Lügen haben schöne Beine

In der französischen Beziehungskomödie geht es um nichts als »Die Wahrheit«
Premiere: 09. März 2013, Komödienhaus

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Warum sind Komödien über untreue Lebenspartner so beliebt? Vermutlich weil jeder irgendwie mitreden kann. Kaum jemand, der nicht schon mal mit diesem Thema in Berührung gekommen ist: Der beste Freund hat sein Leid geklagt, weil er vermutet, dass die Liebste nebenbei noch einen anderen hat. Die Schwester weiß nach einem Seitensprung nicht weiter und holt sich Rat. Und glaubt man den Statistiken, dann haben sich rund 50 Prozent der Menschen in festen Beziehungen schon einmal auf amouröse Abwege begeben. Fast 4,5 Mio. Treffer gibt es in einer der führenden Internet-Suchmaschinen unter dem Stichwort »Seitensprung«. Es gibt sogar eine boomende Untreue-Industrie: Detekteien, die ausschließlich in dieser Angelegenheit recherchieren und Agenturen, die außereheliche Treffen so organisieren, dass garantiert niemand etwas merkt. Unzählige Ratgeber in Buchform oder im World Wide Web beschäftigen sich mit der Frage: Was passiert »danach« – sagt man die Wahrheit oder besser nicht?
»Wenn die Leute von heute auf morgen aufhören würden, sich zu belügen, gäbe es kein einziges Paar mehr auf Erden. Und in gewisser Hinsicht wäre das das Ende der Zivilisation.« Das ist zumindest die Haltung von Michel, der Hauptperson in der Komödie »Die Wahrheit« des Franzosen Florian Zeller.

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Also trifft er sich fröhlich weiter mit Alice, der Frau seines besten Freundes Paul, um mit ihr regelmäßige Schäferstündchen im Hotel zu verbringen. Seiner Gattin erzählt er von endlos langen Sitzungen, bei seinen Kollegen entschuldigt er seine Abwesenheit von der Arbeit mit schweren Infekten und manchmal muss sogar Paul als Alibi für die Zeit herhalten, in der Michel sich mit dessen Frau vergnügt. Wüsste Paul die Wahrheit, das würde ihn zerstören, glaubt Michel. Seiner Frau Laurence jedenfalls würde er nie etwas von dem Verhältnis mit Alice erzählen. Selbstverständlich einzig und allein um sie zu schützen. Denn Michel ist fest davon überzeugt, dass es rücksichtsvoller gegenüber dem Partner ist, ihm nicht die Wahrheit zu sagen. Klar wird es hin und wieder anstrengend, sich im eigenen Lügengespinst nicht zu verirren. Aber Michel ist fest davon überzeugt, dass er alles bestens im Griff hat …
Was bei englischen Komödien der schwarze Humor, ist bei französischen Stücken dieses Genres die flirrende Leichtigkeit. Und nichts ist, wie es scheint. Weder ist der Grundkonflikt dieses Stückes so banal, wie es zunächst aussieht, noch ist der Verlauf der Dinge vorhersehbar. Denn im Laufe der sieben Szenen nimmt das Stück so manche überraschende Wendung. Das Publikum, das nicht einen Deut schlauer ist als die handelnden Personen, darf sich also nicht nur auf einen unterhaltsamen, sondern auch auf einen spannenden Abend freuen.
Psst: Wenn Sie im Laufe des Stücks hin und wieder zu Ihrem Partner schielen und sich fragen, ob der Sie auch so gnadenlos hintergeht, dann denken Sie an die oben zitierte Statistik. Es ist »nur« die Hälfte der Männer und Frauen, die Liebesabenteuer außerhalb der Partnerschaft suchen. Sie haben also mindestens zu 50 Prozent die Chance, dass Ihr Partner treu ist. Die meisten Seitensprünge passieren angeblich aus Langeweile. Das beste Mittel, um dies zu verhindern, sind gemeinsame Interessen und Unternehmungen. Also wenn Sie gern und regelmäßig zusammen ins Theater gehen, dann kann Ihnen schon gar nicht mehr viel passieren. Deshalb: Bleiben Sie uns treu!

Silke Zschäckel, Pressereferentin

»Unter Kontrolle«

»Unter Kontrolle«
Vom Tanzprojekt mit Häftlingen bis zum Tanzverbot im Iran
Zum fünften Mal Tanz! Heilbronn vom 8. Mai – 12. Mai 2013

»Unter Kontrolle« – diesem Motto widmet sich das Festival Tanz! Heilbronn in seinem fünften Jahr. Vom 8.-12. Mai sind wieder Arbeiten von international herausragenden Tanzkompanien und erfolgversprechenden jüngeren Choreografinnen und Choreografen eingeladen, die sich in allen drei Spielstätten des Heilbronner Theaters und an einem externen Ort, der Justizvollzugsanstalt Heilbronn, präsentieren. Tanzkuratorin Karin Kirchhoff hat sich auf die Suche nach Künstlerinnen und Künstlern begeben, die sich mit verschiedenen Formen von politischer und sozialer Kontrolle beschäftigen.

Ganz existentiell spüren Gefängnisinsassen die Folgen des Außer-Kontrolle-Geratens im Leben, das mit Freiheitsentzug und der absoluten Kontrolle hinter Gittern geahndet wird. Bereits vier Wochen im Vorfeld des Festivals beginnt deshalb ein ganz außergewöhnliches Projekt mit Gefangenen der JVA Heilbronn mit dem Arbeitstitel »Gated Community«. Nadja Raszewski, die bereits zwei erfolgreiche Tanzprojekte mit Jugendlichen und Senioren in Heilbronn realisiert hat, untersucht mit den Männern die Bedingungen in ihrer geschlossenen Gesellschaft. Das Ergebnis wird in zwei Aufführungen am 9. und 11. Mai jeweils um 17 Uhr in der JVA Heilbronn präsentiert.

