Puppen am Draht, Werkzeuge der Geschichte?

Wie Georg Büchner fragt Axel Vornam in seiner Inszenierung von »Dantons Tod« nach den Chancen und Konsequenzen revolutionären Handelns

Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet? lässt Georg Büchner seinen Georg Danton fragen. Genau diese Frage hat Büchner auch seiner Verlobten – oder sich selbst – in einem berühmten Brief von 1833 gestellt. Im Stück lässt er Danton weiter sprechen: »Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst!«

»Dantons Tod« ist das erste literarische Werk von Georg Büchner. Mit 20 Jahren hat er zu schreiben begonnen, mit 23 Jahren ist er im Zürcher Exil gestorben. Die drei Theaterstücke und die eine Erzählung, die er in dieser kurzen Zeitspanne geschrieben hat, können es aber, was Reife und Modernität betrifft, mit dem Lebenswerk vieler anderer, späterer und älterer Autoren aufnehmen.
Beim Lesen, Hören und Sehen von »Dantons Tod« muss man sich immer vor Augen halten, dass dieses gewaltige, unbändige Geschichtsdrama von einem sehr jungen Mann geschrieben wurde. Und das in einer ganz konkreten, extrem belastenden Situation: Büchner, der sich von Kindheit an für die französische Revolution interessiert und während seiner Studienjahre in Straßburg 1831 bis 1833 die Folgen der bürgerlichen Julirevolution in Frankreich kennengelernt hatte, war aktiv an revolutionären Bestrebungen in seiner Heimat Hessen beteiligt gewesen. Zusammen mit dem Butzbacher Rektor Weidig und anderen Freunden hatte er 1834 die politische Agitationsschrift »Der hessische Landbote« (»Friede den Hütten! Krieg den Palästen!«) herausgegeben, gedruckt und unter das Volk gebracht. Im Oktober 1834 war das Unternehmen durch einen Verräter bereits gescheitert. Büchner musste damit rechnen, wie Weidig und andere Gefährten vorgeladen, verhaftet und eingekerkert zu werden. Bei seiner Familie in Darmstadt stand er unter väterlichem Hausarrest und wurde argwöhnisch von den Polizeikräften überwacht. Die Möglichkeit, politische und soziale Veränderungen herbeizuführen, war in weite Ferne gerückt, wenn nicht unmöglich geworden.
In dieser Situation schrieb der 21-Jährige das Drama der französischen Revolution. Und er schrieb bewusst nicht über ihren Beginn und Aufbruch, sondern über ihr Scheitern und ihr Ende. Georg Büchner zeigt den anderen Georg (Danton) und seine Mit-Revolutionäre an einem Punkt, an dem sie sich nicht mehr als Gestalter, sondern nur noch als Werkzeuge der Geschichte empfinden können: »Wir haben nicht die Revolution gemacht, sondern die Revolution hat uns gemacht«.

An diesem Punkt setzt auch Regisseur Axel Vornams Arbeit mit seinem 14-köpfigen Ensemble an: Er zeigt die Revolutionäre als junge Menschen, die – wie Büchner bei seiner Arbeit an »Dantons Tod« — vor der Frage stehen, ob der oder die Einzelne überhaupt noch die Chance hat, soziale und politische Veränderungen herbeizuführen. Was macht die Erfahrung des Scheiterns aus den Revolutionären, aus ihren Idealen und Ideologien? Endet der radikale gesellschaftliche Wandel notwendig im Schrecken? Frisst die Revolution ihre Kinder? Mit einem Blick auf Ausstatter Tom Muschs monumentales Bühnenbildmodell, in dessen Zentrum ein Becken voller Schlick steht, bringt Vornam sein Konzept für die verzweifelnden Dantonisten auf eine Formel: »Wie fühlt es sich an, mit Tempo im Dreck stecken zu bleiben?«

Andreas Frane, Dramaturg

Georg Büchner


Dantons Tod

Drama von Georg Büchner
Premiere am 17. November 2012, 19.30 Uhr, im Grossen Haus

