Unsere Neuen: Pablo Guaneme Pinilla

Wenn er über sein Ideal vom Schauspielberuf spricht, hat Pablo Guaneme Pinilla ein bestimmtes Bild vor Augen: Von spielenden Kindern im Sandkasten. Mit großer Ernsthaftigkeit und Unbekümmertheit sind sie ganz versunken in das, was sie gerade tun und schaffen mit Phantasie und Gestaltungswillen ganz neue Welten. So wünscht sich der Schauspieler den Probenprozess am Theater – sich ausprobieren, den Text ausloten, tief in die Arbeit eintauchen, das Drumherum ausblenden ohne das, was draußen geschieht, als Impuls für die Arbeit aus den Augen zu verlieren.

Pablo Guaneme Pinilla als Jacques in »Drei Männer und ein Baby«. (Foto: Steffen Nödl)

Pablo Guaneme Pinilla, der seit September fest zum Heilbronner Schauspielensemble gehört, sieht das Theater als Ort des öffentlichen Nachdenkens und Entdeckens, der nichts Geringeres leisten soll, als die Dinge in ihrer Differenziertheit und Zerrissenheit zu zeigen. »Ich bin ein Freund des Widerspruchs«, sagt er. Einfache, plakative Antworten und Parolen von der Bühne herunter interessieren ihn nicht.

Vielleicht war, weil er die Welt immer in ihren Gegensätzen sieht, der Weg ans Theater zwar nicht stringent aber doch irgendwie zwangsläufig. Aufgewachsen ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines kolumbianischen Vaters in Bonn. Während der Kindergarten- und Grundschulzeit war er in der Musikschule und spielte hier Theater. Dann kam erst mal eine ganze Weile nichts dergleichen. Erst in der 12. Klasse absolvierte er einen Theaterkurs und wurde Statist an der Oper in Bonn. »Das hat mir großen Spaß gemacht und war für mich wichtiger als das Abitur«, blickt Pablo Guaneme Pinilla augenzwinkernd zurück. Nach dem Abi ging er für ein freiwilliges soziales Jahr nach Lima in Peru. Hinterher wollte er unbedingt nach Berlin, und er schrieb sich an der Humboldt-Universität für die Fächer Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft ein, hatte aber das Gefühl, da nicht wirklich hinzugehören. In seiner Freizeit schloss er sich freien Theatergruppen an und fasste schließlich den Mut, an Schauspielschulen vorzusprechen. Er bestand das strenge Auswahlverfahren an der Schauspielschule »Hans Otto« in Leipzig und stellte sich den Herausforderungen seines neuen Lebens. Nach zwei Jahren geschützter Arbeitsatmosphäre an der Schauspielschule ging es die letzten beiden Jahre ins Schauspielstudio des Theaters Halle. Hier spielte er unter anderem die Titelfigur in Wolfgang Herrndorfs »Tschick« – eine Rolle, die er in ihrer Mischung aus Humor, Ernsthaftigkeit und Abgründigkeit bis heute liebt. Sein erstes Engagement führt ihn für 6 Jahre nach Neuss, wo er in vielen großen und wichtigen Rollen zu sehen war u. a. als Sigfried in Friedrich Hebbels »Die Nibelungen«, als Orlando in Shakespeares »Wie es euch gefällt« sowie als Wurm in Schillers »Kabale und Liebe«. In diesem Jahr war er im Juni mit dem Monolog-Stück „Tāwle – am Kopf des Tisches“ beim Westwind-Festival in Oberhausen eingeladen. Das von Julia-Huda Nahas geschriebene und inszenierte Stück greift die Perspektive eines Deutschen mit syrischen Wurzeln auf, der versucht, seinen im Kriegsgebiet lebenden Verwandten zu helfen. Das war eine sehr schöne, fordernde und intensive Arbeit, die ihm immer als eine seiner liebsten im Gedächtnis bleiben wird.