Eröffnet wird das Festival am 8. Mai um 19.30 Uhr im Großen Haus mit dem bildgewaltigen Tanztheaterstück »every single day« von der cie.toula limnaios aus Berlin. Es beschäftigt sich in Anlehnung an den Mythos von Sisyphos mit dem Gefangensein in den Mühen der menschlichen Existenz. Wie Sisyphos sind sieben Tänzerinnen und Tänzer in einer Zeitschleife stetiger Wiederholung gefangen, in der Alltagssituationen an die Grenze zum Surrealen getrieben werden. Die cie. toula limnaios gilt als eines der besten deutschen Ensembles des zeitgenössischen Tanzes und wurde 2012 mit dem »George Tabori Preis« des Fonds Darstellende Künste ausgezeichnet.

cie. toula limnaios
cie. toula limnaios
Foto: Sabine Wenzel

Ebenfalls am 8. Mai um 21.30 Uhr zeigt die internationale Performance-Company post theater in den Kammerspielen eine multi-mediale Choreografie für 30 anonyme Performer: »Express Fight Club« ist ein Abend voller Überraschungen, der die Kontrollmechanismen in unserem Arbeitsleben hinterfragt. Weitere Vorstellungen sind am 9. Mai um 18 Uhr, 19.30 Uhr und 21.30 Uhr.

Der 10. Mai steht ganz im Zeichen des zeitgenössischen Tanzes aus Israel. Um 18 Uhr gibt es in den Kammerspielen den Film »Let´s dance! Israel und der moderne Tanz« von Gabriel Bibliowitz und Efrat Amit, der die Entwicklung des Tanzes in Israel vom ersten Kibbuz bis zur heutigen Zeit zeigt. Eindrucksvolle Bilder verdeutlichen, wie sehr die Entwicklung des Tanzes mit gesellschaftlichen Veränderungen in Israel verbunden ist.

Um 19.30 Uhr sind im Komödienhaus zwei Arbeiten des herausragenden israelischen Choreografenduos Niv Sheinfeld und Oren Laor zu sehen. Die beiden sind in Deutschland bisher weniger bekannt, waren aber bereits auf vielen europäischen Festivals zu Gast. In ihren Stücken »Big Mouth« und »Ship of Fools« behandeln sie einerseits Auseinandersetzungen zwischen Individuum und Kollektiv und andererseits (zwischen)menschliche Machtstrukturen. Im Anschluss an die Vorstellung findet ein Publikumsgespräch statt.

Am 11. Mai um 19.30 Uhr gastiert der »Choreograf des Jahres 2012« Boris Charmatz aus Frankreich mit seiner hochgelobten Inszenierung »enfant« im Großen Haus – einem Stück für zwölf Kinder, neun Tänzer und drei Maschinen. Es geht um das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen, um Macht und Ohnmacht, Manipulation und Befreiung. Boris Charmatz gilt als einer der innovativsten Choreografen der Gegenwart. Nach der Vorstellung stellt er sich den Fragen des Publikums.

Boris Charmatz
Boris Charmatz
Foto: Marc Domage

Am letzten Festivaltag, dem 12. Mai, geht es um ein Land, in dem der Tanz verboten ist: den Iran. »Don´t move« heißt das Stück von Modjgan Hashemian und Susanne Vincenc um 19.30 Uhr im Komödienhaus. Wie gelingt es den Menschen in diesem Land, das Verbot zu umgehen? Iranische Tänzerinnen und Tänzer werden per Videoaufnahme oder Skype auf der Bühne präsent und treten mit Berliner Tänzern in Dialog. Gemeinsam erforschen sie, wie sich gesellschaftliche Normierungen und Einschränkungen in den Körper einschreiben.

Im Anschluss gibt es um 21 Uhr eine Diskussion mit Modjgan Hashemian, Niv Sheinfeld und Oren Laor zum Thema: »Körper-Politik. Tanz bezieht Stellung«.
Während des gesamten Festivals besteht auch wieder die Möglichkeit, die Aufforderung Tanz! Heilbronn wörtlich zu nehmen und selbst zu tanzen. Workshops bieten die beiden israelischen Choreografen Niv Sheinfeld und Oren Laor für Erwachsene ab 16 Jahren ohne Vorkenntnisse. Modjgan Hashemian veranstaltet einen Workshop mit 10-12-jährigen Kindern zum Thema Computerspiele. Und die Tänzerin und Tanzpädagogin Christine Grunert gibt einen viertägigen Workshop für Frauen ab 50 Jahren mit und ohne Tanzerfahrung: »Gefangen sein – Befangen sein – Frei sein.«  Anmeldungen jeweils bis zum 26. April im Besucherservice des Theaters Heilbronn.


Der Vorverkauf hat begonnen.

Lavinia Greenlaw, die Librettistin der Oper „Minsk“

Die Librettistin Lavinia Greenlaw und den Komponisten Ian Wilson verbindet eine lange Freundschaft, seit er sie bat, den Titel eines ihrer Gedichte für ein Musikstück verwenden zu dürfen. Die Oper „Minsk“ ging hervor aus einem Gedicht von Lavinia Greenlaw, das den Titel „Minsk“ trägt und das in dem gleichnamigen Gedichtband Greenlaws zu finden ist. Das überraschende und konfliktträchtige Auftauchen von Orten oder Zeitpunkten in der Erinnerung ebenso wie die Reise, ob als reale Erfahrung oder Metapher, sind Themen, die diesen Gedichtband durchziehen.

