Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell

Eine musikalisch-literarische Festwiese

Benefizkonzert am 7. November 2021 im Großen Haus als großes Fest des Miteinanders

Es ist ein so einfaches wie schönes Bild: Ein Kettenkarussell dreht sich – darin sitzen Menschen jeglicher Herkunft, Jung und Alt. Sie lachen und genießen den Rausch der Geschwindigkeit. Niemand fliegt hier höher, schneller oder weiter als der andere, es gibt keine Unterschiede mehr: »Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell«.
Das ist auch der Titel des großen Benefizkonzertes am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus. Vier Institutionen der Kultur- und Musikszene, die zum ersten Mal miteinander spielen, versammeln sich zum Abschluss des 17-tägigen Theaterprojektes »Kein Schlussstrich!«, das sich mit den Taten des NSU auseinandersetzt, um auf musikalische-literarische Weise die wunderbare gesellschaftliche Utopie einer umfassenden gegenseitigen Akzeptanz zu entwerfen. Auf der Bühne zu erleben sind die phantastischen Gipsy-Jazzmusiker Christoph König (Violine), Dario Napoli (Gitarre) und Benji Nini Winterstein (Rhythmusgitarre), der Poetry Slamer Sulaiman Masomi, das Württembergische Kammerorchester Heilbronn und die Big Band-Besetzung des Landespolizeiorchesters Baden-Württemberg.

»Wir wollten das große Theaterprojekt ›Kein Schlussstrich!‹ versöhnlich und mit einem großen musikalischen Dialog beenden«, sagt die geschäftsführende Chefdramaturgin Dr. Mirjam Meuser. Sie hat die gesamte Veranstaltungsreihe für das Theater Heilbronn kuratiert und auch die Idee für das Abschlusskonzert in einem gemeinsamen Brainstorming mit Intendant Axel Vornam und WKO-Intendant Rainer Neumann entwickelt. Ausgangspunkt bei der Ideenfindung war die Theresienwiese, die über viele Jahre ausschließlich die Festwiese für die Heilbronner Bevölkerung war, bis sie sich ab dem 25. April 2007 auch als Tatort des Mordes an Michèle Kiesewetter in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Das eine ist seither ohne das andere nicht mehr denkbar. So kam es zu dem Gedanken, einmal alle Akteure, die an dieser Erzählung von der Theresienwiese teilhaben, gemeinsam auf eine Bühne zu holen. Warum nicht vereinen, was nicht auf den ersten Blick zusammengehört – im Versuch eines großen gemeinsamen Dialogs? Zumal das Landespolizeiorchester seinen Sitz in Böblingen hat, jenem Ort, an dem auch die junge Polizistin Michèle Kiesewetter stationiert war. Schnell war für beide Orchester klar, dass sie bei diesem ungewöhnlichen Projekt im Theater zusammenarbeiten wollten. Für die weitere Programmgestaltung holte sich das Team den Dirigenten und Arrangeur Christian Dominik Dellacher mit ins Boot, der für diesen Abend die musikalische Leitung übernimmt. Und sie arbeiteten mit der Musikvermittlerin und Kulturmarketing-Expertin Dr. Barbara Volkwein zusammen, die viel Erfahrung in solchen Cross-Over-Projekten besitzt. Barbara Volkwein gewann ein großartiges Gipsy-Jazz-Trio: Christoph König ist eigentlich klassischer Violinist mit Vorliebe zu osteuropäischer Musik, er ist aber auch im Jazz zu Hause und spielt regelmäßig mit großen Vertretern des Gipsy Swings. Dario Napoli gilt europaweit als der aufsteigende Star am Gipsy-Gitarrenhimmel. Der Italiener vertritt die Modernisierung des Django Reinhardt Stils und tritt europaweit bei Jazzfestivals auf. Benji Nini Winterstein ist Gipsy Jazz Rhythmusgitarrist und ist Nachfahre aus der berühmten Musikerfamilie um Titi Winterstein. Er gehört zu den unermüdlichen Arbeitern an der Rhythmusgitarre und ist unverzichtbares Herzklopfen eines Gipsy-Jazz-Orchesters.