Pablo Guaneme Pinilla in der Rolle des Prinzen in »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« mit Gabriel Kemmether als Lehrer. (Foto: Thomas Braun)

Jetzt, mit Mitte 30, hatte er Lust auf eine Veränderung  ̶  ein neues Haus, neue Kollegen, andere Regisseure, die Chance weiter zu reifen und eben nicht mehr der junge Schauspielabsolvent zu sein. »Ich freue mich darauf, neu gefordert und neu gesehen zu werden«, sagt er. Er ist gespannt auf die Rollen, die er spielen darf. Bestimmte Wünsche oder Träume hat er nicht: »Ich bin auf alles neugierig, was kommt.« 
Um zu seiner Wohnung zu gelangen, musste Pablo Guaneme Pinilla bis vor kurzem noch einen Ausweis vorzeigen. Denn der Schauspieler ist stolzer Bewohner von Deutschlands größtem Holzhochhaus auf dem BUGA-Gelände. Heilbronn habe ihn positiv überrascht, sagt er: »Die Stadt ist sehr lebendig, mitten in einem positiven Umbruch, das kann man überall spüren.« 

Pablo Guaneme Pinilla könnt Ihr aktuell in »Drei Männer und ein Baby« und »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« sehen.

Unsere Neuen: Winnie Ricarda Bistram

Dass das Leben mitunter dramatischer ist, als es sich Bühnenautoren in ihren kühnsten Phantasien ausdenken können, hat Winnie Ricarda schon früh erfahren. Noch während der Ausbildung am Wiener Max Reinhardt Seminar bekam sie eine Rolle am Akademietheater, der Kammerbühne des Burgtheaters (was für ein Traum!), in dem Schauspiel »Liebe und Information« von Caryl Churchill.  Am Nachmittag des Premierentages wollte sie noch schnell eine Überweisung bei der Bank erledigen. Da hielt ihr plötzlich jemand eine Pistole an den Kopf. Das war kein Theater, sondern ein Banküberfall  ̶  Todesangst statt Premierenfieber. Irgendwann richtete der Räuber die Waffe auf die Bankangestellte, die den Notknopf bestätigte. Winnie Ricarda Bistram und einigen anderen gelang die Flucht. Dann war auch schon die Polizei da, aber der Weg zu ihrem Auftritt war versperrt. Sie sollte als Zeugin vor Ort bleiben und kein Polizist wollte verstehen, dass sie unbedingt ins Theater musste, weil ohne sie diese Premiere nicht stattfinden würde. Erst als ihre Professorin, die verständigt wurde, an den Tatort kam und mit der Polizei verhandelte, durfte sie gehen.

Winnie Ricarda Bistram als Königin in »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« mit Hannes Rittig als König. (Foto: Thomas Braun)

Schon manchmal hatte ihr das Leben auf dem Weg zum Traumberuf ein Bein gestellt. Wie im ersten Vorsprechen an ihrer Lieblingsschauspielschule, dem Max Reinhardt Seminar. Sie war bereits in die zweite Runde gekommen und ignorierte ihre Bauchschmerzen, bis sie schließlich mit einem lebensgefährlichen Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus kam. Aber im drauffolgenden Jahr klappte es  sofort.
Dabei wollte sie als Jugendliche in ihrer Heimatstadt Hamburg alles, nur keine Schauspielerin werden. Ihr Vater arbeitete in diesem Beruf. Sie hatte die Unsicherheiten, die so ein Leben mit sich bringt am Rande mitbekommen. Ihr Vater, der in der DDR lebte, gehörte zum legendären Ensemble von Frank Castorf während dessen »Verbannung« an das winzige Theater Anklam in Vorpommern. Ganz Theater-Ostdeutschland pilgerte damals an diesen kultigen Ort, wo es im Schutz der Provinz aufregende Inszenierungen zu sehen gab. Umso erstaunter ist Winnie Ricarda Bistram, ausgerechnet in Heilbronn auf Kollegen zu treffen, die ihren Vater und den Großvater von der Bühne und von gemeinsamen Arbeiten  kannten.

