Ausbruch aus dem Schulalltag

… mit dem »Process«

Von Julia Campanella, Kl. 13f und Lydia Kastner, Kl. 13g, Theodor Heuss Gymnasium

Jemand musste den Deutschkurs  verleumdet haben, denn ohne dass die Abiturienten etwas Böses getan hätten, wurden diese eines Morgens zu einer Theater-Werkstatt verschleppt. Der Unterricht, der jeden Freitag gegen 11 Uhr stattfindet, kam diesmal nicht.

Der Process

Denn uns stand etwas viel Größeres bevor – ein Theater-Workshop passend zum Sternchenthema »Der Proceß«. Doch was sollte uns erwarten? Wir schwelgten in Unsicherheit. In der Schule sind wir vorbereitet, dort könnte uns etwas Derartiges unmöglich geschehen, wir haben dort einen geregelten Stundenplan, eine eigene Lehrerin, und die Schreibutensilien liegen auf unseren Tischen. Doch unsere unsichere Lage schwand mit der lebensfrohen Präsenz Katrin Singers, Theaterpädagogin am Theater Heilbronn, die sofort unser Interesse für die Übungen weckte. Ausgestattet mit verschiedenen Rollenkärtchen versuchte ein jeder von uns, sich in die Lage der jeweiligen Charaktere zu versetzen. Vielerlei Emotionen – Wut, Freude, Angst, Neid – kamen sowohl stimmlich als auch durch die Körperhaltung zu Tage. Wie der Nachweis von K.s Schuld, so war auch unser Schauspieltalent schwer zu ergreifen. Doch an Resignation war nicht zu denken.

Der Process

Ähnlich wie die Schauspieler, die an der Inszenierung beteiligt waren, durften wir die uns zugeteilten Charaktere mithilfe diverser Gangarten ausprobieren: die trippelnde Gerichtssekretärin, den mechanisch- bürokratischen Untersuchungsrichter,  den kriechenden, untertänigen Kaufmann Block. Neugierig darauf, wie das Stück mit seinen vielseitigen Charakteren auf der Bühne zum Ausdruck kommen würde, ging der Workshop zu Ende. In freudiger Erwartung  besuchten wir die Vorstellung, die einen bleibenden Eindruck hinterließ. Wir konnten dabei die Rollen, die am Morgen dargestellt wurden, wiederentdecken. Beeindruckend war die Umsetzung der kalten, bürokratischen und einengenden Welt im Bühnenbild mithilfe von vielen Grautönen und einer absenkbaren Dachschräge, die K. im Laufe des Prozesses Stück für Stück den Freiraum und die Möglichkeit zur Flucht nahm. Den bürokratischen und grauen Strukturen standen die undurchschaubare Komplexität des Gerichtswesens und vor allem die Frauenrollen, die innerhalb unseres Kurses durch ihr extremes Auftreten für gespaltene Meinungen sorgten, gegenüber.

Der Process

Besonders gelungen war die schauspielerische Leistung des Josef K. Durch die gekonnte Umsetzung der Emotionen, die sich in Kafkas Werk nur indirekt abzeichnen, wurde der Wandel seiner Einstellung zum Prozess verdeutlicht. Dementsprechend trug auch die hinzugefügte Traumszene eine große Bedeutung für die Gesamtinszenierung.

Anhand der szenischen Umsetzung von »Der Process« konnte sich jeder von uns näher mit der Intention des Werkes auseinandersetzen und neue Sichtweisen für die Interpretation gewinnen.

