Ein klassischer Beruf und trotzdem immer wieder erklärungsbedürftig – Dramaturg

Die Kommunikationswerkstatt sinnundverstand hat zur Blogparade aufgerufen unter dem Thema „Und was machen Sie so beruflich?“. Dabei soll es um Jobbezeichnungen gehen, die selbst erfunden sind und keiner kennt. In unserem Beitrag zeigen wir, dass es auch bei Berufen, die die Agentur für Arbeit in ihren Registern führt, passieren kann, dass man gefragt wird: „was machst du eigentlich in deinem Beruf?“

Letztens, irgendwo in Heilbronn. Nicht näher miteinander bekannte Menschen sitzen an einer Geburtstagstafel. Zwischen Nussecken und Himbeerkuchen plötzlich die Frage: »Und was schafft ihr alle so?« Stille. Dann: »Ich bin Schauspieler«. Ehrfurchtsvolles Nicken. »Ich arbeite in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Theaters.« Hochachtungsvolle Zustimmung. »Ich bin Dramaturgin.« Nachdenkliches Gesicht. »Drama-was?« Nicht schlimm, Dramaturgen erklären das gern. Erklären gehört quasi zur Stellenbeschreibung dazu. »Dramaturgen sind so etwas wie die Innen- und Außenminister eines Theaters. Sie vermitteln in der Öffentlichkeit durch Einführungen und Gespräche mit Publikum, Schulklassen und Theaterliebhabern die Konzepte und Ideen von Spielplan und Inszenierungen, innerhalb des Theaters sind sie Wissenschaftler, Weichensteller und Visionär in einem«, sage ich. Aha!

Die Dramaturgen des Theater Heilbronn, Foto: Wolfgang Seidl

Für die drei Dramaturgen am Theater Heilbronn Andreas Frane, Johannes Frohnsdorf und Stefanie Symmank ist das ein Traumberuf. »Wir sind von der ersten Idee, ein Stück auf den Spielplan zu setzen, bis zum Applaus der letzten Vorstellung dabei«, so Johannes Frohnsdorf. »Welcher Regisseur welches Stück mit welchen Schauspielern inszeniert, haben wir mit zu verantworten«, beschreibt Chefdramaturg Andreas Frane. Die Dramaturgie eines Theaters wird neudeutsch auch gern als »Think Tank« – Denkfabrik – bezeichnet. Im Theater Heilbronn ist sie ein aufeinander abgestimmtes Triumvirat aus geballtem Wissen und Spaß an der Arbeit. »Die Vorstellung vom ,wandelnden Lexikon auf zwei Beinen’ ist überholt«, meint Johannes Frohnsdorf. »Eine umfassende Allgemeinbildung, gerade im Bereich der Literatur, und ein Interesse am aktuellen Zeitgeschehen sind für den Beruf aber unabdingbar.« »Auch ein gutes Gespür für den Umgang mit Menschen, egal ob Zuschauer, Schauspieler oder Techniker gehört dazu«, ergänzt Andreas Frane.

Neben Vermittler, Bücherwurm und Organisator sind die Dramaturgen vor allem eins: Partner. In enger Zusammenarbeit mit dem Intendanten Axel Vornam gestalten sie den Spielplan und tragen wesentlich zur Profilierung des Hauses bei. »Im Idealfall bilden auch Dramaturgen und Regisseure ein künstlerisches Dreamteam«, sagt Johannes Frohnsdorf. In enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur erstellt der Dramaturg eine Strichfassung des zu inszenierenden Stückes. Im Hinblick auf Besetzung, Konzept und Spieldauer fallen dem Rotstift manchmal halbe Textseiten, manchmal ganze Rollen zum Opfer. Als ‚erster Zuschauer’ geht der Dramaturg im ca. 6-wöchigen Probenprozess dann mehrmals auf die Proben. Er ist das ‚neutrale Auge’ und schützt das Inszenierungsteam vor drohender Betriebsblindheit. Ein Dramaturg ist wie ein Sparringspartner für den Regisseur. Er beobachtet genau, zeigt die Schwachstellen auf und hält die Konzentration des Inszenierenden auf Konzept, Entwicklung und Inhalt wach. »Das ist keine Frage des eigenen Geschmacks«, betont Andreas Frane. »Wenn ich zum ersten Mal auf die Probe gehe, steckt die Inszenierung noch in den Kinderschuhen. Ich muss meine Kritik so formulieren können, dass das Team damit weiterarbeiten kann.« Solche Gespräche können durchaus bis in die späte Nacht dauern.

Drama, baby

Manchmal reicht aber auch schon ein »Drama, baby, drama!« oder »Weniger ist mehr!« und der Regisseur weiß, was gemeint ist. Der Dramaturg ist ebenfalls für die Schauspieler ein unverzichtbarer Ansprechpartner. »Der Kontakt zum Ensemble ist mit das Wichtigste«, weiß Andreas Frane, dessen muntere Maxime »Die Welt ist rund, das Leben ist bunt.« jedes noch so kleine Drama vom Tisch fegt. Heute schreibt der Dramaturg zwar kaum noch eigene Stücke, wie einst Gotthold Ephraim Lessing (der erste Dramaturg überhaupt!), der Schreibtisch ist für Frane & Co. neben muffigen Probebühnen und dunklen Theaterräumen trotzdem der erste Arbeitsplatz. Hier entsteht, neben Texten für Leporello, Vorschaubuch und Social Media-Beiträgen, das vielleicht einzig greifbare Ergebnis dramaturgischer Arbeit: das Programmheft. Es gilt als ein kleines Hoheitsgebiet des Dramaturgen. Er allein entscheidet, was von seinem vielen Wissen rund um Stück und Inszenierung hier erscheint »und was auch für den Zuschauer interessant sein könnte«, wie Johannes Frohnsdorf betont.

Der Dramaturg. Ein bisschen Faust. Ein bisschen Mephisto. Ein kühler Kopf mit brennendem Theaterherz. Er trägt bevorzugt Schwarz und immer ein Lächeln auf den Lippen, ist immer auf der Suche nach neuen Stücken und interessanten Regisseuren, ist gedanklich bei der Moderation des nächsten Theaterfrühstücks, während er körperlich zur nächsten Sitzung sprintet. Er gehört zu den »unsichtbaren« Mitarbeitern des Theaters, denen Sie, liebe Zuschauer, nach jeder Vorstellung auch applaudieren.

Stefanie Symmank, Dramaturgin

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Noch bis zum 31. März können unter www.sinnundverstand.net Beiträge zum eigenen Beruf eingereicht werden, und damit dazu beigetragen, dass die Frage „was machst du eigentlich beruflich“ endlich geklärt wird. 

Das erste Mal und „Übersetzungen“ von Klängen – der Komponist Ian Wilson

Die Korrepetitorin merkt an, „das sind alles Reflexe, was ich hier spiele“, und kreist mit der rechten Schulter, um ihren Arm zu lockern. Diese Reflexe, die sie da aus den Handgelenken schüttelt, das sind Töne aus dem Klavierauszug von „Minsk“, rhythmische Gruppen, die sich wiederholen, Einwürfe schneller Sechzehntelnoten. „Reflexe“, kleine Felder auf dem Papier gefüllt mit viel Druckerschwärze: voller Information, doch mit einem Blick erfasst. Den Rest machen die Hände – automatisch.

Obschon das „nur“ Klavierklänge sind, Andeutungen eines Orchesterklangs, der einmal zu hören sein wird, eine Orientierung für Sänger und Statisten, die an diesem Samstag szenisch proben – in den originalen Tempi, durch Akzent und Dynamik werden hier Noten zu Musik. Vorwärtstreibend, beengend, leise und unheimlich, übermütig – eine ungeheuer gestische Musik kündigt sich im Spiel der Korrepetitorin an. Es sind die Vorgänge im Inneren der Figuren, Anna, Anoushka, Fyodor, es sind Stimmungen von Orten und Erinnerungen, denen der britisch-irische Komponist Ian Wilson einen Klang verliehen hat – einen Klang, den noch niemand im Original gehört hat, auch Wilson nicht. Erst die Uraufführung am 3. März im Theater Heilbronn wird seine Komposition im eigentlichen Sinn offenbaren.

Streichorchester und Schlagzeug des Württembergischen Kammerorchesters werden den instrumentalen Part der Oper übernehmen; Wilson hat die Oper, die eigentlich für eine kleinere Besetzung mit Instrumenten wie Klarinette, Trompete, Akkordeon und Balaika instrumentiert war, für die Uraufführung umgearbeitet, was jedoch mehr  war als eine pragmatische Anpassung. In gewisser Weise kommt die neue Besetzung sogar Wilsons Intention der Wirkung des Stücks entgegen. Die ursprüngliche Besetzung habe relativ direkt die Traum- bzw. Gedankenwelt Annas illustriert. Eine andere Besetzung, die mit den ihr eigenen Mitteln den Klang der ursprünglich geplanten Instrumente nachvollziehe, habe den Vorteil, dass so immer auch eine Entrücktheit mitschwinge, etwas, das für Traum und Gedankenwelt einer Person, das für einen anderen Bereich von Wirklichkeit steht.

IAN WILSON  photo credit: Steve Rogers
IAN WILSON
photo credit: Steve Rogers

Wilson beschreibt die Bearbeitung der Partitur von „Minsk“ als „eine interessante Erfahrung, sich wieder mit einem Stück zu beschäftigen, das ich seit einigen Jahren nicht mehr angeschaut hatte.“ „In gewisser Weise musste ich es wie ein historisches Artefakt behandeln, wie etwas, dessen Charakter ich bewahren musste. Sogar wenn ich versuchte, alles umzuändern, versuchte ich eigentlich, alles so zu belassen, wie es war, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Es ging ihm darum, Klangfarben in die neue Fassung zu „übersetzen“.

Für sein Werk – mit seinen nicht einmal fünfzig Jahren hat er bereits annähernd 130 Stücke für die verschiedensten Besetzungen geschrieben – sei „Minsk“ nicht repräsentativ, sagt Wilson selbst. Überhaupt könne er sich kaum vorstellen, ein für seine Arbeit repräsentatives Stück zu benennen, gehe er doch an jede Partitur neu heran und suche nach einer dem jeweiligen Stück angemessenen Sprache. Die Frage nach einer gewissen Nähe von „Minsk“ zur Minimal Music weist Wilson sehr bestimmt zurück. Hinter keinem seiner Stücke stünden Gedanken im Sinn der Minimal Music und ihrer Kompositionsverfahren. Wiederholung setze er in aktionsreicher Musik ein, um dem Hörer Halt zu geben. Stil, verstanden als wiedererkennbare Handschrift eines Künstlers, interessiert Wilson nicht. Er gehört zu jenen Künstlern, die nicht wollen, dass man von ihm erwartet, eine bestimmte Ästhetik zu bedienen.

Ian Wilson (*1964 im nordirischen Belfast) ist ein im Vereinigten Königreichen und auf dem europäischen Kontinent etablierter Komponist Neuer Musik. Zu seinem vielseitigen, umfangreichen Werk gehören zwei Opern, „Hamelin“ (2003) und Minsk (2005/06), zu denen die Dichterin Lavinia Greenlaw jeweils das Libretto verfasste.

Johannes Frohnsdorf, Dramaturg

 

Der erste Kultur-Tweetup eines Stadttheaters in Deutschland findet am Sa, dem 16.02.2013, um 9:45 Uhr zu einer Probe der Oper Minsk (UA) im Großen Haus des Theaters Heilbronn statt! Anmeldung an @theat_heilbronn oder @KultUp auf twitter oder an schroeder@theater-hn.de
Wer auf Twitter dem Hashtag #kultup folgt, wird bereits ab dem 21.01.2013 mit Neuigkeiten versorgt, kann am Veranstaltungstag so den Tweetup verfolgen und sich auch aktiv ins Gespräch einbringen. Wer selbst keinen Twitter-Account besitzt, kann die Tweets über die Twitterwall verfolgen:
http://kultup.tweetwally.com