Dem Gipsy-Jazz wird im musikalischen Diskurs dieses Abends ein breiter Raum eingeräumt. Denn wegen der bekannten Wattestäbchen-Ermittlungspanne im Fall Kiesewetter richtete sich der Verdacht lange Zeit zu Unrecht auf Vertreterinnen der Sinti und Roma.
Und schließlich ist noch der berühmte deutsch-afghanische Rapper und Bühnenpoet Sulaiman Masomi mit dabei. Er ist einer der besten, wenn es um die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland geht, und er schreibt extra für diesen Abend einen Text.

So gehen in diesem musikalisch-literarischen Programm seelenvolles Gedenken und ausgelassene Zuversicht Hand in Hand. Puccini und Gershwin treffen auf die Texte von Sulaiman, Dvořák auf die jazzigen Klänge des Gipsy-Jazz-Trios. Und auch Rimsky-Korsakov und Sting, Piazzolla und Milhaud sind  mit von der musikalischen Partie.

Ein einmaliges Konzert, wie es es so in Heilbronn noch nie gegeben hat: Für einen langen Augenblick findet das vermeintlich Unvereinbare zueinander und begibt sich in einen großen, lebhaften Dialog. Denn miteinander zu reden, ob mit Worten oder den Mitteln der Musik, ist der einzige Weg, unsere Gesellschaft zu einen.

Die Einnahmen aus dem Konzert gehen an die Hildegard Lagrenne Stiftung, die sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland einsetzt.

»Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell« am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus.

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Kein Schlussstrich in der Ausstellung

Im Rahmen des bundesweiten Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!« zur Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex gibt es die von Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber kuratierte Ausstellung »Offener Prozess« des ASA-FF e. V. zu sehen – auch bei uns im Foyer des Großen Hauses. Heute möchten wir euch Näheres dazu erzählen.

Filmdreh Witnesses; Foto: Franziska Kurz

Thema der multimedialen Ausstellung ist der NSU-Komplex, wobei die Geschichten von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern im ost-deutschen Sachsen den Ausgangspunkt bilden. In dem Beitrag »Sorge 87« von Thanh Nguyen Phuong etwa erzählen vietnamesische Gastarbeitende und ein deutsches Ehepaar von der Zeit der Vertragsarbeit im sächsischen Werda, von ihrem Alltag und ihrem Zusammenleben. Von hier aus wird der Bogen gespannt zu rassistischen und rechtsmotivierten Taten in Ost- und Westdeutschland und deren Kontinuität verdeutlicht, aber auch auf den Widerstand dagegen hingewiesen. So zum Beispiel in dem Beitrag »Tiefenschärfe« von Alex Gerbaulet und Mareike Bernien, der von den Taten des NSU erzählt. In der Ausstellung wird der Ansatz des »lebendigen Erinnerns« gewählt, um die marginalisierten Perspektiven nun endlich in den Mittelpunkt zu rücken und um – ganz unter dem Credo von »Kein Schlussstrich!« – die Perspektive der Betroffenen zu stärken. Hierbei werden auch struktureller und institutioneller Rassismus und seine Entwicklungen betrachtet – gemixt mit »Songs of Vertragsarbeit« von Vincent Bababoutilabo. Zuhören wird hier als politische Praxis verstanden, Erinnern als Prozess.

Aufgebaut ist die Ausstellung aus verschiedensten künstlerischen Video- und Audiobeiträgen, unter anderem von Harun Farocki, Hito Steyerl und belit sağ. In Heilbronn sind zwölf der insgesamt 20 Beiträge, die teilweise über QR-Codes abrufbar sind, ausgestellt. Zudem gibt es die Möglichkeit, sich die Web-Ausstellung mit allen Beiträgen online anzusehen – in den Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und in Einfacher Sprache.

Ausstellungszeitraum: 22. Oktober bis 7. November 2021, Foyer Großes Haus, Eintritt frei

Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 10–19 Uhr, Sa 10-14 Uhr sowie Sa. & So. 1h vor der Vorstellung

Führungen: Auf Anfrage bieten wir für Gruppen von 4 bis 6 Personen 20-minütige Führungen an. Anfragen an Sophie Püschel unter: pueschel@theater-hn.de

Želimir Žilnik (1975) Inventur – Metzstrasse 1, Kurzfilm DE, Filmstill

»Kein Schlussstrich!« in Workshops

Nicht mehr lange bis zum Start des bundesweiten Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!«, das sich mit dem NSU-Komplex beschäftigt. In dieser Reihe stellen wir euch die einzelnen Bestandteile unseres Heilbronner Programms im Detail vor. Thema heute ist das Workshop-Angebot für Jugendliche und Schulklassen. Die Workshops finden exklusiv in der Woche vom 25. bis 29. Oktober in Kooperation mit dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg statt und werden von der dazugehörigen Fachstelle »kompetent vor Ort. Gegen Rechtsextremismus« durchgeführt. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen Diskriminierung und Rassismus zu ermöglichen.

