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THEATERKASSE
Berliner Platz 1
74072 Heilbronn
Tel. 07131.56 30 01 oder 56 30 50 kasse@theater-hn.de
Aufgrund der Abstandsregeln im Zuschauerraum, sind bis auf weiteres keine Kartenbuchungen im Webshop möglich. Bitte wenden Sie sich an die Theaterkasse. Vielen Dank für Ihr Verständnis!
»Ich bin ein Drache. Ich bin 1000000000 Jahre alt.
Am liebsten esse ich Schweine. Da ist es ganz praktisch, dass ich die dann mit
meinem gespuckten Feuer direkt grillen kann.«, sagt Anton, 8 , in der ersten
Castingrunde von »Das Märchenland sucht den Super-Märchenstar.« Wie, Sie haben
von diesem Castingformat noch nie gehört? In den Herbstferien machten sich an
zwei Tagen zwölf mutige Kinder zwischen sechs und zehn Jahren zu einer Reise
ins Märchenland auf. Doch der Weg war gar nicht so einfach. In verschiedenen
Castingrunden durften die Kinder ihre eigene Märchenfigur in der
TheaterWerkStatt entwickeln. Dass man sich dazu auch überlegen musste, was die
Märchenfigur gern in ihrer Freizeit macht oder am liebsten isst, ist ja ganz
klar. So galt es dann, verschiedene Runden zu meistern: Sich vor einer Jury zu
präsentieren, ein Ausstellungsobjekt in einem Märchen-Museum zu sein und hier
auf viele andere Märchenfiguren zu treffen. Außerdem bauten die
Märchensuperstars von morgen aus Rührlöffeln eigene
Märchenfigurentheaterpuppen, die in selbst erfundenen kleinen Märchen auf der
Bühne glänzen durften. Alle teilnehmenden Märchenfiguren waren so großartig,
dass es der Jury um Theaterpädagogin Natascha Mundt nicht schwer fiel, alle
Kinder zu Märchenlands nächstem Märchensuperstar zu küren.
Doch das waren nicht die einzigen Teilnehmer im
Märchen-Casting. Einen Ferientag gab es zudem auch noch im Kinder- und
Familienzentrum Augärtle in der Heilbronner Nordstadt. Nur einen Steinwurf vom
Probenzentrum des Theaters entfernt treffen sich hier Kinder und Jugendliche
aus der Nachbarschaft, um miteinander zu spielen, Sport zu machen, oder einfach
nur um zu chillen und eine schöne Zeit zu haben. Warum also nicht die
Nachbarschaft nutzen und gemeinsam ein Ferienprojekt auf die Beine stellen,
dachte sich Natascha Mundt, die Leiterin der Theaterpädagogik im Theater
Heilbronn. Bestens vorbereitet waren die Augärtle-Kinder zwischen sechs und
zwölf Jahren auf den »Theatertag«. Die Erzieherinnen und Erzieher hatten zuvor
bereits den Film DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL mit den Kindern geschaut und
vorbesprochen. Ganz klar war allen Mädels also, dass sie unbedingt das
Aschenbrödel sein möchten. Der einzige Herr der Runde durfte sich als Prinz so
nun aus einer Vielzahl von Aschenbrödeln eine aussuchen. Wer die Wahl hat, hat
die Qual… Voller Energie erfanden die Kinder gemeinsam und mit der Hilfe von
Märchenkarten und Zauberluft viele verschiedene kleine Märchen, tauchten
kopfüber in die Verkleidekiste des Augärtle ein und präsentierten stolz ihre
eigenen Märchen vor der Jury aus
Erziehern und Theaterfachleuten.
Wenn er über sein Ideal vom Schauspielberuf spricht, hat Pablo Guaneme Pinilla ein bestimmtes Bild vor Augen: Von spielenden Kindern im Sandkasten. Mit großer Ernsthaftigkeit und Unbekümmertheit sind sie ganz versunken in das, was sie gerade tun und schaffen mit Phantasie und Gestaltungswillen ganz neue Welten. So wünscht sich der Schauspieler den Probenprozess am Theater – sich ausprobieren, den Text ausloten, tief in die Arbeit eintauchen, das Drumherum ausblenden ohne das, was draußen geschieht, als Impuls für die Arbeit aus den Augen zu verlieren.
Pablo Guaneme Pinilla, der seit September fest zum Heilbronner Schauspielensemble gehört, sieht das Theater als Ort des öffentlichen Nachdenkens und Entdeckens, der nichts Geringeres leisten soll, als die Dinge in ihrer Differenziertheit und Zerrissenheit zu zeigen. »Ich bin ein Freund des Widerspruchs«, sagt er. Einfache, plakative Antworten und Parolen von der Bühne herunter interessieren ihn nicht.
Vielleicht war, weil er die Welt immer in ihren Gegensätzen sieht, der Weg ans Theater zwar nicht stringent aber doch irgendwie zwangsläufig. Aufgewachsen ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines kolumbianischen Vaters in Bonn. Während der Kindergarten- und Grundschulzeit war er in der Musikschule und spielte hier Theater. Dann kam erst mal eine ganze Weile nichts dergleichen. Erst in der 12. Klasse absolvierte er einen Theaterkurs und wurde Statist an der Oper in Bonn. »Das hat mir großen Spaß gemacht und war für mich wichtiger als das Abitur«, blickt Pablo Guaneme Pinilla augenzwinkernd zurück. Nach dem Abi ging er für ein freiwilliges soziales Jahr nach Lima in Peru. Hinterher wollte er unbedingt nach Berlin, und er schrieb sich an der Humboldt-Universität für die Fächer Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft ein, hatte aber das Gefühl, da nicht wirklich hinzugehören. In seiner Freizeit schloss er sich freien Theatergruppen an und fasste schließlich den Mut, an Schauspielschulen vorzusprechen. Er bestand das strenge Auswahlverfahren an der Schauspielschule »Hans Otto« in Leipzig und stellte sich den Herausforderungen seines neuen Lebens. Nach zwei Jahren geschützter Arbeitsatmosphäre an der Schauspielschule ging es die letzten beiden Jahre ins Schauspielstudio des Theaters Halle. Hier spielte er unter anderem die Titelfigur in Wolfgang Herrndorfs »Tschick« – eine Rolle, die er in ihrer Mischung aus Humor, Ernsthaftigkeit und Abgründigkeit bis heute liebt. Sein erstes Engagement führt ihn für 6 Jahre nach Neuss, wo er in vielen großen und wichtigen Rollen zu sehen war u. a. als Sigfried in Friedrich Hebbels »Die Nibelungen«, als Orlando in Shakespeares »Wie es euch gefällt« sowie als Wurm in Schillers »Kabale und Liebe«. In diesem Jahr war er im Juni mit dem Monolog-Stück „Tāwle – am Kopf des Tisches“ beim Westwind-Festival in Oberhausen eingeladen. Das von Julia-Huda Nahas geschriebene und inszenierte Stück greift die Perspektive eines Deutschen mit syrischen Wurzeln auf, der versucht, seinen im Kriegsgebiet lebenden Verwandten zu helfen. Das war eine sehr schöne, fordernde und intensive Arbeit, die ihm immer als eine seiner liebsten im Gedächtnis bleiben wird.
Jetzt, mit Mitte 30, hatte er Lust auf eine Veränderung ̶ ein neues Haus, neue Kollegen, andere Regisseure, die Chance weiter zu reifen und eben nicht mehr der junge Schauspielabsolvent zu sein. »Ich freue mich darauf, neu gefordert und neu gesehen zu werden«, sagt er. Er ist gespannt auf die Rollen, die er spielen darf. Bestimmte Wünsche oder Träume hat er nicht: »Ich bin auf alles neugierig, was kommt.« Um zu seiner Wohnung zu gelangen, musste Pablo Guaneme Pinilla bis vor kurzem noch einen Ausweis vorzeigen. Denn der Schauspieler ist stolzer Bewohner von Deutschlands größtem Holzhochhaus auf dem BUGA-Gelände. Heilbronn habe ihn positiv überrascht, sagt er: »Die Stadt ist sehr lebendig, mitten in einem positiven Umbruch, das kann man überall spüren.«
Dass das Leben mitunter dramatischer ist, als es sich
Bühnenautoren in ihren kühnsten Phantasien ausdenken können, hat Winnie Ricarda
schon früh erfahren. Noch während der Ausbildung am Wiener Max Reinhardt Seminar
bekam sie eine Rolle am Akademietheater, der Kammerbühne des Burgtheaters (was
für ein Traum!), in dem Schauspiel »Liebe und Information« von Caryl Churchill. Am Nachmittag des Premierentages wollte sie
noch schnell eine Überweisung bei der Bank erledigen. Da hielt ihr plötzlich
jemand eine Pistole an den Kopf. Das war kein Theater, sondern ein Banküberfall ̶ Todesangst statt Premierenfieber. Irgendwann
richtete der Räuber die Waffe auf die Bankangestellte, die den Notknopf
bestätigte. Winnie Ricarda Bistram und einigen anderen gelang die Flucht. Dann
war auch schon die Polizei da, aber der Weg zu ihrem Auftritt war versperrt.
Sie sollte als Zeugin vor Ort bleiben und kein Polizist wollte verstehen, dass
sie unbedingt ins Theater musste, weil ohne sie diese Premiere nicht
stattfinden würde. Erst als ihre Professorin, die verständigt wurde, an den
Tatort kam und mit der Polizei verhandelte, durfte sie gehen.
Schon manchmal hatte ihr das Leben auf dem Weg zum Traumberuf ein Bein gestellt. Wie im ersten Vorsprechen an ihrer Lieblingsschauspielschule, dem Max Reinhardt Seminar. Sie war bereits in die zweite Runde gekommen und ignorierte ihre Bauchschmerzen, bis sie schließlich mit einem lebensgefährlichen Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus kam. Aber im drauffolgenden Jahr klappte es sofort. Dabei wollte sie als Jugendliche in ihrer Heimatstadt Hamburg alles, nur keine Schauspielerin werden. Ihr Vater arbeitete in diesem Beruf. Sie hatte die Unsicherheiten, die so ein Leben mit sich bringt am Rande mitbekommen. Ihr Vater, der in der DDR lebte, gehörte zum legendären Ensemble von Frank Castorf während dessen »Verbannung« an das winzige Theater Anklam in Vorpommern. Ganz Theater-Ostdeutschland pilgerte damals an diesen kultigen Ort, wo es im Schutz der Provinz aufregende Inszenierungen zu sehen gab. Umso erstaunter ist Winnie Ricarda Bistram, ausgerechnet in Heilbronn auf Kollegen zu treffen, die ihren Vater und den Großvater von der Bühne und von gemeinsamen Arbeiten kannten.
Nach dem Abitur studierte sie zunächst Psychologie und Kunstgeschichte in Heidelberg. Doch irgendwann hat sich offenbar das väterliche Erbe bei ihr durchgesetzt, denn der Wunsch, diesen unvorhersehbaren, aufregenden Weg zur Schauspielerei einzuschlagen, brach sich massiv Bahn. »Das Schauspielstudium fühlte sich richtig an. Auch das ganze Auf und Ab, die Selbstzweifel, die einen dabei ständig begleiten, das gehört mit dazu.« Sie spielte in dieser Zeit auch am Volkstheater Wien und im Theater in der Josefstadt. Nach dem Studium gastierte sie in Berlin und Wilhelmshaven, stand in Kurzfilmen vor der Kamera und nahm an einem großen Kunstprojekt in Berlin teil. Zuletzt spielte sie 180 Vorstellungen der französischen Komödie »Die Lüge« von Florian Zeller im Zimmertheater Heidelberg. Ihr Partner war Peter Volksdorf, ehemaliges Ensemblemitglied in Heilbronn und gerade wieder als Gast am Neckar. Der machte Winnie Ricarda Bistram darauf aufmerksam, dass das Theater Heilbronn gerade junge Schauspielerinnen suchte. Weil der Norddeutschen gerade in Heidelberg die große Liebe über den Weg gelaufen war, wollte sie gern im Süden bleiben und bewarb sich. »Ein Festengagement ist auch mal ganz schön«, sagt sie und hofft darauf, dass sie hier waches, spannendes, politisches Theater machen darf. So, wie es die Aufgabe von Theater seit der Antike ist. Nicht von ungefähr ist Antigone eine ihrer Lieblingsfiguren, eine 2500 Jahre alte Vorläuferin von Greta Thunberg.
Zusehen ist Winnie Ricarda Bistram aktuell in der Komödie »Drei Männer und ein Baby« und dem Weihnachtsmärchen »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.
Sie weiß bis heute nicht warum, aber Johanna Sembritzki hat schon als kleines Kind behauptet, dass sie einmal Schauspielerin wird.
»Da kann ich alles mal ausprobieren und muss mich nicht für einen Beruf entscheiden, war damals meine Begründung«, erinnert sich die dunkelblondgelockte Frau mit dem Schalk in den Augen. So richtig Feuer fing sie bei einem Theaterbesuch in ihrer Heimatstadt Bochum. Da sah sie im Theater »Dantons Tod« in der Inszenierung von Leander Haußmann und dachte: Das will ich auch. Die Lucile aus Büchners Revolutionsdrama, die ihrem Mann letztlich bis in den Tod folgt, hat sie tief beeindruckt. Ohnehin war sie bereits als Jugendliche in der Welt der Dramen zu Hause. Noch lieber als Romane las sie Goethe, Schiller, Büchner und Shakespeare, aber auch moderne englische Dramatik wie z.B. Sarah Kane, deren Stücke sie bis ins Mark trafen. In jedem dieser Texte hatte sie eine Figur, die sie besonders liebte und mit der sie sich identifizierte. »Das Gretchen war es komischerweise nie«, sagt sie. Eher so starke und radikale, aber auch gleichermaßen brüchige Charaktere wie Maria Stuart oder Lucile. Den Wunsch, Schauspielerin zu werden, setzte sie dann aber eher zögerlich um. Der Grund: Ihr Bruder Henning war gerade an der Schauspielschule angenommen worden. »Ich kann doch nicht das gleiche machen wie mein Bruder«, dachte sie.
Die Heilbronner werden sich noch an Henning Sembritzki erinnern, denn er gehörte einige Jahre zum Schauspielensemble des Heilbronner Theaters. Johanna studierte zunächst Polonistik und Afrikanistik in Berlin und bewarb sich schließlich doch heimlich an Schauspielschulen. Wieder war es Büchners Lucile, die sie bei den Vorsprechen begleitete. Von 2001 bis 2005 studierte sie dann in München an der Bayerischen Theaterakademie »August Everding« und stand schon ab dem ersten Studienjahr im Residenztheater München auf der Bühne in Inszenierungen von Dieter Dorn und Thomas Langhoff. Während dieser Zeit spielte sie auch in Doris Dörries Film »Der Fischer und seine Frau« mit. »Es war eine total aufwendige Szene im strömenden Regen auf einem Müllplatz mit einem Baby, die dann aber herausgeschnitten wurde, weil das Kind ununterbrochen schrie.« Heute kann sie darüber lachen.
Nach dem Studium führte ihr erstes Festengagement sie wieder in ihre Heimatstadt ans Schauspielhaus Bochum. Ein Traum, auf der Bühne stehen zu dürfen, auf der sie früher die Darsteller bewundert hat. Als Tochter der Stadt wurde sie besonders vom Publikum und auch von vielen Kollegen ins Herz geschlossen. »Bis heute kennen mich die Leute, wenn ich dort zu Besuch bin und meine Mutter wird oft nach mir gefragt«, sagt sie. Die nächsten Jahre führten sie nach Lübeck, wo sie drei Jahre lang mit ihrem Bruder Henning zusammen auf der Bühne stand. »Wenn wir zusammen spielen, verbindet uns ein Urvertrauen, das nicht vieler Verabredungen bedarf«, sagt sie. In die Lübecker Jahre fiel auch die Geburt ihrer beiden Kinder – Johanna Sembritzki hat einen Sohn und eine Tochter. Fortan musste sie ihren Beruf mit dem Familienalltag unter einen Hut bringen. »Das geht mit viel Selbstdisziplin, einem straffen Tagesplan und einer guten Infrastruktur an Leuten, die einem helfen.« So sehr sie ihren Beruf auch liebt, die Kinder sind ihr größtes Glück. »Sie erden mich und machen mir immer wieder klar, dass es neben den Brettern, die die Welt bedeuten, noch viele andere wichtige Dinge gibt. « Ihr nächstes Engagement führte sie nach Neuss, wo sie die jungen weiblichen Hauptrollen hoch- und runterspielte. »Klar ist es schön, wenn man so jung besetzt wird«, sagt sie. Aber jetzt werde es Zeit für einen Fachwechsel, schließlich hat sie die Mitte 30 schon überschritten – auch wenn man es ihr überhaupt nicht ansieht. Nun also Heilbronn. »Ich liebe diese Bühne«, schwärmt sie. Eine ähnlich schöne Bühne hat sie zuletzt in Bochum erlebt. Sie mag die schiere Größe, aber auch das Gefühl, dass alle, die auf der Bühne und hinter den Kulissen arbeiten, unbedingt wollen, dass es gelingt.
Unser Praktikant Mark Etting sprach mit dem Schauspieler Oliver Kainz über die Figur des Kriminalinspektors Doppler in unserem Kriminalstück »Revanche«, der mit kühler Überlegung einem Verbrechen auf der Spur ist. Oliver Kainz verstärkt als Gast unser Ensemble in der Inszenierung von Marcus Everding, die am 16. November 2019 um 20.00 Uhr im Komödienhaus Premiere hat.
Etting: Herr Kainz, Sie kommen als Gast ans Theater Heilbronn für die Rolle des Inspektor Doppler in »Revanche«. Wie kam es dazu?
Kainz: Nun, Herr Vornam, der Intendant, hat mich in der Vorstellung »Ein Inspektor kommt« von Priestley gesehen und mich quasi noch in der Kantine engagiert. Ich hatte Zeit und Lust, und nun bin ich hier.
Etting: Sie sind ja halb Engländer…
Kainz: Ja, meine Mutter stammt aus Bristol. Aufgewachsen bin ich aber in Stuttgart.
Etting: War der englische Hintergrund hilfreich für die Rolle?
Kainz: Nun, mit dem Hintergrund konnte ich mich schon besser, also ich meine gut in die Rolle eines englischen Inspektors einfühlen. Da kommt doch einiges immer wieder hoch. Was nicht heißen soll, dass die Kollegen es nicht auch gut machen. Ein tolles Klima auf den Proben.
Etting: Kommen wir zur Rolle. Was ist Inspektor Doppler für eine Figur?
Kainz: Eine sehr spannende, sag ich jetzt mal so. Also, er gibt ja den schrulligen Landpolizisten, der sich dem erfolgreichen Krimi Schriftsteller Wyke quasi unterordnet, um dann den Spieß sozusagen umzudrehen und Wyke regelrecht vorzuführen. Das können Sie sich so vorstellen, wie den Inspektor Colombo. »Ich hätte da noch eine Frage.« (lacht)
Etting: Doppler überführt also Andrew Wyke?
Kainz: Doch, schon. Er kann seinen Job total gut. Und auch das Publikum wird den Doppler am Anfang unterschätzen.
Etting: Man will also, dass Wyke erwischt wird?
Kainz: Wir wollen hier nichts verraten. Das ist schließlich ein Kriminalstück. Wäre doch schade, wenn das bei Ihnen schon alles nachlesen kann.
Etting: Mal eine Frage an Ihre Herangehensweise: Wie legen Sie den Inspektor an?
Kainz: Ich würde sagen hintergründig, doch. Spiegelnde Facetten, die sich in den Widersprüchen zu gefährlich blitzenden Glassplittern entwickeln.
Etting: Das klingt aber spannend.
Kainz: Ja, das hat Shaffer schon gut geschrieben.
Etting: Und dieser Doppler taucht ja eher überraschend spät im Stück auf.
Kainz: Genau. Also, wenn man das Programmheft nicht gelesen hat, weiß man das erst einmal nicht. Die Figur bezieht aus diesem Überraschungseffekt natürlich ihre Wirkung.
Etting: Man darf also gespannt sein. Ihre nächsten Pläne?
Kainz: Urlaub.
Etting: Verraten Sie uns wohin?
Kainz: Nein. Finden Sie’s heraus.
Etting: Danke für dieses Gespräch.
Das Kriminalstück »Revanche« können sie ab dem 16. November 2019 bis Silvester im Komödienhaus erleben.
Auftaktveranstaltung der Reihe »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« zieht eine Bilanz von 29 Jahren Deutscher Einheit
Es war
eine emotionsgeladene, hochspannende und anregende Diskussion, mit der die
Veranstaltungsreihe »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« in der sehr gut
besuchten BOXX des Theaters Heilbronn eröffnet wurde. »29 Deutsche Einheit –
eine Bilanz«, so lautete der schlichte Titel. Über die Situation in Deutschland, das seit 29 Jahren
wiedervereint, aber von einer wirklichen Einheit weit entfernt ist, diskutierten: Dr. Adriana Lettrari, Organisationsberaterin,
Publizistin und Mitbegründerin des Netzwerks „3te Generation Ostdeutschland“; Dr. Hans-Joachim Maaz, der Vorsitzende
des Instituts für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention e. V. und
Gründer der Hans-Joachim Maaz – Stiftung Beziehungskultur und Heilbronns Intendant Axel Vornam, der durch seine
deutsch-deutsche Biographie und seine Arbeit als politisch wirkender Künstler
die Umbrüche der deutschen Geschichte aus einer besonderen Perspektive
betrachtet. Zwischen Moderation und Diskussion switchte Prof.Dr. Martin Sabrow
munter und souverän hin und her, er ist Direktor des Zentrums für
Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und
Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Endlich kommt
die Debatte im Westen an
Endlich, sagt Dr. Adriana Lettrari, kommt die
Debatte über die Erfolge und Misserfolge des Deutschen Einheitsprozesses auch
in Westdeutschland an. Vor fünf Jahren, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls,
fanden diese Gesprächsrunden fast ausschließlich im Osten statt, der Westen hat
sich nicht dafür interessiert. Auch Prof. Dr. Martin Sabrow freut sich, dass
das Theater in einer westdeutschen Stadt mit der Reihe »Erinnerung ist Liebe
zur Zukunft« auf die Bilanz der letzten 30 Jahre schaut. Und er fragt, warum
wir mehr die Einheit, als die Freiheit feiern. Dr. Hans-Joachim Maaz, der von
Sabrow als »Experte für ostdeutsche Befindlichkeiten« vorgestellt wurde, nannte
den Mauerfall das größte Ereignis seines Lebens. Aber mit der Einheit, mit der
sei er nicht zufrieden. Er unterscheidet zwischen der »äußeren Freiheit« der
offenen Grenzen und der Reisemöglichkeiten, die ganz klar errungen wurde, und der
»inneren Freiheit«, von der man weit entfernt sei. Innere Freiheit bedeute für
ihn, dass sich das »Selbst« frei entfalten kann, dass mantun kann, was man will, oder sich aus
Einsicht zurückhält. »Wie kann es sein, dass die Meinungsfreiheit
vom Mainstream wieder derartig eingeengt wird«, fragt er. Und außerdem: Sich
darstellen und immer verkaufen zu müssen, damit kämen viele Menschen aus dem
Osten nicht klar.
Nach dem
heißen Herbst 89 kam die Ernüchterung
Axel Vornam beschreibt die Zeit zwischen September und November 1989, den heißen Herbst 89, als spannendste Zeit. Er selbst moderierte an seiner damaligen Wirkungsstätte, dem Theater Rudolstadt den »Dialog 89«, in dem die Menschen diskutierten, wie man die DDR zu einem freiheitlichen, demokratischen Staat formen kann. »Zwischen ›Wir sind d a s Volk‹ und ›Wir sind e i n Volk‹ lagen gerade mal sechs Wochen«. Danach sei es mit den demokratischen Reformen auf dem Gebiet der DDR vorbei gewesen. Es sei nur noch um die Einheit gegangen, die dann eher ein Anschluss der DDR wurde, erinnert er sich. Viele Künstler und Intellektuelle hätten sich von dem Augenblick an aus der gesellschaftlichen Debatte zurückgezogen. Prof. Sabrow konstatiert die Enttäuschung, die 1990 auf die Euphorie der friedlichen Revolution folgte, merkt aber auch an, dass die DDR nicht einfach von der alten Bundesrepublik übernommen worden sei, sondern dass ein Großteil der Bürger die D-Mark wollte und nach den gleichen Lebensverhältnissen wie im Westen strebte. Diesem Druck konnten auch die vorsichtigen Politiker aus dem Westen, die den Prozess eher langsam vorantreiben wollten, nichts entgegensetzen. »Das, was 1989 passiert ist, ist so unendlich überraschend gewesen, niemand hatte ein Szenario dafür«, beschreibt Adriana Lettrari.
Die beiden
Koreas lernen von den Fehlern der Deutschen
Die beiden Koreas lernen aus den Fehlern des
deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Adriana Lettrari ist genauso wie Hans-Joachim
Maaz von Mitarbeitern eines Wiedervereinigungsministeriums in Südkorea befragt
worden, die den deutschen Einheitsprozess genauestens analysieren und einen
Plan für die Zusammenführung der beiden Koreas entwickeln.
Wo liegen
die Fehler?
Aus Sicht von Hans-Joachim Maaz besteht der
Grundfehler der Deutschen Einheit darin, dass die Ostdeutschen nach der
friedlichen Revolution nicht die Macht in ihrem eigenen Land übernommen hätten.
»Wir sind übergelaufen.« Es gab keinen Einigungsprozess, keine neue, gemeinsam
entwickelte Verfassung. Die Menschen im Osten hätten das vermeintlich bessere
Leben des Westens gewählt. Keine der beiden Seiten habe danach gefragt, was
vielleicht aus der DDR bewahrenswert gewesen wäre oder was vielleicht am
westdeutschen Leben falsch war.
Axel Vornam spricht von einer mehrfachen Enteignung der Ostdeutschen. Sie hätten die Freiheit gewählt und einen Verlust ihrer Arbeitsplätze, eine Aberkennung ihrer Lebensleistung und einen Elitenaustausch erfahren, der bis heute nachwirkt. »Die Frustrationen im Osten ist kein Ergebnis der DDR, sondern sie resultieren aus den zum Teil bitteren Erfahrungen danach.«
»Wie kann es sein, dass nur 1,7 Prozent der Führungspositionen in Deutschland mit Ostdeutschen besetzt sind«, fragt Lettrari. Jetzt sei es an der Zeit, dass ihre Generation der Nachwendekinder mit den Erfahrungen beider Systeme an die Reihe komme, in Führungspositionen aufzusteigen, um wieder ein gesellschaftliches Gleichgewicht herzustellen. Und sie ergänzt: Mit den Erfahrungen von heute: Würde man das heute noch einmal genauso machen? Gibt es vielleicht auch so etwas wie eine Scham der Westdeutschen über die Versäumnisse des Einigungsprozesses?
»Scham? Nein!«, sagt Sabrow. »Sorgen? Sehr wohl!« Er kritisiert das sich Einrichten in den deutsch-deutschen Befindlichkeiten, vermisst die Einordnung der Ereignisse von 1989/90 in die globalen Zusammenhänge. Er ist sehr stolz auf das Institut, das er leitet und beschreibt: »Wir haben uns sehr lange unsere Biografien erzählt. Viele meiner Mitarbeiter sind ost-westdeutsche Hybridwesen.«
Den Osten
nicht in die rechte Ecke stellen
»Aber sind all diese Versäumnisse ein Grund,
dass man rechtsradikal wählt?«, zeigt Sabrow sein Unverständnis für die Stärke
der AfD in Ostdeutschland.
Maaz betont, dass viele AfD-Wähler einzig und allein, um den größtmöglichen
Protest zu äußern und den etablierten Parteien den schmerzhaftesten Denkzettel
zu erteilen, so und nicht anders abstimmten. Die wenigsten von ihnen hätten eine
rechtsradikale Gesinnung. Er sieht eine große Gefahr darin, den Osten in die
braune Ecke zu stellen. Stattdessen solle man lieber nachfragen, wo die
Ursachen für dieses Verhalten lägen. Aber damit müsse man die gesamte deutsche
Entwicklung der letzten 30 Jahre hinterfragen – in Ost- wie in Westdeutschland.
Adriana Lettrari konstatiert die massenhafte Abwanderung der gut ausgebildeten
Nachwendekinder, die ein politisches Gegengewicht bilden könnten, in den
Westen. Im Übrigen hätten von den 34 000 AfD-Mitgliedern 27 000
Frauen und Männer und 90 Prozent des Führungspersonals eine westdeutsche
Biografie.
Vornam glaubt, dass die Hoffnungen, die der Osten gegenüber der Demokratie und
den Versprechungen der Politik gehegt habe, nicht aufgegangen seien. »Diese
Hoffnung war in gewisser Weise naiv.«
Stimmen
aus dem Publikum
Richtig heiß her ging es, als das Publikum in
die Diskussion einbezogen wurde – hier einige Stimmen:
Sind die
Menschen im Osten und zunehmend auch die im Westen vielleicht irritiert von den
Auswüchsen des Kapitalismus?
Eigentlich
hat man im Osten ja gelernt, wie der Kapitalismus funktioniert. Aber das haben
die Menschen so schnell vergessen. Antikapitalismus und Antifaschismus – beides
wurde sehr schnell über Bord geworfen.
Es gibt
nicht d e n Osten und d e n Westen. Die Biografien in
beiden Teilen Deutschlands sind sehr unterschiedlich!
Ich habe
hier aus dem Westen mit großer Spannung auf die Ereignisse in Ostdeutschland
geschaut und gehofft, dass man sich dort einen eigenen, freien Staat schafft.
Und so weiter und so fort …
Moderator Prof. Dr. Martin Sabrow konnte nur
konstatieren: »Wir merken angesichts der heftigen Diskussionen: Es geht um was! Das Thema lässt
niemanden kalt.«
Aber wo sonst als im Theater gibt es die Möglichkeit, sich mit Gründlichkeit
dieser Thematik anzunehmen und in den Dialog zu treten, der so überfällig ist.