Während der reflektierenden Verarbeitung der gesammelten Eindrücke schien es uns, als ob durch die Vorfälle des Tages eine große Unordnung verursacht worden sei. War aber einmal diese Ordnung wieder hergestellt, war jede Spur dieser Vorfälle ausgelöscht und alles nahm seinen gewöhnlichen Lauf des Schulalltags auf

Meister des schönen Scheins

Wohl jeder Mitarbeiter des Theaters wurde in seinem Berufsleben schon einmal gefragt: »Und was machen Sie vormittags?« Viele Menschen haben im Kopf, dass an den Abenden die Vorstellungen im Theater laufen, und können sich nicht vorstellen, dass dort fast rund um die Uhr und natürlich auch vormittags gearbeitet wird. Zum Beispiel im Malersaal
Sie können sich ihren eigenen Palast bauen — richtig preiswert noch dazu. Marmor, Gold, edle Hölzer, wertvolle Tapeten und Gemälde – alles kein Problem. Sie brauchen dafür lediglich ein paar Sperrholzplatten, die sie mit Farbe und verschiedenen Materialien bearbeiten.  »Wir sind die Meister des schönen Scheins«, sagt Kirstin Köppel, stellvertretender Vorstand im Malersaal. »Die Blender und Täuscher«, fügt sie verschmitzt hinzu. Dass sie und ihre Kollegen falsche Tatsachen vortäuschen, ist kein Verbrechen, sondern eine hohe Kunst, die mit einfachen Mitteln die schönsten Welten auf der Bühne entstehen lässt.

Karlheinz Kirchler, Herbert KÜbler und Kirstin Koeppel – das starke Team des Malersaals.

Seit 1993 arbeitet Kirstin Köppel als Malerin und Plastikerin im Theater Heilbronn, ihr Kollege Karlheinz Kirchler ist seit 1998 mit dabei. Gelernt haben sie ihre Kunst beim dienstältesten Mitarbeiter des Heilbronner Theaters, bei Herbert Kübler, der als Vorstand die Abteilung  leitet, seit 1977 seinem Haus die Treue hält und Jahr für Jahr talentierte junge Leute in seinem Beruf ausbildet. Stefan Dittrich hat im vergangenen Jahr seine Ausbildung abgeschlossen. Derzeit baut er einen 2,90 Meter großen Männerakt aus Marmor für das Musical »Ein Käfig voller Narren«. Natürlich ist die Figur nicht wirklich aus Marmor, sondern aus Styropor. Das wird mit einer Kaschiermasse aus Kreide und Leim bestrichen und anschließend poliert. Und siehe da, die Statue glänzt wie feinster Marmor. Nicht nur aus der Ferne wirkt sie sagenhaft schwer und wertvoll. Um diese Figur zu bauen, bekam Stefan Dittrich lediglich ein Foto als Vorlage. Wie nur bekommt man den Kerl dreidimensional? Um sich die Rückfront des Herrn vorstellen zu können, ahmt Stefan Dittrich die Bewegung auf dem Bild nach und fotografiert sich von hinten. So hat er eine Ahnung, wie die Muskeln auf dem Rücken verlaufen könnten und wie die Beine stehen müssen. Dann fertigt er Zeichnungen von allen Seiten und schließlich geht’s ran an das Styropor. Zunächst mit einer großen Drahtsäge, der man auf keinen Fall zu nahe kommen sollte. Dann mit Messern und Raspeln. Die Arbeitsweise unterscheidet sich keinen Deut von der eines Bildhauers.

Stefan Dittrich baut den 2,90-Meter-Mann.

Ähnlich ist es in der Theatermalerei. Alle Kollegen im Malersaal sind hervorragende Maler und Zeichner und gehen seit frühester Kindheit diesem Hobby nach. Beruflich schaffen sie Auftragswerke in riesigen Formaten. Auftraggeber sind in diesem Fall die Bühnenbildner, die mit Modellen und Fotos der Bühne kommen und sagen, was sie sich wünschen. »Wie wir das umsetzen, das ist unserer Kreativität überlassen. Es muss nicht nur schön, sondern immer auch kostengünstig und den Erfordernissen des Theateralltags gewachsen sein«, erklärt Karlheinz Kirchler.  Eine Aufgabe für den »Käfig voller Narren« war es zum Beispiel eine 10 Meter breite und 6,50 Meter hohe Stadt-Silhouette von St. Tropez in Abenddämmerung auf Leinwand zu malen. Die Vorlage war ein Foto. Hier bedienen sich die Künstler im Malersaal, in diesem Fall Sarah Michel und Benedikt Finteis aus dem zweiten Lehrjahr, der Rastertechnik. Über das Foto wird ein Liniengitter gezeichnet, welches das Bild in kleine Kästchen teilt. Diese Kästchen werden dann maßstabsgetreu mit Schnüren auf der riesigen grundierten Leinwand auf dem Boden übertragen. Dann werden die Umrisse aus den kleinen Kästchen in die großen gezeichnet. Anschließend werden ohne Schnurnetz die Farben aufgetragen. Für Formate von bis zu 19×19 Metern ist im Heilbronner Malersaal Platz. Die Maler arbeiten im Stehen mit Pinseln an ca. ein  Meter langen Stielen. Von den wertvollen Langschaftpinseln hat jeder Theatermaler sein eigenes Sortiment, das er wie seinen Augapfel hütet.