Singing in the rain

»Eine Sommernacht« in den Kammerspielen

Stell dir vor, es ist Mittsommer und es regnet ununterbrochen. Nun ist Schottland, genauer gesagt Edinburgh, nicht gerade als Stadt mit den meisten Sonnenstunden bekannt, aber dass der Regen gar nicht mehr aufhören möchte vom Himmel zu fallen, scheint in diesen besonderen Sommertagen doch ungewöhnlich. Helena und Bob, die beiden Hauptfiguren der »Sommernacht«, haben jedoch ganz andere Sorgen. Die erfolgreiche Scheidungsanwältin, ganz Parfum und Contenance, wird am Freitagabend in einer Weinbar gerade von ihrem verheirateten Liebhaber sitzen gelassen, während der mittelmäßige Kleinkriminelle – völlig verspannt, feindselige Ausstrahlung – in eben jener Bar auf seinen nächsten Auftrag wartet. Beide sind 35 Jahre alt und beide sind sich einig, dass die Nacht nicht mehr viel für sie bereithält. Obwohl Bob so gar nicht in Helenas Beuteschema passt, landen die beiden in ihrem Bett. Nach viel Alkohol und einem eher ernüchternden denn betäubenden One-Night-Stand schickt Helena Bob zurück in die regnerische Nacht. Schließlich ist er aber auch so wirklich überhaupt nicht ihr Typ! Eigentlich Ende der Geschichte, wenn man sich nicht schon am Samstagmorgen und ein paar Wochenendpannen später zufällig wiederbegegnen würde: Helena, die mit einem peinlichen Auftritt die Hochzeit ihrer Schwester ruinierte und nun im ramponierten Brautjungfernkleid auf der Kirchentreppe hockt. Und Bob, der mit 15.000 Pfund, die er bei einem Deal für seinen Chef kassiert hat, irgendwo Zuflucht sucht, da er es nicht mehr rechtzeitig zur Bank geschafft hat. Das ungeplante Wiedersehen ist der Beginn einer schräg-magischen Mittsommernacht, in der das gesamte Geld auf den Kopf gehauen wird. Es ist die Nacht, in der Bob die Gitarre seiner Träume kauft und sich die zwei Mittdreißiger in einem Bondage Club die eigenen Wünsche, Erinnerungen und Geheimnisse preisgeben, von denen der eine oder die andere vielleicht selbst nichts wusste – oder wissen wollte. Und vielleicht, aber nur vielleicht, ist der letzte gemeinsame Spaziergang am Sonntagnachmittag dieses abenteuerlichen Wochenendes der erste Schritt in eine wunderbare Liebesgeschichte des 21. Jahrhunderts. Der Montagmorgen wird es zeigen …

Der Schotte David Greig kreierte einen rasanten Text über zwei Menschen, die so gar nicht zusammenpassen (wollen). Greig selbst sagt über sein Stück es sei keine »herzzerreißende Geschichte über wahre Liebe, sondern das Chaos zweier komplizierter Menschen mittleren Alters« und sei demnach »eine Liebesgeschichte, nur eben über ganz normale Leute«.

In Szene setzt das »Stück mit Musik«, wie »Eine Sommernacht« im Untertitel heißt, die Regisseurin Martina Eitner-Acheampong, die in der Spielzeit 2008/2009 am Theater Heilbronn bereits die Komödie »39 Stufen« inszenierte. Musikalisch wird der Abend vom Heidelberger Produzenten und Komponisten Johannes Bartmes arrangiert. Live-Musik mit traditionell jazzigem Setting aus Klavier und Schlagzeug lassen einen clubbigen Dance-Floor-Soundtrack entstehen, der nicht zuletzt – neben regnerischer Romantik und geheimnisvoller Sehnsucht – auch den Party-Charakter dieses einmaligen Mittsommerwochenendes unterstreicht. Dazu singen Judith Lilly Raab und Raik Singer Songs über großes Gefühlschaos, den Kater danach, Fesselspiele und wenige Zentimeter, die zwischen zwei Menschen liegen, die zusammengehören.

Stefanie Symmank, Dramaturgin

(Fotos: Fotostudio M42)

Nächste Spieltermine:
Sa. 22.09.2012 20.00 – 21.30 Uhr
So. 30.09.2012 20.00 – 21.30 Uhr
Do. 11.10.2012 20.00 – 21.30 Uhr
Sa. 20.10.2012 20.00 – 21.30 Uhr
Mi. 31.10.2012 20.00 – 21.30 Uhr

Von der Lust des gemeinsamen Singens

Alejandro Quintana bringt den Kinohit »Wie im Himmel« auf die Bühne – mit einem Heilbronner Chor

