Schnell mal kreativ sein

Besuch beim Workshop: Stressabbau und Konzentrationssteigerung mit der Theaterpädagogik 

»Sitzen 13 Akademiker um 19.15 Uhr zusammen und machen Grimassen«, schreibt einer in die Chatkommentare und sendet drei dicke Grinse-Smilies hinterher. Seinem Gesicht, in das sich seit geraumer Zeit ein breites Lächeln eingegraben hat, sieht man den Spaß an dieser speziellen Abendunterhaltung an. Wie die anderen Akademiker, die sich zur Online-Konferenz verabredet haben, ist er Lehrer und der Einladung der Abteilung Theaterpädagogik zum Workshop »Energizer und Warm up« gefolgt. Schon zum zweiten Mal haben die Theaterpädagoginnen des Theaters Heilbronn zu einer Online-Fortbildung für Pädagogen eingeladen, in der sie ganz praktische Tipps vermitteln, wie man in einer Schulklasse nach anstrengenden Arbeitsphasen Lockerungsübungen einbaut, oder wie man die Konzentration wieder sammelt, wenn die Energie der Schüler langsam schwindet. Die Idee kam Natascha Mundt, Christine Appelbaum und Anna-Lena Weckesser, weil es im Online-Unterricht zu Corona-Zeiten dreimal schwerer ist, die Aufmerksamkeit der Schüler auf einem hohen Level zu halten. Sie selbst merken es bei der Arbeit mit ihren Kinder- und Jugendclubs, wo die Übungen ihnen schon so manchen guten Dienst erwiesen haben. Das Schöne ist, dass alle Methoden auch in Präsenzveranstaltungen und mit allen Altersgruppen funktionieren. Die Theaterpädagoginnen setzen sie regelmäßig ein, wenn sie in den Schulen der Region unterwegs sind, und kaum jemand kann sich dem Charme dieser so ganz und gar nicht pädagogisch wertvoll daherkommenden Energizer entziehen.
Auch die Lehrer nicht, denen Natascha Mundt und Christine Appelbaum an diesem Abend gern von ihrem Wissen abgeben. Eigentlich wollten sie zu zweit die Gruppe anleiten, aber weil es auch für diesen Termin so viele Anmeldungen gab, wird die Gruppe geteilt. Ich darf beim Online-Workshop vom Team Natascha zuschauen und, um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe schon lange nicht mehr so einen lustigen Abend erlebt.

Die Theaterpädagoginnen Natascha Mundt und Christine Appelbaum leiten die Workshops an.

Los geht’s mit einem Kennlernspiel: Die Computer-Kameras werden mit Post-its abgeklebt, die abgenommen werden, wenn man sich von einer bestimmten Frage der Teamleiterin angesprochen fühlt. Bei der letzten Frage in dieser Rubrik – Wer hätte jetzt lieber Präsenzunterricht? – sind alle Klebezettel weg. 
Bei einer der nächsten Übungen gilt es, schnellstmöglich Gegenstände in einer vorgegebenen Farbe herbei zu schaffen und in die Kamera zu halten. Danach geht es um Wahrnehmungstraining – alle Teilnehmer prägen sich für zwei Minuten die Gesichter und die Bild-Hintergründe der anderen ein. Dann werden die Kameras abgeklebt und jeder ändert zwei Details an sich, die anschließend von den anderen erraten werden müssen: Brille auf, Haare offen, Ordner verschwunden … Man muss schon genau hinschauen und sein Gegenüber bewusst wahrnehmen. Dann wird es wieder sportlich, wenn alle sehr zügig Utensilien heranholen müssen, die mit einem bestimmten Buchstaben anfangen. Wer die meisten Dinge eingesammelt hat, ist Sieger. Die Steigerung dieser Übung ist eine Geschichte, die man rund um diese Gegenstände erfinden soll. Je absurder, desto besser. Ein herrlicher Spaß und ein wunderbares Training für die grauen Zellen.

Bereit für den Workshop.

Nach einer kurzen Pause wird es nun richtig spaßig. Zunächst gilt es, berühmte Bilder nachzustellen. Dann soll man die Grimasse seines Vorgängers nachmachen (O-Ton der Ermunterung von Natascha Mundt: Man muss keine Angst haben, sich zum Obst zu machen). Wer will, kann hier mit seiner Gruppe die beste Grimasse küren. »Die Klassen lieben es, sie machen wirklich alle mit«, versichert die Theaterpädagogin.
Dann folgt die Aufgabe, Emotionen in unterschiedlichen Abstufungen darzustellen: zum Beispiel ein bisschen Freude, größere Freude, riesengroße Freude. An dieser Stelle ist bei vielen Workshopteilnehmern durchaus schauspielerisches Talent erkennbar.
Mein Highlight ist folgende Übung: Alle stellen sich mit dem Rücken zur Kamera. Wenn sie nach vorne schauen, befinden sie sich in einer bestimmten Rolle. Wie sieht ein typischer Lehrer aus? Vom Erklärbär bis zur (gegenwärtig) ratlosen Person ist eine große Auswahl an Persönlichkeitstypen. Und dann die Aufforderung: Dreht euch um als eure Schüler! Köpfe mit zerrauften Haaren und zerknirschten Gesichtern schauen jetzt aus den Video-Kacheln. Aber alle mit einem liebevollen Augenzwinkern, bei dem man erkennen kann, warum die Lehrer nach vielen Stunden online-Unterricht noch den Workshop absolvieren – für ihre Schüler nämlich!
So manche Übung könnte man auch als Party-Spaß in sein Repertoire aufnehmen, wenn es denn wieder möglich ist. Einen Zungenbrecher zu sprechen etwa – zuerst normal, dann ganz schnell, hinterher in Zeitlupe, mit einer vorgestellten großen Kartoffel im Mund, einem Zahnstocher quer oder einer heißen Kirsche. Oder man tauscht alle Vokale in ein A: Faschers Fratze faschte frasche Fasche …
Und versuchen Sie mal, in der Gruppe bis 21 zu zählen, jeweils einer nach dem anderen, ohne festzulegen, wer wann dran ist. Immer wenn zwei zur gleichen Zeit eine Zahl nennen, muss wieder von vorn begonnen werden. An diesem Abend kommen all die schlauen und engagierten Lehrerinnen und Lehrer nicht weiter als bis zur Sieben. Macht nichts! Dafür haben sie jede Menge Muskeln gelockert, Stress abgebaut und Glückshormone freigesetzt. So viel ist sicher!

Der Workshop wird für alle interessierten Lehrkräfte wieder angeboten. Wer Interesse hat, kann sich auf der Warteliste unter: theaterpaedagogik@theater-hn.de anmelden.

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