Winnie Ricarda Bistram spielt in »Drei Männre und ein Baby« gleich mehrere Rollen. Eine davon ist Sylvia, die den drei Machos das Baby vor die Tür stellt. (Foto: Thomas Braun)

Nach dem Abitur studierte sie zunächst Psychologie und Kunstgeschichte in Heidelberg. Doch irgendwann hat sich offenbar das väterliche Erbe bei ihr durchgesetzt, denn der Wunsch, diesen unvorhersehbaren, aufregenden Weg zur Schauspielerei einzuschlagen, brach sich massiv Bahn. »Das Schauspielstudium fühlte sich richtig an. Auch das ganze Auf und Ab, die Selbstzweifel, die einen dabei ständig begleiten, das gehört mit dazu.«  Sie spielte in dieser Zeit auch am Volkstheater Wien und im Theater in der Josefstadt. Nach dem Studium gastierte sie in Berlin und Wilhelmshaven, stand in Kurzfilmen vor der Kamera und nahm an einem großen Kunstprojekt in Berlin teil. Zuletzt spielte sie 180 Vorstellungen der französischen Komödie »Die Lüge« von Florian Zeller im Zimmertheater Heidelberg. Ihr Partner war Peter Volksdorf, ehemaliges Ensemblemitglied in Heilbronn und gerade wieder als Gast am Neckar. Der machte Winnie Ricarda Bistram darauf aufmerksam, dass das Theater Heilbronn gerade junge Schauspielerinnen suchte. Weil der Norddeutschen gerade in Heidelberg die große Liebe über den Weg gelaufen war, wollte sie gern im Süden bleiben und bewarb sich. »Ein Festengagement ist auch mal ganz schön«, sagt sie und hofft darauf, dass sie hier waches, spannendes, politisches Theater machen darf.  So, wie es die Aufgabe von Theater seit der Antike ist. Nicht von ungefähr ist Antigone eine ihrer Lieblingsfiguren, eine 2500 Jahre alte Vorläuferin von Greta Thunberg.

Zusehen ist Winnie Ricarda Bistram aktuell in der Komödie »Drei Männer und ein Baby« und dem Weihnachtsmärchen »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.

Unsere Neuen: Johanna Sembritzki

Sie weiß bis heute nicht warum, aber Johanna Sembritzki hat schon als kleines Kind behauptet, dass sie einmal Schauspielerin wird.

Johanna Sembritzki (Foto: M42)

»Da kann ich alles mal ausprobieren und muss mich nicht für einen Beruf entscheiden, war damals meine Begründung«, erinnert sich die dunkelblondgelockte Frau mit dem Schalk in den Augen.
So richtig Feuer fing sie bei einem Theaterbesuch in ihrer Heimatstadt Bochum. Da sah sie im Theater »Dantons Tod« in der Inszenierung von Leander Haußmann und dachte: Das will ich auch. Die Lucile aus Büchners Revolutionsdrama, die ihrem Mann letztlich bis in den Tod folgt, hat sie tief beeindruckt. Ohnehin war sie bereits als Jugendliche in der Welt der Dramen zu Hause. Noch lieber als Romane las sie Goethe, Schiller, Büchner und Shakespeare, aber auch moderne englische Dramatik wie z.B. Sarah Kane, deren Stücke sie bis ins Mark trafen. In jedem dieser Texte hatte sie eine Figur, die sie besonders liebte und mit der sie sich identifizierte. »Das Gretchen war es komischerweise nie«, sagt sie. Eher so starke und radikale, aber auch gleichermaßen brüchige Charaktere wie Maria Stuart oder Lucile.
Den Wunsch, Schauspielerin zu werden, setzte sie dann aber eher zögerlich um. Der Grund: Ihr Bruder Henning war gerade an der Schauspielschule angenommen worden. »Ich kann doch nicht das gleiche machen wie mein Bruder«, dachte sie.