Ich musste diese Geschichte einfach erzählen,« gestand der schwedische Autor und Regisseur Kay Pollak einem Journalisten, »ich konnte nicht widerstehen.«
Die Geschichte, von der er spricht, ist die seines Erfolgsfilms »Wie im Himmel«:
Nach einem Zusammenbruch sucht der weltberühmte Dirigent Daniel Dareus Ruhe und Frieden in seiner schwedischen Heimat. Doch als er sich in dem kleinen abgelegenen Ort unversehens mit der Leitung des Kirchenchors wiederfindet, hat das nicht nur wundersame Auswirkungen auf den Gesang und den Zusammenhalt der Gemeindemitglieder, sondern bringt auch lange schwelende Konflikte und verdrängte Gefühle ans Tageslicht.

Pollak kam mit 66 Jahren und nach einer 18-jährigen Filmpause durch seine Frau Carin auf die Idee zu seinem Drehbuch: »Sie sang in einem Chor, und ich bin immer dorthin gefahren, um sie wieder abzuholen. Dabei lauschte ich dem Gesang und beobachtete den Chor, und nach und nach wurde mir bewusst, dass so ein Chor eigentlich als Metapher für Menschlichkeit stehen kann …« Er führte viele Gespräche mit Chorleitern und -mitgliedern und entwickelte daraus seine Figuren und Geschichten: Da ist Inger, deren Ehe mit dem Ortspfarrer Stig in einer Sackgasse angelangt ist, die von ihrem Mann misshandelte Gabriella mit der engelreinen Stimme und der geschäftige Arne, der gerne auf anderen herumhackt. Da ist vor allem aber auch die enorme Kraft und Energie des gemeinsamen Singens, die (fast) alle hin- und mitreißt und aus der – im Film wie in der Theaterfassung – eine wirkliche, harmonische Gemeinschaft entsteht.
Mehr als zwei Millionen Menschen sahen allein in Schweden 2004 »Wie im Himmel«. Der Kinohit war für den Europäischen Filmpreis ebenso nominiert wie für den Oscar als »Bester ausländischer Film« und zählt auch in Deutschland zu den erfolgreichsten Programmkino-Filmen aller Zeiten. 2007 entstand erstmals eine Bühnenfassung am Theater Konstanz. Für das Theater Heilbronn und sein Ensemble bearbeitete Regisseur Alejandro Quintana das Drehbuch neu. Und um die Wirkung des Chorgesangs beim »himmlischen« Finale besonders hör- und spürbar zu machen, bekommen die Schauspieler Unterstützung vom Heilbronner Heinrich-Schütz-Chor unter der Leitung von Michael Böttcher. Vielleicht macht unsere Inszenierung ja auch dem einen oder anderen Zuschauer Lust und Mut, das wunderbare Erlebnis des gemeinsamen Singens selbst zu entdecken und sich in einem der vielen Chöre der Region zu engagieren?

Andreas Frane, Dramaturg

[slideshow post_id=“3296″]

 

Die „Himmel“–Probe

In den letzten Wochen beginnt täglich um 10.00 Uhr die Probe für »Wie im Himmel« in der alten Kelter in Heilbronn. Kurz vor Probenbeginn steht Alejandro Quintana, der Regisseur des Stückes, noch mit einigen Schauspielern auf dem kleinen Hof vor dem Gebäude und es wird geplaudert, gelacht oder noch kurz eine geraucht. Der Rest der Truppe hat es sich solange auf den bequemen Sofas im Vorraum gemütlich gemacht. Nach und nach finden sich die Schauspieler auf der Probebühne ein und warten darauf, dass es losgehen kann. Aber wie das immer so ist, muss sich der eine noch kurz umziehen, die andere noch kurz auf die Toilette und für einen anderen scheint eine benötigte Requisite unauffindbar zu sein. Doch auch dieses kurze Warten lässt sich von den sich bereits auf der Probebühne befindenden Schauspielern sinnvoll überbrücken.
Gabriel klimpert ein bisschen auf dem Klavier herum und summt ein paar anmutige Töne dazu, Guido diskutiert mit Julia über einen Film, den er sich von der Regieassistentin Katrin ausgeliehen hat und Jörg schnappt sich das Fahrrad, das in einer Szene des Stückes benötigt wird, und cruist damit durch den Raum.
Doch nun geht es los, alle sind anwesend, die Probe kann beginnen. Alejandro setzt sich hinter den Regietisch und gibt die erste Szene vor, die geprobt werden soll.

