Dreizehnte Szene oder Das Stück im Stück

Der Berliner Publizist und Dramatiker Thomas Martin hat eigens für das Theater Heilbronn den Debütroman von Lukas Rietzschel »Mit der Faust in die Welt schlagen« bearbeitet. Dafür hat er einen ganz eigenen sprachlichen und theatralen Zugriff auf den Stoff gefunden.

Die hier veröffentlichte Szene 13 ist in dieser Form nicht auf der Bühne zu sehen, sie hat sich im Lauf der Probenarbeit verändert. Statt der Figur des Tobias‘ ist es in Axel Vornams Inszenierung der ältere Bruder Philipp, der seinen Mitschüler Ramon auf dem ehemaligen LPG-Hof aufsucht.
Die hier veröffentlichte Szene 13 ist in dieser Form nicht auf der Bühne zu sehen, sie hat sich im Lauf der Probenarbeit verändert. Statt der Figur des Tobias‘ ist es in Axel Vornams Inszenierung der ältere Bruder Philipp, der seinen Mitschüler Ramon auf dem ehemaligen LPG-Hof aufsucht. Die Lektüre der ursprünglichen Szene 13 von Thomas Martin ermöglicht nicht nur einen Eindruck seines Schreibansatzes, sondern hinterfragt auch die Form des Erzählens im Theater und damit sich selbst.

13. LPG

Ramons Hof. Tobias, Ramon. Elli. Ramons Mutter.

CHOR
Ein Feld, ein Weg, ein Feld. Dann wieder ein Feld. Abgeerntet, Spuren von Traktoren, die Sonne frei, der Himmel wolkenlos. Ein Gelb, ein Blau.

ELLI
War van Gogh je in der sächsischen Oberlausitz? In Sorbien?

CHOR
Steine auf der Straße an den Feldeinfahrten. Lehmfarbener Acker soweit du sehen kannst, bis Tschechien, bis Polen. Zwischen den Feldern die Höfe. Alte Höfe, große Tore, meistens morsch. Alte Höfe, leere Höfe. LPG-Höfe.

TOBIAS
EllPeGE, was heißt das eigentlich?

CHOR
Die Gärten klein, zur Straße hin von Maschendraht begrenzt. Ramons Häuschen grün gestrichen. Er und seine Mutter plus Geschwister wohnen in einem der drei Häuser, die der Hof mal waren. Der Hof daneben: ZU VERKAUFEN. Ramons Mutter hält Kühe. Kühe und Kinder, sonst hält sie nichts.

TOBIAS unschlüssig am Tor, klopft.

CHOR Nase zu
Wie das stinkt!

ELLI
Aber die geben doch die gute Milch.

CHOR
Und warum ist die so billig, daß der Bauer nicht mal leben kann davon?

ELLI
Weil ihr in der Schule nicht aufgepaßt habt, Honks, darum!

TOBIAS
Weil die uns plattmachen hier in unserm Freilichtmuseum.

CHOR
Ah, Philipp der Kluge. Er spricht!
Quatsch, sieh doch mal hin, das ist Tobias. Der kleinere von beiden.
Und was will der beim großen Ramon?
Ist doch egal, wer das ist, bei Brüdern spielt das keine Rolle.
Genau, ganz egal, wer wen hier spielt, solang wir fantasieren.
Tobi oder Philipp, eh alles nur Theater. Wie bei den Räubern.
WIE BEI DEN RÄUBERN.
Und sie sehn sich so ähnlich, zwei Jahre Altersunterschied, was macht das schon.
WIE BEI DEN RÄUBERN.
Ganz gewöhnliches Theater. Genau.
Bretter und der elektrische Mond und dahinter die Fleischbank, die allein echt ist.
WIE BEI DEN RÄUBERN.
Aber Rindfleisch muß es sein.
WIE BEI DEN RÄUBERN, WIE BEI …

ELLI
Chöre, mein Gott!

CHOR
Wir haben Chöre gesehen der Arbeiter
Haben Chöre gesehen des Proletariats
Chöre der kommunistischen Genossen
Sogar Chöre auf dem Land, Bauernchöre
Haben wir gesehen, aber noch keinen
Chor, der den Kapitalismus repräsentiert.

ELLI
Was für ein Chor sollte das denn sein, bitte?

CHOR
Wir!

TOBIAS
Obzwar ich schon Bauklötzer staune, ganz glauben kann ich das nicht.