Die Heilbronner werden sich noch an Henning Sembritzki erinnern, denn er gehörte einige Jahre zum Schauspielensemble des Heilbronner Theaters. Johanna studierte zunächst Polonistik und Afrikanistik in Berlin und bewarb sich schließlich doch heimlich an Schauspielschulen. Wieder war es Büchners Lucile, die sie bei den Vorsprechen begleitete. Von 2001 bis 2005 studierte sie dann in München an der Bayerischen Theaterakademie »August Everding« und stand schon ab dem ersten Studienjahr im Residenztheater München auf der Bühne in Inszenierungen von Dieter Dorn und Thomas Langhoff. Während dieser Zeit spielte sie auch in Doris Dörries Film »Der Fischer und seine Frau« mit. »Es war eine total aufwendige Szene im strömenden Regen auf einem Müllplatz mit einem Baby, die dann aber herausgeschnitten wurde, weil das Kind ununterbrochen schrie.« Heute kann sie darüber lachen.

»Faust. Der Tragödie erster Teil« Johnanna Sembritzki (mitte). Foto: Candy Welz

Nach dem Studium führte ihr erstes Festengagement sie wieder in ihre Heimatstadt ans Schauspielhaus Bochum. Ein Traum, auf der Bühne stehen zu dürfen, auf der sie früher die Darsteller bewundert hat. Als Tochter der Stadt wurde sie besonders vom Publikum und auch von vielen Kollegen ins Herz geschlossen. »Bis heute kennen mich die Leute, wenn ich dort zu Besuch bin und meine Mutter wird oft nach mir gefragt«, sagt sie. Die nächsten Jahre führten sie nach Lübeck, wo sie drei Jahre lang mit ihrem Bruder Henning zusammen auf der Bühne stand. »Wenn wir zusammen spielen, verbindet uns ein Urvertrauen, das nicht vieler Verabredungen bedarf«, sagt sie. In die Lübecker Jahre fiel auch die Geburt ihrer beiden Kinder – Johanna Sembritzki hat einen Sohn und eine Tochter. Fortan musste sie ihren Beruf mit dem Familienalltag unter einen Hut bringen. »Das geht mit viel Selbstdisziplin, einem straffen Tagesplan und einer guten Infrastruktur an Leuten, die einem helfen.« So sehr sie ihren Beruf auch liebt, die Kinder sind ihr größtes Glück. »Sie erden mich und machen mir immer wieder klar, dass es neben den Brettern, die die Welt bedeuten, noch viele andere wichtige Dinge gibt. « Ihr nächstes Engagement führte sie nach Neuss, wo sie die jungen weiblichen Hauptrollen hoch- und runterspielte. »Klar ist es schön, wenn man so jung besetzt wird«, sagt sie. Aber jetzt werde es Zeit für einen Fachwechsel, schließlich hat sie die Mitte 30 schon überschritten – auch wenn man es ihr überhaupt nicht ansieht. Nun also Heilbronn. »Ich liebe diese Bühne«, schwärmt sie. Eine ähnlich schöne Bühne hat sie zuletzt in Bochum erlebt. Sie mag die schiere Größe, aber auch das Gefühl, dass alle, die auf der Bühne und hinter den Kulissen arbeiten, unbedingt wollen, dass es gelingt.    

Sehen könnt Ihr Johanna Sembritzki aktuell in »Germania 3 Gespenster am Toten Mann« und ab dem 23. November 2019 in »Faust. Der Tragögdie erster Teil«.

Ein Inspektor kommt … Schauspieler Oliver Kainz ist in »Revanche« dem Verbrechen auf der Spur

Unser Praktikant Mark Etting sprach mit dem Schauspieler Oliver Kainz über die Figur des Kriminalinspektors Doppler in unserem Kriminalstück »Revanche«, der mit kühler Überlegung einem Verbrechen auf der Spur ist. Oliver Kainz verstärkt als Gast unser Ensemble in der Inszenierung von Marcus Everding, die am 16. November 2019 um 20.00 Uhr im Komödienhaus Premiere hat.

Etting: Herr Kainz, Sie kommen als Gast ans Theater Heilbronn für die Rolle des Inspektor Doppler in »Revanche«. Wie kam es dazu?