Ich war wirklich erstaunt, wie schnell sich die Schauspieler in ihren jeweiligen Rollen eingefunden hatten und wie gut und authentisch einige Szene schon auf mich wirkten, obwohl sich das Stück ja noch in seinen Anfängen befand.
In der Szene, in der Gabrielle (gespielt von Angelika Hart) gewaltsam von ihrem Mann Conny (gespielt von Tobias Damian Weber) aus der Chorprobe gezerrt und verschlagen wird, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. In der nächsten Szene wiederum, in der der chaotische Alltag des Chores dargestellt wird, konnte ich nun mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Ein wahres Wechselbad der Gefühle – und das schon während einer der ersten Proben…
Außerdem hätte ich nie erwartet, dass so viele Einzelheiten des Stückes erst während des Durchspielens entstehen und dass die Schauspieler ein so großes Mitspracherecht haben, was die meisten Aspekte betrifft. Wenn jemandem etwas an einer Szene nicht gefiel, sei es der zu schnelle Stimmungswechsel darin oder eine bestimmte Textpassage, die demjenigen unpassend erschien, wurde in der Gruppe darüber diskutiert, welcher Charakter wohl welche Emotion in dieser Szene durchlebt, wie die Hintergründe aussehen, usw. und bei Bedarf wurde hier und da etwas abgeändert.

Alles in allem muss ich sagen, dass es eine tolle Erfahrung ist, den Probenprozess dieses Stückes begleiten zu dürfen, zu sehen, wie sich die einzelnen Szenen allmählich zu einem einzigartigen Ganzen zusammensetzen, wie viel Spaß die Schauspieler an ihrer Arbeit haben und wie viel Herzblut sie in die Perfektionierung der einzelnen Szenen stecken.

Die Premiere von »Wie im Himmel« findet am 21. September 2012 im Großen Haus statt. Das dürft ihr euch auf keinen Fall entgehen lassen!

Jessica D., Praktikantin

Zum letzten Mal – Susan Ihlenfeld spielt, singt und tanzt „Lola“

Am Anfang ist sie eine Geschäftsfrau, die ihr Leben unter Kontrolle hat,“ beschreibt Susan Ihlenfeld die Figur Lola aus dem gleichnamigen Stück. „Aber dann trifft sie auf den Herrn von Bohm und weiß selbst nicht mehr mit ihren Gefühlen umzugehen.“ Aljeandro Quintanas Inszenierung von „Lola“ nach Rainer Werner Fassbinders Film von 1981 ist am 13. Juli zum letzten Mal im Großen Haus des Theaters Heilbronn zu sehen.

Für Susan Ihlenfeld endet mit dieser Vorstellung eine anstrengende Arbeit voll ungewohnter Herausforderungen: Sie wechselt nicht nur wie ihre Figur ständig die Häute, die Kostüme und die Stimmungen, sondern singt, spielt Akkordeon und tanzt – auf High Heels und auf „ihrem“ Bus, den Bühnen- und Kostümbildnerin Marie-Luise Strandt auf die Bühne gestellt hat. „Das war sehr, sehr schwierig,“ gibt die 29jährige Schauspielerin zu. „Und ist es immer noch.“

Lola Foto: Fotostudio M42

Wie hat sie ihre kleine Pole Dance-Einlage für den Höhepunkt der Inszenierung geprobt? Susan Ihlenfeld lacht: „Wir haben uns auf der Probebühne eine Art Stangenkonstrukt gebaut und versucht, sexy zu sein, ich und Kevyn Haile, der das mit mir gearbeitet hat. Und dann sind wir auf die Bühne gegangen zu dem Bus, und haben zwischen den ganzen Technikern probiert, die da gerade für den Abend den ‚Käfig voller Narren‘ aufgebaut haben. Das hat echt Überwindung gekostet. Und tut es auch noch jetzt.“
Als „Lola“ spielt, singt und tanzt Susan Ihlenfeld nur noch einmal am Freitag, den 13. Juli. Nicht verpassen!