Foto: Burschel

Den Auftakt der Reihe bildet der Workshop »Diss DisRespect!«, der als vorstellungsbegleitenden Workshop in Kombination mit verschiedenen Vorstellungen möglich ist – zum Beispiel zu der Vorstellung von »Verschlusssache« am 25. Oktober. Dieser Workshop richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab 15 Jahren. Zur Sensibilisierung der Teilnehmenden gegenüber Vorurteilen und Diskriminierung stehen unter anderem gruppendynamische Prozesse im Fokus, die Ausgrenzung begünstigen können. So werden die Mechanismen von Diskriminierung und Rassismus beleuchtet und auch die möglichen Folgen für die Opfer thematisiert. Hier liegt auch der Anknüpfungspunkt zum Stück »Verschlusssache«, das unter anderem durch die Radikalisierung der NSU-Mitglieder und ihre Morde aufzeigt, welche schlimmen Folgen Vorurteile letztlich nach sich ziehen können.

Als Teil des Ferienprogramms bietet unsere Theaterpädagogik außerdem vom 2. bis 3. November die DemokratieBOXX an, die sich an Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren richtet. Den Einstieg bildet der gemeinsame Vorstellungsbesuch des Stücks »Die Zertrennlichen« – eine Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Kindern, die aufgrund von Rassismus und Vorurteilen von den Eltern verboten wird. Im Anschluss folgen ein Nachgespräch und ein spielpraktischer Workshop, bei dem die Teilnehmenden auch selbst einzelne Szenen nachspielen. Dabei können sie zum Beispiel nachempfinden, wie es zu Ausgrenzung aus einer Gruppe kommt und wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu werden. Auch Gruppenspiele und die gemeinsame Reflexion kommen nicht zu kurz.
Der zweite Tag dieses Workshops widmet sich der Demokratiebildung. Angeleitet durch die Bildungsreferentin Tanja El Ghadouini von der RAA Berlin – ein Verein, der diskriminierungskritische Partizipationsprojekte unter anderem in Schule und Schulumfeld unterstützt – spielen die Jugendlichen gemeinsam das innovative Demokratiespiel Quararo, das übrigens hier in Heilbronn entwickelt wurde! Hierfür lernen sie zunächst etwas über die Entscheidungsprozesse, die es in einer Demokratie gibt, und wie sie überhaupt funktionieren. Dann werden diese im Spiel selbst durchlebt, wobei man die Bedürfnisse aller Gruppenmitglieder bedenken und womöglich Kompromisse finden muss. Dabei wird die Gruppe vor realitätsnahe Herausforderungen gestellt, in denen sie knifflige Entscheidungen treffen muss, und – so viel sei bereits verraten – bei denen es gar nicht so leicht ist, eine gerechte Wahl zu treffen. In Anlehnung an »Die Zertrennlichen« wird das Oberthema des Spiels Freundschaft sein.
Die DemokratieBOXX schult sowohl theatrale als auch diskursive Kompetenzen der Jugendlichen und verbindet die Themen Theater und Demokratie sowohl aktiv als auch rezeptiv miteinander. Die Kombination aus theoretischem Wissensgewinn und praktischem Erleben von demokratischen Prozessen macht den Workshop genauso besonders wie die Chance, Selbstvertrauen zu gewinnen und in den theaterpraktischen Gruppenspielen über den eigenen Schatten zu springen.
Die Kosten betragen 7€ für den Vorstellungsbesuch von »Die Zertrennlichen«, die Anmeldung ist bis zum 25. Oktober 2021 an theaterpaedagogik@theater-hn.de möglich.