Kainz: Nun, Herr Vornam, der Intendant, hat mich in der Vorstellung »Ein Inspektor kommt« von Priestley gesehen und mich quasi noch in der Kantine engagiert. Ich hatte Zeit und Lust, und nun bin ich hier.

Etting: Sie sind ja halb Engländer…

Kainz: Ja, meine Mutter stammt aus Bristol. Aufgewachsen bin ich aber in Stuttgart.

Etting: War der englische Hintergrund hilfreich für die Rolle?

Kainz: Nun, mit dem Hintergrund konnte ich mich schon besser, also ich meine gut in die Rolle eines englischen Inspektors einfühlen. Da kommt doch einiges immer wieder hoch. Was nicht heißen soll, dass die Kollegen es nicht auch gut machen. Ein tolles Klima auf den Proben.

Etting: Kommen wir zur Rolle. Was ist Inspektor Doppler für eine Figur?

Kainz: Eine sehr spannende, sag ich jetzt mal so. Also, er gibt ja den schrulligen Landpolizisten, der sich dem erfolgreichen Krimi Schriftsteller Wyke quasi unterordnet, um dann den Spieß sozusagen umzudrehen und Wyke regelrecht vorzuführen. Das können Sie sich so vorstellen, wie den Inspektor Colombo. »Ich hätte da noch eine Frage.« (lacht)

Oliver Kainz als Inspektor Doppler


Etting: Doppler überführt also Andrew Wyke?

Kainz: Doch, schon. Er kann seinen Job total gut. Und auch das Publikum wird den Doppler am Anfang unterschätzen.

Etting: Man will also, dass Wyke erwischt wird?

Kainz: Wir wollen hier nichts verraten. Das ist schließlich ein Kriminalstück. Wäre doch schade, wenn das bei Ihnen schon alles nachlesen kann.

Etting: Mal eine Frage an Ihre Herangehensweise: Wie legen Sie den Inspektor an?

Kainz: Ich würde sagen hintergründig, doch. Spiegelnde Facetten, die sich in den Widersprüchen zu gefährlich blitzenden Glassplittern entwickeln.

Etting: Das klingt aber spannend.

Kainz: Ja, das hat Shaffer schon gut geschrieben.

Etting: Und dieser Doppler taucht ja eher überraschend spät im Stück auf.

Kainz: Genau. Also, wenn man das Programmheft nicht gelesen hat, weiß man das erst einmal nicht. Die Figur bezieht aus diesem Überraschungseffekt natürlich ihre Wirkung.

Oliver Kainz als Inspektor Doppler im Verhör mit Andrew Wyke (Nils Brück)

Etting: Man darf also gespannt sein. Ihre nächsten Pläne?

Kainz: Urlaub.

Etting: Verraten Sie uns wohin?

Kainz: Nein. Finden Sie’s heraus.

Etting: Danke für dieses Gespräch.

Das Kriminalstück »Revanche« können sie ab dem 16. November 2019 bis Silvester im Komödienhaus erleben.

Unsere Neuen: Sarah Finkel

Die Holzbildhauerei war auch eine Option. Sarah Finkel ist offenbar eine vielseitig begabte junge Frau. Sie solle ihre tolle Stimme nutzen und diese beruflich einsetzen – zum Beispiel beim Radio, rieten ihr die einen. Auf keinen Fall dürfe sie ihre künstlerisch-kreative Ader verkümmern lassen, meinten die anderen. Also probierte sie erst einmal die bildende Kunst und studierte Holzbildhauerei in dem schönen Ort Oberammergau.