Andreas Frane, Dramaturg

Verwirrspiel der Liebe

»EIN SOMMERNACHTSTRAUM« im Großen Haus

Er hat (angeblich) 17 Komödien geschrieben, der große englische Meister, das britische Genie, der einzigartige William Shakespeare. »Ein Sommernachtstraum« gilt als  seine vollendetste, schönste und magischste Komödie. Rausch, Poesie, Märchenspuk, Verstrickungen, Witz, aber auch Macht, Besitztum und Rechthaberei – alle Seiten der Liebe und des Lebens werden in »A Midsummer Night’s Dream« beleuchtet.
Das Karussell der Gefühle beginnt sich am Tag der Hochzeitsverkündung des Herzogs von Athen mit der von ihm befreiten (oder besiegten?) Amazonenkönigin Hippolyta zu drehen. Helena liebt Demetrius, der liebt aber Hermia, die wiederum Lysander liebt, der glücklicherweise auch Hermia liebt, die aber leider Demetrius heiraten soll. Sollte sich Hermia weigern, droht ihr der Tod oder ein lebenslanger Klosteraufenthalt – so will es das Athener Recht. In dieser bedrohlich-verwirrenden Situation flüchten Hermia und Lysander in den Athener Wald, verfolgt von den beiden eifersüchtigen Verschmähten Helena und Demetrius. Im Reich der Elfen und Naturgeister geraten die vier Flüchtigen mitten hinein in den schönsten Ehezwist des Elfenpaares Oberon und Titania. Diese hat einen indischen Knaben in ihrem Gefolge, den auch der Elfenkönig gern hätte, doch Titania verweigert das, wirft ihrem Noch-Gatten vielmehr seine zahlreichen Liebschaften vor. Oberon sinnt auf Rache. Er schickt seinen Adjutanten Puck los, eine geheimnisvolle Wunderblume zu besorgen. Derjenige, dessen Augen man mit dem Saft dieser Pflanze benetzt, wird in rasende Leidenschaft zu dem Geschöpf entbrennen, das es als erstes erblickt. Das Karussell der Gefühle nimmt mächtig Fahrt auf, als Titania aus ihrem Schlaf erwacht und einen von Puck in einen Esel verwandelten Handwerker sieht. Er ist Teil einer Athener Handwerkertruppe, die eigentlich ganz ungestört ein Stück zu Ehren der Hochzeit des Herzogs im Wald einstudieren wollte. Eben jener Zettel gerät nun in einen irrwitzigen Liebestaumel. Aber er bleibt nicht allein. Oberon möchte der Liebe der Athener Menschenkinder auf die Sprünge helfen. Allerdings träufelt Puck Lysander – und nicht Demetrius – den Saft in die Augen, der daraufhin in brennende Liebe zu Helena verfällt. Oberon versucht zu retten was zu retten ist und so wird auch Demetrius mit der magischen Flüssigkeit »behandelt«. Die Liebe ist ein seltsames Spiel und so verfällt auch dieser Knabe der einst verschmähten Helena, die nun die Welt nicht mehr versteht. Das Karussell der Gefühle dreht sich immer schneller und lässt die Grenze zwischen Realität und Illusion mehr und mehr verschwimmen. Als der Morgen graut, ist der Spuk vorbei. Oder war alles nur ein Traum?
Mit seiner 1595/1596 entstandenen Komödie verknüpft Shakespeare raffiniert vier klar von einander abgegrenzte Personengruppen und legt ihre geheimen Wünsche, anarchischen Phantasien und erotischen Sehnsüchte frei.
Auch wenn Oberons Hofnarr Puck am Ende behauptet, dieser »Firlefanz« habe nicht »mehr Gehalt als ein Traum«, zeigt Shakespeare doch sehr realistisch, was der Mensch ist: nicht nur rational oder emotional, nicht nur gedanklich reflektiert oder animalisch triebgesteuert, nicht nur gut oder böse, sondern stets von allem etwas. Menschenkenner eben, dieser Shakespeare.

Regie: Axel Vornam
Ausstattung: Tom Musch
Mit: Julia Apfelthaler, Nils Brück, Stefan Eichberg, Oliver Firit, Angelika Hart, Susan Ihlenfeld, Frank Lienert-Mondanelli, Guido Schikore, Luise Schubert, Jörg Schulze, Raik Singer, Peter Volksdorf, Katharina Voß, Sebastian Weiss

Der Videotrailer „Verbrennungen“ ist da!