Die Farben werden nicht etwa fertig gekauft, sondern selbst mit Wasser, Kaltleim und Farbpigmenten angerührt. Das ist für Malersaalvorstand Herbert Kübler wichtig wegen der Brillanz und deshalb eine Frage der Ehre. Die Farbküche ist mit ihren bunten Kisten, in denen die Pigmente in allen Abstufungen der Regenbogenfarben lagern, eine Wohltat für Auge und Seele – gerade in der grauen Jahreszeit.  Vielleicht sind deshalb die Kollegen im Malersaal immer gut gelaunt, auch wenn es noch so dicke kommt. Wie alle Abteilungen im Haus auch haben sie ein enges Terminraster. Ein Rädchen greift ins andere, wenn die  Arbeitsschritte mit den anderen Abteilungen wie der Schreinerei, der Schlosserei und der Dekowerkstatt koordiniert werden, die alle gemeinsam am Bühnenbild für eine Inszenierung arbeiten. Und jeder Auszubildende lernt vom ersten Tag an, sich die Zeit perfekt einzuteilen und muss gleich richtig mithelfen. Elisabeth Eis und Charlotte von Davier dürfen sich bereits  im ersten Lehrjahr an Picasso-Imitationen heranwagen – in riesigen Formaten, denn anders würden sie den Ansprüchen der Bühne einfach nicht genügen.

Silke Zschäckel, Pressereferentin

Schüler sprechen mit Raik Singer

Betriebsspionage unserer Praktikantin Eva:Schüler sprechen mit Raik Singer

Heute waren 17 Kinder der AIM-Schreibwerkstatt im Theater Heilbronn zu Gast. Sie alle nahmen an einem Ferienkurs mit Redakteuren der Heilbronner Stimme teil, um die verschiedenen journalistischen Darstellungsformen kennenzulernen.Um sich im Porträt-Schreiben zu üben, interviewten sie den Schauspieler Raik Singer. Er ist zur Zeit in dem Stück „Die Wanze“ zusehen. Das besondere an dem lustigen Insektenkrimi ist, dass alle Rollen von einem Schauspieler, Raik Singer, verkörpert werden.In dem einstündigen Gespräch wollten die Gymnasiasten nicht nur wissen, wie er zum Theater kam und welche Rollen er am liebsten mag, sondern auch wie er seine Texte auswendig lernt. Raik Singer beantwortete alle Fragen witzig und mit vielen Beispielen aus seinem Leben als Schauspieler.Zum Abschluss der Fragerunde trug Raik Singer, auf Bitten der begeisterten Nachwuchsjournalisten, den Beginn aus dem Stück „Die Wanze“ vor und lud alle zu einer der nächsten Vorstellungen ein.

Die Aufgabe der Schüler ist es nun, heute Nachmittag ein Porträt über den Schauspieler zu schreiben. Dies wird am Samstag in der Heilbronner Stimme erscheinen.

Eva, Praktikantin

— 25. Februar 2012, Heilbronner Stimme: Raik Singer ist der Wanzenmann —

 

 

Zeigt her Eure Regale!

In einer Woche ist es soweit. „Der dressierte Mann“ hat am Freitag, dem 02. März, im Komödienhaus Premiere. Geprobt wird bereits fleißig und unser Bühnenbild ist auch schon fast fertig. Wie Ihr auf dem Foto sehen könnt, steht die Regalwand, vor der sich die Komödie um Helen und Bastian abspielt, auch schon. Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Bastian will Helen einen romantischen Antrag machen, da teilt sie ihm mit, dass sie befördert wurde und bald mehr Geld als er verdienen wird. Für Bastian ist der Abend gelaufen, der Heiratsantrag ist vom Tisch. Jetzt treten die beiden Mütter – eine Emanze und ein Weibchen – wortwörtlich aus dem Regal heraus. Parole: Die Heirat findet statt. Spritzig-frisch geht es dann zu, wenn Helen sich von einer Powerfrau in ein powackelndes Geschöpf verwandelt und Bastian, betrunken wie eine Strandhaubitze, die Welt nicht mehr versteht.

Noch ist unser Regal leer. Uns würde interessieren was in Euren Regalen so alles an Gegenständen, Nippes, Kunst, Büchern, Fotos, Maschinen usw. steht.

Also postet ein Foto oder schickt ein Foto bis zum 29.02.2012 an: katrin.schroeder@theater-hn.de
Wir sind gespannt!

Audienz beim König …

… Schauspieler zum Anfassen
Nach der letzten Vorstellung vom »Gestiefelten Kater« durften die Kinder mit den Darstellern weiterspielen

Teetrinken mit der Prinzessin, Suppenhuhnzielwurf mit Gustav, Mäusefangen mit dem Kater und Hans oder eine Audienz beim König. Die rund 400 Kinder, die mit ihren Eltern oder Großeltern am Sonntag  in die letzte Vorstellung vom „Gestiefelten Kater“ gekommen waren, genossen nicht nur das turbulente Spiel auf der Bühne sondern hinterher auch das  Treffen mit den Schauspielern. Mit den Helden, die sie gerade eben noch auf der Bühne beklatscht hatten, nun zu reden und zu spielen, das hatten die Kinder noch nicht erlebt. Die meisten der kleinen Besucher waren selbst verkleidet und wollten auch mal das Katerkostüm anfassen oder wissen, wie sich die Perücke der Prinzessin anfühlt. Auch wichtige Fragen, etwa wie man Schauspieler wird oder wie man die Schminkmaske wieder abbekommt, konnten an diesem Nachmittag geklärt werden. Vor allem bei der Teezeremonie mit der Prinzessin hatten die Kinder reichlich Gelegenheit, ihre vor allem begeisterten Kommentare zu dem Stück loszuwerden, was wiederum für die Schauspieler interessant war. Wann kommt man schon mal so eng in Kontakt mit seinem Publikum?  Nach 48 Vorstellungen heißt es jetzt Abschied zu nehmen vom  Kater in den Roten Stiefeln (Peter Volksdorf), vom verliebten Müllerburschen Hans (Philipp Lind), von der wilden Prinzessin (Julia Apfelthaler), dem ewig hungrigen König (Rolf-Rudolf Lütgens) und seinem lustigen  Diener Gustav (Ivan Gallardo). Aber schon im November gibt es wieder ein großes Märchen im Heilbronner Theater. (Silke Z.)

[slideshow post_id=”2019″]

 

 

Jede Menge los im Theater!

Das Theater lebt!
Vergangene Wochen haben die Proben für gleich vier neue Produktionen begonnen: “La Cage aux folles” (Premiere am 10.03.2012), “Der dressierte Mann” (Premiere am 02.03.2012), “Kohlhaas” (Premiere am 23.02.2012) und “Tito, mein Vater und ich” (Premiere am 08.03.2012).

Das bedeutet eine hohe Regisseur-Dichte in der Dramaturgie, eine hohe Schauspieler- und Gästedichte in der Kantine und geschäftiges Schneiden, Sägen, Schweißen und Schneidern in sämtlichen Werkstätten. Welch ein Gewusel herrscht auch auf den Probebühnen! Auf der einen singt Nils Brück gerade “Ich bin was ich bin” während ein paar Türen weiter mit professionellen Musicaldarsteller das Opening zu „La Cages aux folles“ geprobt bzw. choreographiert wird. Dazu finden parallel die szenischen Proben mit den Schauspielern auf einer weiteren Probebühne statt.