Die Librettistin Lavinia Greenlaw ist eine englische Schriftstellerin, vor allem Lyrikerin. Ihr Gedichtband „Minsk“ war nominiert für die drei großen Literaturpreise für englischsprachige Lyrik, den Forward Prize, den T. S. Eliot und den Whitebread Prize. Die Verbindung von gedanklicher Einkehr und Auseinandersetzung mit sich selbst in der anonymen Umgebung der Massenverkehrsmittel hat Greenlaw mehrmals verarbeitet, zuletzt 2011 in einer Klanginstallation namens „Audio Obscura“. „Audio Obscura“ präsentiert Lyrik in der Umgebung eines belebten Bahnhofs. Aus dem Teppich der Betriebs- und Verkehrsgeräusche tauchen Stimmen auf, die Gedichte sprechen, Gedanken, wie sie Menschen auf solch einem Bahnhof haben könnten. Über sich selbst verrät sie, dass sie früher oft  mit den Gedanken woanders war, und dass sie über ihre Arbeit als Schriftstellerin ein anderes Verhältnis zu sich selbst und ihrer Umwelt entwickelt habe.

Lavinia Greenlaw Foto: Julian Abrams
Lavinia Greenlaw
Foto: Julian Abrams

Mit dem Schreiben fing sie in ihrer Jugend an, zum Beruf wurde es aber erst, als ihr Kind zur Welt kam.1993 erschien bei dem Verlag Faber & Faber, bei dem sie eine Ausbildung machte, ihr erster Gedichtband „Night Photograph“. Zuvor studierte Greenlaw Moderne Kunst und Verlagswesen und erwarb einen Master in „Kunstgeschichte des 17. Jahrhunderts“. 1994 wurde Greenlaw freischaffende Schriftstellerin.

Ihre Gedichte, die von großer Musikalität sind, bringt sie mit einfachen Mitteln zum Klingen. Klar definierbare Bedeutung kriegt man in diesen Texten kaum irgendwo zu fassen. Bedeutung oszilliert als Vieldeutigkeit oder verschiebt sich unter der Hand. Doch diese Gedichte provozieren wiederholtes Lesen, einen langsamen Prozess des Zusammensetzens, des Nachdenkens, und sie erzeugen ungeheuer kraftvoll Stimmungen und Atmosphäre. Dabei verbindet Greenlaw den subjektiven Blickwinkel der Wahrnehmung und Reflexion mit Elementen aus kollektiven Wissenssystemen wie Naturwissenschaften (Medizin, Geographie, Astronomie) oder Geschichte. Häufig verarbeitet Greenlaw in ihren Texten auch Bruchstücke aus ihrer eigenen Biographie. Unter anderem flossen Erfahrungen aus ihrer Jugend als einziger Punk in einer Kleinstadt in ihr Schreiben ein. Greenlaw gilt als Meisterin der atmosphärischen Beschreibung von Landschaft und Licht und ist geprägt von Eindrücken aus ihrer Jugend in Essex. Wahrnehmung und Interpretation des Wahrgenommenen ist auch ein zentraler Ansatz für das Schreiben Greenlaws, und dafür wiederum spielt das simple Faktum eine Rolle, dass Greenlaw eine starken Sehfehler hat. Die Dichterin verrät:

„Ich war ein kurzsichtiges, geistig abwesendes Kind, das immer gegen das Problem anrannte, wo es sich befand, was es anschaute, was es vor sich hatte: ‚Ich kann nicht sehen, ich kann mir keinen Begriff machen.‘ Mich hat immer der Moment interessiert, in dem wir versuchen, die Dinge zu bestimmen. Als ich begriff, dass das Sehen zur Hälfte mit dem zu tun hat, was physisch da ist, und dass die andere Hälfte davon abhängt, was man zu sehen erwartet, war ich fasziniert. Astronomen sehen in den Weltraum und sehen einen Haufen Sterne und sagen „Sieht aus wie ein Krebs“. Also nennen sie ihn „Krebs-Nebel“.

Neben ihren vier Gedichtbänden veröffentlichte Greenlaw auch Essays über Literatur, Naturwissenschaften, die Bedeutung von Popmusik in der Jugend, über  zwei Romane und Bearbeitungen bekannter Prosawerke für das Radio (Hesses Glasperlenspiel und V. Woolfs Night and Day). Als Librettistin arbeitete sie nicht nur mit Ian Wilson zusammen, sondern auch mit Richard Ayres an dessen Peter-Pan-Oper, die für die Staatsoper Stuttgart, die Komische Oper Berlin und die Welsh National Opera entstand. Sie war sie Writer in Residence am Londoner Science Museum und Poet in Residence beim schottischen StAnza Literatur-Festival. Lavinia Greenlaw lehrt seit einigen Jahren an der University of East Anglia Kreatives Schreiben.

Lavinia Greenlaws Sprache als Lyrikerin fließt auch in die Oper „Minsk“ ein. Hier gibt es einige rätselhafte Formulierungen, die wiederkehren und die man erst allmählich im Laufe des Abends entschlüsseln kann. So stellen Anna und Anoushka fest:

„Answers do not lie around like books unread, like bodies under beds, my life is yet unread.“

also etwa: “Antworten liegen nicht herum wie nicht gelesene Bücher, wie Leichen unter Betten, noch ist mein Leben nicht gelesen bzw. ist mein Leben unverstanden.“

Dies ist der zweite Teil der Reihe über die Oper „Minsk“ ihre Entstehung, die Librettistin und den Komponisten. Der erste Teil erschien hier im Blog.

Johannes Frohnsdorf

Die Entstehung der Oper „Minsk“ und ihr Komponist Ian Wilson

Entstehungsgeschichte der Oper

Die Librettistin Lavinia Greenlaw und den Komponisten Ian Wilson verbindet eine langjährige Zusammenarbeit. Die beiden schrieben vor „Minsk“ bereits die Kammeroper „Hamelin“, deren Uraufführung Christian Marten-Molnár 2003 in Lübeck inszenierte. Die für 2007 geplante Uraufführung von „Minsk“ beim Feldkirchfestival konnte allerdings nicht zustande kommen. Christian Marten-Molnár holte die Uraufführung nach Heilbronn.