ELLI
Hör nicht hin, ist der blanke Populismus.

TOBIAS
Hör ja gar nicht hin.

CHOR
Die alte Form des Dramas ermöglicht es nicht, die Welt so darzustellen, wie wir sie heute sehen!

ELLI
Ganz recht, schließlich dramatisieren wir Romane. Neue Romane! Romane einer ganz neuen Generation. Und nicht nur das: Wir dramatisieren ein Volk. Gut, gut: ein ehemaliges, ein halbes. Aber was red ich, wo wir doch seit … ja seit wann eigentlich? ein Volk sind, ein einiges, echtes, das sein Volksein leben will, verstehen will, versteht sich. Die Sehnsucht nach Echtheit wächst natürlich mit dem Fortschritt digitaler Welten, in der Kunst vor allem. Seht euch doch um, wenn ihr euch umseht. Trotzdem hat die zeitgenössische Dramatik derzeit keinen leichten Stand. Selbst an den Theatern nicht. Erst recht an den Theatern nicht. Das Drama: ein Relikt. Die Postdramatik löst sich im Performativen auf wie Silber in der Säure, Stadtteilprojekte, Recherchen, Bürgerbühnen und offene Formate reagieren schneller und politischer. Das Vertrauen in das Miteinander von Regie und Dramatik schwindet, auch bei uns. Dabei gibt es doch beim Publikum eine Sehnsucht nach Erzählungen, nicht wahr. Das steht sogar in der Zeitung. Und kein Unterschied zu sehen zwischen Ost und West … und da können wir nun konstatieren: Hier ist die Einheit nach nur 30 Jahren doch erreicht, im Dramatisieren von Romanen. Hut ab, kann ich da nur sagen, wenn ich einen hätte.

TOBIAS sitzt auf dem Boden und flickt an seinem BMX herum
Wenn das eine Regieanweisung wäre, würde ich lesen: „Sitzt auf der Erde und flickt an seinem BMX-Rad rum.“ Ich habs verstanden.

CHOR
Aber wem gehört der Roman, und wem das Drama? Wem gehört das Theater?

ELLI
Wo ihr fragt, da sollt ihr Antwort haben: 80 Prozent der, jawohl, 140 öffentlichen Theater in Deutschland sind renovierungsbedürftig. Es gab zwei Bauwellen von Theatern, zwischen 1890 und 1910 und dann die schönen Häuser nach dem Weltkrieg, dem zweiten. Und ihr könnt eben nicht 50 Jahre lang nichts an einem Bauwerk machen, denn dann fällt es zusammen. Und das ist bei uns hier der Fall. Ich kann nur sagen, seht euch um. Jeder Hausbesitzer weiß, er muß fünf bis zehn Prozent der Bausumme jährlich für Reparatur und Sanierung aufwenden. Das ist wie auf einem Bauernhof, weil Eigentum, ihr habts gehört, verpflichtet, auch und erst recht das geistige. Bei den Theatern hat man das gespart. Weggespart. Mit erheblichen Folgekosten, liebes Publikum, neutral bleiben nützt hier gar nichts. Schlägt ja alles zurück auf die Preise, die Öffentliche Hand. Wir subventionieren den eigenen Verfall, kann ich dazu nur sagen. Außerdem sind unsere Theater zu klein geworden: Lüftung, Klima, Brandschutz, Werkstätten, Fundus, all das braucht heute viel mehr Platz. Vom Publikum, das uns die Buden einrennt, gar nicht zu reden, da habt ihrs.

CHOR
Die Theater sind also von heute aus betrachtet gar nicht zukunftsfähig, meinst du das?

ELLI
In der Tat, das meine ich, sie sind nicht zukunftsfähig. Wir haben ein Drittel weniger Festangestellte als noch vor elf Jahren, und mit dieser knappen Personaldecke spielen wir 69.900 Vorstellungen, fast 300 pro Tag, das ist Weltrekord! Im künstlerischen Bereich bekommen auch immer weniger von uns Festverträge, ich weiß, wovon ich rede. Alle im Theater werden ausgequetscht wie die Zitronen. Ich bin nicht sicher, ob das Bild trägt, aber ihr wißt, was ich meine. Das Theater ist doch der Ort, an dem Visionen entwickelt werden, an dem die gesellschaftlichen Zustände kritisch hinterfragt werden, stimmts nicht? Da fangen wir am besten gleich bei uns selber an.