Auf unseren Probebühnen in der Paulinenstraße zieht die Winterreise (Premiere am 17.02.2012) ihre musikalischen Kreise und wird ein Mann auf höchst amüsante Art und Weise dressiert.

Sogar in der TheaterWerkStatt wird fleißig unser Klassenzimmerstück geprobt. Und weil damit auch schon alle Probebühnen belegt sind, probt unser Michael Kohlhaas in einem extra für ihn angemieteten Probenraum, nämlich im Deutschhofkeller der Volkshochschule. Ein Ort, wie geschaffen für die Kleist-Novelle um den rechtschaffenen Familienvater, der durch Willkür und Vetternwirtschaft nicht zu seinem Recht kommt und deshalb das Recht in die eigene Hand nimmt und zum Räuber und Mörder wird. Erste verheißungsvolle und exklusive Eindrücke könnt Ihr hier sehen. (Stefanie S.)
[slideshow post_id=”1910″]

Winterreise – Impression einer Probe

Immer, wenn auf den Bühnen des Theaters keine Vorstellungen stattfinden, nutzen die Inszenierungsteams, die gerade für die nächsten Premieren proben, die Chance von der Probebühne auf die eigentliche Bühne zu gehen. So auch das Team der „Winterreise“, die in Kooperation des Theaters Heilbronn mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter Regie von Christian Marten-Molnár entsteht. Am 17. Februar hat „Die Winterreise“ nach dem gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert Premiere im Großen Haus des Stadttheaters. Der in Kassel lebende Komponist Jens Josef hat die von Schubert für Klavier und Gesangsstimme geschaffenen Lieder für Streichorchester und Bariton bearbeitet.


Fotos: Rebecca Göttert

Christian Marten-Molnár inszeniert den Abend mit dem Heidelberger Bariton Matthias Horn in der Hauptrolle, der ein ausgewiesener Spezialist der „Winterreise“ ist und bereits eine eigene CD-Einspielung dieses Werkes vorgelegt hat. Er verkörpert auf der Bühne einen Menschen, der aus dem bürgerlichen Leben herausgefallen und an einen Punkt geraten ist, an dem er nur noch sich selbst hat und die Musik Schuberts. Außerdem arbeitet Marten-Molnár mit Statistinnen und Statisten des Heilbronner Theaters. Die szenischen Proben werden zur Zeit von Ann Joana Druyts am Klavier begleitet, bis in den letzten Probentagen das Orchester unter Leitung von Ruben Gazarian dazu kommt.

Hier ist ein kurzer Eindruck von den Proben auf der Probebühne:
Video: Frank Druschel

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Starker Stoff

„Uff!“ Stephanie Paschke stößt die Luft aus und streicht sich die roten Haare aus dem ernsten Gesicht. „Das ist ein harter Stoff.“ Auf der kleinen Probebühne im Untergeschoss des Theaters Heilbronn probt sie mit den Schauspielern Susan Ihlenfeld und Johannes Bahr und dem Musiker Nicolas Kemmer für die szenische Lesung „Grafeneck“. Stephanie wirkt erschöpft. Und das nicht, weil sie als Regieassistentin parallel die Proben zum Musiktheaterabend „Die Winterreise“ betreut und die Abend- bzw. Morgenspielleitung bei „Agent im Spiel“ übernimmt. Sondern weil sich die Auszüge aus historischen Dokumenten und Zeugenaussagen, die sie für das Projekt zusammengestellt hat, nicht mehr auf Distanz halten lassen, wenn die beiden Schauspieler sie lesen.

Zwischen Januar und Dezember 1940 wurden auf Schloss Grafeneck in der Schwäbischen Alb über 10.600 Menschen in einer furchtbaren Euthanasie-Aktion ermordet. Der Beginn der systematischen Vernichtung menschlichen Lebens im NS-Deutschland. Dass sich das Theater Heilbronn jetzt mit diesem Thema auseinander setzt, ist Rita Eichmann, Rektorin der Realschule Weinsberg, und Günter Sauter, Direktor des Schulamts Heilbronn, zu verdanken. Im Deutschunterricht wird in diesem Schuljahr an den Realschulen „Grafeneck“ gelesen, der „Heimatkrimi“ von Rainer Gross, der den Massenmord an psychisch kranken und behinderten Menschen auf der Schwäbischen Alb zum Auslöser eines Verbrechens und seiner Aufklärung macht. Eichmann und Sauter kamen im letzten Jahr mit der Idee auf das Theater zu, eine Lesung oder ein Projekt aus der Schullektüre zu entwickeln.

Die einfache Lösung, den Roman in Auszügen lesen zu lassen, hat Stephanie Paschke und die Heilbronner Theaterleitung wenig gereizt: „Rainer Gross hat das Thema ‘Euthanasie im Dritten Reich’ für eine heutige Geschichte über den Umgang mit Vergangenheit verwendet“, erklärt Paschke. „Wir sind bei der Recherche in Büchern und im Internet und bei einem Besuch der Gedenkstätte Grafeneck auf so viel gestoßen, was uns schockiert und berührt hat, dass wir allein damit schon mehrere Lesungen füllen könnten.“ Für das Projekt „Grafeneck“, das ab 30. Januar neun Mal im Komödienhaus für Schülergruppen, aber auch für alle anderen Interessierten zu sehen sein wird, haben sie und Dramaturg Andreas Frane eine Auswahl an Texten zusammengestellt, die die Hintergründe der Zahlen und Fakten aufhellen und die Zuschauer auf eine Spurensuche durch dieses finstere Kapitel der Geschichte mitnehmen will. Harter Stoff!

Andreas Frane, Dramaturg

Schloss Grafeneck

Spur der Erinnerung

Die Spurensuche in Orginaldokumenten »Grafeneck« erinnert an die Opfer der Euthanasie-Verbrechen

Das ehemalige Jagdschloss Grafeneck wurde 1940 zum Schauplatz eines organisierten Massenmordes.

Für die Dorfbewohner der Schwäbischen Alb war es damals das »verwunschene Schloss«. Für die Nachwelt ist es heute der Tatort eines Massenmordes. Abgeschieden auf einem Hügel über dem Dolderbach, vom Tal aus kaum zu sehen, leicht abzusichern und abzusperren: Das ehemalige herzogliche Jagdschloss Grafeneck bei Münsingen, 65 Kilometer südlich von Stuttgart. Zwischen dem 18. Januar und dem 13. Dezember 1940 wurden dort in der Euthanasie-»Aktion T4« mehr als 10.600 Menschen systematisch ermordet. Es waren vor allem Frauen und Männer aus den Heil- und Pflegeanstalten Süddeutschlands, mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen, die als »Defektmenschen« und »unwertes Leben« ausgesondert und – unter strengster Geheimhaltung – mit Kohlenmonoxyd vergast wurden. Doch die »Geheime Reichssache« war nicht so geheim, wie es sich die Verantwortlichen gewünscht hätten.

Mit der szenischen Lesung »Grafeneck«, die auf Anregung des Schulamtes Heilbronn entsteht, will das Theater Heilbronn an die ungeheuerlichen Vorgänge erinnern und das Schicksal der Opfer ebenso wie den menschenverachtenden Zweckrationalismus der Täter aufzeigen. Susan Ihlenfeld und Johannes Bahr lesen aus Originaldokumenten, Briefen, Zeugenaussagen und dienstlichen Formularen und lassen so das erschreckende Bild einer Zeit auferstehen, in der Menschenrechte und Demokratie mit Füßen getreten und der Wert des Lebens nur nach Nützlichkeitskategorien beurteilt wurden.

Bislang sind nur circa 8000 Namen der Opfer von Grafeneck bekannt, die in der heute dort eingerichteten Gedenkstätte aufgezeichnet sind.

»Heute bin ich endlich der Spur der Erinnerung gefolgt«, schrieb dort eine Besucherin ins Gästebuch. »Jetzt endlich habe ich das Ausmaß realisiert und versuche, den Namen einer Tante, die hier zu Tode gekommen ist, ins Bewusstsein zu bringen.«

(Andreas F.)

