Das Märchenland sucht den Super-Märchen-Star

Winterzeit ist Märchenzeit

Die BOXX-Kids bei der Erfindung ihrer Märchenfigur.

»Ich bin ein Drache. Ich bin 1000000000 Jahre alt. Am liebsten esse ich Schweine. Da ist es ganz praktisch, dass ich die dann mit meinem gespuckten Feuer direkt grillen kann.«, sagt Anton, 8 , in der ersten Castingrunde von »Das Märchenland sucht den Super-Märchenstar.« Wie, Sie haben von diesem Castingformat noch nie gehört? In den Herbstferien machten sich an zwei Tagen zwölf mutige Kinder zwischen sechs und zehn Jahren zu einer Reise ins Märchenland auf. Doch der Weg war gar nicht so einfach. In verschiedenen Castingrunden durften die Kinder ihre eigene Märchenfigur in der TheaterWerkStatt entwickeln. Dass man sich dazu auch überlegen musste, was die Märchenfigur gern in ihrer Freizeit macht oder am liebsten isst, ist ja ganz klar. So galt es dann, verschiedene Runden zu meistern: Sich vor einer Jury zu präsentieren, ein Ausstellungsobjekt in einem Märchen-Museum zu sein und hier auf viele andere Märchenfiguren zu treffen. Außerdem bauten die Märchensuperstars von morgen aus Rührlöffeln eigene Märchenfigurentheaterpuppen, die in selbst erfundenen kleinen Märchen auf der Bühne glänzen durften. Alle teilnehmenden Märchenfiguren waren so großartig, dass es der Jury um Theaterpädagogin Natascha Mundt nicht schwer fiel, alle Kinder zu Märchenlands nächstem Märchensuperstar zu küren.

Die Märchensuperstars in Aktion.

Doch das waren nicht die einzigen Teilnehmer im Märchen-Casting. Einen Ferientag gab es zudem auch noch im Kinder- und Familienzentrum Augärtle in der Heilbronner Nordstadt. Nur einen Steinwurf vom Probenzentrum des Theaters entfernt treffen sich hier Kinder und Jugendliche aus der Nachbarschaft, um miteinander zu spielen, Sport zu machen, oder einfach nur um zu chillen und eine schöne Zeit zu haben. Warum also nicht die Nachbarschaft nutzen und gemeinsam ein Ferienprojekt auf die Beine stellen, dachte sich Natascha Mundt, die Leiterin der Theaterpädagogik im Theater Heilbronn. Bestens vorbereitet waren die Augärtle-Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren auf den »Theatertag«. Die Erzieherinnen und Erzieher hatten zuvor bereits den Film DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL mit den Kindern geschaut und vorbesprochen. Ganz klar war allen Mädels also, dass sie unbedingt das Aschenbrödel sein möchten. Der einzige Herr der Runde durfte sich als Prinz so nun aus einer Vielzahl von Aschenbrödeln eine aussuchen. Wer die Wahl hat, hat die Qual… Voller Energie erfanden die Kinder gemeinsam und mit der Hilfe von Märchenkarten und Zauberluft viele verschiedene kleine Märchen, tauchten kopfüber in die Verkleidekiste des Augärtle ein und präsentierten stolz ihre eigenen Märchen vor der  Jury aus Erziehern und Theaterfachleuten.

Für die Kids waren es tolle Ferientage am Theater.

Zur Belohnung durften sich alle Kinder am 03. November die Premiere von »DREI HASELNÜSSE FÜR ASCHENBRÖDEL« im Großen Haus anschauen.

Unsere Neuen: Pablo Guaneme Pinilla

Wenn er über sein Ideal vom Schauspielberuf spricht, hat Pablo Guaneme Pinilla ein bestimmtes Bild vor Augen: Von spielenden Kindern im Sandkasten. Mit großer Ernsthaftigkeit und Unbekümmertheit sind sie ganz versunken in das, was sie gerade tun und schaffen mit Phantasie und Gestaltungswillen ganz neue Welten. So wünscht sich der Schauspieler den Probenprozess am Theater – sich ausprobieren, den Text ausloten, tief in die Arbeit eintauchen, das Drumherum ausblenden ohne das, was draußen geschieht, als Impuls für die Arbeit aus den Augen zu verlieren.

Pablo Guaneme Pinilla als Jacques in »Drei Männer und ein Baby«. (Foto: Steffen Nödl)

Pablo Guaneme Pinilla, der seit September fest zum Heilbronner Schauspielensemble gehört, sieht das Theater als Ort des öffentlichen Nachdenkens und Entdeckens, der nichts Geringeres leisten soll, als die Dinge in ihrer Differenziertheit und Zerrissenheit zu zeigen. »Ich bin ein Freund des Widerspruchs«, sagt er. Einfache, plakative Antworten und Parolen von der Bühne herunter interessieren ihn nicht.

Vielleicht war, weil er die Welt immer in ihren Gegensätzen sieht, der Weg ans Theater zwar nicht stringent aber doch irgendwie zwangsläufig. Aufgewachsen ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines kolumbianischen Vaters in Bonn. Während der Kindergarten- und Grundschulzeit war er in der Musikschule und spielte hier Theater. Dann kam erst mal eine ganze Weile nichts dergleichen. Erst in der 12. Klasse absolvierte er einen Theaterkurs und wurde Statist an der Oper in Bonn. »Das hat mir großen Spaß gemacht und war für mich wichtiger als das Abitur«, blickt Pablo Guaneme Pinilla augenzwinkernd zurück. Nach dem Abi ging er für ein freiwilliges soziales Jahr nach Lima in Peru. Hinterher wollte er unbedingt nach Berlin, und er schrieb sich an der Humboldt-Universität für die Fächer Geschichte, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft ein, hatte aber das Gefühl, da nicht wirklich hinzugehören. In seiner Freizeit schloss er sich freien Theatergruppen an und fasste schließlich den Mut, an Schauspielschulen vorzusprechen. Er bestand das strenge Auswahlverfahren an der Schauspielschule »Hans Otto« in Leipzig und stellte sich den Herausforderungen seines neuen Lebens. Nach zwei Jahren geschützter Arbeitsatmosphäre an der Schauspielschule ging es die letzten beiden Jahre ins Schauspielstudio des Theaters Halle. Hier spielte er unter anderem die Titelfigur in Wolfgang Herrndorfs »Tschick« – eine Rolle, die er in ihrer Mischung aus Humor, Ernsthaftigkeit und Abgründigkeit bis heute liebt. Sein erstes Engagement führt ihn für 6 Jahre nach Neuss, wo er in vielen großen und wichtigen Rollen zu sehen war u. a. als Sigfried in Friedrich Hebbels »Die Nibelungen«, als Orlando in Shakespeares »Wie es euch gefällt« sowie als Wurm in Schillers »Kabale und Liebe«. In diesem Jahr war er im Juni mit dem Monolog-Stück „Tāwle – am Kopf des Tisches“ beim Westwind-Festival in Oberhausen eingeladen. Das von Julia-Huda Nahas geschriebene und inszenierte Stück greift die Perspektive eines Deutschen mit syrischen Wurzeln auf, der versucht, seinen im Kriegsgebiet lebenden Verwandten zu helfen. Das war eine sehr schöne, fordernde und intensive Arbeit, die ihm immer als eine seiner liebsten im Gedächtnis bleiben wird.

Pablo Guaneme Pinilla in der Rolle des Prinzen in »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« mit Gabriel Kemmether als Lehrer. (Foto: Thomas Braun)

Jetzt, mit Mitte 30, hatte er Lust auf eine Veränderung  ̶  ein neues Haus, neue Kollegen, andere Regisseure, die Chance weiter zu reifen und eben nicht mehr der junge Schauspielabsolvent zu sein. »Ich freue mich darauf, neu gefordert und neu gesehen zu werden«, sagt er. Er ist gespannt auf die Rollen, die er spielen darf. Bestimmte Wünsche oder Träume hat er nicht: »Ich bin auf alles neugierig, was kommt.« 
Um zu seiner Wohnung zu gelangen, musste Pablo Guaneme Pinilla bis vor kurzem noch einen Ausweis vorzeigen. Denn der Schauspieler ist stolzer Bewohner von Deutschlands größtem Holzhochhaus auf dem BUGA-Gelände. Heilbronn habe ihn positiv überrascht, sagt er: »Die Stadt ist sehr lebendig, mitten in einem positiven Umbruch, das kann man überall spüren.« 

Pablo Guaneme Pinilla könnt Ihr aktuell in »Drei Männer und ein Baby« und »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« sehen.

Unsere Neuen: Winnie Ricarda Bistram

Dass das Leben mitunter dramatischer ist, als es sich Bühnenautoren in ihren kühnsten Phantasien ausdenken können, hat Winnie Ricarda schon früh erfahren. Noch während der Ausbildung am Wiener Max Reinhardt Seminar bekam sie eine Rolle am Akademietheater, der Kammerbühne des Burgtheaters (was für ein Traum!), in dem Schauspiel »Liebe und Information« von Caryl Churchill.  Am Nachmittag des Premierentages wollte sie noch schnell eine Überweisung bei der Bank erledigen. Da hielt ihr plötzlich jemand eine Pistole an den Kopf. Das war kein Theater, sondern ein Banküberfall  ̶  Todesangst statt Premierenfieber. Irgendwann richtete der Räuber die Waffe auf die Bankangestellte, die den Notknopf bestätigte. Winnie Ricarda Bistram und einigen anderen gelang die Flucht. Dann war auch schon die Polizei da, aber der Weg zu ihrem Auftritt war versperrt. Sie sollte als Zeugin vor Ort bleiben und kein Polizist wollte verstehen, dass sie unbedingt ins Theater musste, weil ohne sie diese Premiere nicht stattfinden würde. Erst als ihre Professorin, die verständigt wurde, an den Tatort kam und mit der Polizei verhandelte, durfte sie gehen.

Winnie Ricarda Bistram als Königin in »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« mit Hannes Rittig als König. (Foto: Thomas Braun)

Schon manchmal hatte ihr das Leben auf dem Weg zum Traumberuf ein Bein gestellt. Wie im ersten Vorsprechen an ihrer Lieblingsschauspielschule, dem Max Reinhardt Seminar. Sie war bereits in die zweite Runde gekommen und ignorierte ihre Bauchschmerzen, bis sie schließlich mit einem lebensgefährlichen Blinddarmdurchbruch ins Krankenhaus kam. Aber im drauffolgenden Jahr klappte es  sofort.
Dabei wollte sie als Jugendliche in ihrer Heimatstadt Hamburg alles, nur keine Schauspielerin werden. Ihr Vater arbeitete in diesem Beruf. Sie hatte die Unsicherheiten, die so ein Leben mit sich bringt am Rande mitbekommen. Ihr Vater, der in der DDR lebte, gehörte zum legendären Ensemble von Frank Castorf während dessen »Verbannung« an das winzige Theater Anklam in Vorpommern. Ganz Theater-Ostdeutschland pilgerte damals an diesen kultigen Ort, wo es im Schutz der Provinz aufregende Inszenierungen zu sehen gab. Umso erstaunter ist Winnie Ricarda Bistram, ausgerechnet in Heilbronn auf Kollegen zu treffen, die ihren Vater und den Großvater von der Bühne und von gemeinsamen Arbeiten  kannten.

Winnie Ricarda Bistram spielt in »Drei Männre und ein Baby« gleich mehrere Rollen. Eine davon ist Sylvia, die den drei Machos das Baby vor die Tür stellt. (Foto: Thomas Braun)

Nach dem Abitur studierte sie zunächst Psychologie und Kunstgeschichte in Heidelberg. Doch irgendwann hat sich offenbar das väterliche Erbe bei ihr durchgesetzt, denn der Wunsch, diesen unvorhersehbaren, aufregenden Weg zur Schauspielerei einzuschlagen, brach sich massiv Bahn. »Das Schauspielstudium fühlte sich richtig an. Auch das ganze Auf und Ab, die Selbstzweifel, die einen dabei ständig begleiten, das gehört mit dazu.«  Sie spielte in dieser Zeit auch am Volkstheater Wien und im Theater in der Josefstadt. Nach dem Studium gastierte sie in Berlin und Wilhelmshaven, stand in Kurzfilmen vor der Kamera und nahm an einem großen Kunstprojekt in Berlin teil. Zuletzt spielte sie 180 Vorstellungen der französischen Komödie »Die Lüge« von Florian Zeller im Zimmertheater Heidelberg. Ihr Partner war Peter Volksdorf, ehemaliges Ensemblemitglied in Heilbronn und gerade wieder als Gast am Neckar. Der machte Winnie Ricarda Bistram darauf aufmerksam, dass das Theater Heilbronn gerade junge Schauspielerinnen suchte. Weil der Norddeutschen gerade in Heidelberg die große Liebe über den Weg gelaufen war, wollte sie gern im Süden bleiben und bewarb sich. »Ein Festengagement ist auch mal ganz schön«, sagt sie und hofft darauf, dass sie hier waches, spannendes, politisches Theater machen darf.  So, wie es die Aufgabe von Theater seit der Antike ist. Nicht von ungefähr ist Antigone eine ihrer Lieblingsfiguren, eine 2500 Jahre alte Vorläuferin von Greta Thunberg.

