Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen, und sie können sich nicht vorstellen, dass Mitarbeiter dort fast rund um die Uhr arbeiten. Zum Beispiel: Die Schlosserei.
Immer der Nase nach. Der Duft nach Stahl und Öl weist den Weg in die Theaterschlosserei. Um die eiserne Tür zu öffnen, braucht es, zumindest für Frauen, ganzen Körpereinsatz. Die Aufschrift an der Tür »Karl Wankelmut, Schutzpatron der Schaukelstühle«, erheitert auf Führungen durch das Theater regelmäßig die Besucher. Bei diesem Spruch kann es sich nur um reine Selbstironie handeln, denn die Männer in der Schlosserei stehen als Persönlichkeiten und vor allem mit ihrer Arbeit für eiserne Standfestigkeit und Stabilität …
Das Reich von Wolfgang Hockenberger, dem Leiter der Schlosserei, der seit Bestehen des Hauses am Berliner Platz hier arbeitet, seinen zwei Kollegen Jürgen Thillmann, Jürgen Piper und ihren vier Auszubildenden sorgt regelmäßig für ungläubiges Staunen bei den Besuchern, die hinter die Kulissen schauen. Riesige Stahlgerüste sind dort aufgebaut. Schweißgeräte, Stahlsägen, Bohrmaschinen, Fräsen und eine Wand mit Hämmern, Feilen, Zangen bestimmen das Bild. Dazu Regale mit Schrauben, Muttern, Blechen und Winkeln aller Art. So etwas vermuten die Zuschauer nicht im Theater. Es ist vielleicht nicht verwunderlich, denn das, was die Schlosserei baut, ist an den Vorstellungsabenden selten zu sehen. Wer ahnt schon, dass die riesige hölzerne Welle, die das Bühnenbild von »Emilia Galotti« dominiert, auf ein kompliziertes Stahlgerüst aufmontiert ist, das von hinten spektakulär aussieht und im Rennen um Preise für moderne Kunst vielleicht gute Chancen hätte. Zudem kann dieses Konstrukt so einiges, denn es ist so konzipiert, dass man die Welle »zusammenklappen« kann.
Auch das Bühnenbild für »Ladykillers«, das neue Stück im Komödienhaus, wird wieder so ein Fall. Die Zuschauer werden eine überdimensionale Puppenstube sehen, die so groß wie ein Einfamilienhaus ist und die ganze Bühne einnimmt mit ihren schön eingerichteten Zimmerchen. Damit diese zweistöckige Behausung fest steht, sind alle Fassaden vom Keller bis zum Dach auf Stahlgerüste montiert, die in der Schreinerei, dem Malersaal und der Dekorationswerkstatt in das gemütliche Heim einer liebenswerten älteren Dame verwandelt werden …
»Zuerst habe ich mich immer ein bisschen gegrämt«, gesteht Wolfgang Hockenberger. »Da hat man so was Schönes gebaut und dann wird alles verkleidet.« Aber ohne die Arbeit der Schlosser würde kein Bühnenbild stehen. Die Männer entwickeln und bauen die Trägerkonstruktionen für alle Bühnenaufbauten. Ihr Chef ist gleich bei den ersten Konzeptionsgesprächen für das Bühnenbild dabei, wenn es darum geht, welche Materialien gebraucht werden und welche technischen Lösungen man für die Realisierung der Wünsche des Inszenierungsteams finden kann. Zwei Aspekte sind dabei besonders wichtig. Erstens: Die Sicherheit all derer, die auf der Bühne stehen und die Kulissen bespielen. Sie müssen sich auf die statischen Kenntnisse der Schlosser 100-prozentig verlassen können. Zweitens: Die Praktikabilität für den Einsatz im Theateralltag. Denn so ein Bühnenbild wird im Großen Haus nach jeder Vorstellung ab- und vor der nächsten wieder aufgebaut, damit ein Repertoirebetrieb mit einer Vielfalt an Inszenierungen gespielt werden kann. Die Aufbauten müssen also stabil und leicht zugleich sein. Deshalb sind die Schlosser bei der Entwicklung ihrer Konstruktionen eng mit den Bühnenmeistern im Kontakt. Neben den tragenden Gerüsten für Bühnenbildteile bauen sie Treppen, Brücken und Balkone, Podeste, Kammern und Plafonds – jedes Element braucht sein spezielles Material. Arbeitsgrundlage sind die technischen Zeichnungen, welche die Produktionsleiter Reinhard Gerlinger oder Karin von Kries entsprechend den Miniaturmodellen der Bühnenbildner anfertigen. Schlosser am Theater zu sein verlangt aber auch viel Kreativität, denn es gibt keine Standardformate wie im Metallbau und erst recht keine Patentlösungen. Für jedes Stück muss aufs Neue getüftelt werden. Aus genau diesem Grund arbeiten die drei Männer gern im Dienste der Kunst. Sie erzählen noch heute von besonderen Herausforderungen wie dem Bau des riesigen Plattenspielers für »Kiss me Kate«, der sich nicht nur hydraulisch wie von Geisterhand öffnen konnte, sondern auf dessen sich drehendem Plattenteller sogar das Schauspielensemble samt Statisten getanzt hat. Oder die Lokomotive von »Jim Knopf«, die an jedem Tag der offenen Tür wieder herausgeholt und bestaunt wird. »Wir bauen auch Bäume, auf die man klettern kann und sogar Pferde«, sagt Jürgen Thillmann. »Alles, was gewünscht ist. Auch wenn man unseren Anteil am Gesamtkunstwerk nicht sieht«, ergänzt Jürgen Piper.
Aber manchmal kommen die Ergebnisse ihrer Arbeit sehr effektvoll zur Geltung. Erinnert sei nur an die Bühnenbilder von »Elling«, in dem eine eiserne Wendeltreppe sich in die Höhe schraubte, oder »Ein Käfig voller Narren«, bei dem die großen Showakts an einem Stahlgitter stattfanden, das den ganzen Portalausschnitt einnahm. Oder zuletzt »Dantons Tod«, bei dem die Schauspieler in einem dreistöckigen Treppenhaus aus schwarzem Stahl und blutroten Tapeten agierten. Dann tauschen die Herren aus der Schlosserei ihren Blaumann auch mal gern gegen einen Anzug aus feinem Zwirn und gehen als Besucher mit ihren Familien ins Theater, um ihnen zu zeigen, welche Kunstwerke sie mit Schweißgeräten und Stahlsägen geschaffen haben.
Silke Zschäckel, Pressereferentin
Mein Bruder macht eine Ausbildung zum Schlosser, doch er arbeitet in einer Fabrik. Zu sehen, dass der Beruf so vielfältig ist, freut mich sehr. Dass Bühnenbilder von Schlossern erstellt werden wusste ich gar nicht, vielleicht ist das auch eine Option für meinen Bruder nach seiner Ausbildung.
Liebe Naila, das freut uns sehr. Der Beruf kann wirklich sehr vielfältig sein. Viel Erfolg deinem Bruder in der Lehre.