Warum Nawal verstummte

Esther Hattenbach inszeniert »Verbrennungen« von Wajdi Mouawad

»Verbrennungen« von Wajdi Mouawad  ist ein Stück, das eine so unglaubliche, eine so berührende, eine so unvorhersehbare Geschichte erzählt – wie sie kaum vorstellbar ist. Eine Geschichte, die alle Gesetze außer Kraft zu setzen scheint, an deren Ende die logischste aller Aufgaben – eins plus eins ist gleich zwei – nicht mehr stimmt. Es ist die Geschichte von Nawal Marwan. Esther Hattenbach inszeniert das Stück für die Große Bühne. Nach »Angst essen Seele auf« und »Groß und Klein« ist das ihre dritte Arbeit in Heilbronn.

Verbrennungen

Nachdem sie fünf Jahre in völligem Schweigen verbracht hat, stirbt Nawal im Alter von 60 Jahren. Ihren Kindern, Jeanne und Simon, Zwillingen von 22 Jahren, hinterlässt sie ein eigenartiges Testament. Jeanne soll ihren Vater finden, von dem sie meint, dass er längst gestorben sei. Simon soll sich auf die Suche nach seinem Bruder machen, von dessen Existenz er noch nie etwas gehört hat.
Besonders Simon ist wütend, sein Verhältnis zur Mutter war alles andere  als gut. Sie hatte ein Herz aus Stein, glaubt er. Jeanne ist vor allem erschüttert, als sie hört, dass ihr Vater noch lebt und sie sogar einen Bruder hat. Aber sie will das Vermächtnis erfüllen. Vielleicht findet sie auf diese Weise heraus, was hinter dem Schweigen der Mutter steckt.
Und sie begibt sich in den Libanon, das von Bürgerkriegen zerrüttete Heimatland der Mutter. Sie erfährt, dass Nawal im Alter von 14 Jahren ein Baby bekommen hat, einen Jungen, der ihr sofort nach der Geburt weggenommen wurde. Nawal war verzweifelt, denn es war ein Kind der Liebe. Sie verließ ihren Heimatort, um das Kind zu finden …
Die Suche nach der Wahrheit führt die Zwillinge direkt zum dunklen  Geheimnis der Mutter und damit der eigenen Herkunft. Nach und nach erkennen die ahnungslos im sicheren Westen Aufgewachsenen  ihre eigene Verstrickung in eine von Bürgerkrieg und  Gewalt geprägte Vergangenheit.

»Verbrennungen« besteht aus mehr als 30 Einzelszenen, die einen Zeitraum von über vierzig Jahren umfassen. Das Stück zeigt Nawal in drei verschiedenen Phasen ihres Lebens, erzählt ihre Lebensgeschichte aber nicht chronologisch, sondern springt in der Retrospektive zwischen den verschiedenen Zeitebenen hin und her. Sabine Unger spielt die Nawal, Julia Apfelthaler und Peter Volksdorf sind die Zwillinge Jeanne und Simon.

Silke Zschäckel, Pressereferentin

Wajdi Mouawad über sein Stück

’Verbrennungen’ ist auf keinen Fall ein Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln zu kennen, so wie es falsch ist zu glauben, es sei ein Stück über den Krieg. Es ist vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten. (Wajdi Mouawad)


YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

EINS PLUS EINS IST EINS

»Verbrennungen« von Wajdi Mouawad im Großen Haus

Es gibt Wahrheiten, die man selber entdecken muss, heißt es in Wajdi Mouawads Stück »Verbrennungen«. Und es gibt auch Theaterstücke, die man als Zuschauer selber erfahren muss und soll: Man kann sie nicht erzählen, darf ihr Ende, das kommt wie ein »einstürzender Himmel«, wie das verwirrende Erwachen aus einem langen, quälenden Traum, nicht verraten. So urteilte Bernd Noack auf Deutschlandradio nach der Deutschsprachigen Erstaufführung von »Verbrennungen« im Jahre 2006.
Dieses Stück erzählt eine so unglaubliche, eine so berührende, eine so unvorhersehbare Geschichte – wie sie kaum vorstellbar ist. Eine Geschichte, die alle Gesetze außer Kraft zu setzen scheint, an deren Ende die logischste aller Aufgaben – eins plus eins ist gleich zwei – nicht mehr stimmt. Es ist die Geschichte von Nawal Marwan.
Fünf Jahre lang hatte sie geschwiegen. Dann ist Nawal im Alter von 60 Jahren gestorben.  Ihren Kindern, Jeanne und Simon, Zwillingen von 22 Jahren, hinterlässt sie ein eigenartiges Testament. Jeanne soll ihren Vater finden, von dem sie meint, dass er im Freiheitskampf für sein Land längst gefallen sei. Simon soll sich auf die Suche nach seinem Bruder machen, von dessen Existenz er noch nie etwas gehört hat. Besonders Simon ist wütend, sein Verhältnis zur Mutter war alles andere  als gut. Sie hatte ein Herz aus Stein, glaubt er. Warum sonst war sie so kalt zu ihren Kindern und hat so viele Jahre kein Wort gesagt? Jeanne ist vor allem erschüttert, als sie hört, dass ihr Vater noch lebt und sie sogar einen Bruder hat. Aber sie will sich auf die Suche machen. Vielleicht findet sie auf diese Weise heraus, was hinter dem Schweigen der Mutter steckt. Und sie begibt sich in das von Bürgerkriegen zerrüttete Heimatland der Mutter, aus dem sie in den Westen floh. Jeanne  erfährt, dass Nawal im Alter von 14 Jahren ein Baby bekommen hat, einen Jungen, der ihr sofort nach der Geburt weggenommen wurde. Trotz ihrer Jugend war sie verzweifelt, denn es war ein Kind der Liebe. Sie verließ ihren Heimatort, um ihr Kind zu suchen und um der Aufforderung ihrer Großmutter zu folgen: »Lerne lesen, lerne schreiben, lerne rechnen, lerne reden. Lerne. Das ist die einzige Möglichkeit, um nicht zu sein, wie wir …«

»Verbrennungen« ist auf keinen Fall ein Stück über die Notwendigkeit, seine Wurzeln zu kennen, so wie es falsch ist zu glauben, es sei ein Stück über den Krieg. Es ist vielmehr ein Stück über den Versuch, in einer unmenschlichen Situation seine Versprechen als Mensch zu halten.
(Wajdi Mouawad)

Silke Zschäckel, Pressereferentin

 

Ein zentraler Gedanke aus dem Stück.

Premiere am 05. Mai 2012, 19.30 Uhr
im Großen Haus

Regie: Esther Hattenbach
Bühne: Geelke Gayken
Kostüme: Alice Nierentz
Dramaturgie: Christian Marten-Molnár
Mit: Julia Apfelthaler, Nils Brück, Judith Lilly Raab, Sabine Unger, Peter Volksdorf, Sebastian Weiss, Ingrid Richter-Wendel

Macht und Moral, Gefühle und Geschäfte

Alejandro Quintana inszeniert im Großen Haus Fassbinders »Lola«

Wenn eine Hand die andere Wäscht, wird alles zum Geschäft—auch die Liebe. – Foto: Rebecca Göttert

Ich bin die fesche Lola, stellt sich Marlene Dietrich singend als der »Blaue Engel« in dem gleichnamigen Film von Josef von Sternberg vor, einer Adaption von Heinrich Manns Roman »Professor Unrat«. »Lola« heißt – nicht zufällig –  der inzwischen als Klassiker gehandelte Film des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1981. Nach dem überwältigenden Erfolg von »Die Ehe der Maria Braun« gab Fassbinder seinem Drehbuchautor Peter Märthesheimer den Auftrag, ihm einen »Blauen Engel« zu schreiben und ihn in die Adenauer-Ära der 50er Jahre zu versetzen. Den Dietrich-Film allerdings dürfe er sich bis zur Ablieferung des Textes auf keinen Fall noch einmal anschauen.

Der erste Versuch fand keine Gnade vor den kritischen Augen Fassbinders. Also machten sich Märthesheimer und seine Koautorin Pea Fröhlich noch einmal an die Arbeit und erfanden – in sechs kurzen Wochen – »Lola«: Eine böse Dreiecksgeschichte aus der Wirtschaftswunderzeit. Mit Misstrauen und Vorsicht reagieren die Honoratioren einer Kleinstadt auf den neuen Baudezernenten, Herrn von Bohm, der mit seiner Korrektheit das einträgliche Arrangement zwischen Politik und Wirtschaft zu stören droht.

Doch dann interessiert sich die faszinierende und provozierende Lola für ihn, die Geliebte des Baulöwen Schuckert und die Hauptattraktion des lokalen Bordells, in dem die eigentlichen Geschäfte dieser feinen Gesellschaft gemacht werden. Von Bohm verliebt sich in Lola. Noch weiß er nicht, wer oder was sie ist. Doch eine Lunte ist gelegt. Wird das durch und durch korrupte System von »Eine-Hand-wäscht-die-andere«, von dem die Machteliten der Stadt kräftig profitieren, jetzt explodieren?

