Nachwuchsregisseurin Luisa Köpper gibt mit »Nach dem Ende« ihr Regiedebüt in der BOXX
von Dr. Mirjam Meuser
Louise und Mark, die Protagonisten in Dennis Kellys apokalyptischem Thriller »Nach dem Ende«, sind Kollegen, arbeiten im selben Büro. Louise ist eine geschätzte und allseits beliebte junge Bürokraft. Mark, ihr Kollege aus der Reprografie-Abteilung, wohl eher das, was man heute einen »Nerd« nennt, ein eher zurückhaltender und verschrobener junger Mann, der offenbar schon seit einiger Zeit in Louise verliebt ist. Da er sich bei der jungen Frau allerdings wenig Chancen ausrechnet, hat er ihr diese Tatsache nie verraten. Vielmehr hängt er sich emotional an jeden kleinen Moment, in dem sie ihm – in Ermangelung besserer Gesellschaft – ein wenig Aufmerksamkeit schenkt und ergeht sich in Fantasien über ihre vermeintliche Seelenverwandtschaft.
Kellys Stück beginnt nun mit einer beängstigenden Situation. Am Morgen nach ihrer Abschiedsparty im Kreise von Kollegen – Louise ist gerade dabei, eine neue Stelle in einem anderen Unternehmen anzutreten – erwacht sie in dem Atombunker im Garten von Marks Eigentumswohnung. Den Bunker, der noch aus der apokalyptischen Atmosphäre der 1980er-Jahre stammt, hatte der Sonderling Mark nach dem Immobilienkauf nicht zerstört, sondern stattdessen mit dem Nötigsten für den Ernstfall ausgestattet – eine Tatsache, die offenbar im Kollegenkreis immer wieder Anlass für Hänseleien und Amüsement war. Doch als wäre diese klaustrophobische Ausgangssituation nicht genug, erzählt Mark Louise darüber hinaus, dass es am gestrigen Abend einen Atomschlag gegeben habe und es ihm gerade noch gelungen sei, Louise und sich in den Bunker zu retten. Draußen herrsche Chaos, der Großteil der Menschen sei wohl umgekommen. Sie seien nun aufeinander angewiesen und müssten bis auf Weiteres im Bunker ausharren. Louise reagiert zunächst geschockt, doch bald stellen sich bei ihr Zweifel über Marks Version der Geschichte ein. Subtil versucht sie herauszufinden, was sich am vergangenen Abend tatsächlich ereignet hat – ohne je die Möglichkeit aus den Augen zu verlieren, dass er doch die Wahrheit sagen könnte. Im Dialog zwischen Mark und Louise fächert sich nun nicht nur langsam ihre gemeinsame Geschichte auf, darüber hinaus entwickelt sich zwischen den beiden ein gnadenloses Machtspiel, das sich zuspitzt, je mehr Mark unter Druck steht, Louise mit der atomaren Drohung von außen weiter in Schach zu halten. Das Vorenthalten von Nahrung wird zu Marks entscheidendem Druckmittel, um seinen Willen durchzusetzen, und lässt die Situation zwischen den beiden bald eskalieren.
»Nach dem Ende« ist das dritte veröffentlichte Stück des preisgekrönten britischen Star-Autors Dennis Kelly (»Mathilda«, »Utopia«) und stammt aus dem Jahr 2005, als die Terrorangst im Zusammenhang mit dem »War on Terror« nach dem 11. September 2001 in Europa um sich griff. Es setzt sich mit der Entstehung von Machtstrukturen in intimsten Beziehungen auseinander wie auch mit unserem Bedürfnis, uns sicher zu fühlen, und damit, wie dieses Bedürfnis von Einzelpersonen und Regierungen manipuliert werden kann. Zudem beschäftigt sich das Stück mit männlicher Gewalt – ein Thema, das viele von Kellys Stücken durchzieht. Es fragt nach den subtilen Verbindungen von Männlichkeit und Gewalt, die Kelly grundlegend beschäftigen. Zugleich erinnert es uns in einer extrem gefährdeten Zeit wie der unseren daran, wie sich menschliche Charaktere und Beziehungen in Extremsituationen verändern können. Und es lässt die apokalyptische Atmosphäre der 1980er-Jahre wieder aufleben, als sich die Atommächte bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden. So besitzt Kellys Stück für uns eine erschreckende Aktualität, der die Nachwuchsregisseurin Luisa Köpper, die mit »Nach dem Ende« ihr Regiedebüt am Theater Heilbronn gibt, in ihrer Inszenierung nachgehen will.
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