CHOR uneins mit sich selbst
Es handelt sich hier offensichtlich aristotelische Einfühlungs-Dramatik. Die Nachteile dieser Technik könnten bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden, wenn man das Stück zusammen mit einem Dokumentenfilm, der die Vorgänge in Spanien zeigt, oder irgendeiner propagandistischen Veranstaltung aufführen würde … was meint ihr?

TOBIAS zwischen verträumt und zu doof am Fahrrad
Spanien? Ich war noch nie in Spanien …

RAMON aus dem Off hinter dem Bretterzaun
Du kannst nicht neutral bleiben, Theresa!

RAMONS MUTTER Off
Für dich immer noch Mutti, mein Sohn!

ELLI
Jawohl, denn es gibt eine Sehnsucht nach tragischen Konflikten. Nach Gesprächskatalysatoren. Nach Dialog. Absurderweise aber wird danach nicht in der Dramatik gesucht, sondern im Roman. Ist zeitgenössische Dramatik zu komplexeren Erzählungen nicht mehr in der Lage? Wer, wenn nicht die Theater, kann professionellen Begleitschutz dafür bieten, frage ich? Sprechen wir über die Besitzverhältnisse! Zurück zu den Wurzeln, back to the roots! Und dem Zeitgeist auf den Fersen! Die nichtdramatische Form wird gern auch deshalb in Kauf genommen, weil Romaninszenierungen zu publikumsgenerierenden Wiedererkennungseffekten führen. Titel, die in der SPIEGEL-Bestsellerliste vorkommen, sind einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Theaterstücke kommen – wenn überhaupt – nur noch als hochspezialisierte Nischengattung auf dem Buchmarkt vor. Versucht es selbst: findet erstens einen Buchladen, zweitens dort eine Ausgabe mit Stücken, viel Glück! Aber genug jetzt, weiter im Text, dem Roman hinterher, Leser, mir nach: Tobias legt also sein BXM-Rad endlich auf dem Feldweg ab und stellt sich vor das Tor von Mutter Mehlschwitz, da kommt sie. Er sieht durch das rissige Holz auf den Hof. Ablauf: immer der gleiche. Fragen, ob derjenige rauskommen dürfe, von dem man hoffe, daß …

TOBIAS technisch auf der Höhe der Zeit:
Ist Ramon da? Darf er mal raus?

CHOR
Ist Ramon da? Darf er mal raus?

TOBIAS
Darf er?

ELLI
Und wenn die Eltern die Tür öffnen, auch immer das Gleiche.

CHOR
DARF RAMON RAUS? NEIN, DARF ER NICHT. JA, DARF ER DOCH.

»Mit der Faust in die Welt schlagen«; Friedrike Pöschel (Ramons Mutter), Romy Klötzel (Elli)
Foto: Candy Welz

RAMONS MUTTER erscheint in der Türe wie im Folgenden exakt beschrieben:

ELLI
Ramons Mutter: rotgefärbte Haare, fett geschminkt, mit Schmuck behängt, Typ polnische Friseuse, und immer eine Fluppe zwischen den auch rotgefärbten Lippen, hat wohl grad Suppe für die jüngsten auf dem Herd.

TOBIAS
Ich kenne Sie von BILLIGLAND, wo sie an der Kasse sitzen, weil sie den Hof allein nicht halten können. Ist ja nicht mehr LPG, nein, Besitz, das haben wir gelernt, verpflichtet, Frau Mehlschwitz.

RAMONS MUTTER
Genau. Wer hat, der kann machen, was er will damit. Verpißt euch.

CHOR
Wir wollen nichts lernen.

RAMONS MUTTER
Ja, weil ihr viele seid. Aber wieviel seid ihr noch?

CHOR
Genug.

RAMONS MUTTER
Und was habt ihr?

CHOR
Nicht viel.

RAMONS MUTTER
Woher sollt ihr von Besitz was wissen, woher ich? Hat uns keiner in die Hand gegeben. War Volkseigentum das alles, privat war eher Staatsvergehn, hast kaum mehr davon gehabt als Ärger. Nur Unterricht, das war das einzige. Lernen, lernen, nochmals lernen. Tag, Tobi, Ramon ist im Schuppen.

TOBIAS
Danke, Frau Mehlschwitz.

RAMONS MUTTER
Aber nicht rauchen, das fliegt sonst alles in die Luft hier wegen dem vielen Altöl von früher.