Darüber hinaus haben wir den kostenlosen Workshop »Toledo to do« im Programm, der die Schülerinnen und Schüler in die spanische Stadt Toledo versetzt, die als sehr weltoffen gilt, da dort seit langer Zeit viele Kulturen und Religionen zusammenleben. Die Teilnehmenden reisen zurück ins Mittelalter und nehmen die Rolle einer Einwohnerin oder eines Einwohners von Toledo ein. Durch diesen Perspektivwechsel und die zeitliche sowie räumliche Distanz erlangen sie einen neuen sensibilisierten Blick auf das heutige Zusammenleben in der pluralen Migrationsgesellschaft und lernen, mit Konflikten umzugehen.

In weiteren Workshops setzen sich die Schulklassen mit Hate Speech und Rechter Musik auseinander – Phänomene, die vielen Schülerinnen und Schülern im Alltag begegnen. Sie lernen, wie man Zivilcourage beweist, wie man rechten Inhalten begegnet und was rechtes Gedankengut anrichten kann. Durch das Workshop-Programm werden die Themen des Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!« mit den Jugendlichen altersgerecht reflektiert und weitergedacht. Sie werden für rechtes Gedankengut und Rassismus sensibilisiert und lernen, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Auch hier gilt, dass wir in den Austausch miteinander gehen müssen, um die Probleme überwinden zu können, die durch das erneute Erstarken rechter Kräfte hervortreten. Und ganz im Zeichen von »Kein Schlussstrich!« wird hierbei stets auch die Betroffenen-Perspektive eingenommen – denn wer könnte uns mehr erzählen über den Weg zu einer diskriminierungsfreien Welt als die Menschen, die diese Erfahrung selbst machen mussten?

Weitere Informationen zu den Workshops sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/junges-theater/antidiskriminierungsworkshops.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.
Details zum übrigen Programm von »Kein Schlussstrich!« gibt es außerdem hier: https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php

»Kein Schlussstrich!« im Film

Heute stellen wir euch einen weiteren Bestandteil des Heilbronner Programms für das bundesweite Theaterprojekt »Kein Schlussstrich!« vom 21. Oktober bis 7. November vor: Die Filmreihe mit Nachgespräch, die das Theater Heilbronn in Kooperation mit dem Kinostar Arthaus-Kino Heilbronn und dem Demokratiezentrum Heilbronn organisiert.

Auch die Filmreihe bildet einen wesentlichen Teil des Programms, da sie die Inhalte und damit die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex durch das Medium Film noch auf weitere Art möglich macht. Und durch die unterschiedlichen Filmgenres mit Dokumentar- und Spielfilmen lassen sich unterschiedliche Perspektiven zur Annäherung an die Themen NSU und Rassismus einnehmen. Inhaltlich legt die Filmreihe den Schwerpunkt auf die Taten des NSU und deren Folgen, vor allem auch für die Betroffenen, sowie auf den geistigen Nährboden, aus dem heraus rechtes Denken und Radikalisierung entstehen können.

Filmstil »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage«; Foto: Partisan Filmverleih

Den Auftakt bildet am 25. Oktober der Dokumentarfilm »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« von Sobo Swobodnik, der eine Chronik der Taten des NSU liefert. Hierbei wird die Betroffenenperspektive gestärkt, was die Einseitigkeit der tendenziösen Ermittlungen hervorhebt und die doppelte Traumatisierung der Betroffenen verdeutlicht – traumatisiert zum einen durch den Verlust ihrer Angehörigen und zum anderen durch die Kriminalisierung und Stigmatisierung ihres Familienumfelds.

Mit dem Thema Erinnern und Verarbeiten beschäftigt sich am 5. November auch der Dokumentarfilm »Der Kuaför aus der Keupstraße« von Andreas Maus. Die Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße kommen zu Wort und erzählen ihre Geschichte. Wie haben sie das Geschehene verarbeitet? Wie erging es ihnen während der Zeit der Ermittlungen und wie geht es ihnen heute, 17 Jahre nach dem Anschlag?

Am 26. Oktober wird der Spielfilm »Wir sind jung. Wir sind stark.« von Burhan Qurbani gezeigt, der die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 thematisiert. Gezeigt wird die Orientierungslosigkeit einer Generation, der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehört haben, und die ihren Platz nach dem Zusammenbruch der DDR neu finden muss. Für das Nachgespräch wird die Augenzeugin der Anschläge in Rostock Mai-Phuong Kollath anwesend sein, die heute als interkulturelle Beraterin und Diversity-Trainerin tätig ist.

