„Mark to market. Was heißt das? Also es gibt uns die Möglichkeit, die Profite jetzt zu nutzen, die wir erst noch machen werden.“ (Jeff Skilling, Präsident von ENRON über die Grundlage seines Geschäftsmodells)
Sprudelnd wie eine frisch geöffnete Flasche Schampus
Dominic Cavendish, Autor von „The Telegraph“ über eine Begegnung mit Lucy Prebble
Lucy Prebble ist nicht das, was ich mir vorgestellt habe. Wie kann ich das schreiben, ohne peinlich chauvinistisch zu wirken? Die junge Frau, die verantwortlich ist für ein epochales Stück und das Theaterereignis 2009, habe ich mir als sehr ernsthafte Frau vorgestellt. Man bringt kein Stück wie ENRON zustande, wenn man nicht ein Detailfetischist ist. Und so erwartete ich eine kluge und, ja, furchtbar ernsthafte Person.
Aber mit Prebble zu sprechen – das stellt sich in den ersten Momenten heraus – macht Spaß. Konzentriert? Sicher. Smart? Keine Frage: Sie spricht schnell und fließend und sehr kenntnisreich über ihr gegenwärtiges Spezialgebiet – die Kunst, den skandalösen Zusammenbruch des amerikanischen Energiegiganten ENRON zu einem hochaktuellen Schauspiel zu verarbeiten – voll von Finsternis, Wahnsinn und Exzess. Man könnte zwar wegen der vielen absurd -heiteren Momente in ENRON vermuten, dass die Autorin Sinn für Humor hat, aber diese Person in ihrem bunten, gepunkteten Kleid ist so sprudelnd wie eine frisch geöffnete Flasche Schampus, mit der ein Banker seinen Bonus feiert. Während die meisten von uns angesichts der globalen Finanzkrisen in Düsternis versinken, verströmt Prebble mit ihren 29 Jahren den Schwung der Jugend und ein ungekünsteltes Staunen über ihren Erfolg.
Vielleicht sollte man sich über ihre gute Laune nicht wundern. Das Stück ist in Chichester und im Royal Court ausverkauft und kommt nun ins Londoner West-End. „Ich habe das wirklich nicht kommen sehen“, sagt sie. „Ich habe nicht gedacht, dass das Stück sich so gut verkaufen lassen würde.“
Prebble ist in Haslemere, Surrey, aufgewachsen und besuchte dort die Guildford Schule für Mädchen. Ihre Mutter war Finanzverwalterin im Bildungswesen, ihr Vater war ein mittlerer Manager in einem IT-Unternehmen. Ihre älteren Geschwister nahmen später Jobs bei großen Beraterfirmen an. Dieser Hintergrund erklärt, warum sie so fasziniert von der ENRON-Geschichte war und sich von der erfolderlichen Recherche nicht hat abschrecken lassen, die man braucht, um den verschlungenen Weg von ENRON in die Katastrophe nachzuvollziehen.
Nach ihrem Abschluss schwankte sie, ob sie wie ihre Geschwister einen „anständigen Job“ anstreben sollte. Der Entschluss, sich dem Schreiben zu widmen, kam erst, als sie einen befristen Job am National Theatre hatte, eingesandte Stückmanuskripte las und entschied, dass sie das besser könne als mancher der Autoren. Sie meldete sich für das Autorenförderprogramm am Royal Court Theatre an, und das Resultat war 2003 das Stück „Das Zuckersyndrom“, ein starkes Psychogramm einer Freundschaft zwischen einem verurteilten Kinderschänder und einer neugierigen Teenagerin. Schon mit 22 war Prebble ein Name, den man im Auge behalten sollte.
Allerdings dauerte es endlos, bis sie ihr neues Stück, ENRON, zum Abschluss brachte. Heute kann sie darüber lachen: „Es brauchte viele, viele Entwürfe. Ich bin nun mal eine Perfektionistin. Irgendwann haben die Leute aufgehört, mich danach zu fragen, weil es peinlich wurde.“
Der Schlüssel war, entdeckte sie, sich selbst jegliche weitere Recherche zu verbieten und sich auf ihren guten Instinkt zu verlassen. „Zum Beispiel hätte ich unendlich über die Lehmann-Brothers weiterforschen können. Aber wichtig war, dass ich die kindliche Idee hatte, sie als siamesische Zwillinge auftreten zu lassen. Es sind diese ursprünglichen, vielleicht ein bisschen infantilen Gedanken und Bilder zur Geschäftswelt, die man festhalten muss. Denn mit ihnen kann das Publikum etwas anfangen.“
Wenn man bedenkt, wie lange sie sich mit dem Stück ENRON beschäftigt hat, frage ich mich, ob sie die Finanzkrise vorhergesehen hat?
„Ich würde sehr gern sagen, dass es so gewesen ist“, sagt sie. „Manchmal habe ich Artikel über ENRON gelesen, in denen der Journalist fragt: ’Was hat sich seitdem geändert?’ und der Interviewte sagt: Nichts! Es ist seltsam – entweder es ist der ENRON-Skandal ein außergewöhnlicher Fall, der passiert ist, weil eine Gruppe von Männern die Grenzen überschritten haben, oder hier geht etwas Grundsätzlicheres schief. Aber ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte die Krise vorhergesehen.“
„ENRON ist als Stück ein solches Mischmasch von Formen und Stilen, dass wir dachten, das Publikum wird es entweder albern finden und uns auslachen oder sagen: „Das ist etwas ganz Neues.“
Publikum und Kritik jedenfalls reagierten enthusiastisch auf ENRON, besonders auch auf den erfrischenden Stil des Stückes.
„Mein Stück“, erklärt die Autorin, „droht nicht mit dem moralischen Zeigefinger oder will verurteilen. Es soll ein Trip in eine Finanzblase sein, die dann platzt.“
Hat ENRON Prebbles Leben verändert? „Es hat die Aufträge verändert, die mir angeboten werden. Ich bekomme jetzt Fernseh- und Filmjobs, die man normalerweise erst als erfolgreiche, reifere Autorin bekommt – Stoffe aus der Wirtschafts- und Regierungswelt, große, gewichtige Themen. Das ist aufregend. Finanziell hat es bis jetzt keine großen Veränderungen für mich gegeben, obwohl jeder so tut, als ob es so gewesen sein müsste.“ Sie lacht: „Also freue ich mich jetzt darauf.“
Lucy Prebble wurde 1981 in Surrey geboren.
Sie schreibt in Großbritannien sowohl fürs Fernsehen (aus ihrer Feder stammt die sehr erfolgreiche Serie SECRET DIARY OF A CALL GIRL) als auch für die Bühne, u.a. Auftragswerke für das National Theatre und das Royal Court Theatre in London.
Für ihr Theaterdebut „Das Zuckersyndrom“, das bereits in sieben Sprachen übersetzt wurde, erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. So wurde sie 2004 vom Critics’ Circle zur vielsprechendsten jungen Autorin gekürt und erhielt den prestigeträchtigen “George Devine Award”. Kurz darauf folgte der “TMA Award for Best New Play”, der die besten Arbeiten der britischen Regionaltheater würdigt.
“Best New Play” laut TMA wurde sofort auch ENRON das es außerdem auf die Shortlist des Evening Standard Award 2009 schaffte. Nach sensationellen Erfolgen in Chichester und im Londoner Royal Court zog ENRON im Frühjahr 2010 ins Londoner West End um; die Premiere am Broadway folgte Ende April 2010. Prebbles aktuelles Stück „The Effect“ von 2012 hat auch den Critics Circle Award für „Best New Play“ gewonnen. Es wird im Frühjahr 2014 zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein.
25.01.2014 – Premiere von »Enron« im Großen Haus
Schauspiel von Lucy Prebble
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