Künstlerische Leitung
Stephanie Paschke
Musikalische Leitung
Nicolas Kemmer
Dramaturgie
Andreas Frane
Mit
Johannes Bahr
Susan Ihlenfeld
Nicolas Kemmer

Termine:
Mo. 30.01.2012 10.00 Uhr
Mo. 30.01.2012 19.00 Uhr
Mi. 01.02.2012 10.00 Uhr
Mi. 01.02.2012 19.00 Uhr
Mo. 13.02.2012 10.00 Uhr
Mo. 13.02.2012 19.00 Uhr
Di. 14.02.2012 10.00 Uhr
Di. 14.02.2012 19.00 Uhr

Wenn das der Willi wüsste …

… würde er sich wahrscheinlich auch nicht im Grabe umdrehen. Schließlich sagt man William Shakespeare ja auch nach, er habe in seinen Stücken hier und da „abgekupfert“, überhaupt  seien sie ohnehin alle nach dem gleichen Schema F geschrieben und sowie nicht von Shakespeare selbst, sondern von einem Mann gleichen Namens.

38 Werke sollen auf Shakespeares schriftstellerisches Konto gehen. Erst Ende der 90er Jahre wurde das Drama „Edward III.“ offiziell in das Oeuvre des Briten aufgenommen – aber „nur“ in Ko-Autorenschaft verfasst. 37 davon haben sich drei Amerikaner bereits 1987 „zu eigen“ gemacht. Das bedeutet in Zahlen: 884647 Worte auf 118405 Zeilen für insgesamt 31959 Sprechrollen haben Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield auf eine rasante und spritzig-witzige Komödie „verkleinert“, die nicht etwa 5 Tage und 5 Nächte dauert (so die reine Spielzeit aller Werke), sondern knappe 2 Stunden. „Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“ eben! Aus allen Werken Shakespeares haben die drei Autoren und Schauspieler nur die wichtigsten Inhalte und nötigsten Figuren herausdestilliert (selbstverständlich auch die Frauenfiguren, auf die kann natürlich nicht verzichtet werden!) und kompakt verpackt z. B. in ein königliches Fußballspiel, einen mörderischen Rapgesang, eine zerhacktstückte Küchenschlacht. Der Wahnsinn für jeden einzelnen Lachmuskel und für den Geist! Denn: Theater bildet. Einmal mehr, könnte man noch hinzufügen. Denn wer kann schon von sich behaupten, an einem Abend alle Werke des großen englischen Meisters mit soviel Lust und Freude gesehen zu haben?

Am Samstag, den 21. Januar 2012 um 20.00 Uhr ist die Komödie zum ersten Mal live und in Farbe im Komödienhaus zu sehen. Regisseur Nils Brück ist bereits vor einer Woche mit den drei Schauspielern Oliver Firit, Gabriel Kemmether und Tobias D. Weber und einer großen Anzahl Federhüten, Strumpfhosen, Degen, Mäntel und Totenköpfen (auch Hamlet wird dargeboten!) von der Probebühne ins Komödienhaus gezogen. Das Globe Theatre steht bereits fix und fertig aufgebaut und lässt die Spielstätte in völlig neuem Glanz erstrahlen. Aber nicht nur das ist ein wahrer Hingucker! Männer in Strumpfhosen haben immer ihren „gewissen Reiz“ und die Sehnsucht zwischen Romeo (Gabriel Kemmether) und Julia (Oliver Firit) scheint Funken zu sprühen, wenn sie von Tobias D. Weber am Klavier begleitet wird …
„Shakespeares sämtliche Werke (leicht gekürzt)“? Nichts wie hin! Premiere ist am 21. Januar!   (Stefanie S.)

Übrigens: Auf Shakespeares Grabstein steht die Inschrift zu lesen:
Du guter Freund, tu’s Jesus zu Gefallen
und wühle nicht im Staub der hier verschlossen.
Gesegnet sei der Mann, der schonet diese Steine.
Und jeder sei verflucht, der stört meine Gebeine.

 

Das Komödienhaus verwandelt sich in ein Globe Theatre: