Molières bitterböse Komödie »Der eingebildete Kranke« feiert in einer Inszenierung von Susanne Lietzow im Großen Haus Premiere
von Katrin Aissen
Hier ein Klistierchen und ein sedierender Trank, dort ein aufputschendes Pülverchen und ein fragwürdiges Wundermittelchen – permanent laboriert der selbstmitleidige Argan an der Medikation seiner Zipperlein und der Optimierung seines Körpers. Er will seinen Leib pflegen und stärken, denn für ihn lauert hinter seinen intensiv empfundenen Beschwerden immer schon der Tod. Nervös und mit höchster Empfindsamkeit spürt er jeder Regung seines Verdauungsapparates und seiner übrigen Körperfunktionen nach und schikaniert mit seinen – eingebildeten – Krankheiten an Herz, Galle, Niere, Leber und Lunge nicht nur lustvoll seine Umgebung, sondern finanziert so auch seinen Arzt und seinen Apotheker. Um die Kosten zu senken und immer einen Arzt an seiner Seite zu haben, verfällt er auf die abgefeimte Idee, seine Tochter Angélique mit dem angehenden Arzt Thomas Diafoirus zu verheiraten.
Doch dieser ist weder ansehnlich noch charmant und nicht gerade ein heller Kopf. Außerdem ist Angélique in glühender Liebe zum schönen und klugen Cléante entbrannt, der auch sie innig liebt. Argans zweite Frau Béline dagegen hat es nur auf dessen Geld abgesehen und wartet sehnsüchtig auf sein Ableben. Schmeichlerisch geht sie auf dessen vermeintliche Leiden ein und versucht potenzielle »Erbkonkurrenz« zu beseitigen, indem sie darauf dringt, dass Argan seine Tochter in ein Kloster steckt. In seiner selbstbezogenen Verblendung fällt dieser auf ihre Umgarnung herein, durchschaut nicht ihr wahres Ich und bricht mit seiner Tochter, als diese sich weigert, den vom Vater vorgesehenen Mann zu heiraten. Allein in der gewitzten Dienerin Toinette hat Angélique eine Verbündete. Mit losem Mundwerk und Raffinesse bietet sie Argan Paroli und treibt ihn zur Weißglut. Unterstützt wird sie dabei von dessen Bruder Béralde, der durch seine Kritik an der Scharlatanerie der Ärzte beim Hausherrn in Ungnade fällt. Um Argan von seinen fixen Ideen zu befreien und ihm die wahren Loyalitäten der Familienmitglieder vor Augen zu führen, fädelt Toinette einen klugen Plan ein und verschreibt ihm damit eine Kur der besonderen Art. Als Arzt verkleidet öffnet sie Argan die Augen und entlarvt Schein und Sein – Täuschung und Wahrheit …
Mit seiner bissigen Charakterkomödie über einen von seinen fiktiven Krankheiten besessenen Mann hat Molière herrlich absurde Charaktere auf die Bühne gebracht, die sich mit Wortwitz und pointierten Dialogen gegenseitig an den Kragen gehen. Sein pfiffiges Spiel um Körperkult und Selbstoptimierung thematisiert gleichzeitig auf groteske Weise die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. »Der eingebildete Kranke« war nicht nur Molières letztes Werk, sondern makabererweise auch im wahrsten Sinne des Wortes sein letzter Auftritt. Bei der vierten Vorstellung des Stückes, bei der Molière selbst als Argan auf der Bühne stand, erlitt er auf offener Bühne einen Blutsturz, an dem er einige Stunden später – noch im Kostüm seines Titelhelden – verstarb.
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