Zusehen ist Winnie Ricarda Bistram aktuell in der Komödie »Drei Männer und ein Baby« und dem Weihnachtsmärchen »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.

Unsere Neuen: Johanna Sembritzki

Sie weiß bis heute nicht warum, aber Johanna Sembritzki hat schon als kleines Kind behauptet, dass sie einmal Schauspielerin wird.

Johanna Sembritzki (Foto: M42)

»Da kann ich alles mal ausprobieren und muss mich nicht für einen Beruf entscheiden, war damals meine Begründung«, erinnert sich die dunkelblondgelockte Frau mit dem Schalk in den Augen.
So richtig Feuer fing sie bei einem Theaterbesuch in ihrer Heimatstadt Bochum. Da sah sie im Theater »Dantons Tod« in der Inszenierung von Leander Haußmann und dachte: Das will ich auch. Die Lucile aus Büchners Revolutionsdrama, die ihrem Mann letztlich bis in den Tod folgt, hat sie tief beeindruckt. Ohnehin war sie bereits als Jugendliche in der Welt der Dramen zu Hause. Noch lieber als Romane las sie Goethe, Schiller, Büchner und Shakespeare, aber auch moderne englische Dramatik wie z.B. Sarah Kane, deren Stücke sie bis ins Mark trafen. In jedem dieser Texte hatte sie eine Figur, die sie besonders liebte und mit der sie sich identifizierte. »Das Gretchen war es komischerweise nie«, sagt sie. Eher so starke und radikale, aber auch gleichermaßen brüchige Charaktere wie Maria Stuart oder Lucile.
Den Wunsch, Schauspielerin zu werden, setzte sie dann aber eher zögerlich um. Der Grund: Ihr Bruder Henning war gerade an der Schauspielschule angenommen worden. »Ich kann doch nicht das gleiche machen wie mein Bruder«, dachte sie.

Die Heilbronner werden sich noch an Henning Sembritzki erinnern, denn er gehörte einige Jahre zum Schauspielensemble des Heilbronner Theaters. Johanna studierte zunächst Polonistik und Afrikanistik in Berlin und bewarb sich schließlich doch heimlich an Schauspielschulen. Wieder war es Büchners Lucile, die sie bei den Vorsprechen begleitete. Von 2001 bis 2005 studierte sie dann in München an der Bayerischen Theaterakademie »August Everding« und stand schon ab dem ersten Studienjahr im Residenztheater München auf der Bühne in Inszenierungen von Dieter Dorn und Thomas Langhoff. Während dieser Zeit spielte sie auch in Doris Dörries Film »Der Fischer und seine Frau« mit. »Es war eine total aufwendige Szene im strömenden Regen auf einem Müllplatz mit einem Baby, die dann aber herausgeschnitten wurde, weil das Kind ununterbrochen schrie.« Heute kann sie darüber lachen.

»Faust. Der Tragödie erster Teil« Johnanna Sembritzki (mitte). Foto: Candy Welz

Nach dem Studium führte ihr erstes Festengagement sie wieder in ihre Heimatstadt ans Schauspielhaus Bochum. Ein Traum, auf der Bühne stehen zu dürfen, auf der sie früher die Darsteller bewundert hat. Als Tochter der Stadt wurde sie besonders vom Publikum und auch von vielen Kollegen ins Herz geschlossen. »Bis heute kennen mich die Leute, wenn ich dort zu Besuch bin und meine Mutter wird oft nach mir gefragt«, sagt sie. Die nächsten Jahre führten sie nach Lübeck, wo sie drei Jahre lang mit ihrem Bruder Henning zusammen auf der Bühne stand. »Wenn wir zusammen spielen, verbindet uns ein Urvertrauen, das nicht vieler Verabredungen bedarf«, sagt sie. In die Lübecker Jahre fiel auch die Geburt ihrer beiden Kinder – Johanna Sembritzki hat einen Sohn und eine Tochter. Fortan musste sie ihren Beruf mit dem Familienalltag unter einen Hut bringen. »Das geht mit viel Selbstdisziplin, einem straffen Tagesplan und einer guten Infrastruktur an Leuten, die einem helfen.« So sehr sie ihren Beruf auch liebt, die Kinder sind ihr größtes Glück. »Sie erden mich und machen mir immer wieder klar, dass es neben den Brettern, die die Welt bedeuten, noch viele andere wichtige Dinge gibt. « Ihr nächstes Engagement führte sie nach Neuss, wo sie die jungen weiblichen Hauptrollen hoch- und runterspielte. »Klar ist es schön, wenn man so jung besetzt wird«, sagt sie. Aber jetzt werde es Zeit für einen Fachwechsel, schließlich hat sie die Mitte 30 schon überschritten – auch wenn man es ihr überhaupt nicht ansieht. Nun also Heilbronn. »Ich liebe diese Bühne«, schwärmt sie. Eine ähnlich schöne Bühne hat sie zuletzt in Bochum erlebt. Sie mag die schiere Größe, aber auch das Gefühl, dass alle, die auf der Bühne und hinter den Kulissen arbeiten, unbedingt wollen, dass es gelingt.    

Sehen könnt Ihr Johanna Sembritzki aktuell in »Germania 3 Gespenster am Toten Mann« und ab dem 23. November 2019 in »Faust. Der Tragögdie erster Teil«.

Ein Inspektor kommt … Schauspieler Oliver Kainz ist in »Revanche« dem Verbrechen auf der Spur

Unser Praktikant Mark Etting sprach mit dem Schauspieler Oliver Kainz über die Figur des Kriminalinspektors Doppler in unserem Kriminalstück »Revanche«, der mit kühler Überlegung einem Verbrechen auf der Spur ist. Oliver Kainz verstärkt als Gast unser Ensemble in der Inszenierung von Marcus Everding, die am 16. November 2019 um 20.00 Uhr im Komödienhaus Premiere hat.

Etting: Herr Kainz, Sie kommen als Gast ans Theater Heilbronn für die Rolle des Inspektor Doppler in »Revanche«. Wie kam es dazu?

Kainz: Nun, Herr Vornam, der Intendant, hat mich in der Vorstellung »Ein Inspektor kommt« von Priestley gesehen und mich quasi noch in der Kantine engagiert. Ich hatte Zeit und Lust, und nun bin ich hier.

Etting: Sie sind ja halb Engländer…

Kainz: Ja, meine Mutter stammt aus Bristol. Aufgewachsen bin ich aber in Stuttgart.

Etting: War der englische Hintergrund hilfreich für die Rolle?

Kainz: Nun, mit dem Hintergrund konnte ich mich schon besser, also ich meine gut in die Rolle eines englischen Inspektors einfühlen. Da kommt doch einiges immer wieder hoch. Was nicht heißen soll, dass die Kollegen es nicht auch gut machen. Ein tolles Klima auf den Proben.

Etting: Kommen wir zur Rolle. Was ist Inspektor Doppler für eine Figur?

Kainz: Eine sehr spannende, sag ich jetzt mal so. Also, er gibt ja den schrulligen Landpolizisten, der sich dem erfolgreichen Krimi Schriftsteller Wyke quasi unterordnet, um dann den Spieß sozusagen umzudrehen und Wyke regelrecht vorzuführen. Das können Sie sich so vorstellen, wie den Inspektor Colombo. »Ich hätte da noch eine Frage.« (lacht)

Oliver Kainz als Inspektor Doppler


Etting: Doppler überführt also Andrew Wyke?

Kainz: Doch, schon. Er kann seinen Job total gut. Und auch das Publikum wird den Doppler am Anfang unterschätzen.

Etting: Man will also, dass Wyke erwischt wird?

Kainz: Wir wollen hier nichts verraten. Das ist schließlich ein Kriminalstück. Wäre doch schade, wenn das bei Ihnen schon alles nachlesen kann.

Etting: Mal eine Frage an Ihre Herangehensweise: Wie legen Sie den Inspektor an?

Kainz: Ich würde sagen hintergründig, doch. Spiegelnde Facetten, die sich in den Widersprüchen zu gefährlich blitzenden Glassplittern entwickeln.

Etting: Das klingt aber spannend.

Kainz: Ja, das hat Shaffer schon gut geschrieben.

Etting: Und dieser Doppler taucht ja eher überraschend spät im Stück auf.

Kainz: Genau. Also, wenn man das Programmheft nicht gelesen hat, weiß man das erst einmal nicht. Die Figur bezieht aus diesem Überraschungseffekt natürlich ihre Wirkung.

Oliver Kainz als Inspektor Doppler im Verhör mit Andrew Wyke (Nils Brück)

Etting: Man darf also gespannt sein. Ihre nächsten Pläne?

Kainz: Urlaub.

Etting: Verraten Sie uns wohin?

Kainz: Nein. Finden Sie’s heraus.

Etting: Danke für dieses Gespräch.

Das Kriminalstück »Revanche« können sie ab dem 16. November 2019 bis Silvester im Komödienhaus erleben.

Würde man es heute noch einmal genauso machen?

Auftaktveranstaltung der Reihe »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« zieht eine Bilanz von 29 Jahren Deutscher Einheit

Es war eine emotionsgeladene, hochspannende und anregende Diskussion, mit der die Veranstaltungsreihe »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« in der sehr gut besuchten BOXX des Theaters Heilbronn eröffnet wurde. »29 Deutsche Einheit – eine Bilanz«, so lautete der schlichte Titel. Über die Situation in Deutschland, das seit 29 Jahren wiedervereint, aber von einer wirklichen Einheit weit entfernt ist, diskutierten: Dr. Adriana Lettrari, Organisationsberaterin, Publizistin und Mitbegründerin des Netzwerks „3te Generation Ostdeutschland“; Dr. Hans-Joachim Maaz, der Vorsitzende des Instituts für Tiefenpsychologie und psychosoziale Prävention e. V. und Gründer der Hans-Joachim Maaz – Stiftung Beziehungskultur und Heilbronns Intendant Axel Vornam, der durch seine deutsch-deutsche Biographie und seine Arbeit als politisch wirkender Künstler die Umbrüche der deutschen Geschichte aus einer besonderen Perspektive betrachtet. Zwischen Moderation und Diskussion switchte Prof.Dr. Martin Sabrow munter und souverän hin und her, er ist Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam und Professor für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Endlich kommt die Debatte im Westen an

Endlich, sagt Dr. Adriana Lettrari, kommt die Debatte über die Erfolge und Misserfolge des Deutschen Einheitsprozesses auch in Westdeutschland an. Vor fünf Jahren, zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, fanden diese Gesprächsrunden fast ausschließlich im Osten statt, der Westen hat sich nicht dafür interessiert. Auch Prof. Dr. Martin Sabrow freut sich, dass das Theater in einer westdeutschen Stadt mit der Reihe »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« auf die Bilanz der letzten 30 Jahre schaut. Und er fragt, warum wir mehr die Einheit, als die Freiheit feiern. Dr. Hans-Joachim Maaz, der von Sabrow als »Experte für ostdeutsche Befindlichkeiten« vorgestellt wurde, nannte den Mauerfall das größte Ereignis seines Lebens. Aber mit der Einheit, mit der sei er nicht zufrieden. Er unterscheidet zwischen der »äußeren Freiheit« der offenen Grenzen und der Reisemöglichkeiten, die ganz klar errungen wurde, und der »inneren Freiheit«, von der man weit entfernt sei. Innere Freiheit bedeute für ihn, dass sich das »Selbst« frei entfalten kann, dass mantun kann, was man will, oder sich aus Einsicht zurückhält. »Wie kann es sein, dass die Meinungsfreiheit vom Mainstream wieder derartig eingeengt wird«, fragt er. Und außerdem: Sich darstellen und immer verkaufen zu müssen, damit kämen viele Menschen aus dem Osten nicht klar.

Nach dem heißen Herbst 89 kam die Ernüchterung

Axel Vornam beschreibt die Zeit zwischen September und November 1989, den heißen Herbst 89, als spannendste Zeit. Er selbst moderierte an seiner damaligen Wirkungsstätte, dem Theater Rudolstadt den »Dialog 89«, in dem die Menschen diskutierten, wie man die DDR zu einem freiheitlichen, demokratischen Staat formen kann. »Zwischen ›Wir sind d a s Volk‹ und ›Wir sind e i n Volk‹ lagen gerade mal sechs Wochen«. Danach sei es mit den demokratischen Reformen auf dem Gebiet der DDR vorbei gewesen. Es sei nur noch um die Einheit gegangen, die dann eher ein Anschluss der DDR wurde, erinnert er sich. Viele Künstler und Intellektuelle hätten sich von dem Augenblick an aus der gesellschaftlichen Debatte zurückgezogen. Prof. Sabrow konstatiert die Enttäuschung, die 1990 auf die Euphorie der friedlichen Revolution folgte, merkt aber auch an, dass die DDR nicht einfach von der alten Bundesrepublik übernommen worden sei, sondern dass ein Großteil der Bürger die D-Mark wollte und nach den gleichen Lebensverhältnissen wie im Westen strebte. Diesem Druck konnten auch die vorsichtigen Politiker aus dem Westen, die den Prozess eher langsam vorantreiben wollten, nichts entgegensetzen.
»Das, was 1989 passiert ist, ist so unendlich überraschend gewesen, niemand hatte ein Szenario dafür«, beschreibt Adriana Lettrari.

Die beiden Koreas lernen von den Fehlern der Deutschen

Die beiden Koreas lernen aus den Fehlern des deutsch-deutschen Zusammenwachsens. Adriana Lettrari ist genauso wie Hans-Joachim Maaz von Mitarbeitern eines Wiedervereinigungsministeriums in Südkorea befragt worden, die den deutschen Einheitsprozess genauestens analysieren und einen Plan für die Zusammenführung der beiden Koreas entwickeln.

Wo liegen die Fehler?

Aus Sicht von Hans-Joachim Maaz besteht der Grundfehler der Deutschen Einheit darin, dass die Ostdeutschen nach der friedlichen Revolution nicht die Macht in ihrem eigenen Land übernommen hätten. »Wir sind übergelaufen.« Es gab keinen Einigungsprozess, keine neue, gemeinsam entwickelte Verfassung. Die Menschen im Osten hätten das vermeintlich bessere Leben des Westens gewählt. Keine der beiden Seiten habe danach gefragt, was vielleicht aus der DDR bewahrenswert gewesen wäre oder was vielleicht am westdeutschen Leben falsch war.

Axel Vornam spricht von einer mehrfachen Enteignung der Ostdeutschen. Sie hätten die Freiheit gewählt und einen Verlust ihrer Arbeitsplätze, eine Aberkennung ihrer Lebensleistung und einen Elitenaustausch erfahren, der bis heute nachwirkt. »Die Frustrationen im Osten ist kein Ergebnis der DDR, sondern sie resultieren aus den zum Teil bitteren Erfahrungen danach.«

»Wie kann es sein, dass nur 1,7 Prozent der Führungspositionen in Deutschland mit Ostdeutschen besetzt sind«, fragt Lettrari. Jetzt sei es an der Zeit, dass ihre Generation der Nachwendekinder mit den Erfahrungen beider Systeme an die Reihe komme, in Führungspositionen aufzusteigen, um wieder ein gesellschaftliches Gleichgewicht herzustellen. Und sie ergänzt: Mit den Erfahrungen von heute: Würde man das heute noch einmal genauso machen? Gibt es vielleicht auch so etwas wie eine Scham der Westdeutschen über die Versäumnisse des Einigungsprozesses?

»Scham? Nein!«, sagt Sabrow. »Sorgen? Sehr wohl!« Er kritisiert das sich Einrichten in den deutsch-deutschen Befindlichkeiten, vermisst die Einordnung der Ereignisse von 1989/90 in die globalen Zusammenhänge. Er ist sehr stolz auf das Institut, das er leitet und beschreibt: »Wir haben uns sehr lange unsere Biografien erzählt. Viele meiner Mitarbeiter sind ost-westdeutsche Hybridwesen.«

Auf dem Podium in der BOXX: Axel Vornam, Dr. Adriana Lettrari, Prof. Dr. Martin Sabrow. Dr. Hans-Joachim Maaz (vl.nr.)

Den Osten nicht in die rechte Ecke stellen

»Aber sind all diese Versäumnisse ein Grund, dass man rechtsradikal wählt?«, zeigt Sabrow sein Unverständnis für die Stärke der AfD in Ostdeutschland.
Maaz betont, dass viele AfD-Wähler einzig und allein, um den größtmöglichen Protest zu äußern und den etablierten Parteien den schmerzhaftesten Denkzettel zu erteilen, so und nicht anders abstimmten. Die wenigsten von ihnen hätten eine rechtsradikale Gesinnung. Er sieht eine große Gefahr darin, den Osten in die braune Ecke zu stellen. Stattdessen solle man lieber nachfragen, wo die Ursachen für dieses Verhalten lägen. Aber damit müsse man die gesamte deutsche Entwicklung der letzten 30 Jahre hinterfragen – in Ost- wie in Westdeutschland.
Adriana Lettrari konstatiert die massenhafte Abwanderung der gut ausgebildeten Nachwendekinder, die ein politisches Gegengewicht bilden könnten, in den Westen. Im Übrigen hätten von den 34 000 AfD-Mitgliedern 27 000 Frauen und Männer und 90 Prozent des Führungspersonals eine westdeutsche Biografie.
Vornam glaubt, dass die Hoffnungen, die der Osten gegenüber der Demokratie und den Versprechungen der Politik gehegt habe, nicht aufgegangen seien. »Diese Hoffnung war in gewisser Weise naiv.« 

Stimmen aus dem Publikum

Richtig heiß her ging es, als das Publikum in die Diskussion einbezogen wurde – hier einige Stimmen:

Sind die Menschen im Osten und zunehmend auch die im Westen vielleicht irritiert von den Auswüchsen des Kapitalismus?

Eigentlich hat man im Osten ja gelernt, wie der Kapitalismus funktioniert. Aber das haben die Menschen so schnell vergessen. Antikapitalismus und Antifaschismus – beides wurde sehr schnell über Bord geworfen.

Es gibt nicht d e n Osten und d e n Westen. Die Biografien in beiden Teilen Deutschlands sind sehr unterschiedlich!

Ich habe hier aus dem Westen mit großer Spannung auf die Ereignisse in Ostdeutschland geschaut und gehofft, dass man sich dort einen eigenen, freien Staat schafft.

Und so weiter und so fort …

Moderator Prof. Dr. Martin Sabrow konnte nur konstatieren: »Wir merken angesichts der heftigen Diskussionen: Es geht um was! Das Thema lässt niemanden kalt.« 
Aber wo sonst als im Theater gibt es die Möglichkeit, sich mit Gründlichkeit dieser Thematik anzunehmen und in den Dialog zu treten, der so überfällig ist.

Geredet wurde auch im Anschluss an die Podiumsdiskussion lange und ausführlich. Die nächste Gelegenheit zur Fortführung des Dialogs gibt es am 4. November im Kinostar Arthaus-Kino. Hier läuft der Grimme-Preis-gekrönte Film: »Novembertage – Stimmen und Wege« von Marcel Ophüls. Im Anschluss findet ein Publikumsgespräch mit dem Filmpublizisten Ralph Eue statt.

Countdown für ein neues Festival

Was und wie erzählt Theater über Wissenschaft? Wie nutzt Wissenschaft die Mittel des Theaters zur Wissensvermittlung? In einem neuartigen Festival erforschen die experimenta und das Theater Heilbronn ihre gemeinsamen Schnittstellen und präsentieren sechs ungewöhnliche, abwechslungsreiche, spannende Gastspiele und Projekte, die sich mit Wissenschaftsgeschichte ebenso beschäftigen wie mit den drängenden Zukunftsfragen. Publikumsgespräche, Talk-Runden mit Experten und – als besonderes Highlight – ein im Rahmen des Festivals ausgeschriebener internationaler Science-Dramenwettbewerb ergänzen das Programm.

Aus 27 eingeschickten internationalen Theaterstücken hat eine fünfköpfige Jury die drei besten ausgewählt, die nun am letzten Festivaltag in szenischen Lesungen vorgestellt werden. Ob nun Christina Ketterings gar nicht so ferne Zukunftsvision »Schwarze Schwäne« (D), Stef Smiths Thriller »Girl in the Machine« (GB) oder Charles Ways philosophisches Spiel »Endstation Leben« (GB) in der nächsten Spielzeit im Science Dome inszeniert werden wird, entscheidet auch das Publikum am 9. November ab 15 Uhr mit.

»Kafka in Wonderland« (Foto: Krischan Ahlborn)

Den Auftakt im spektakulären Science Dome der experimenta macht aber schon am Mittwoch, 6. November, um 20 Uhr, das deutsch israelische Künstlerduo half past selber schuld, alias Ilanit Magarshak-Riegg und Sir ladybug beetle. Mit Musik und Tanz, Animationsfilm und Figurentheater schaffen sie überbordende »Bühnencomics« und nehmen in »Kafka in Wonderland« die Zukunft ins Visier: Dort wirbt die Firma Wonderland inc. für endloses Leben und bietet den Upload des Bewusstseins in die Wonderland-Cloud an – vollauflösend und in bester Qualität. Doch der verheißene Fortschritt birgt einige tiefe Abgründe … Eine zweite Vorstellung im Science Dome findet am 7. November um 20 Uhr statt.

Am selben Ort reist das Brachland Ensemble am Samstag, 9. November, um 14 und 18 Uhr, in das Innere des Gehirns des informationsüberforderten Brian, wo Brain, eine Art Arbeiter zwischen den Synapsen, Brians Geistesblitz hinterherjagt. »The Curiosity of Brain« mischt lustvoll fantasievolle Hirnforschung, Physical Theatre und Animationsfilm.

»The Curiosity of Brain« (Foto: Brachland Ensemble)

Mit dem Theater an der Parkaue aus Berlin gastiert eines der renommiertesten Kinder- und Jugendtheater Deutschlands in der BOXX. Das preisgekrönte Stück »In dir schläft ein Tier« (ab 9 Jahren) von Oliver Schmaering erzählt vom Kampf der Mediziner Ehrlich und von Behring gegen die Diphterie und hat durch die Diskussion über die Impfpflicht eine zusätzliche Aktualität erhalten. Die beiden Vorstellungen (auch für Schulen geeignet) finden am Donnerstag, 7. November, um 11 und 18 Uhr in der BOXX statt.

»In dir schläft ein Tier« (Foto: Christian Brachwitz)

Das sind nur drei Beispiele aus einem dichten Programm. Das Théâtre Nouvelle Génération aus Lyon fragt in ihrer Installation »Artefact«: Kann es Theater ohne Menschen geben? »Dr. Wahn« erklärt seine all-umfassende Theorie der Welt. Und die Gruppe Meinhardt & Krauss aus Stuttgart erzählt in »ELIZA uncanny love« eine ganz neue Variante der »Pygmalion«-Geschichte – mit Robotik. In Publikumsgesprächen und den Talk-Runden »Geht es auch ohne Helden?« und »Müssen wir Angst vor der Zukunft haben?« gibt es die Möglichkeit, sich mit den Künstlern und namhaften Experten auszutauschen.

Das komplette Festivalprogramm finden Sie auf unserer Homepage.

Vorurteile aufbrechen und Geschichte(n) verstehen

Ein Gespräch mit Dr. Mirjam Meuser über »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft«

Aus Anlass des 30. Jahrestages des Mauerfalls widmet sich das Theater Heilbronn in einer ganzen Veranstaltungsreihe dem Thema Deutsche Einheit. Unter dem Titel »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« finden monatliche Lesungen, Gesprächsrunden und Filmabende in Kooperation mit dem Kinostar Arthaus-Kino statt. Inhalt aller Veranstaltungen ist es, gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklungen aus ihrem historischen Kontext heraus zu untersuchen. Kuratorin der Reihe ist Dr. Mirjam Meuser, Dramaturgin am Theater Heilbronn. Pressereferentin Silke Zschäckel hat sich mit ihr unterhalten.

Dr. Mirjam Meuser (Foto: Thomas Braun)

S.Z.: »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft« – ein sehr schöner, sehr poetischer Titel: Woher kommt er?

M.M.: Eigentlich ist das der Titel eines Heiner-Müller-Interviews, nur leicht abgewandelt. Der Titel heißt ursprünglich »Nekrophilie ist Liebe zur Zukunft«. Die Liebe zu den Toten, das Ausgraben der Toten – das ist die Liebe zur Zukunft. Das ist ein Zentralmotiv im ganzen Müller’schen Werk. Ich habe das umgewandelt in »Erinnerung ist Liebe zur Zukunft«, damit es nicht ganz so morbid klingt. Und zum anderen gibt es in der Geschichtswissenschaft das Teilgebiet der Erinnerungsforschung, und darauf wollte ich mich beziehen.

S.Z.: Woher rührt dein Interesse für dieses Thema – die Beschäftigung mit der deutsch-deutschen, insbesondere auch mit der ostdeutschen Geschichte, obwohl du aus Bayern stammst?

M.M.: Zunächst mal liegt das an meinem grundsätzlichen Interesse für Geschichte. Und dann ist es eine Geschichte, mit der ich unmittelbar konfrontiert worden bin, weil ich während meines Studiums in Berlin sehr viele Menschen aus Ostdeutschland kennengelernt habe, unter anderem meinen Doktorvater. Der brachte mir Heiner Müller nahe, und damit war es unweigerlich verbunden, dass ich anfing, mich mit der ostdeutschen und der deutsch-deutschen Geschichte zu beschäftigen. Ich lernte einen ganz anderen Blick auf die historische Vergangenheit kennen, als ich ihn in der Schule erlebt habe oder als im Westen Geschichte reflektiert wurde. Da wurde die ganze Historie des Sozialismus ausgespart, die gab es nicht – oder eben erst ab 1989. In bin in meinem Literaturstudium komischerweise immer wieder bei den ostdeutschen Professoren gelandet, ohne dass ich vorher wusste, dass sie aus der ehemaligen DDR kommen. Und bei den Philosophen, die ich aus Ostdeutschland kennengelernt habe, spielte das Lehren von Zusammenhängen eine größere Rolle als beim Studium im Westen, wo das Vertiefen in einzelne Positionen und Autoren wichtig war, weniger das Woher und das Wohin.

S.Z.: Nach welchen Aspekten hast du die Reihe konzipiert? Welche Themen wolltest du unbedingt drin haben?

M.M.: Ich habe die Reihe nicht allein konzipiert. Das war eine Gemeinschaftsarbeit, da sind Ideen vom gesamten Leitungsteam dabei. Wir haben versucht,  verschiedene Themenschwerpunkte zu setzen. Es war klar, dass es eine Auftaktveranstaltung geben soll, in der wir die letzten 30 Jahre noch mal untersuchen. Eine Veranstaltung zum Wirken der Treuhand  war Axel Vornam und Uta Koschel, die auch mitgedacht hat, sehr wichtig. Für mich persönlich ist auch die Geopolitik-Veranstaltung von Belang, weil ich möchte, dass wir das Thema in einen größeren globalen Kontext stellen. Denn mit 1989/90 ist nicht nur die DDR verschwunden, sondern auch die alte BRD. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks hat ein massiver weltweiter Veränderungsprozess begonnen. Das kommt erst jetzt so langsam im gesellschaftlichen Bewusstsein an. Und dann war mir auch wichtig, die Vorgeschichte der friedlichen Revolution anzuschauen. Die kam ja nicht aus dem nichts. Welche Entwicklungen haben eigentlich dazu geführt, dass am Ende die Mauer aufging?

S.Z.: Hast du eine Veranstaltung, auf die du dich ganz besonders freust?

M.M.: Ich freu mich auf die erste, weil ich auf die unterschiedlichen Sichtweisen sehr gespannt bin. Wir haben eine Frau auf dem Podium, Adriana Lettrari, Gründerin des »Netzwerks 3te Generation Ostdeutschland«, die inzwischen in der Wirtschaftsberatung tätig ist, außerdem den Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz und den Theatermann Axel Vornam, die von Martin Sabrow, einem sehr profilierten Historiker befragt werden. Ich glaube, das kann sehr spannend werden. Ich freue mich auch sehr auf die Treuhand-Veranstaltung, ein Thema, bei dem, glaube ich, noch viel Aufarbeitung notwendig ist. Auch da bin ich gespannt auf das Podium. Wir haben den investigativen Journalisten Dirk Laabs eingeladen, außerdem Marcus Böick, einen jungen Historiker, der mit seiner Dissertation die erste historische Aufarbeitung der Geschichte der Treuhand geschrieben hat. Und für die Moderation kommt André Steiner, ein renommierter Wirtschaftshistoriker, der sowohl die Geschichte der DDR als auch der BRD kennt.

S.Z.: War es schwierig, die sehr hochkarätigen Gäste von dem Konzept zu überzeugen oder haben gleich alle gesagt: Wir sind dabei?

M.M.: Ich habe sehr oft die Erfahrung gemacht, dass die Leute das Konzept gut finden und dass sie deshalb auch gerne kommen.

S.Z.: Was erhoffst du dir von dieser Reihe? Sowohl von den einzelnen Abenden als auch als Quintessenz am Ende?

M.M.: Von den Abenden erhoffe ich mir spannende Diskussionen, von denen ich mir wünsche, dass sich das Publikum miteinbeziehen lässt. Ich hoffe auf einen Dialog, einen Austausch – letztlich auch zwischen Ost und West, um die vielen Vorurteile, die es doch noch gibt, aufzubrechen und einander besser verstehen zu lernen. Es wäre schön, wenn es gelingen würde, die subjektiven Sichten und die historischen Zusammenhänge besser miteinander ins Verhältnis zu setzen. Das wäre mir ganz wichtig.

Hier geht es zum Programm der Reihe: https://www.theater-heilbronn.de/programm/erinnerung/erinnerung.php

Wie aus Heilbronner Lebensgeschichten Theater wird

»Man braucht gar nicht vor ein Publikum zu treten, wenn man nicht bereit ist, etwas von seiner Lebenserfahrung, seinen Gefühlen, seinen Meinungen und seiner Fantasie Preis zu geben.« Ivan

Eine Szene aus den Proben.

Im Generationenclub treffen Welten aufeinander, jung, alt, Ost, West, verwurzelt, zugezogen, Nord, Süd, nah und fern. Alle Spieler bringen ihre Lebensgeschichten und -erfahrungen mit, aus denen ein eigenes Stück entsteht.

In diesem Jahr ist die Stückentwicklung »Das Gewebe der Gegenwart braucht rote Fäden« entstanden. Orientiert am Spielzeitmotto SINNSUCHER_NoLimits haben sich die Spieler auf die Suche gemacht nach dem, was dem Leben einen Sinn gibt. Geschichten, Erfahrungen, Lebensfäden werden immer wieder verknüpft, beschreibt Andrea die Entstehung des Stückes.

Ob es Geschichten aus ihrer Kindheit in einer anderen fernen Heimat sind, Geschichten vom Ankommen, Geschichten vom Altsein, vom Jungsein. Manche Geschichten erzählen über Krieg, der sich vor über siebzig in das Leben der Menschen einschrieb, als die Erzählenden noch Kinder waren. Jetzt wird er mit den Erfahrungen junger Menschen von heute in Verbindung gebracht. Parallelen zu den Erzählungen Geflüchteter, die heute in Deutschland Schutz suchen, werden offenbar. So laufen hier jeden Mittwoch Geschichten aus vielen Ländern und Kulturen, unterschiedlicher Generationen zusammen und werden im Spiel verwoben. 

Aus den Proben.

Egal ob die Spieler seit der ersten Stunde des Generationenclubs vor sechs Jahren wie Ivan, Bruni, Beate,  Edi, Andrea und Barbara dabei oder erst in den letzten Monaten hinzugekommen sind wie Stefan, Sebastian, Alara und Sam, sie alle finden im wöchentlichen Training zueinander. In der Arbeit – mit Clubleiterin Evelyn Döbler – am eigenen Stück lernen sie alle viel über sich und die anderen und erfahren, wie aus einer willkürlichen Gruppe eine Gemeinschaft wachsen kann. Dank des Clubs, sagt Andrea, habe sie gelernt, zu sehen welches Potential in ihr selbst und auch den anderen schlummert.

Es ist die Freude, die Gemeinschaft, das gemeinsame Nachdenken, das Spielen, das Lachen, die Verbindung mit den anderen, das voneinander Lernen, was die Clubber antreibt, sich jeden Mittwoch zu treffen. Es ist das Zuhören, das Gehörtwerden, das ihnen Kraft, Hoffnung, Stärke gibt einen Platz zu finden, im Club, in der Gruppe, aber auch den eigenen Platz in der Gesellschaft besser auszuloten.  Das alles übertragen sie in ihre Stücke.

Wie Achtsam bin ich gegenüber anderen? Wie gehen wir miteinander um? Wo ist mein Platz in dieser Gesellschaft? Was können wir voneinander lernen? Was verbindet uns? Was trennt uns? Was gibt uns Halt? Wonach suchen wir im Leben? Das sind die Fragen denen sie sich gestellt haben. Jede Woche treten sie miteinander neu in Kontakt. Begegnen sich freundschaftlich mit Vertrauen, Verständnis und ihren Texten, die sie im Spiel zusammenbringen. Beharrlich und mit großem Einfühlungsvermögen für jeden einzelnen treibt Clubleiterin Evelyn Döbler die Gruppe voran. Mit Disziplin, Kraft und Kreativität suchen sie nach dem Verbindenden im Club und in der Gesellschaft. So wird der Club für sie zu einem Ort des Ankommens, der Erdung, der Einbettung im Hier und Jetzt, in Heilbronn. Ihr Stück ist der Wunsch, etwas davon hinauszutragen, von diesem Gefühl der Gemeinschaft und den Geschichten, die in ihr entstehen können.

»Das Gewebe der Gegenwart hat rote Fäden« seht Ihr am 12. Oktober um 18.00 Uhr und am 13. Oktober um 15.00 Uhr in der BOXX.

Der Generationenclub

Jeden Mittwoch trifft sich in der Theaterwerkstatt der Generationenclub. Eine bunte Mischung verschiedenster Menschen, von Jung bis Alt, mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Erfahrungen. Im Generationenclub suchen sie den Austausch im Zusammenspiel. Gemeinsam über ein Jahr hinweg erschaffen sie eine Geschichte. Dabei werden sie von Evelyn Döbler angeleitet. Sie unterstützt, fördert und fordert ihre Clubber. Das Motto der jeweiligen Spielzeit setzt den Rahmen für das Stück, mit dem die Spieler jedes Jahr im Oktober auf die Bühne gehen. In diesem Jahr ist es »#SINNSUCHER_NoLimits«, das den Clubbern als Inspiration dient.

Der Generationenclub folgt dem Roten Faden.

Andrea, Edi, Ivan, Beate, Heide, Barbara und Bruni bilden den beständigen Kern der Gruppe, sie sind schon seit der Gründung des Generationenclubs vor sieben Jahren dabei. Alara, Alicia, Amelie, Stefan und Sebastian sind vor ein paar Jahren dazugekommen. Sam ist erst seit einem halben Jahr dabei. Keiner von ihnen ist Schauspieler oder Autor. Das was sie erzählen, sind Bruchstücke des Lebens, ihres Lebens. In den Proben werden sie mit den Texten der anderen zu einem gemeinsamen Stück verwoben.
Meist beginnen die Proben mit einem kurzen Austausch und dem gemeinsamen Lesen von Texten. Wenn Neue in den Theaterclub hinzugekommen sind, steht das Kennenlernen und Zuhören im Fokus. Jeder aus der Gruppe bringt seine Biografie mit – die eine kürzer, die andere länger, manche wechselvoller. Sie alle haben etwas zu erzählen, doch nicht alle in der gleichen Sprache, denn sie kommen aus Tschechien, Rumänien, Russland und dem Iran.

Wie schafft man ein Verstehen, das Erzählen einer gemeinsamen Geschichte, wenn die Sprache nicht vereint, manchmal unverständlich bleibt? Die Clubber begeben sich auf die Suche nach dem Sinn, dem roten Faden, der alle verbindet. Dabei spielen für die Clubber alle unsere Sinne eine Rolle. Alicia, bringt es auf den Punkt, als sie während der Proben feststellt, dass es nicht immer viele Worte braucht, um etwas zu erzählen.

In den Proben.

So machen sich die Clubber auf die Suche nach den roten Fäden die sie, die uns miteinander verbinden. Was sind die Elemente und Punkte, die Verbindungen schaffen? Gemeinsam knüpfen sie ein Netz aus ihren Geschichten. Suchen im Rhythmus des anderen nach dem eigenen, in der Begegnung nach dem einander Erkennen, in der Berührung nach dem sich Kennenlernen. So rückt im Zusammentreffen von Jung und Alt die Zeit in den Mittelpunkt der Geschichte. Vom Tick, Tack des Verstreichens der Zeit das Alara, die Jüngste der Gruppe, in die Geschichte einbringt, blickt die nächste Spielerin zurück in ihre Jugend, die in einer anderen Zeit, einer anderen Welt stattfand. In einer Zeit in der Krieg, Flucht und Vertreibung Europa bestimmten. Erfahrungen, die Menschen heute wieder machen, die Hilfe und Sicherheit in Europa suchen. Sind das nicht auch Erlebnisse, die Menschen verbinden? Die auch eine Gesellschaft mit einander verbindet? Können die Menschenrechte der rote Faden Europas sein? Das sind die Fragen, die während der Proben im Raum stehen. Ob sie von der Gruppe beantwortet werden, bleibt offen.

Wie sie in das Stück »Das Gewebe der Gegenwart braucht rote Fäden« eingeflochten werden, seht Ihr am 12. Oktober um 18.00 Uhr in der BOXX.