Um die Oper hier mit dem Württembergischen Kammerorchester aufzuführen, war es allerdings nötig die Partitur zu bearbeiten. Die ursprüngliche Besetzung ist viel kleiner gedacht und umfasst Instrumente wie Akkordeon, Trompete, Balalaika, Klarinette und Schlagzeug. Der Komponist Ian Wilson war jedoch bereit, die Partitur für Streichorchester anzupassen. In gewisser Weise, sagt Wilson, hat die Bearbeitung sogar Vorteile gegenüber der Originalpartitur, nicht nur weil 20 Streicher einen großen Theaterraum gut füllen, sondern auch weil eine Art Verfremdung, eine Indirektheit entsteht. Die Streicherfassung erzeugt die Klangfarben der Originalbesetzung mit den Mitteln des Streicherklangs,  das wiederum sieht Ian Wilson als eine gute Entsprechung zum Traum, der ja eine andere Sphäre von Wirklichkeit ist und in dem sich die Oper hauptsächlich abspielt.

„Es war eine interessante Erfahrung, sich wieder mit einem Stück zu beschäftigen, das ich seit einigen Jahren nicht mehr angeschaut hatte. In gewisser Weise musste ich es wie ein historisches Artefakt behandeln, wie etwas, dessen Charakter ich bewahren musste. Sogar wenn ich versuchte, alles umzuändern, versuchte ich eigentlich, alles so zu belassen, wie es war, wenn Sie verstehen, was ich meine. Als ich damit begann, die Originalpartitur in eine Partitur für Streichorchester zu übersetzen, musste ich vielmehr Aufteilungen in den Streichern vornehmen, als es normalerweise gibt – Aufteilungen der verschiedenen Stimmen aber auch in Bezug auf die Klangfarbe. In dieser neuen Fassung tauchen in den Streichern verschiedene Farben gleichzeitig auf. Streichorchester schaffen normalerweise einen wunderschönen homogenen Klang, in dem nur ein oder zwei Klangfarben gleichzeitig vorkommen. Ich musste bei Minsk etwas anderes tun, damit die Musik so funktioniert, wie ich es wollte.“

Der Komponist Ian Wilson

Ian Wilson wurde im nordirischen Belfast geboren und lebt heute im irischen Cork. Zu komponieren begann er erst während seines Musikstudiums. Wilson lernte als Kind Geige und Klavier und trat später in einer Rock-Gospel-Band auf die den schönen Namen „Night Watch“ trug. Dort schrieb er die Lieder, sang und spielte Gitarre. Im Laufe des Studiums wurde dann die Beschäftigung mit Neuer Musik ernsthafter und die Bandaktivitäten mussten zurückstehen.

IAN WILSON  photo credit: Steve Rogers
IAN WILSON
photo credit: Steve Rogers

Wilson beschreibt sich selbst als einen spätberufenen Komponisten, der sich langsam entwickelte. Allerdings hat er inzwischen, mit nicht einmal 50 Jahren, die sehr beachtliche Zahl von über 130 Werken vorzuweisen. Wilson schreibt für die verschiedensten Besetzungen. Musiktheaterwerke (nicht alles Opern, auch experimentelle), Orchesterstücke, Konzerte für Klavier, Orgel, Saxophon, Cello und Marimba, Kammermusikstücke, Werke für Sologesang und für Chor, aber auch Stücke mit elektroakustischen oder elektronischen Mitteln. Wilson gehört nicht nur im Vereinigten Königreich und Irland, sondern international zu den etablierten Komponisten Neuer Musik.

Wilson sieht Stil nicht als etwas, wodurch man einen Künstler einordnen und wiedererkennen kann. Ebensowenig will er sich auf eine bestimmte Kompositionstechnik festzulegen und sozusagen deren Grammatik immer wieder zu reproduzieren. Ian Wilson sagt, er gehe jede Partitur aufs Neue an und versuche eine eigene musikalische Sprache für ein Stück zu entwickeln. Minsk kann deshalb auch nicht für das Werk Wilsons insgesamt oder für eine Gruppe seiner Werke stehen.

Impulse für seine Arbeit bezieht Wilson unter anderem aus Kunstwerken von Klee, Miro, Jackson Pollock oder Giacometti, aber auch aus Landschaftseindrücken, der Bibel und seinem christlichen Glauben.

Jungen Komponisten gibt er den Hinweis auf den Weg: „Probiert viel aus, schreibt aber am Ende die Musik, die Ihr Euch gern anhört.“ Er selbst erklärt, dass er das Abwaschen genieße, weil es eine Zeit sei, in der er eine andere Musik als Neue Musik hören könne. Er ist ein großer Fan von Radio Head.

Dies ist der erste Teil einer zweiteiligen Reihe über die Entstehung der Oper „Minsk“, ihren Komponisten und die Librettistin. Der zweite Teil erscheint in einigen Tagen im Blog.

Johannes Frohnsdorf

Ein klassischer Beruf und trotzdem immer wieder erklärungsbedürftig – Dramaturg

Die Kommunikationswerkstatt sinnundverstand hat zur Blogparade aufgerufen unter dem Thema „Und was machen Sie so beruflich?“. Dabei soll es um Jobbezeichnungen gehen, die selbst erfunden sind und keiner kennt. In unserem Beitrag zeigen wir, dass es auch bei Berufen, die die Agentur für Arbeit in ihren Registern führt, passieren kann, dass man gefragt wird: „was machst du eigentlich in deinem Beruf?“

Letztens, irgendwo in Heilbronn. Nicht näher miteinander bekannte Menschen sitzen an einer Geburtstagstafel. Zwischen Nussecken und Himbeerkuchen plötzlich die Frage: »Und was schafft ihr alle so?« Stille. Dann: »Ich bin Schauspieler«. Ehrfurchtsvolles Nicken. »Ich arbeite in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Theaters.« Hochachtungsvolle Zustimmung. »Ich bin Dramaturgin.« Nachdenkliches Gesicht. »Drama-was?« Nicht schlimm, Dramaturgen erklären das gern. Erklären gehört quasi zur Stellenbeschreibung dazu. »Dramaturgen sind so etwas wie die Innen- und Außenminister eines Theaters. Sie vermitteln in der Öffentlichkeit durch Einführungen und Gespräche mit Publikum, Schulklassen und Theaterliebhabern die Konzepte und Ideen von Spielplan und Inszenierungen, innerhalb des Theaters sind sie Wissenschaftler, Weichensteller und Visionär in einem«, sage ich. Aha!

