Die Zahlen sprechen für sich. Politisch motivierte Straftaten nehmen zu. Waren es 2013 in Baden-Württemberg 925 stieg die Zahl 2015 auf 1604. Allein 1408 Straftaten in 2015 hatten in Baden-Württemberg einen rechtsextremen Hintergrund. Mit Stand 20. Oktober dieses Jahres wurden die ohnehin schon hohen Zahlen des Vorjahres im Bereich Angriffe auf Asylsuchende übertroffen. Gab es 2015 vier verletzte Asylsuchende in Baden-Württemberg, sind es bis zum 20. Oktober 2016 schon 28. Doch diese Zahlen, die Robin Brodt von der Bundeszentrale für politische Bildung in seinem Eröffnungsreferat über „Die extreme Rechte in Baden-Württemberg“ nannte, sind nur die Spitze des Eisberges. Rechtsextreme sind nicht mehr so einfach zu erkennen und sie agieren nicht mehr am Rand der Gesellschaft. Rechtspopulistische Strömungen verkünden ihre Propaganda auf Demonstrationen und Wahlveranstaltungen – PEGIDA und ihre Ableger in den verschiedenen Regionen Deutschlands und die neue Partei AfD polemisieren laut gegen Flüchtlinge und eine angebliche Überfremdung Deutschlands und sammeln Kräfte aus allen sozialen und intellektuellen Schichten. Die jüngst erschienene Mitte-Studie 2016 der Universität Leipzig unter der Überschrift „Die enthemmte Mitte“ zeigt, wie weit antidemokratisches und rechtsextremes Gedankengut in den Köpfen verbreitet ist: Jeder Zehnte wünscht sich einen Führer, der das Land zum Wohle aller mit starker Hand regiert. Elf Prozent der Bürger glauben, dass Juden zu viel Einfluss haben. Zwölf Prozent sind der Ansicht, Deutsche seien anderen Völkern von Natur aus überlegen.
„Wir haben das Gefühl, dass in der Gesellschaft etwas brennt“, sagt Bianca Sue Henne, die Leiterin des Jungen Theaters Heilbronn. „Wir wollen und müssen dazu Stellung beziehen.“ Deshalb steht die Inszenierung „Kriegerin“ nach dem gleichnamigen Film von David Wnendt auf dem Spielplan, die eindringlich zeigt, welches Verführungspotential rechte Ideologien für Jugendliche haben können, wie sie sich radikalisieren, aber auch, was passiert, wenn sie den Ausstieg versuchen. Vom 24.-28. Oktober hat das Junge Theater eine ganze Themenwoche rund um die Inszenierung „Kriegerin“ gestrickt, die weit über das ohnehin schon große theaterpädagogische Programm zum Stück hinausgeht. Die jugendlichen Theaterbesucher absolvieren jeweils vor den Vorstellungen einen Workshop. Im Anschluss an die Vorstellungen gibt es Nachgespräche mit den Darstellern und den Theaterpädagogen. Außerdem finden drei ganztägige Workshops der Landeszentrale für politische Bildung unter der Überschrift „Planspiel Soundcheck“ statt. Hier geht es um die „Einstiegsdroge“ rechtsradikale Musik, die mit eingängigen Rhythmen über Ohr und Emotionen mit ihren Texten den Weg direkt ins Hirn der Jugendlichen findet.
Robin Brodt beschreibt, dass die Schulhof-CDs mit rechtsextremer Musik, immer noch gratis unter Heranwachsenden verteilt werden und sich vordergründig gegen „Pauker und Spießer“ richten um unterschwellig das rechte Gedankengut in die Köpfe zu pflanzen. Rechte nutzen darüber hinaus ihr ehrenamtliches Engagement in Sportverbänden oder engagieren sich in Elternvertretungen.
Rund 1800 Personen gehören in Baden-Württemberg zur organisierten rechtsextremen Szene. Den aktivsten Kreisverband der NPD habe die Region Heilbronn-Franken, erklärt der Referent. Darüber hinaus entwickeln sich weitere Strömungen wie die Identitäre Bewegung, die aus Frankreich kommt. Deren Mitglieder gerieren sich nicht als Nazis, aber als Verteidiger der deutschen bzw. der abendländischen Kultur. Auch unter dem Deckmantel der Verteidigung konservativer Werte sammeln sich viele Gruppierungen mit rassistischen, völkischen und demokratiefeindlichen Ansichten.
Der Referent verwies aber auch auf die vielen Kräfte, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren und Menschen, die aus der Szene austeigen wollen: