Mit Beifallsstürmen reagierte das begeisterte Heilbronner Publikum auf das erste Gastspiel des Staatsballetts Hannover in dieser Spielzeit: auf die Italo-Revue »Inferno« von Jörg Mannes. Jetzt sind die Tänzerinnen und Tänzer noch einmal in Heilbronn zu Gast. Diesmal mit einem vertanzten Stück Weltliteratur, Goethes »Wahlverwandtschaften«. Es gibt nur drei Vorstellungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen, am 23., 24. und 25. Juni 2015, jeweils um 19.30 Uhr.
Literarische Vorlagen inspirieren Jörg Mannes immer wieder zu tänzerischen Auseinandersetzungen. Nach Choderlos de Laclos’ »Gefährliche Liebschaften«, die auch in Heilbronn zu sehen waren, sind es nun eben »Die Wahlverwandtschaften« von Johann Wolfgang von Goethe, die den Ballettdirektor des Staatsballetts Hannover zur choreografischen Auseinandersetzung angeregt haben. Diesmal hat er sich für Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy, Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach entschieden. Mannes folgt dem goetheschen Entwurf, die Konstellationen der vier Hauptfiguren unter dem Aspekt eines naturwissenschaftlichen Experiments von Anziehung und Abstoßung zu betrachten.
In ruhiger Zweisamkeit leben Eduard und Charlotte auf ihrem Landgut. Frei von materiellen Sorgen pflegen sie eine Harmonie, in die sie ihre ganze Umgebung einbeziehen wollen und verwirklichen ihr Ideal in der Anlage eines Landschaftsparks. Doch ihr Arkadien wird durch zwei Gäste gestört: Charlottes Nichte Ottilie und Eduards Freund Otto bringen neue Energien in das Kraftfeld. Während sich Charlotte zusehends von dem tatkräftigen Otto angezogen fühlt, nimmt die einfühlsame Ottilie Eduard für sich ein. Aus unverfänglicher Freundschaft wird bald emotionale Nähe und erotisches Begehren. Die Sehnsucht wandelt eine Liebesnacht zum Vexierspiel, in dem Charlotte sich mit Otto und Eduard sich mit Ottilie vereint fühlt. Doch während Charlotte aus moralischen Gründen ihrer Liebe zu Otto entsagen will, möchte Eduard sich seiner Leidenschaft hingeben. Charlotte aber wünscht seinen Verzicht. Um dem Dilemma zu entgehen, verlässt er den gemeinsamen Wohnsitz. Da auch Otto das Gut verlassen hat, bleiben die beiden Frauen allein zurück.
Als Charlotte entdeckt, dass sie von Eduard schwanger ist, erwartet sie seine Rückkehr. Ihr Mann fühlt sich der Situation jedoch nicht gewachsen und verpflichtet sich fürs Militär. Äußerlich ruhig versucht Ottilie, sich mit den Verhältnissen zu arrangieren. Sie macht sich überall nützlich und sorgt für Charlottes Sohn, der das gemeinsame Kind aller vier zu sein scheint. Doch weder die Zeit noch die räumliche Trennung vermögen die unterdrückten Leidenschaften abzukühlen und die Konstellation zu neutralisieren. Wie in einer chemischen Versuchsanordnung unterliegt das schwache dem starken Bindungsvermögen. Eduard bittet Otto, Charlotte zur Scheidung zu bewegen und macht Pläne für die Zukunft der verstrickten Liebenden: Charlotte soll mit Otto und dem Kind auf dem Gut leben, während er mit Ottilie umherreisen will. Gleich bei seiner Rückkehr begegnet Eduard Ottilie. Vom Wiedersehen überwältigt vernachlässigt die junge Frau die Aufmerksamkeit für das Kind, das in ihre Obhut gegeben wurde. Der Junge ertrinkt. Charlotte und Ottilie fühlen sich beide schuldig am Tod des Kindes. Obwohl die Anziehung zwischen den Liebenden unvermindert stark ist, und obwohl sie ihr Schicksal wenden könnten, nimmt die Tragödie ihren Lauf: Während Charlotte der Entscheidung für Otto ausweicht, sucht Ottilie den Tod. Bald darauf stirbt auch Eduard. Charlotte sorgt dafür, dass ihr Mann und seine Geliebte im Grab vereint werden.