Die Dramaturgen des Theater Heilbronn, Foto: Wolfgang Seidl

Für die drei Dramaturgen am Theater Heilbronn Andreas Frane, Johannes Frohnsdorf und Stefanie Symmank ist das ein Traumberuf. »Wir sind von der ersten Idee, ein Stück auf den Spielplan zu setzen, bis zum Applaus der letzten Vorstellung dabei«, so Johannes Frohnsdorf. »Welcher Regisseur welches Stück mit welchen Schauspielern inszeniert, haben wir mit zu verantworten«, beschreibt Chefdramaturg Andreas Frane. Die Dramaturgie eines Theaters wird neudeutsch auch gern als »Think Tank« – Denkfabrik – bezeichnet. Im Theater Heilbronn ist sie ein aufeinander abgestimmtes Triumvirat aus geballtem Wissen und Spaß an der Arbeit. »Die Vorstellung vom ,wandelnden Lexikon auf zwei Beinen’ ist überholt«, meint Johannes Frohnsdorf. »Eine umfassende Allgemeinbildung, gerade im Bereich der Literatur, und ein Interesse am aktuellen Zeitgeschehen sind für den Beruf aber unabdingbar.« »Auch ein gutes Gespür für den Umgang mit Menschen, egal ob Zuschauer, Schauspieler oder Techniker gehört dazu«, ergänzt Andreas Frane.

Neben Vermittler, Bücherwurm und Organisator sind die Dramaturgen vor allem eins: Partner. In enger Zusammenarbeit mit dem Intendanten Axel Vornam gestalten sie den Spielplan und tragen wesentlich zur Profilierung des Hauses bei. »Im Idealfall bilden auch Dramaturgen und Regisseure ein künstlerisches Dreamteam«, sagt Johannes Frohnsdorf. In enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur erstellt der Dramaturg eine Strichfassung des zu inszenierenden Stückes. Im Hinblick auf Besetzung, Konzept und Spieldauer fallen dem Rotstift manchmal halbe Textseiten, manchmal ganze Rollen zum Opfer. Als ‚erster Zuschauer’ geht der Dramaturg im ca. 6-wöchigen Probenprozess dann mehrmals auf die Proben. Er ist das ‚neutrale Auge’ und schützt das Inszenierungsteam vor drohender Betriebsblindheit. Ein Dramaturg ist wie ein Sparringspartner für den Regisseur. Er beobachtet genau, zeigt die Schwachstellen auf und hält die Konzentration des Inszenierenden auf Konzept, Entwicklung und Inhalt wach. »Das ist keine Frage des eigenen Geschmacks«, betont Andreas Frane. »Wenn ich zum ersten Mal auf die Probe gehe, steckt die Inszenierung noch in den Kinderschuhen. Ich muss meine Kritik so formulieren können, dass das Team damit weiterarbeiten kann.« Solche Gespräche können durchaus bis in die späte Nacht dauern.

Drama, baby

Manchmal reicht aber auch schon ein »Drama, baby, drama!« oder »Weniger ist mehr!« und der Regisseur weiß, was gemeint ist. Der Dramaturg ist ebenfalls für die Schauspieler ein unverzichtbarer Ansprechpartner. »Der Kontakt zum Ensemble ist mit das Wichtigste«, weiß Andreas Frane, dessen muntere Maxime »Die Welt ist rund, das Leben ist bunt.« jedes noch so kleine Drama vom Tisch fegt. Heute schreibt der Dramaturg zwar kaum noch eigene Stücke, wie einst Gotthold Ephraim Lessing (der erste Dramaturg überhaupt!), der Schreibtisch ist für Frane & Co. neben muffigen Probebühnen und dunklen Theaterräumen trotzdem der erste Arbeitsplatz. Hier entsteht, neben Texten für Leporello, Vorschaubuch und Social Media-Beiträgen, das vielleicht einzig greifbare Ergebnis dramaturgischer Arbeit: das Programmheft. Es gilt als ein kleines Hoheitsgebiet des Dramaturgen. Er allein entscheidet, was von seinem vielen Wissen rund um Stück und Inszenierung hier erscheint »und was auch für den Zuschauer interessant sein könnte«, wie Johannes Frohnsdorf betont.

Der Dramaturg. Ein bisschen Faust. Ein bisschen Mephisto. Ein kühler Kopf mit brennendem Theaterherz. Er trägt bevorzugt Schwarz und immer ein Lächeln auf den Lippen, ist immer auf der Suche nach neuen Stücken und interessanten Regisseuren, ist gedanklich bei der Moderation des nächsten Theaterfrühstücks, während er körperlich zur nächsten Sitzung sprintet. Er gehört zu den »unsichtbaren« Mitarbeitern des Theaters, denen Sie, liebe Zuschauer, nach jeder Vorstellung auch applaudieren.

Stefanie Symmank, Dramaturgin

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Noch bis zum 31. März können unter www.sinnundverstand.net Beiträge zum eigenen Beruf eingereicht werden, und damit dazu beigetragen, dass die Frage „was machst du eigentlich beruflich“ endlich geklärt wird. 