CHOR
Er wollte noch fragen, wo der Schuppen und wie er dorthin, aber da schloss sie von innen die Tür ab. Drehte den Schlüssel zwei Mal und ein drittes Mal.

TOBIAS
Stille. Und Gestank. Und Fliegen, sie verfolgen mich.

CHOR
Hab dich nicht so, kleiner Mann. Sind bloß Fliegen, gewöhnliche Fliegen. Und die stechen nicht. Sie erinnern nur an das, was zu tun ist, Tobias.

TOBIAS
Wie das aussieht hier …

ELLI
Zerbrochene Betonplatten im Hof. Als ob hier Panzer durchgefahren wärn oder der Schaufelbagger vom Tagebau nebenan. Korrigiere mich wie folgt: Zerbrochene im was ein Hof gewesen war … ein Baumstrunk in der Mitte, eine Plastebank davor. Nur eine von drei Hausfassaden gestrichen, sonst grauer Putz, der fröhlich bröckelt. Die Fenster offen oder fehlen ganz. Buntes Spielzeug, ein Bagger, ein Traktor umgekippt auf dem Boden neben Pflanzenkübeln.

CHOR
Ramon hat auch einen Bruder oder zwei sogar, der weiß, was das heißt. Immer einen Kleinen an den Hacken.

TOBIAS
Und überall der Gestank und die Fliegen.

ELLI
Dafür hat die Garage ja gottseidank kein Dach, ist also immer schön Durchzug.

RAMON
Hey.

TOBIAS
Scheiße.

RAMON
Was?

TOBIAS
Daß ich einfach mal Hallo sagen wollte und du erschreckst mich.

CHOR
Wie erbärmlich er aussehen muss in Ramons Augen. Wie der totale Untermensch. Die Flasche. Aber Ramon!

ELLI
An die Werkbank gelehnt, unter weißen Neonröhren, eine flackert, ein Moped, frisch lackiert.

RAMON
Meine Mutter lässt jeden rein, der die Klingel findet. Ich sag ihr, dass sie da aufpassen soll, ich bin ja auch nicht immer da. Ist gefährlich hier draußen, Zigarette?

TOBIAS
Nein, danke muß nicht sein.

RAMON raucht
Ist gut gegen die Fliegen.

ELLI
An den Wänden Blechschilder RADEBERGER PILSNER, eine verblasste Dynamofahne und das Poster einer Frau, die ihre Beine spreizt, das sich an zwei Ecken gelöst hat und sich im Zugwind hinundherbewegt …

CHOR
Oh, und das viele Werkzeug ringsherum, Hammer und Sichel …

RAMON
Hier sind manchmal Leute unterwegs, ich sag dir. Willst du was trinken?

TOBIAS
Was hast du denn?

CHOR
Klasse Antwort, TobiasPhilipp, gut gemacht. Mach weiter so.

RAMON
Radeberger und noch nen Kasten Zeckenbier.

TOBIAS
Radeberger, das ist gut.

RAMON
Kalt wär besser.

TOBIAS
Bier ist Bier.

»Mit der Faust in die Welt schlagen«; Sven Marcel Voss (Philipp), Arne Löber (Ramon)
Foto: Candy Welz

CHOR
Hört, hört! Bier ist Bier!

ELLI
Ramon grinst, Tobias unterdrückt ein Würgen. Ein schlaffer Wind ergreift das Poster, läßt es an den losen Enden träge flattern. Das Papier so dünn, dass es sich anhört, als könnte eine Fliege sich nicht von der Wand lösen, wo der klebrige Leim von der Falle sie hält.

CHOR „Fliegen
Ssssssss…chnlllzsch…p…lopp!

TOBIAS
Na dann: Prost, Ramon.

RAMON
Tobi, prost!

ELLI
Tobias sieht, wie es reißt, das Poster, an den Beinen der Gespreizten entlang … Ramon nimmt einen Schluck aus der Flasche, die freie Hand fährt lässig über den gepolsterten Sitz seines Mopeds. Und ich, ich mach mich vom Hof jetzt.

Ab.

RAMON
Deine Alte arbeitet doch im Krankenhaus. Da verdient die doch bestimmt ganz gut.

TOBIAS
Alte?

RAMON
Mutti, Mensch.

TOBIAS
Weiß nicht, kann sein.

RAMON
Habt ihr ein Auto?