Aus seinem Drehbuch schuf Märthesheimer 1998 eine Bühnenfassung, ein ironisch als »Kleinbürgertragödie« untertiteltes Schauspiel um Macht und Moral, Gefühle und Geschäfte. Wie Fassbinder ist er nicht an einem historischen Sittengemälde interessiert, sondern an den Parallelen zwischen der politischen und wirtschaftlichen Amoralität des Wiederaufbaus und seiner und unserer Gegenwart. Nach »Angst essen Seele auf« bringt das Theater Heilbronn zum zweiten Mal einen Fassbinder-Film auf die Bühne. Regisseur Alejandro Quintana wird »Lola« mit Chansons und Schlagern aus der Wirtschaftswunderzeit inszenieren.

Andreas Frane, Dramaturg

Regie: Alejandro Quintana
Ausstattung: Marie-Luise Strandt
Mit:
Johannes Bahr
Sylvia Bretschneider
Stefan Eichberg
Angelika Hart
Susan Ihlenfeld
Gabriel Kemmether
Nicolas Kemmer
Rolf-Rudolf Lütgens
Tobias D. Weber
Statisterie

Wie man sich durchs Leben boxt

Mit »Das Herz eines Boxers« schrieb der Heilbronner Autor Lutz Hübner einen modernen Jugendtheater-Klassiker

Das Herz eines Boxers

Sieben Szenen hat Lutz Hübners Jugendstück »Das Herz eines Boxers« — wie sieben Szenen eines Boxkampfes.
Die beiden, die sich hier auf der Bühne gegenübertreten, scheinen zuerst sehr ungleiche Kontrahenten zu sein: Der 16-jährige Jojo ist beim Klauen eines Mofas erwischt worden und muss jetzt in einem Altersheim Sozialstunden ableisten. Der alte Leo, dessen Zimmer er streichen soll, sitzt nach einem Schlaganfall stumm im Sessel. Doch nichts ist, wie es scheint. Leo, ein ehemaliger Boxer mit siegreicher Vergangenheit im Ring, täuscht seine Krankheit nur vor und plant insgeheim die Flucht. Jojo täuscht mit seiner großen Klappe darüber hinweg, dass er sich selbst für einen Loser ohne Perspektiven hält. Er wollte einem Mädchen imponieren und hat die Strafe für den Moja-Diebstahl für einen anderen aus seiner Clique auf sich genommen.

Aus dem Kampf gegeneinander wird in sieben Runden ein Mitein­ander, das beiden hilft, ihre Wünsche zu verwirklichen. Und Leo bringt Jojo etwas bei: »Ein richtiger Boxer hat ein so großes Herz, dass er niemanden hassen kann. Er schlägt zu, aber nicht aus Hass, und wenn er einsteckt, nun, davon geht die Welt nicht unter, so ist das Leben, ganz k.o. ist man nie.»

Der in Heilbronn geborene, in Weinsberg aufgewachsene Lutz Hübner hat mit »Das Herz eines Boxers« einen modernen Jugendtheater-Klassiker geschrieben. Voller Humor und Pfiff erzählt er von Freundschaft, von Courage und von der Kunst, sich durchs Leben zu boxen, und gibt dazu augenzwinkernd auch einigen Männer- und Helden-Klischees eins auf die Nase. 1998 erhielt Hübner für »Das Herz eines Boxers« den Deutschen Jugendtheaterpreis. Daneben liefert das Stück ein perfektes Sparring für zwei lustvolle Schauspieler: Unter der Regie von Petra Wüllenweber ziehen in Heilbronn Frank Lienert-Mondanelli als Leo und Peter Volksdorf als Jojo die Boxhandschuhe an. (Andreas F.)

Das Herz eines Boxers

Das Herz eines Boxers
(Empfohlen ab 7. Klasse)
Schauspiel von Lutz Hübner

Premiere am 15. März 2012, 20.00 Uhr, in den Kammerspielen

Regie: Petra Wüllenweber
Ausstattung: Ulrike Melnik
Dramaturgie: Andreas Frane
Mit:
Frank Lienert-Mondanelli
Peter Volksdorf