Sarah Finkel als No in »No und ich« (Foto: Thomas Braun)

»Es hat Spaß gemacht. Aber irgendwas hat gefehlt«, sagt die junge Frau mit der dunklen Lockenmähne. Während ihrer Schulzeit in Landshut hat sie Theater gespielt. Warum also nicht versuchen, das Kapital aus künstlerischer Ader und interessanter Stimme zusammen zu nutzen.
»Ich habe dann beschlossen, es einfach zu probieren und an Schauspielschulen vorsprechen zu gehen«, erzählt Sarah Finkel. Es hat auf Anhieb geklappt an der Athanor Akademie für Darstellende Kunst in Passau, wo sie von 2013-2017 ihre Schauspielausbildung absolvierte. »Da hatte ich meine innere Ruhe und mein Glück gefunden und das Gefühl richtig zu sein«, sagt die junge Frau. Ihre ersten Berufserfahrungen sammelte sie als freie Schauspielerin in Kurzfilmen und in mehreren Stückengagements am Theater Paderborn. Unter anderem entwickelte sie zum Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht einen feministischen Schlagerabend über die Entwicklung der Rolle der Frau von 1919 bis 2019. »Wir sind in den 100 Jahren weit gekommen«, sagt sie, »aber wir dürfen uns nicht ausruhen.« Der Gesang ist ihre große Leidenschaft und der Einsatz für die Rechte der Frauen ein wichtiges, persönliches Anliegen.

Sarah Finkel als Jameelah in »Tigermilch« (Foto: David Klumpp)

Zwei Sommer lang spielte sie im Kulturmobil Niederbayern, einer professionellen Schauspieltruppe, die ganz den Ursprüngen des Schauspielerberufes verpflichtet ist: Die Schauspieler ziehen von Ort zu Ort und spielen dort für die Menschen abseits der Theaterzentren. Für den Sommer 2019 hatte sie ihr Engagement für das Kulturmobil bereits unterschrieben, als die Einladung zum Vorsprechen aus dem Theater Heilbronn kam. Sarah Finkel überzeugte die Heilbronner Theaterleitung und saß in der Zwickmühle. Die Proben für ihr erstes Stück im Jungen Theater liefen parallel zu denen für das niederbayerische Volksstück »Unkraut«, mit dem sie auf Tournee gehen wollte. Und während ihre neuen Kollegen des Heilbronner Schauspielensembles Sommerpause hätten, würde sie Abend für Abend in einem anderen Ort auf der Bühne stehen und spielen. Nix mit Erholung. »Aber wenn man seinen Vertrag unterzeichnet hat, dann lässt man die Kollegen nicht im Stich«, beschloss Sarah Finkel und stellte mit dieser Entscheidung schon mal eine der wichtigsten Tugenden eines Schauspielers unter Beweis: absolute Zuverlässigkeit. Mit den Heilbronnern einigte sie sich, dass sie zeitversetzt zu ihren Verpflichtungen beim Kulturmobil proben konnte. Und so spielte sie den ganzen Sommer lang vor einem begeisterten Publikum und brach mit ihrer Truppe vom Kulturmobil alle Zuschauerrekorde. Kaum war der letzte Vorhang für »Unkraut« gefallen, startete sie in ihre erste Spielzeit im Festengagement am Jungen Theater Heilbronn.

Sarah Finkel als Jameelah in »Tigermilch« (Foto: David Klumpp)

Ein schönes Haus und ein guter Spielplan, das ist das erste, was ihr zum Theater Heilbronn einfällt. Alles andere will sie auf sich zukommen lassen und erst einmal spielen, spielen, spielen mit dem schönen Gefühl, ein zweijähriges Festengagement zu haben. »Mir ist klar, dass ich in diesen zwei Jahren im Jungen Theater kaum von der Bühne herunterkommen werde«, sagt Sarah Finkel. Ihren Einstand gibt sie als Nowlen, eine 18-jährige Obdachlose in dem Stück »No und ich« von Delphine de Vigan. Ein großartiges Stück, wie sie findet. Sehr aktuell, ohne moralischen Zeigefinger. Auch wenn sie das Gefühl von Obdachlosigkeit nicht kennt, fühlt sie sich ihrer Figur nahe, denn auch sie weiß, was es heißt, für das persönliche Glück zu kämpfen. Ihr Lebensmotto stammt von Samuel Beckett und lautet: »Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail Better.«