Geredet wurde auch im Anschluss an die Podiumsdiskussion lange und ausführlich. Die nächste Gelegenheit zur Fortführung des Dialogs gibt es am 4. November im Kinostar Arthaus-Kino. Hier läuft der Grimme-Preis-gekrönte Film: »Novembertage – Stimmen und Wege« von Marcel Ophüls. Im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit dem Filmpublizisten Ralph Eue statt.
Was und wie erzählt Theater über Wissenschaft? Wie
nutzt Wissenschaft die Mittel des Theaters zur Wissensvermittlung? In einem
neuartigen Festival erforschen die experimenta und das Theater Heilbronn ihre
gemeinsamen Schnittstellen und präsentieren sechs ungewöhnliche,
abwechslungsreiche, spannende Gastspiele und Projekte, die sich mit
Wissenschaftsgeschichte ebenso beschäftigen wie mit den drängenden
Zukunftsfragen. Publikumsgespräche, Talk-Runden mit Experten und – als
besonderes Highlight – ein im Rahmen des Festivals ausgeschriebener
internationaler Science-Dramenwettbewerb ergänzen das Programm.
Aus 27 eingeschickten internationalen Theaterstücken
hat eine fünfköpfige Jury die drei besten ausgewählt, die nun am letzten
Festivaltag in szenischen Lesungen vorgestellt werden. Ob nun Christina
Ketterings gar nicht so ferne Zukunftsvision »Schwarze Schwäne« (D), Stef
Smiths Thriller »Girl in the Machine« (GB) oder Charles Ways philosophisches
Spiel »Endstation Leben« (GB) in der nächsten Spielzeit im Science Dome
inszeniert werden wird, entscheidet auch das Publikum am 9. November ab 15 Uhr
mit.
Den Auftakt im spektakulären Science Dome der
experimenta macht aber schon am Mittwoch, 6. November, um 20 Uhr, das deutsch
israelische Künstlerduo half past selber schuld, alias Ilanit Magarshak-Riegg und Sir
ladybug beetle. Mit Musik und Tanz, Animationsfilm und Figurentheater schaffen
sie überbordende »Bühnencomics« und nehmen in »Kafka in Wonderland« die Zukunft ins Visier: Dort
wirbt die Firma Wonderland inc. für endloses Leben und bietet den Upload des
Bewusstseins in die Wonderland-Cloud an – vollauflösend und in bester Qualität.
Doch der verheißene Fortschritt birgt einige tiefe Abgründe … Eine zweite
Vorstellung im Science Dome findet am 7. November um 20 Uhr statt.
Am selben Ort reist das Brachland
Ensemble am Samstag, 9. November, um 14 und 18 Uhr, in das Innere des Gehirns
des informationsüberforderten Brian, wo Brain, eine Art Arbeiter zwischen den
Synapsen, Brians Geistesblitz hinterherjagt. »The Curiosity of Brain« mischt
lustvoll fantasievolle Hirnforschung, Physical Theatre und Animationsfilm.
Mit dem Theater an der Parkaue aus Berlin gastiert
eines der renommiertesten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands in der BOXX.
Das preisgekrönte Stück »In dir schläft ein Tier« (ab 9 Jahren) von Oliver
Schmaering erzählt vom Kampf der Mediziner Ehrlich und von Behring gegen die
Diphterie und hat durch die Diskussion über die Impfpflicht eine zusätzliche
Aktualität erhalten. Die beiden Vorstellungen (auch für Schulen geeignet) finden
am Donnerstag, 7. November, um 11 und 18 Uhr in der BOXX statt.
Das sind nur drei
Beispiele aus einem dichten Programm. Das Théâtre Nouvelle Génération aus Lyon
fragt in ihrer Installation »Artefact«: Kann es Theater ohne Menschen geben? »Dr.
Wahn« erklärt seine all-umfassende Theorie der Welt. Und die Gruppe Meinhardt
& Krauss aus Stuttgart erzählt in »ELIZA uncanny love« eine ganz neue
Variante der »Pygmalion«-Geschichte – mit Robotik. In Publikumsgesprächen und
den Talk-Runden »Geht es auch ohne Helden?« und »Müssen wir Angst vor der
Zukunft haben?« gibt es die Möglichkeit, sich mit den Künstlern und namhaften
Experten auszutauschen.
Ein Gespräch mit Dr. Mirjam Meuser über »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft«
Aus Anlass des 30. Jahrestages des Mauerfalls widmet sich das Theater Heilbronn in einer ganzen Veranstaltungsreihe dem Thema Deutsche Einheit. Unter dem Titel »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« finden monatliche Lesungen, Gesprächsrunden und Filmabende in Kooperation mit dem Kinostar Arthaus-Kino statt. Inhalt aller Veranstaltungen ist es, gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen aus ihrem historischen Kontext heraus zu untersuchen. Kuratorin der Reihe ist Dr. Mirjam Meuser, Dramaturgin am Theater Heilbronn. Pressereferentin Silke Zschäckel hat sich mit ihr unterhalten.
S.Z.: »Erinnerung ist Liebe zur
Zukunft« – ein sehr schöner, sehr poetischer Titel: Woher kommt er?
M.M.: Eigentlich ist das der
Titel eines Heiner-Müller-Interviews, nur leicht abgewandelt. Der Titel heißt
ursprünglich »Nekrophilie ist Liebe zur Zukunft«. Die Liebe zu den Toten, das
Ausgraben der Toten – das ist die Liebe zur Zukunft. Das ist ein Zentralmotiv
im ganzen Müller’schen Werk. Ich habe das umgewandelt in »Erinnerung ist Liebe zur
Zukunft«, damit es nicht ganz so morbid klingt. Und zum anderen gibt es in der
Geschichtswissenschaft das Teilgebiet der Erinnerungsforschung, und darauf
wollte ich mich beziehen.
S.Z.: Woher rührt dein Interesse
für dieses Thema – die Beschäftigung mit der deutsch-deutschen, insbesondere
auch mit der ostdeutschen Geschichte, obwohl du aus Bayern stammst?
M.M.: Zunächst mal liegt das an
meinem grundsätzlichen Interesse für Geschichte. Und dann ist es eine
Geschichte, mit der ich unmittelbar konfrontiert worden bin, weil ich während
meines Studiums in Berlin sehr viele Menschen aus Ostdeutschland kennengelernt
habe, unter anderem meinen Doktorvater. Der brachte mir Heiner Müller nahe, und
damit war es unweigerlich verbunden, dass ich anfing, mich mit der ostdeutschen
und der deutsch-deutschen Geschichte zu beschäftigen. Ich lernte einen ganz
anderen Blick auf die historische Vergangenheit kennen, als ich ihn in der
Schule erlebt habe oder als im Westen Geschichte reflektiert wurde. Da wurde
die ganze Historie des Sozialismus ausgespart, die gab es nicht – oder eben
erst ab 1989. In bin in meinem Literaturstudium komischerweise immer wieder bei
den ostdeutschen Professoren gelandet, ohne dass ich vorher wusste, dass sie
aus der ehemaligen DDR kommen. Und bei den Philosophen, die ich aus Ostdeutschland
kennengelernt habe, spielte das Lehren von Zusammenhängen eine größere Rolle
als beim Studium im Westen, wo das Vertiefen in einzelne Positionen und Autoren
wichtig war, weniger das Woher und das Wohin.
S.Z.: Nach welchen Aspekten hast
du die Reihe konzipiert? Welche Themen wolltest du unbedingt drin haben?
M.M.: Ich habe die Reihe nicht
allein konzipiert. Das war eine Gemeinschaftsarbeit, da sind Ideen vom gesamten
Leitungsteam dabei. Wir haben versucht,
verschiedene Themenschwerpunkte zu setzen. Es war klar, dass es eine
Auftaktveranstaltung geben soll, in der wir die letzten 30 Jahre noch mal
untersuchen. Eine Veranstaltung zum Wirken der Treuhand war Axel Vornam und Uta Koschel, die auch
mitgedacht hat, sehr wichtig. Für mich persönlich ist auch die
Geopolitik-Veranstaltung von Belang, weil ich möchte, dass wir das Thema in
einen größeren globalen Kontext stellen. Denn mit 1989/90 ist nicht nur die DDR
verschwunden, sondern auch die alte BRD. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat
ein massiver weltweiter Veränderungsprozess begonnen. Das kommt erst jetzt so
langsam im gesellschaftlichen Bewusstsein an. Und dann war mir auch wichtig,
die Vorgeschichte der friedlichen Revolution anzuschauen. Die kam ja nicht aus
dem nichts. Welche Entwicklungen haben eigentlich dazu geführt, dass am Ende
die Mauer aufging?
S.Z.: Hast du eine Veranstaltung,
auf die du dich ganz besonders freust?
M.M.: Ich freu mich auf die
erste, weil ich auf die unterschiedlichen Sichtweisen sehr gespannt bin. Wir
haben eine Frau auf dem Podium, Adriana Lettrari, Gründerin des »Netzwerks 3te
Generation Ostdeutschland«, die inzwischen in der Wirtschaftsberatung tätig
ist, außerdem den Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz und den Theatermann Axel
Vornam, die von Martin Sabrow, einem sehr profilierten Historiker befragt
werden. Ich glaube, das kann sehr spannend werden. Ich freue mich auch sehr auf
die Treuhand-Veranstaltung, ein Thema, bei dem, glaube ich, noch viel
Aufarbeitung notwendig ist. Auch da bin ich gespannt auf das Podium. Wir haben den
investigativen Journalisten Dirk Laabs eingeladen, außerdem Marcus Böick, einen
jungen Historiker, der mit seiner Dissertation die erste historische
Aufarbeitung der Geschichte der Treuhand geschrieben hat. Und für die
Moderation kommt André Steiner, ein renommierter Wirtschaftshistoriker, der
sowohl die Geschichte der DDR als auch der BRD kennt.
S.Z.: War es schwierig, die sehr
hochkarätigen Gäste von dem Konzept zu überzeugen oder haben gleich alle
gesagt: Wir sind dabei?
M.M.: Ich habe sehr oft die
Erfahrung gemacht, dass die Leute das Konzept gut finden und dass sie deshalb
auch gerne kommen.
S.Z.: Was erhoffst du dir von
dieser Reihe? Sowohl von den einzelnen Abenden als auch als Quintessenz am
Ende?
M.M.: Von den Abenden erhoffe ich
mir spannende Diskussionen, von denen ich mir wünsche, dass sich das Publikum
miteinbeziehen lässt. Ich hoffe auf einen Dialog, einen Austausch – letztlich
auch zwischen Ost und West, um die vielen Vorurteile, die es doch noch gibt,
aufzubrechen und einander besser verstehen zu lernen. Es wäre schön, wenn es
gelingen würde, die subjektiven Sichten und die historischen Zusammenhänge besser
miteinander ins Verhältnis zu setzen. Das wäre mir ganz wichtig.
»Man braucht gar nicht vor ein Publikum zu treten, wenn man nicht bereit ist, etwas von seiner Lebenserfahrung, seinen Gefühlen, seinen Meinungen und seiner Fantasie Preis zu geben.« Ivan
Im Generationenclub treffen Welten aufeinander, jung, alt,
Ost, West, verwurzelt, zugezogen, Nord, Süd, nah und fern. Alle Spieler bringen
ihre Lebensgeschichten und -erfahrungen mit, aus denen ein eigenes Stück
entsteht.
In diesem Jahr ist die Stückentwicklung »Das Gewebe der
Gegenwart braucht rote Fäden« entstanden. Orientiert am Spielzeitmotto
SINNSUCHER_NoLimits haben sich die Spieler auf die Suche gemacht nach dem, was
dem Leben einen Sinn gibt. Geschichten, Erfahrungen, Lebensfäden werden immer
wieder verknüpft, beschreibt Andrea die Entstehung des Stückes.
Ob es Geschichten aus ihrer Kindheit in einer anderen fernen
Heimat sind, Geschichten vom Ankommen, Geschichten vom Altsein, vom Jungsein.
Manche Geschichten erzählen über Krieg, der sich vor über siebzig in das Leben
der Menschen einschrieb, als die Erzählenden noch Kinder waren. Jetzt wird er mit
den Erfahrungen junger Menschen von heute in Verbindung gebracht. Parallelen zu
den Erzählungen Geflüchteter, die heute in Deutschland Schutz suchen, werden
offenbar. So laufen hier jeden Mittwoch Geschichten aus vielen Ländern und
Kulturen, unterschiedlicher Generationen zusammen und werden im Spiel
verwoben.
Egal ob die Spieler seit der ersten Stunde des Generationenclubs
vor sechs Jahren wie Ivan, Bruni, Beate, Edi, Andrea und Barbara dabei oder erst in den
letzten Monaten hinzugekommen sind wie Stefan, Sebastian, Alara und Sam, sie
alle finden im wöchentlichen Training zueinander. In der Arbeit – mit
Clubleiterin Evelyn Döbler – am eigenen Stück lernen sie alle viel über sich und
die anderen und erfahren, wie aus einer willkürlichen Gruppe eine Gemeinschaft
wachsen kann. Dank des Clubs, sagt Andrea, habe sie gelernt, zu sehen welches
Potential in ihr selbst und auch den anderen schlummert.
Es ist die Freude, die Gemeinschaft, das gemeinsame
Nachdenken, das Spielen, das Lachen, die Verbindung mit den anderen, das
voneinander Lernen, was die Clubber antreibt, sich jeden Mittwoch zu treffen. Es
ist das Zuhören, das Gehörtwerden, das ihnen Kraft, Hoffnung, Stärke gibt einen
Platz zu finden, im Club, in der Gruppe, aber auch den eigenen Platz in der
Gesellschaft besser auszuloten. Das
alles übertragen sie in ihre Stücke.
Wie Achtsam bin ich gegenüber anderen? Wie gehen wir miteinander um? Wo ist mein Platz in dieser Gesellschaft? Was können wir voneinander lernen? Was verbindet uns? Was trennt uns? Was gibt uns Halt? Wonach suchen wir im Leben? Das sind die Fragen denen sie sich gestellt haben. Jede Woche treten sie miteinander neu in Kontakt. Begegnen sich freundschaftlich mit Vertrauen, Verständnis und ihren Texten, die sie im Spiel zusammenbringen. Beharrlich und mit großem Einfühlungsvermögen für jeden einzelnen treibt Clubleiterin Evelyn Döbler die Gruppe voran. Mit Disziplin, Kraft und Kreativität suchen sie nach dem Verbindenden im Club und in der Gesellschaft. So wird der Club für sie zu einem Ort des Ankommens, der Erdung, der Einbettung im Hier und Jetzt, in Heilbronn. Ihr Stück ist der Wunsch, etwas davon hinauszutragen, von diesem Gefühl der Gemeinschaft und den Geschichten, die in ihr entstehen können.
Jeden Mittwoch trifft sich in der Theaterwerkstatt der Generationenclub. Eine bunte Mischung verschiedenster Menschen, von Jung bis Alt, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Erfahrungen. Im Generationenclub suchen sie den Austausch im Zusammenspiel. Gemeinsam über ein Jahr hinweg erschaffen sie eine Geschichte. Dabei werden sie von Evelyn Döbler angeleitet. Sie unterstützt, fördert und fordert ihre Clubber. Das Motto der jeweiligen Spielzeit setzt den Rahmen für das Stück, mit dem die Spieler jedes Jahr im Oktober auf die Bühne gehen. In diesem Jahr ist es »#SINNSUCHER_NoLimits«, das den Clubbern als Inspiration dient.
Andrea, Edi, Ivan, Beate, Heide, Barbara und Bruni bilden
den beständigen Kern der Gruppe, sie sind schon seit der Gründung des
Generationenclubs vor sieben Jahren dabei. Alara, Alicia, Amelie, Stefan und
Sebastian sind vor ein paar Jahren dazugekommen. Sam ist erst seit einem halben
Jahr dabei. Keiner von ihnen ist Schauspieler oder Autor. Das was sie erzählen,
sind Bruchstücke des Lebens, ihres Lebens. In den Proben werden sie mit den
Texten der anderen zu einem gemeinsamen Stück verwoben.
Meist beginnen die Proben mit einem kurzen Austausch und dem gemeinsamen Lesen
von Texten. Wenn Neue in den Theaterclub hinzugekommen sind, steht das
Kennenlernen und Zuhören im Fokus. Jeder aus der Gruppe bringt seine Biografie
mit – die eine kürzer, die andere länger, manche wechselvoller. Sie alle haben
etwas zu erzählen, doch nicht alle in der gleichen Sprache, denn sie kommen aus
Tschechien, Rumänien, Russland und dem Iran.
Wie schafft man ein Verstehen, das Erzählen einer gemeinsamen Geschichte, wenn
die Sprache nicht vereint, manchmal unverständlich bleibt? Die Clubber begeben
sich auf die Suche nach dem Sinn, dem roten Faden, der alle verbindet. Dabei
spielen für die Clubber alle unsere Sinne eine Rolle. Alicia, bringt es auf den
Punkt, als sie während der Proben feststellt, dass es nicht immer viele Worte
braucht, um etwas zu erzählen.
So machen sich die Clubber auf die Suche nach den roten Fäden die sie, die uns miteinander verbinden. Was sind die Elemente und Punkte, die Verbindungen schaffen? Gemeinsam knüpfen sie ein Netz aus ihren Geschichten. Suchen im Rhythmus des anderen nach dem eigenen, in der Begegnung nach dem einander Erkennen, in der Berührung nach dem sich Kennenlernen. So rückt im Zusammentreffen von Jung und Alt die Zeit in den Mittelpunkt der Geschichte. Vom Tick, Tack des Verstreichens der Zeit das Alara, die Jüngste der Gruppe, in die Geschichte einbringt, blickt die nächste Spielerin zurück in ihre Jugend, die in einer anderen Zeit, einer anderen Welt stattfand. In einer Zeit in der Krieg, Flucht und Vertreibung Europa bestimmten. Erfahrungen, die Menschen heute wieder machen, die Hilfe und Sicherheit in Europa suchen. Sind das nicht auch Erlebnisse, die Menschen verbinden? Die auch eine Gesellschaft mit einander verbindet? Können die Menschenrechte der rote Faden Europas sein? Das sind die Fragen, die während der Proben im Raum stehen. Ob sie von der Gruppe beantwortet werden, bleibt offen.