümbild von Stefan Brandtmayr und Cornelia Kraske die Haltlosigkeit dieser Menschen atmosphärisch-visuell unterstrichen.
Stefanie Symmank