Im Dschungel des Lebens

Jens Kerbel inszeniert Rudyard Kiplings »Dschungelbuch« als spannendes Coming of Age-Abenteuer für Groß und Klein

Von Mirjam Meuser

Wer kennt sie nicht, Walt Disneys berühmte Zeichentrick-Verfilmung von Rudyard Kiplings »Dschungelbuch«? 1967 kommt sie in die Kinos – und ist in Deutschland bis heute der erfolgreichste Film aller Zeiten. Die wundersame Geschichte von Mowglis Aufwachsen unter den Wölfen im indischen Dschungel, seinen Abenteuern mit Baloo, dem gemütlichen, etwas plumpen, honigversessenen Bären, und Bagheera, dem majestätischen Panther, mit deren Hilfe er schließlich auch seinen Feind, den ebenso selbstgefälligen wie gefährlichen Tiger Shere Khan, besiegt, ist ein Klassiker der Filmgeschichte, der Jung und Alt begeistert. Aber auch Kiplings Erzählungen im Original wiederzuentdecken, lohnt sich – und das nicht nur, weil sie ein wesentlich vielschichtigeres Bild von Mowglis Heranwachsen im Dschungel und seinem Kampf gegen den menschenfressenden Tiger zeichnen. Ihre Poesie und ihre Tief-, streckenweise auch Abgründigkeit machen sie zu einem aufregenden, ja berauschenden Lese- und Vorlesevergnügen für Groß und Klein.

Rudyard Kipling wird am 30. Dezember 1865 als Sohn britischer Eltern im Indien der Kolonialzeit geboren und wächst die ersten Jahre in seiner Geburtsstadt Bombay auf. Umsorgt von einem portugiesischen Kindermädchen und einem Hindi Meeta, hört er von ihnen unzählige Geschichten und Lieder in ihrer Venakularsprache, in der er auch zu denken und zu träumen lernt. Das Englische, das er mit seinen Eltern bei Tisch sprechen musste, ist für ihn als Kind ein fremdes Idiom. Aber nicht nur die Legenden und Mythen, auch die Musikalität und Farbigkeit der mündlichen indischen Folklore sind es, die seine Kindheit prägen. Sie legen nicht zuletzt das Fundament für den Fabel-Ton der Geschichten aus dem »Dschungelbuch«. »Es war notwendig, dass jedes Wort erzählen, tragen, Gewicht haben, schmecken und, wenn nötig, riechen sollte«, so formuliert Kipling seinen Anspruch an die Sprache in der posthum veröffentlichten Autobiographie »Something of myself«.

Fünf Jahre ist Rudyard alt, als ihn die Eltern gemeinsam mit seiner Schwester Trix nach England zur Schule schicken und in einer Pflegefamilie in Southsea unterbringen. Dort leidet er derart unter der Einsamkeit und dem Regiment seiner Pflegemutter, dass er sich in Bücher und Träume flüchtet und sich sprechende Tiere als Spielgefährten und Gesprächspartner herbeiphantasiert. Erst nach sechs Jahren wird er von seiner Mutter aus der Tortur befreit.

Jahre später formen sich aus diesen Kindheitserfahrungen die Geschichten der beiden »Dschungelbücher«. Kipling schreibt sie für seine erste Tochter Josephine, die 1892 in Vermont (USA) geboren wird – und vermacht ihr damit eine allegorische Erinnerung an die Abenteuer der eigenen Kindheit. Meisterhaft verschränkt er unmittelbare Erlebnisse, Wirkliches und Imaginiertes zu einer atemberaubenden Erzählung vom Sich-Zurechtfinden eines verlassenen, schutzlosen Menschenkindes in einer gefahrvollen, verwirrenden, unberechenbaren Umwelt.

Kiplings anarchische Fabulierlust hat es auch dem Regisseur Jens Kerbel angetan – ihrer Faszination und Verführungskraft will er mit seiner Inszenierung im Großen Haus nachspüren. Dafür hat er sich die Bühnenfassung von Frank Pinkus ausgesucht, die sich besonders stark an den ursprünglichen Erzählungen des »Dschungelbuchs« orientiert. Sie räumt den geheimnisvollen, poetischen, manchmal auch unheimlichen Seiten der Texte viel Platz ein – ohne den Humor zu kurz kommen zu lassen. Baloo, der Bär, erzählt hier die Geschichte von Mowglis Erwachsenwerden im Dschungel als ein spannendes Coming of Age-Abenteuer, an dessen Ende der Menschenjunge natürlich den Tiger besiegt, sich aber auch seiner Fremdheit unter den Tieren bewusst wird und seinen eigenen Weg und Platz in der Welt finden muss.

Das Team um Jens Kerbel arbeitet daran enthusiastisch mit. Der Musiker Stephan Ohm komponiert für die Aufführung am Theater Heilbronn ganz neue Ohrwürmer – nicht zuletzt der genussfreudige Baloo bekommt einen neuen Hit. Den verwunschenen indischen Dschungel und seine sagenumwobenen Bewohner wiederum zaubert der Bühnen- und Kostümbildner Toto auf die Bühne. In seinen phantasievollen Kostümen changieren Mowgli und seine Freunde so effektvoll zwischen Mensch und Tier, dass sich der kiplingsche Dschungel spielerisch als das entpuppt, was er eigentlich ist: der gefahrvolle, unberechenbare, aber auch unfassbar schöne und spannende »Dschungel des Lebens«.

Ein Schuh für den König

Oliver Firit bekommt für »Richard III.« einen Klumpfuß verpasst

Von Andreas Frane

»Die Aufgabe war, bei jemandem mit gesundem Fuß einen Klumpfuß zu erzählen«, sagt Tom Musch, Bühnen- und Kostümbildner von »Richard III.« »Wir haben einen Schuh als Sonderanfertigung herstellen lassen, der so gebaut ist, dass es nicht zu orthopädischen Problemen für Oliver Firit, unseren Richard, kommt.« Shakespeare hat seinen König, um ihn auch äußerlich »monströs« zu machen, mit Buckel, gelähmtem Arm und Hinkefuß ausgestattet, obwohl der historische Richard – das hat der überraschende Fund seines Skeletts im mittelenglischen Leicester 2012 ergeben – »nur« an einer Skoliose, einer Verkrümmung der Wirbelsäule, litt. Während der Buckel durch einen Unterziehwatton keine große Herausforderung an die Kostümabteilung des Theater Heilbronn stellte, erforderte der »Richard«-Schuh den Einsatz eines Spezialisten. Orthopädieschuhmacher Oliver Setzer erklärt: »Der Schauspieler sollte sich nicht aufs Hinken konzentrieren müssen. Deshalb wollten wir den Fuß in eine Fehlstellung bringen, eine Position, die es ihm nicht erlaubt, einen normalen Gang einzuschlagen.« Durch den Schuh wird das Bein verlängert, durch Innenrotation mit leichter Kippneigung der gewünschte Effekt erzielt. Und wie läuft es sich damit während der Vorstellung auf der Bühne? »Wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, ist es zwar immer noch unbequem, aber OK«, beschreibt Oliver Firit. »Irgendwann hat man das Gefühl, als wäre der  Fuß eingesperrt und möchte sich durchsetzen. Dann kämpft der Fuß gegen den Schuh. Der Schuh gewinnt.«

Er ist der Meister der Stoffe

Mit Nadel und Faden und einem engagierten Team schneidert unser neuer Leiter der Kostümabteilung, Manuel-Roy Schweikart, den Schauspielerinnen und Schauspielern die Kostüme auf den Leib.

Manuel-Roy Schweikart

Als Modedesigner verbrachte Manuel-Roy Schweikart viele Jahre in renommierten Designateliers und auf Prêt-à-porter-Modenschauen. Jetzt kehrt er wieder zurück in die Theaterschneiderei. Begonnen hat seine Karriere am Theater Augsburg, mit einer Ausbildung, die er als Bundessieger der Azubis im Damenschneider-Handwerk beendete. Es folgte die Kostümschneiderei der Staatsoper „Unter den Linden“ in Berlin. Mit dem Studium an der Deutschen Meisterschule in München wechselte er in die Welt des Modedesigns, die ihn kurze Zeit später in die Designabteilung von Wolfgang Joops »Wunderkind« führte. Als Manuel Roy Schweikart sich eine Auszeit vom hektischen Haute- Couture- Betrieb nahm, Als Manuel Roy Schweikart sich eine Auszeit vom hektischen Haute-Couture-Betrieb nahm, hat er sich zum Life- und Businesscoach, nach der Urheberphilosophie, ausbilden lassen.

Doch was führt ihn in die Kostümwerkstätten des Theaters Heilbronn?

Die Liebe zum Handwerk und auch die ganz private, holten ihn wieder ans Theater und in den Süden Deutschlands. Das familiäre Umfeld in der Theaterschneiderei reizte ihn besonders. Gemeinsam mit seinem Team setzt er die Entwürfe der Kostümbildner um. Zwischen dem Rattern der Nähmaschinen und Zischen des Dampfbügeleisens entstehen erst die Schnittkonstruktionen und anschließend die Kostüme für die Inszenierungen. Hier bestimmen nicht die Trends der Mode das Ergebnis, denn auch die Erstellung historischer Kostüme gehört zu den Fertigkeiten der Schneidermeister. Die Kreativität wird in den Kostümwerkstätten auf eine ganz andere Art herausgefordert als in der Modewelt. Während in der Modewelt das Design und die exklusiven Stoffe im Vordergrund stehen, sagt Manuel-Roy Schweikart, fordert ein Theaterkostüm eine lange Haltbarkeit, oft unter extremen Bedingungen. So müssen die Materialien der fast täglichen Reinigung standhalten. Die saubere Verarbeitung der Stoffe steht dabei an erster Stelle für den Schneidermeister. Mit seinem Team möchte Manuel-Roy Schweikart gemeinsam kreativ sein, die unterschiedlichsten Kostüme produzieren und zusammen an den immer wieder neuen Aufgaben wachsen. Lasst euch überraschen was in diesem Jahr entstehen wird. Die Ergebnisse der Arbeit unserer Schneiderei seht ihr in den Stücken und vielleicht ist auch ein Hauch Haute Couture dabei.

Sonja Isemer – Ein königlicher Gast

Von Andreas Frane

In »Richard III.« gibt es einen Moment, der Sonja Isemer besonders herausgefordert hat. Es ist die berühmte Szene im vierten Akt, in der Richard, der beide Söhne der Königin Elisabeth hat ermorden lassen, sie dahin zu manipulieren versucht, ihm als Krönung noch ihre Tochter zur Frau zu geben.

Sonja Isemer als Königin Elisabeth und Oliver Firit als Richard III.

»Wie schnell Elisabeth sich in dieser Situation wieder im Griff hat, wie sie dem Mörder ihrer Kinder klug, schnell und pointiert antwortet«, erklärt Isemer, »das hat mich sehr gereizt.« Die lebhafte, dabei stets konzentrierte Schauspielerin, die nach Engagements am Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin und am neuen theater in Halle seit dieser Spielzeit frei arbeitet, kommt für Axel Vornams Inszenierung von »Richard III.« als Gast ans Theater Heilbronn und hat bereits in den ersten Vorstellungen das Publikum für sich erobert. Ihre Ausbildung hat sie an der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München absolviert, ihre Rollen in Inszenierungen des Regisseurs Herbert Fritsch in Schwerin (Leontine in »Der Biberpelz« und Beatrice in »Der Diener zweier Herren«) haben ihr Auszeichnungen und eine Einladung zum Berliner Theatertreffen eingebracht. Mit der Königin Elisabeth, die – so Isemer – »sich, ihre Gefühle und ihre Familie durch die Flucht nach vorne schützt«, fügt sie den großen, starken Frauen in ihrer Arbeitsbiografie eine weitere hinzu. Nach Antigone, Minna von Barnhelm und der Lady Milford. Gibt es bei Shakespeare noch andere Figuren, die sie reizen würden? »Königin Margret«, kommt die schnelle Antwort. »Und natürlich Hamlet. Am liebsten aber, glaub ich, Lady Macbeth.«