TOBIAS
Renault.

CHOR
Das ist doch kein Auto! Oder denkt er etwa auch: Auto ist Auto?

RAMON
Warum bist du hergekommen?

TOBIAS
Was du alles hast hier, ganz schön alt.

RAMON
Mein Vater hat den kompletten Scheiß hier gelassen. Richtig gutes Werkzeug aus der DDR. Kein Billigscheiß, den du bei OBI kaufst.

CHOR
Was er jetzt plötzlich gegen OBI hat? OBI ist doch super, OBI sind die besten.

TOBIAS
Wo ist dein Vater eigentlich?

RAMON
Hat sich verpisst und fickt sich drüben durch.

CHOR
Ein Vaterproblem. Da macht auch Ramon keine Ausnahme.

TOBIAS
Im Westen?

RAMON
In Polen, du Blödmann.

CHOR
Im Westen! Der ist gut!

TOBIAS
Aber du hast ihn noch gekannt, oder?

RAMON
Der hat meine Mutter sitzen lassen, da war ich zwei drei Jahre alt. Da hatten wir auch noch mehr Kühe.

CHOR Nase zu
Puh, wie das gestunken haben muß!

RAMON
Wir kommen auch ohne ihn klar. Und ich hab Freunde.

TOBIAS
Du bist der Vater hier.

RAMON
Menzel ist der Führer.

TOBIAS
Hier?

RAMON
Von der Bande.

TOBIAS
Bande, wie das klingt.

RAMON
Gut klingt das, und nicht jeder darf das sagen.

CHOR
Nicht jeder darf dabei sein, nein. Und nicht jeder ist wie Ramon. Jetzt sitzt er auf dem Moped. Sein Haar ist ganz kurz. Das Gel drin läßt es glänzen. Er riecht nach dem Deo aus der Werbung, wie hieß das noch, vergessen …

RAMON
Zigarette?

CHOR
Der Kuhmist stinkt und Ramon duftet.

RAMON
Glaub bloß nicht, man kann damit verdienen. Was die für die Milch zahlen, ist ein Witz. Wenn man das rechnet, machen wir minus. Mit jedem verschissenen Liter. Ich lass mich von meiner Mutter auf gar keinen Fall bezahlen, außer Taschengeld natürlich, prost, sonst könnten wir uns das alles nicht leisten. Scheiß-EU. Der deutsche Bauer ist hier nichts mehr wert. Den haben die Großbetriebe und die Ökos ruiniert. Zigarette?

Sirene von fern, näher … vorbei.

CHOR
Und während Tobi rätselt, was jetzt Scheiß-EU bedeuten soll und ob er schon wieder eine rauchen soll, rast die Feuerwehr vorbei. Wenn man nichts macht, dann brennt der Wald.

TOBIAS
Was Eisen nicht heilt, heilt Feuer.

RAMON
Was?

TOBIAS
Sagt Philipp immer.

RAMON
Ich muß jetzt, machs gut.

TOBIAS
Wohin?

RAMON
Sehn, wos brennt.

CHOR
Ramon zum Beispiel, seht ihn euch an. Sieht aus wie ein Kanake, heißt wie ein Kanake, ist katholisch wie ein Kanake, hört Kanakenkaraoke und ist trotzdem deutsch total und komplett von hier. Solche suchen wir.

Feuer. Übergehend in Traumbild: Regen/Dusche/Tropen/Italienische Oper …

RAMONS MUTTER schwarz am weißen Pfahl der Kolonisatoren:
„Der Hof war verlassen, außer von dem Geier, der
An ein Wagenrad gekettet mit den Flügeln schlug.
Im Keller zwischen den Leichen wartete er auf mich
Der mir aus der Hand lesen wollte. Diagnose
NOSTALGISCHER KREBS. Flucht in den Hof
verfolgt vom Lächeln des Handlesers. Der Geier
von seinen Flugversuchen an der Kette gänzlich
auf das Wagenrad geflochten, hackte nach
dem Himmel. Die Wolken sanfte, gewaltige
Tiere in dem schwarzen Blau, das in den Hof fiel.“

Wolkenbruch und Blitzschlag.

TOBIAS einziger Zuschauer des Dramas, nimmt sein BMX-Rad auf und radelt ab in Szene 14.

»Mit der Faust in die Welt schlagen« könnt ihr noch bis zum 19. Mai 2020 im Großen Haus sehen.

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