Ich arbeite fürs Team – Regieassistentin Lara Schüßler

Regieassistenten sind „Gedächtnis und guter Geist jeder Inszenierung“. Sie unterstützen den Regisseur bei seiner Arbeit und führen das Regiebuch, in welchem alle Anweisungen zum Stück festgehalten werden. Die 19-jährige Lara Schüßler ist Regieassistentin bei Christian Marten-Molnár für die Oper Minsk. Nach der ersten Bühnenprobe mit Orchester haben wir mit ihr gesprochen.

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Minsk ist die erste Produktion, bei der du am Theater Heilbronn assistierst. Wann hat dich die Lust am Theater gepackt?

Ich habe mit etwa zwölf Jahren angefangen selbst Theater zu spielen, erst in der Jugendtheatergruppe, später Improtheater, dann kam ich in einen Theaterverein, bei dem ich auch heute noch aktiv bin. Dort  hat sich herauskristallisiert, dass ich mich da wohlfühle. Dann war irgendwann klar, dass es in Richtung Regie geht.

Ich hatte in der Schule ein Fach, das hieß Literatur und Theater. Da hatte ich die Chance eigene Projekte zu realisieren und selbst zu spielen. Außerdem schreibe ich für eine Zeitung in der Kulturredaktion. Das gibt mir die Möglichkeit anders zu reflektieren. Ich habe mich nach dem Abitur zwar für Studienplätze beworben, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass man gleich in einen Regiestudiengang reinkommt. Ich hab dann erst eine kleine Regieassistenz bei einem freien Theater in Stuttgart gemacht, und dann eine Hospitanz am Theater in der Josefstadt in Wien. Und jetzt bin ich hier.

Ich habe vor diesem Jahr allen Leuten, die ich kenne, die am Theater was machen gesagt, dass sie mir Bescheid geben sollen, wenn es irgendwo was Spannendes gibt. Dann hat mich Karin von Kries von hier aus der Technik angerufen und gesagt: „Lara, hier könnte es was geben, schreib’ doch eine Bewerbung“. Dann hab ich die Bewerbung geschrieben, mich mit Christian [Marten-Molnár] getroffen und er hat gesagt :„Ok, das machen wir“.

 

Wusstest du bei der Bewerbung schon, um welches Projekt es sich handelt?

Ich wusste es ungefähr. Dass es eine Oper ist, dass es modern wird – aber sonst wusste ich eigentlich ziemlich wenig darüber. Und das finde ich total spannend, weil ich davor mit Oper wenig am Hut hatte. Ich hatte Musik als Hauptfach in der Schule und kenn mich darum relativ gut aus mit Musik. Aber jetzt bei einer Operninszenierung dabei zu sein, das ist was ganz anderes und total spannend. Es ist eine tolle Möglichkeit für mich da reinzukommen, egal ob Schauspiel oder Oper. Das ist eine riesen Chance und für mich auf jeden Fall eine tolle Erfahrung.

 

Ist es dann ein Unterschied als Regieassistentin eine Uraufführung zu betreuen…?
Natürlich. Also gerade bei einer Oper mit moderner Musik. Normalerweise hat man zum Beispiel Aufnahmen, auf die man zurückgreifen kann. Man hat irgendwas, von dem man zehren kann. Man hat Referenzen, auf die man sich beziehen kann. Das ist natürlich eine Chance fürs Regieteam, die müssen sich mit niemandem vergleichen, aber sie sind völlig auf sich gestellt und müssen völlig neu alles erdenken.

 

Wie viel Einfluss hat man da als Regieassistentin auf die Inszenierung?

Keinen. Man hat in der Regel als Regieassistenz mit dem kreativen Prozess nichts zu tun.

 

Welche Fähigkeiten sollte man als Regieassistentin mitbringen?
Man muss auf jeden Fall wach sein, man muss einigermaßen gut organisieren können, man muss selbst organisiert und sortiert sein. Oder wenigstens vermitteln, dass man das ist. Und man muss mit Menschen umgehen können. Also man muss sich einfach trauen zu reden, auf Menschen zuzugehen. Gerade wenn man eine freie Assistenz macht und sich mit dem Haus gar nicht auskennt sind muss man sich eben durchfragen. Das muss man halt wollen und einfach machen. Einfach drauf los. Und man muss einfach Freude haben an diesem Prozess. Wenn ich jetzt keine Lust hätte an dem Probenprozess, in dem man Tag für Tag das gleiche Stück anschaut, dann wäre ich falsch am Platz.

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Was würdest du sagen, ist das Wichtigste, das man während der Assistenzzeit an Fähigkeiten lernt?

An Fähigkeiten? Also zum einen bekomme ich da ganz viel mit, was die unterschiedlichen Bereiche am Theater angeht. Und natürlich einen sehr tiefen Einblick in die Inszenierungsarbeit, in den Entstehungsprozess. Das kommt auch aufs Team an. Jeder Regisseur arbeitet anders, das ist spannend zu beobachten. Die Arbeit fordert einen Spagat zwischen Unterordnung und sich trotzdem einbringen und eigenständig sein. Ich wäre falsch am Platz, würde ich jetzt in den Proben sitzen und nur sagen „ Nein, ich finde das nicht gut so“.

 

Du hattest überlegt Schauspieler zu werden, dann war es Regie. Jetzt bist du hier. „Minsk“ ist eine Oper, in der Anna darüber nachdenkt, ob es richtig war als 20 Jährige ihre Heimat zu verlassen. Also diesen Schritt in die neue Welt hinterfragt. Du hast ein ähnliches Alter. Hat die Beschäftigung mit der Oper den Blickwinkel auf solche Lebensentscheidungen verändert?

Ich habe kürzlich mit Christian, also dem Regisseur, über das gleiche Thema gesprochen, weil ich wirklich vor einer Zukunftsentscheidung stehe: Will ich wirklich den Schritt machen in dieses unsichere Leben der Theaterwelt oder will ich auf Nummer sicher gehen und beispielsweise Lehramt studieren?

Ich habe genau das gesagt: „Ich wünschte mir, jetzt würde die ältere Lara kommen, 20 Jahre älter und sagen, so habe ich es gemacht und so war’s scheiße“. Und selbst wenn ich dann noch ins Theater gehen würde, dann hätte ich eine andere Argumentationsbasis. Das wäre was anderes als jetzt ins Blaue hinein. Aber ich glaube, dass es trotzdem nicht vergleichbar ist mit dem Stück. Anna, also Anoushka, gibt ja ihr ganzes Leben auf, ihre Familie, das was sie ist. Und ich gebe ja mich nicht auf. Ich sage ja nur, dieser Teil meines Charakters soll hervorgehoben werden in meinem Leben. Aber ich bleibe ja mir selbst treu.

 

Wünschst du dir manchmal nach einer Aufführung auch auf der Bühne zu stehen den Applaus genießen zu können und nicht nur im Dunkeln zu sitzen?

Nein, gar nicht so sehr. Ich brauch die Anerkennung des Publikums nicht, wenn ich die Anerkennung während des Probenprozesses habe. Wenn mir gesagt wird „Lara, das hast du gut gemacht“ das macht mich schon zufrieden. Ich bin ja quasi nicht die, die fürs Publikum arbeitet – ich arbeite fürs Team. Regie, Bühnenbild, Darsteller, die arbeiten fürs Publikum. Man muss sich den Dank immer da von denen holen, für die man arbeitet. Das Publikum bekommt ja nichts mit von meiner Arbeit. Und das ist ok so.

 

Die Oper „Minsk“ von Ian Wilson und Lavinia Greenlaw wird in Kooperation mit dem Württembergischen Kammerorchester am Theater Heilbronn am 03. März 2013 im großen Haus uraufgeführt. Weitere Informationen und Aufführungstermine auf der Theaterhomepage.

Das Interview führte Johannes Pfeffer

Alle Bilder: Lara Schüßler

Parken am Theater

Je stärker Theater, Kino oder Veranstaltungen in der Innenstadt besucht werden, desto voller ist das Parkhaus im K3. Besonders an den Wochenenden werden die Parkplätze in der Tiefgarage am Theater knapp. Wenn das Parkhaus voll ist, werden die Zufahrten gesperrt.
Deshalb empfehlen wir unseren Besuchern, frühzeitig zu kommen oder gleich die Parkhäuser in der Nähe aufzusuchen: »Am Bollwerksturm« über die Zufahrt: Mannheimer Straße oder »Harmonie« über die Zufahrt Gymnasiumsstraße
Wir möchten noch einmal darauf hinweisen, dass das Theater nicht Betreiber der Tiefgarage »Am Theater« ist und diese nicht ausschließlich von Theaterbesuchern genutzt wird. Betreiber ist die APCOA-Parkhausgesellschaft in Stuttgart. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: Tel.: 01805/904443 oder Mail: service@apcoa.de

Parkhaus

Wie kriegt man das wieder sauber?

Kostüm

„Du liebe Zeit, wie kriegen die das wieder sauber?“ entfährt es der Dame im blau-grauen Kostüm mitten im Schlussapplaus von „Dantons Tod“. Gerade wurde Luise Schubert samt ihres weißen Kleides in den nassen Schlick getunkt. Und sie ist nicht die einzige, die beim Verbeugen von oben bis unten beschmiert ist.

Gefragt, geantwortet. Ankleiderin Ilse Beer kümmert sich nach der Vorstellung um Luise Schuberts Kostüm: „Das wird sofort 24 Stunden mit Gallseife eingeweicht, dann kommt es hoch in unsere Schneiderei und wird gewaschen. Und weil sich der Stoff zusammen zieht, muss das Kleid beim Bügeln wieder in die richtige Form gezogen werden.“ Die Kostüme der Herren landen bei Regina Karmen und Gisela Bothner zwei Stockwerke tiefer: „Wir streifen und schaben erst mal das Gröbste mit dem Rücken eines Kleiderbügels von den Mänteln,“ demonstriert Regina. „Die anderen Sachen werden zwei bis drei Mal ausgespült und dann eingeweicht.“ Und bis zur nächsten Vorstellung steht alles wieder bereit – für die nächste Schlickschlacht im Ringen um „Dantons Tod“.

Andreas Frane, Dramaturg

DantonsTod

Sind wir nicht alle ein bisschen Schatzsucher?

»Die Schatzsucher« von Anna Katharina Hahn als Uraufführung in den Kammerspielen

Die Schatzsucher Foto: Fotostudio M42
Die Schatzsucher
Foto: Fotostudio M42

Anna Katharina Hahn ist eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen unser Zeit. Jeder Erzählband, ob »Sommerloch« oder »Kavaliersdelikt«, ist des Lesens wert, jeder Roman, ob »Kürzere Tage« oder »Am schwarzen Berg« ist ein literarischer Glücksfall. Vielfach wurde Anna Katharina Hahn mit Preisen ausgezeichnet, hoch gelobt von Presse und Kritik. Sie vermag es, wie kaum eine zweite Autorin, in ihren Werken Lebensgefühl und Zeitgeschehen extrem zu vergegenwärtigen. In vielen Rezensionen wird ihr ein »literarischer Röntgenblick« nachgesagt, der bis in die Abgründe der Figuren vordringt und diese schonungslos wie liebevoll an die Oberfläche bringt.
Anna Katharina Hahn ist am Theater Heilbronn längst keine Unbekannte mehr. Bereits im Frühjahr 2010 schrieb sie für unser Haus ihr erstes eigenständiges Theaterstück »Die letzte Stufe« mit Ingrid Richter-Wendel in der Rolle der Lina Eisele. Am 28. Februar 2013 wird nun eine weitere Auftragsarbeit am Theater Heilbronn als Uraufführung in der Inszenierung von Intendant und Regisseur Axel Vornam Premiere feiern: »Die Schatzsucher«. In ihrer »Komischen Tragödie« führt uns die in Stuttgart lebende Anna Katharina Hahn in eine Reihenhaussiedlung am Rande einer Großstadt. Ein älteres Ehepaar, Tom und Elli, plagen finanzielle Nöte – er ist einfacher Angestellter, sie hat ihren Job »zwischen Regalen voller Waschpulver, Seife, Badeschaum« verloren. Die Angst, die monatlichen Raten für das Haus nicht mehr bezahlen zu können, bringt sie um den Schlaf. Deshalb versuchen die zwei das Kinderzimmer ihrer Tochter Tilli zu vermieten. Diese studiert weit weg von Daheim, hat lediglich Erinnerungen und einen von ihr liebevoll gehegten und gepflegten Pfirsichbaum zurückgelassen. Endlich kommt ein junger Mann, der, im Gegensatz zu anderen Interessenten, an Lage und Ausstattung des Zimmers nichts auszusetzen hat. Er beginnt, dem Paar eine »Wahrheit« nach der anderen aufzutischen und systematisch deren Leben durcheinander zu bringen. Die anfängliche Befangenheit dem neuen Mitbewohner gegenüber schlägt bald in Begeisterung um. Nicht nur, dass Elli und Tom glauben, unter ihrem Garten sei ein Schatz versteckt und sie auf der Suche nach diesem sogar den töchterlichen Pfirsichbaum fällen, der junge Mann bringt die beiden dazu, ihren vielleicht ureigensten Sehnsüchten nachzugehen und unabhängig voneinander die Koffer zu packen, mit dem Willen, den anderen zu verlassen.
In »Die Schatzsucher«beschreibt Anna Katharina Hahn die idyllische Wohnwelt des Bildungsbürgertums als verstörendes, gar bedrohtes Gefilde, als Bühne subtiler Psychodramen, immer mit wenigen Worten, aber einer großen Portion Humor. Ina Hartwig bringt es 2010 in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des Roswitha-Preises an Anna Katharina Hahn auf den Punkt: »Ihr Blick auf Milieus ist liebevoll und böse, klug und hart, vor allem ist er genau. So genau, dass einem das Lachen im Halse stecken bleibt.«

Stefanie Symmank

Nächste Spieltermine:
Do. 28.02.2013 20.00 Uhr, PREMIERE, (AUSVERKAUFT)
Do. 07.03.2013 20.00 Uhr
Do. 28.03.2013 20.00 Uhr

Anonym in einer Stadt mit 8 Millionen Fremden

Anna verlässt ihre Heimatstadt Minsk mit großen Erwartungen um nach London zu gehen, wie viele andere ihrer Generation aus Osteuropa. In den 1970er Jahren lebten in London rund 100 Menschen russischer Herkunft. Im Dezember 2006 waren es bereits 300.000. London ist eine der multikulturellsten Städte Europas. Nur rund 44% der Bevölkerung sind weiße Briten. Viele Einwanderer leben mittlerweile in der zweiten oder dritten Generation in Großbritannien, dennoch sind 33% der Einwohner Londons nicht in GB geboren.

Chris McKenna (Thryduulf) [CC-BY-SA-3.0-2.5-2.0-1.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons
Chris McKenna, via Wikimedia Commons
Auch die junge Anna, genannt Anoushka, verlässt ihre Heimat mit 20 Jahren. Die Oper setzt ein, als Anna 40 Jahre ist. Sie fährt mit der Circle Line durch den Stadtbezirk Tower Hamlets. Ein Bezirk, in dem sehr viele Einwanderer aus Indien, Pakistan und Bangladesh leben. Wie einige andere Ethnien haben sie ganze Stadtviertel bevölkert und leben dort unter ihresgleichen. Die russischen Zuwanderer sind über die gesamte Stadt verteilt, sie leben eher anonym und weit voneinander entfernt. Erst in jüngster Zeit beginnen sie sich zu kulturellen Veranstaltungen und in Clubs zu treffen, entstehen russische Geschäfte und Restaurants.

Die Aussicht auf Freiheit, die beruflichen Chancen und die Gerechtigkeit des Systems locken viele aus der ehemaligen Sowjetunion nach London. Entweder sie sind bereits in Russland zu Reichtum gekommen und ziehen dann mit ihren Familien nach London um dort das Geld auszugeben. 60% der Wohnungen in London, die über 20 Millionen Dollar kosten werden von russischen Auswanderern erworben. Dadurch hab sie, gemeinsam mit Neureichen aus Asien und arabischen Ländern, die Immobilienpreise, in den letzten Jahren massiv in die Höhe getrieben.

Anna gehört zur anderen Gruppe der Studenten und Intellektuellen, die die Freiheit schätzen und in Großbritannien den Wohlstand suchen. Die guten Chancen haben viele von ihnen genutzt. Wer es sich leisten kann, fliegt zum Arbeiten nach Russland und am Wochenende zur Familie nach London. Zurückkehren in die alte Heimat werden die wenigsten. Nicht zuletzt deshalb ist London auch als „Londongrad“ oder „Moscow-on-the-Thames” bekannt.

Quellen:

Aufführungstermine der Oper „Minsk“

  • So. 03.03.2013 19.30 Uhr, Uraufführung
  • Mi. 06.03.2013 19.30 Uhr
  • Do. 21.03.2013 19.30 Uhr
  • Fr. 22.03.2013 19.30 Uhr

 Johannes Pfeffer, Praktikant in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit