Noch bis zum 24. März läuft die Blogparade von livekritik.de zum Thema „Via Smartphone live aus einer Kulturveranstaltung berichten – gut oder schlecht?“. Am 16. Februar haben wir im Theater Heilbronn mit dem ersten Kultur Tweetup aus einem Stadttheater bei einer Probe zur Uraufführung der Oper „Minsk“ unsere Erfahrungen gesammelt. Kann das auch in einer regulären Vorstellung erfolgreich sein?
Um es gleich vorweg zu nehmen. Der Kultup am 16. Februar bei Minsk war in unseren Augen sehr erfolgreich. Fast 100 Twitterer im Theater und via Twitter haben daran teilgenommen und ihre Berichte mit ihren Followern geteilt. Die Teilnehmer waren begeistert von der Möglichkeit schon vor der Uraufführung Einblicke in das Werk zu bekommen und sich mit anderen darüber auszutauschen. Die Berichterstattung in den klassischen Medien Rundfunk und Fernsehen war äußerst aufgeschlossen und interessiert.
#kultup So, ich will jetzt IMMER aus dem Theater twittern! That’s so much fun!
— Bianka Blavustyak (@bb_wortgewandt) 16. Februar 2013
Gerade in der Probensituation bei einer bisher unbekannten Oper bietet das Twittern einen Mehrwert. Das Probenpublikum verhält sich leise, denn statt zu reden wird beinahe lautlos auf Touchscreens getippt. Dadurch kann die Intimität der Probensituation besser erhalten bleiben. Das Twittern bietet den Besuchern die Möglichkeit sich auszutauschen über das was auf der Bühne geschieht. Über die Accounts @Theat_Heilbronn und @kultup wurden die Twitterer während der Veranstaltung mit Hintergrundinformationen versorgt. Eine solche Moderation ist insbesondere auch für die wichtig, welche nicht selbst im Theater sitzen und den #Kultup von zu Hause oder unterwegs verfolgen.
In den vorangegangenen drei Wochen waren die Leser auf den Kultup über den Blog und die übrigen Social Media Kanäle des Theaters auf die Probe vorbereitet worden. In regelmäßigen Beiträgen wurde gezeigt, was alles zum Entstehen eines Stückes dazu gehört. Der Blick hinter die Kulissen weckte die Neugier bei den Zuschauern. Auch nach dem Kultup gab es dort viel über den Fortgang der Proben bis zur Premiere zu lesen. Durch diese intensive Begleitung, bleibt der Kultup kein einmaliges, kurzfristiges Event, sondern dient der langfristigen Bindung an das Haus und ist eingebunden in die Kommunikationsstrategie. Beim Minsk-Kultup gaben der Regisseur Christian Marten-Molnár und der Dramaturg Johannes Frohnsdorf darüber hinaus den Probengästen selbst Erläuterungen zum Stück, was für das Verständnis hilfreich war und die Ideen des Regieteams deutlicher werden lies.
Mal was anderes, „Theater hören“ statt sehen, da man mit dem Twittern beschäftigt ist! Ein Experiment so ein #kultup aus einem Theater.
— Bettina Reinhart (@ReinhartBettina) 16. Februar 2013
Gleichwohl gab es sogar unter Intensiv-Twitterern Vorbehalte gegenüber dem Twittern aus regulären Vorstellungen. Dabei sind zwei Punkte zu erwähnen, die gegen Smartphones in Aufführungen sprechen.
Zum einen ist dies die Konzentration, welche beim Twittern regelmäßig vom Bühnengeschehen abgelenkt wird. Ein Problem besonders im Schauspiel, lebt es doch gerade von einer fortlaufenden, sich ständig entwickelnden Handlung, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers verlangt. Die Nutzung von Smartphones und Twitter lenkt selbst Multitaskingtalente auf Dauer vom Bühnengeschehen ab. Es entsteht in gewisser Weise eine zweite Bühne, die ihre eigenen Themen verhandelt. Die Gefahr besteht also, dass das Ereignis auf der Bühne zur Nebensache wird und dadurch der Reiz des Schauspiels verloren geht.
Ein weiterer Grund ist die Störung durch leuchtende Handydisplays. Diese nehmen nicht nur die Sitznachbarn, sondern auch die Schauspieler auf der Bühne wahr. Schauspieler sind es gewohnt in ein „schwarzes Loch“ zu blicken, während sie sich in Aufführungen auf den Text und das Geschehen konzentrieren. Wenn in diesem „Loch“ in Zukunft in unregelmäßigen Abständen hellblau erleuchtete Gesichter aufscheinen ist das eine große Herausforderung für die Konzentration auf der Bühne. In amerikanischen Musicaltheatern bekommen zum Teil Twitterer Plätze in der letzten Reihe zugewiesen, doch selbst da ist die Gefahr groß, dass sich Sitznachbarn gestört fühlen, wie der Broadway Blogger nach einer Veranstaltung im Providence Performing Arts Center berichtet.
Dennoch ist die Nutzung von Twitter als Instrument des Theatermarketings während Proben vielversprechend. Zum einen sind die Besucher des Tweetup Multiplikatoren, die ihren Followern in gewisser Weise das Theater empfehlen (so sie vom Tweetup begeistert sind). Zum anderen dient die persönliche Rückmeldung von regelmäßigen Social-Media-Nutzern und Kulturbesuchern, wie es die Besucher des Tweetup in der Regel sind, der Evaluation der eigenen Arbeit und dem Gedankenaustausch.
Auch für die Kulturvermittlung kann die Live Nutzung von Social Media interessant sein. Die Besucher haben die Möglichkeit direkt auf das Erlebte zu reagieren und Reaktionen mit anderen auszutauschen. Durch die intensive Vorbereitung und eine Moderation können auch neue und komplexere Themen des Theaters behandelt werden.
Um das Erlebnis Theater in seiner intensiven Form jedoch nicht zu beinträchtigen scheint es sinnvoll für die Nutzung eigene Veranstaltungsformen zu entwickeln, wie eine Tweetup-Probe. Die Probensituation bietet eher die Möglichkeit des gedanklichen Abschweifens und Wiederkehrens des Publikums. Da das Stück auf der Bühne selbst im Entstehen ist, stören Unsicherheiten bei den Schauspielern nicht den Fortgang. Dennoch braucht es großes Vertrauen seitens der Schauspieler in die Twitterer, dass diese die Vertraulichkeit der Probensituation wahren. Sowohl Schauspieler als auch Besucher des Tweetup wissen, was sie erwartet und können sich darauf einstellen. Der twitterfreie Genuss einer Theaterveranstaltung sollte weiterhin möglich sein – im „schwarzen Loch“ bei voller Konzentration.
Johannes Pfeffer
Nachtrag (14.03.2013): Die twitternde Theaterbesucherin Bianka Blavustyak (@bb_wortgewandt) nimmt ebenfalls an der Blogparade von livekritik.de teil und schreibt über ihre Gedanken nach dem #Kultup. Zum Artikel „Na, ich weiß noch nicht so recht – Digital im Theatersaal“.