Weiter geht es am 2. November mit dem durchaus kontrovers diskutierten Doku-Spielfilm »Kleine Germanen« von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger, der die Rolle von Erziehung und Familie für den Radikalisierungsprozess und im Kontext rechter Bewegungen beleuchtet. Auch das Nachgespräch, für das der Sozialpsychologe und Soziologe Dr. Sebastian Winter zu Gast sein wird, beschäftigt sich mit der Frage nach sozialen und psychischen Abhängigkeiten in Familienstrukturen und der transgenerationalen Weitergabe von rechtem Gedankengut.

Filmstil »Kleine Germanen«; Foto Little Dream Entertainment

Der investigative Dokumentarfilm »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« von Peter Ohlendorf, den wir am 4. November zeigen, beruht auf einer 15 Jahre langen Undercover-Recherche des Journalisten Thomas Kuban in der Neonaziszene. Es wird herausgearbeitet, welchen hohen Stellenwert Rechtsrock für die Vernetzung in der rechten Szene noch immer hat und wie so eine Art rechter Parallelgesellschaft etabliert wird. Für das Nachgespräch wird der Regisseur selbst vor Ort sein.

Anlässlich des 60. Jahrestages des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei findet am 30.  Oktober im Rahmen von »Kein Schlussstrich!« ein besonderes themenspezifisches Programm statt. Teil davon ist der Spielfilm »Almanya – Willkommen in Deutschland« von Yasemin Şamdereli, der die Identitätsfrage von Migrantinnen und Migranten verhandelt und aufzeigt, dass sich diese selbst in der dritten Generation weiterhin stellt: »Wer oder was bin ich eigentlich – Deutscher oder Türke?» – das fragt sich im Film auch der sechsjährige Enkel des türkischen »Gastarbeiters« Hüseyin. Im Nachgespräch ist Nilgün Taşman zu Gast, die selbst »Gastarbeiterkind« ist und sich als interkulturelle »Brückenbauerin« engagiert.

Die Nachgespräche finden jeweils im Anschluss an die Filmvorführung statt und ermöglichen neben den im Film verhandelten Themen auch einen weiterführenden Austausch. Fragen des Publikums sind ausdrücklich erwünscht!

Wie die Podiumsdiskussionen richtet sich die Filmreihe auch explizit an Schulklassen, die herzlich ermutigt sind, die Vorstellungen und Nachgespräche zu besuchen.

Hier noch einmal alle Termine im Überblick:

  • »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« am 25. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Moderation: Heval Demirdöğen
  • »Wir sind jung. Wir sind stark.« am 26. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Mai-Phuong Kollath, Moderation: Johanna Streit
  • »Almanya – Willkommen in Deutschland« am 30. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Nilgün Taşman, Moderation: Roswitha Keicher
  • »Kleine Germanen« am 2. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Dr. Sebastian Winter, Moderation: Andreas Hässler
  • »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« am 4. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Peter Ohlendorf, Moderation: Dr. Mirjam Meuser
  • »Der Kuaför aus der Keupstraße« am 5. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Özge Pınar Sarp, Moderation: Arne Güttinger

Weitere Informationen zu den Filmen und Gästen sowie zu allen weiteren Programmpunkten sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.

»Kein Schlussstrich!« in der Diskussion

Am 21. Oktober startet das bundesweite Theaterprojekt »Kein Schlussstrich!«, das sich mit dem NSU-Komplex beschäftigt. Beteiligt sind 15 Städte, die alle von den Taten des NSU betroffen sind – und sich bis zum 7. November in künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Interventionen mit dem Thema auseinandersetzen, um es weiter im öffentlichen Bewusstsein zu platzieren und ein Gegennetzwerk zu bilden, das sich gegen rechte Tendenzen positioniert. Auch das Theater Heilbronn ist mit einem breiten Programm dabei. In den folgenden Blogbeiträgen stellen wir euch die einzelnen Bestandteile unseres Rahmenprogramms im Detail vor. Los geht’s heute mit den Podiumsdiskussionen.

Foto: Burschel

In Zusammenhang mit der Uraufführung von »Verschlusssache« und gleichzeitig mit Bezug zur Stadt Heilbronn wurden von Chefdramaturgin Dr. Mirjam Meuser drei Podiumsdiskussionen geplant, die das Theaterprogramm um wichtige diskursive Themen ergänzen. Sie alle beschäftigen sich mit rechten Strukturen in Staat und Institutionen, die unter anderem dazu führen, dass Betroffene und Opfer kriminalisiert werden und die rechte Szene heute anders agiert als noch vor 20 Jahren.

Den Auftakt bildet die Diskussion am 23. Oktober mit dem Titel »Der Staat als Sicherheitsrisiko? Rechte Szene und Verfassungsschutz«, bei der unter anderem Seda Başay-Yıldız, die als Anwältin im NSU-Prozess die Familie von Enver Şimşek als Nebenklägerin vertrat, auf dem Podium sitzt. Hier wird die Frage gestellt, ob die oberste Prämisse des Staatswohls nicht gleichzeitig destruktive Tendenzen mit sich bringt, da die Einwohnerinnen und Einwohner als Mitglieder des Staates nicht ernstgenommen und sogar abgewertet werden, und Staatsräson so zugleich Staat und Gesellschaft gefährdet.

Die zweite Podiumsdiskussion am 24. Oktober trägt den Titel »Unterm Radar? Strategien neurechter Bewegungen?« und nimmt die zunehmende Institutionalisierung rechtsradikalen Denkens und Agierens in den Blick. Zu Gast ist unter anderem der renommierte investigative Journalist Dirk Laabs, der kürzlich ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.

Die dritte und letzte Veranstaltung »Generalverdacht? Die Betroffenen-Perspektive auf den NSU-Komplex« am 1. November rückt ein lange vernachlässigtes Thema in den Vordergrund: Die Perspektive der Opfer und der Hinterbliebenen, die Angehörige verloren haben und aus ihrem bisherigen Leben gerissen wurden – und die durch die Ermittlungsbehörden zudem noch lange Jahre kriminalisiert wurden. So entsteht die Frage, ob Migrantinnen und Migranten in polizeilichen Ermittlungen tatsächlich einem Generalverdacht unterliegen. Dieser widmen sich auf dem Podium unter anderem der Politikwissenschaftler und Wissenschaftliche Leiter des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, Herbert Heuß, und der NSU-Opferanwalt Mehmet Gürcan Daimagüler.

Mit dem freien Journalisten Thomas Moser, dem Sprecher des Netzwerks gegen Rechts Heilbronn Stefan Reiner und der 2. Vorsitzenden des Türkischen Frauenvereins Heilbronn Sevinç Daş wird bei jeder Veranstaltung auch ein Gast aus Heilbronn und Umgebung vertreten sein, um die spezifische regionale Perspektive auf die genannten Themen einbringen zu können.

Die Podiumsdiskussionen bilden einen wichtigen Bestandteil des Heilbronner Projektprogramms, da sie einen Dialog mit dem Publikum ermöglichen und den Bogen zur Stadt Heilbronn spannen. So wird eine konkrete Auseinandersetzung mit rechten Themen angestoßen, denn rechte Strukturen sind nicht abstrakt und in weiter Ferne, nicht nur »irgendwo in Deutschland« etabliert, sondern auch hier vor unserer Haustür. Umso wichtiger ist es, hinzusehen und nachzudenken – und eben auch miteinander ins Gespräch zu kommen, um rechtem Terror und rechter Gewalt den Nährboden zu entziehen.

Hier noch einmal die Termine im Überblick:

  • »Der Staat als Sicherheitsrisiko? Rechte Szene und Verfassungsschutz« am 23. Oktober um 17 Uhr im Komödienhaus mit Hajo Funke, Seda Başay-Yıldız und Thomas Moser; Moderation Christiane Mudra
  • »Unterm Radar? Strategien neurechter Bewegungen?« am 24. Oktober um 19 Uhr im Komödienhaus mit Dirk Laabs, Stefan Reiner und Kurt Möller; Moderation Antonie Rietzschel
  • »Generalverdacht? Die Betroffenen-Perspektive auf den NSU-Komplex« am 1. November um 19 Uhr im Foyer des Großen Hauses mit Herbert Heuß, Mehmet Gürcan Daimagüler und Sevinç Daş; Moderation Sibylle Thelen

Weitere Informationen zu den Podiumsdiskussionen und Gästen sowie zu allen weiteren Programmpunkten sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.