Von der Spitze auf den Fuß gestellt

Schwanensee
Foto: Martin Kaufhold

Staatsballett Wiesbaden gastiert mit »Zwischen Mitternacht und Morgen: Schwanensee«

Wer an Ballett denkt, denkt an »Schwanensee«. Das Märchen von der schönen Odette, die, von einem Zauberer in einen Schwan verwandelt, nur nachts für wenige Stunden ihre menschliche Gestalt annehmen darf, wurde unzählige Male interpretiert. Tschaikowskys Meisterwerk, das allerdings 1877 bei seiner Uraufführung durchfiel und erst 1895 in der Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow in St. Petersburg seinen Durchbruch erlebte, fordert Choreografen immer wieder zu Stellungnahmen heraus.
Bereits aus dem Jahre 2004 stammt Stephan Thoss’ Interpretation. Nach dem großen Erfolg an der Staatsoper Hannover und am Aalto Theater Essen und der mehrfachen Ausstrahlung einer Fernseh-Fassung dieser Arbeit auf arte, wurde die beliebte Choreografie auch am Staatstheater Wiesbaden einstudiert und kommt nun als Gastspiel nach Heilbronn. Thoss hat dem Titel ein »Zwischen Mitternacht und Morgen« vorangesetzt. Denn das ist die Zeit, in welcher der Mensch sich selbst begegnet, seinen Ängsten, Hoffnungen und Träumen. In Tschaikowskys Ballettvorlage ist es der Zeitraum, in dem Odette ihre menschliche Gestalt wiedererlangt. Die Zeit also, in der sich das Drama um die Liebenden Siegfried und Odette abspielt, deren Beziehung von Rotbart und Odile überschattet wird.

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Video: Stephan Thoss, http://www.stephan-thoss.de/

Die tragische Leidenschaft ist für Stephan Thoss Dreh- und Angelpunkt seiner Neufassung. Sein Interesse gilt dem emotionalen Beziehungsgeflecht der vier Protagonisten und den Täuschungen und Enttäuschungen, die sie in der Liebe erfahren. Ausgehend von der überlieferten Handlungsstruktur erzählt er die Geschichte mit Fokus auf Odette, die sich in den charismatischen Rotbart verliebt und zu spät seine egozentrische Unfähigkeit erkennt, ihre Gefühle zu erwidern. Rotbart ist ein Schürzenjäger und Charmeur, der zur Liebe nicht fähig ist und nur mit Odette spielt. Tief verletzt von seiner Kühle zieht sie sich in eine Art inneres Exil zurück, verwandelt sich symbolisch in ein imaginäres Wesen, das erneuten Verletzungen durch andere Menschen entzogen ist – einen Schwan. Diese Existenz reiner Unschuld und Unberührbarkeit ist aber Schutz und Fluch zugleich. Trotz ihrer schlechten Erfahrungen verliebt sich Odette aufs Neue – in Siegfried. Das aber duldet Rotbart nicht. Er überzeugt die Verführerin Odilie, dass sie sich an Siegfried heranmacht, und stürzt die beiden Liebenden damit ins Verderben …
Die mitreißend leidenschaftliche Musik Tschaikowskys bildet die Grundlage der Handlung. Stephan Thoss stellt sie mit seinem unglaublich athletischen Ensemble von der Spitze auf den ganzen Fuß – aber mit raffiniert eingesetzten Schwanenfedern und Tutus.

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