Die Wunderkammer des Zeitreisenden

Als 1895 H.G. Wells‘ »Die Zeitmaschine« erschien, herrschte in England das viktorianische Zeitalter, die industrielle Revolution ließ Großbritanniens Wirtschaft aufblühen, das Land galt als Vorreiter in Sachen Technologie. Die Fortschrittsgedanken prägten natürlich die Geschichte und die Idee, in der Zeit zu reisen. Heute gilt der Science-Fiction-Klassiker als ein Schlüsselwerk zur Entstehung des Steampunk, der in seiner Ästhetik das Viktorianische England aufgreift.
Das findet sich auch im Bühnenbild von Ausstatter Daniel Unger in der Inszenierung von Brian Bell wieder.

Hier steht die Sammlung des Zeitreisenden noch im Malersaal.

Der Raum, in den der Zeitreisende sein Publikum einlädt, ist von dieser Epoche geprägt. Ausstatter Daniel Unger hat ihm ein Laboratorium im Stil einer Wunderkammer gegeben. Der Zeitreisende ist ein Suchender und Forschender, den die Neugier antreibt, zu wissen, wohin sich die Menschheit entwickelt und wie sie entstanden ist. Eingerahmt wird der Raum von Regalen, in denen zahlreiche wundersame Objekte stehen, die auf seinen Forschungsdrang hindeuten, seinen Willen, die Menschheit zu verstehen, widerspiegeln. Er ist umgeben von einer Sammlung, die Biologie, Evolution, Anthropologie und andere Kulturen abbildet, mit denen der Zeitreisende die Entwicklung der Menschheit erforscht – kombiniert mit Maschinen, mechanischen Konstruktionen, die auf seinen Erfindergeist verweisen. Viele dieser Objekte konnte die Requisitenabteilung aus dem Fundus beisteuern. Was Requisiteurin Silke Bertsch dort nicht finden konnte, hat sie eigens in liebevoller Handarbeit hergestellt. So sind eigentümliche Maschinen und Objekte entstanden, deren Funktion geheimnisvoll bleibt. Für Freunde des Steampunk ist es eine Freude, die Objekte zu betrachten, die der Zeitreisende um sich versammelt. Eine schöne Reminiszenz an dieses Kunstgenre.

Die Sammlungsobjekte des Zeitreisenden.

Doch Daniel Unger hat mit der Wunderkammer nicht nur ein wundersames Sammlungskabinett geschaffen, sondern sie auch mit ihrer Wandlungsfähigkeit zu einer solchen gemacht. Denn hinter den Regalen befindet sich eine andere Realität, die an dieser Stelle noch nicht verraten werden soll.

Was sich hinter den Regalen verbirgt und wie das Ensemble in der Zeit vor- und zurückreisen wird, dass seht ihr ab dem 19. März bis 16. April 2022 im Komödienhaus.

Karten gibts es unter Die Zeitmaschine (UA) | Theater Heilbronn (theater-heilbronn.de)

Der Funke muss überspringen

Canan Erek blickt voller Vorfreude auf das erste von ihr kuratierte Festival »Tanz! Heilbronn«

Seit 2021 ist Canan Erek (*1968 in Istanbul, seit 1987 lebt sie in Deutschland) die neue Kuratorin des Festivals »Tanz! Heilbronn«. Die Tänzerin, Choreografin und engagierte Kulturvermittlerin freut sich darauf, vom 17.-22. Mai 2022, ihr erstes Festivalprogramm zu präsentieren.

Canan Erek ist neue Kuratorin von »Tanz! Heilbronn«; Foto: B. Lorenz Walter

Als Tochter aus bildungsbürgerlichem Hause besuchte Canan Erek in ihrer Kindheit und Jugend den klassischen Ballettunterricht in ihrer Heimatstadt Istanbul: »Obwohl ich rein physisch für diese Art von Tanz gar nicht geschaffen war, arbeitete ich hart«, erinnert sie sich an ihre Anfänge. Eines Tages brachte eine Tanzlehrerin eine Videokassette mit zwei legendären Stücken von Pina Bausch mit: »Café Müller« und »Le Sacre du printemps«. Canan, damals 18 Jahre alt, war hingerissen. So kann Tanz also auch aussehen! Sie recherchierte und fand die Folkwang-Hochschule in Essen, in der Pina Bausch den Bereich Tanz leitete. Warum es nicht einfach versuchen! Sie kam nach Deutschland, nahm an einer Audition in Essen teil, wurde genommen und begann 1987 ihre Ausbildung im zeitgenössischen Bühnentanz. »Pina Bausch hat selbst zwar keinen Unterricht gegeben, aber sie kam mehrmals im Jahr, um sich unsere Entwicklung anzuschauen und mit uns über unsere tänzerischen Ausdrucksformen zu reden.« Sie war es auch, die Canan bestärkt hat, nach der Tanz-Ausbildung noch ein Studium der Choreographie dranzuhängen, nachdem sie erste, noch während des Studiums selbstkreierte Stücke der jungen Tänzerin gesehen hatte.

Von Essen ging es ins wilde Ost-Berlin Anfang der 90er-Jahre. Hier studierte sie als erste türkische Studentin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Choreographie. Die Erfahrungen des Ost-West-Clashs im zusammenwachsenden Berlin fand sie damals zwar spannend, aber auch anstrengend, weil sie sich nirgends zugehörig fühlte, erinnert sich Canan Erek. Ihre künstlerische Heimat wurde ab 1996 das Ballhaus Naunynstraße in Berlin. Ihre Arbeiten wurden in verschiedenen Theatern in Berlin und auf Festivals gezeigt. Als Gastchoreografin arbeitete sie u. a. für die Australian Opera in Sydney, für das Hans Otto Theater in Potsdam und für das Berliner Ensemble. Ein dreijähriges Intermezzo führte sie nach Leipzig als Leiterin des dortigen Tanztheaters. Dann ging sie wieder zurück nach Berlin, um zu tanzen, zu choreografieren und immer mehr nach außergewöhnlichen Ausdrucksformen zu suchen.

Tanz an anderen Orten zu inszenieren, als man ihn erwartet, in Parks etwa oder in Bürgerämtern – eben mitten im öffentlichen Raum, das hat Canan Erek damals schon interessiert. Der besondere Reiz, auf Leute zuzugehen, die sich nicht von vornherein für Tanz begeistern, das fand Canan Erek spannend. Bis heute ist dies ein wichtiges Element ihrer Arbeit, die sich mehr und mehr in den Bereich Kulturvermittlung, Projektmanagement, kulturelle Bildung und Festivalleitung verlagert.

Gerade hat Canan Erek eine deutschlandweite Online-Konferenz geleitet: »Auf dem Sprung zur Sparte? – Tanz für junges Publikum«, war sie überschrieben und ging der Frage nach, ob man ähnlich wie das Junge Theater in Deutschland auch den Jungen Tanz als feste Institution an den Theatern etablieren kann. Canan Erek hat beste Erfahrungen auf diesem Gebiet. Seit 2017 leitet sie »PURPLE – Internationales Tanzfestival für junges Publikum« in Berlin. Sie erlebt immer wieder, dass Kinder und Jugendliche durch ihre natürliche, aktive und offene Haltung ein wunderbares Publikum sind, das man eigentlich für alles begeistern kann. Sie haben es sogar sehr leicht, sich in die abstrakten Formen des Tanzes hinein zu fühlen. Diesen Schwerpunkt will sie auch als neue Kuratorin des Festivals Tanz! Heilbronn stärken. Zwei der sieben eingeladenen Stücke wurden explizit für junges Publikum erarbeitet.

Das Festival »Tanz! Heilbronn« findet vom 17. bis 22. Mai 2022 am Theater Heilbronn statt.; Foto: Sergine Laloux

Bei der Auswahl aller Festivalbeiträge ist es Canan Erek wichtig, dass der Funke überspringt und die Zuschauer eine intensive Beziehung zu den Produktionen des zeitgenössischen Tanzes aufbauen können. »Mein Interesse als Künstlerin und Kuratorin gilt zuallererst der kommunikativen Komponente. Wie nimmt ein Stück zum Publikum Kontakt auf, hält die Verbindung und gestaltet einen Dialog?«, fragt sie. Das »Wie« einer ästhetischen Konzeption könne sich mit dem »Was« der inhaltlichen Auseinandersetzung auf vielfältigste Weise verbinden. Für Canan Erek ist es wichtig, dass alle Stücke eine Einladung an das Publikum aussprechen, mit seiner Vorstellungskraft aktiv ins Geschehen einzusteigen und sich auch emotional begeistern zu lassen. So, wie ihr es damals ging, als sie auf einer Videokassette die Stücke von Pina Bausch sah, die so viel Energie in ihr freisetzten, dass sie sich auf den Weg nach Deutschland machte, um es einfach zu versuchen.

Hier gibt es nähere Informationen zu den diesjährigen Programmpunkten von »Tanz! Heilbronn«:

»Fliegende Wörter«. Ein Tanzstück für Klassenzimmer und Schulen von Ceren Oran & Moving Borders
»Le chant des ruines«. Deutsche Erstaufführung der Comapgnie Michèle Noiret (B)
»Cosmic A*«. Deutsche Erstaufführung von Charlie Prince (LB)
»Balancing Bodies« der Compagnie Woest (NL)
»Set of Sets« von GN|MC Guy Nader | Maria Campos (LB/ES)
»Sonoma« von La Veronal (ES)
»Vanishing Point« von Panama Pictures (NL)
Hip-Hop-Tanzworkshop mit Zenny Flex für Jugendliche (13-18 Jahre)
Tanzen im besten Alter mit Nicole Berndt-Caccivio – Kreativer zeitgenössischer Tanz für Menschen 50+

Von der Schule auf die Bühne

Grundschüler werden Autoren einer eigenen Geschichte für das BOXX-Ensemble

Seit dieser Spielzeit gibt es das neue Format des Jungen Theaters: BOXX | Geschichten. Zur Premiere waren zwei Klassen der Hölderlin Grundschule Lauffen waren zu Gast bei uns in Heilbronn und haben sich in der BOXX das Stück »Komm, wir finden einen Schatz« von Janosch angesehen. BOXX | Geschichten bietet den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, zusätzlich zum Vorstellungsbesuch ihre ganz eigene Geschichte auf der Bühne zu sehen.

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Ausschnitte der Geschichten der beiden dritten Klassen der Hölderlin Grundschule Lauffen gibt es in unserem Trailer.

Dafür hat die Klasse 3b gemeinsam eine Geschichte geschrieben, in der es um einen sagenumwobenen Schatz im Haigernwald geht. Vor vielen, vielen Jahren lebte dort eine Gruppe Frösche, die aus dem Wasser ihres goldenen Sees festes Gold herstellen konnte. Damit dekorierten sie ihre Höhlen und erfreuten sich an dem Glitzern und Knistern des Goldes. Doch auch die anderen Waldbewohner wollten etwas von dem Gold abhaben und versuchten, die Frösche zu beklauen. Daraufhin bauten diese eine riesige Mauer um ihren See. So vergingen die Jahre, die Frösche wurden immer älter und der See überwucherte immer mehr, bis er in Vergessenheit geriet. Doch eines Tages kam ein kleiner Junge im Haigernwald vom Weg ab und entdeckte etwas Glitzerndes zwischen den Baumwurzeln …

Einige Tage vor dem Besuch in Heilbronn hat die Klasse ihre Geschichte an das Theater geschickt und Sarah Finkel und Andreas Schlegel aus dem Ensemble des Jungen Theaters haben sich gemeinsam mit Nicole Buhr, der Leiterin des Jungen Theaters, ans Proben gemacht. Samt passender Requisite haben sie eine szenische Lesung für die Klasse vorbereitet. Die 3b war hellauf begeistert von der Umsetzung ihrer Geschichte und hat im Nachgespräch noch etwas über die kreativen Herausforderungen ihres Stücks erfahren, etwa wie man einen See auf die Bühne bringt und wie die Schauspieler dann auch darin tauchen können. Gerade diese Tauchszenen sorgten bei den Schülerinnen und Schülern für viele Lacher.

Auch die 3a der Hölderin Grundschule hat sich der Aufgabe, eine eigene Geschichte zu schreiben, gestellt. Inspiriert von einem Schulausflug auf den Haigern, werden die Schülerinnen und Schüler der Klasse 3a zu den Helden ihrer eigenen Geschichte. Dabei treffen sie im Wald auf einen Mann, dessen bester Freund in einen Frosch verwandelt wurde und nun dringend die Hilfe der gesamten 3a benötigt, um den Zauber aufzulösen. Mutig stellen sich die Schülerinnen und Schüler den Abenteuern, um den Verzauberten zu befreien. Gemeinsam und mit der Unterstützung der Waldbewohner versuchen sie den verzauberten Frosch zu befreien und begeben sie sich immer tiefer in den Wald …

Nach der Vorstellung von Janoschs »Komm, wir finden einen Schatz« sitzen sie gespannt in der BOXX, um zu sehen wie die Ensemblemitglieder Nora Rebecca Wolff und Rouven Klischies mit Regieassistentin Stefanie Roschek ihre selbst geschriebene Geschichte umgesetzt haben. In dem Bühnenbild, in dem gerade noch Tiger und Bär auf Schatzsuche gegangen sind, erwacht nun ihre eigene Geschichte zum Leben. Wie gebannt folgt die Klasse 3a den beiden Schauspielern, der Applaus im Anschluss ist groß.

Dann hatten die Kinder noch Gelegenheit, die Schauspieler mit Fragen zu löchern und alles zu erfahren, was sie schon immer über das Theater und das Theaterspielen wissen wollten: Wie lange dauern die Proben für ein Theaterstück? Ist es schwer, mehrere Stücke zur gleichen Zeit einzustudieren? Habt ihr auch Lampenfieber und warum wolltet ihr überhaupt gerne Schauspieler werden? Und ein paar Tipps zum Auswendiglernen von echten Profis gab es zu guter Letzt auch noch.

Das Fazit der beiden dritten Klassen: Sie möchten sehr gerne noch einmal wiederkommen mit einer weiteren BOXX | Geschichte.

Ab dem 5. April 2022 wird es eine zweite Auflage der BOXX | Geschichten geben. Dieses Mal bildet die Inszenierung »Rico, Oskar und die Tieferschatten« den Ausgangspunkt für die BOXX | Geschichten.
Schulklassen der Klassenstufen 3 – 6 können sich jetzt bis zum 25.02.2022 bewerben.
Alle Informationen zur Anmeldung gibt es hier.

Die Theaterclubs treffen sich wieder

Unsere Theaterclubs haben mit ihren Proben begonnen. Ich war dabei und gebe heute einen Einblick in die ersten Treffen, die endlich wieder hier vor Ort im Theater stattfinden können. Nach fast 2 Jahren wurde das aber auch Zeit! In der letzten Spielzeit fanden die Clubs zum ersten Mal online statt. Das hat auch gut funktioniert, und gemeinsam konnten die Theaterpädagoginnen und die Clubmitglieder tolle Stücke erarbeiten, aber letztlich ist es für alle nicht das gleiche, wie live und in Farbe miteinander zu spielen. „Vor Ort hat man einfach andere Möglichkeiten. Mehr Möglichkeiten auch, mit Körperlichkeit und Raum zu arbeiten. Man ist sich insgesamt näher, hat einen anderen Austausch und das Spielen ist noch dynamischer“, erzählt Schulreferentin Anna-Lena Weckesser, die den Club der 13- bis 16-Jährigen betreut.

Die Mitglieder des Theaterclubs für 9-12-Jährige machen sich Gedanken zum Spielzeitmotto »Wi(e)dersprechen« – gemeinsam mit Schauspielerin Nora Rebecca Wolff.

Wie wichtig diese Dynamik untereinander und das Einnehmen von Raum für die Arbeit der Clubs sind, erlebe ich bei meinem Besuch in den Theaterclubs hautnah. Theaterpädagogin Christine Appelbaum leitet gemeinsam mit der Schauspielerin Nora Rebecca Wolff den Club der 9- bis 12-Jährigen. An diesem Tag steht das Thema Emotionen auf dem Plan. Alle Kinder laufen kreuz und quer durch den Probenraum und nehmen dabei verschiedene Emotionen an. Mal sind sie fröhlich und hüpfen munter durch die Gegend, mal schlurfen sie traurig über’s Parkett, um dann wieder selbstbewusst-mutig mit erhobener Brust zu stolzieren.
Im Club der 16- bis 27-jährigen, den die Theaterpädagogin Natascha Mundt und der Schauspieler Andreas Schlegel betreuen, gestaltet sich dieser Raumlauf etwas anders, denn hier steht heute der Körper im Fokus. So sollen sie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten den Raum durchqueren, aber alle so synchron wie möglich. Nach einer kleinen Übungsrunde wird wild zwischen verschiedenen Tempi hin und her geswitcht – vom Rennen geht es prompt ins Schneckentempo und dann wieder ins hastige Eilen oder gemächliche Schlendern. Anschließend macht sich die Gruppe auf die Reise und läuft über den Mond, durch Treibsand und über Scherben. Besonders unterhaltsam wird es für mich als Beobachterin, als sich die jungen Erwachsenen in Paaren durch den Raum bewegen und die hintere Person die vordere imitiert. Da wird zwischen den Säulen entlang getänzelt, sich plötzlich geduckt, um gleich darauf hoch in die Luft zu springen, oder der Raum wird kurzerhand zum Catwalk.

Wer traut sich als nächstes ins Rampenlicht?

Nach diesen Übungen zum Ankommen folgt ein weiterer, ganz wichtiger Aspekt der Theaterclubs, der bei den Online-Treffen ganz eindeutig zu kurz kam: Das Erlebnis, auf einer echten Theaterbühne zu stehen. Heute probieren die Jugendlichen sich zum ersten Mal aus und trauen sich, jeweils einzeln eine Weile einfach stumm auf der Bühne zu stehen. Im Rampenlicht, vor den restlichen Clubmitgliedern, ganz alleine und im Mittelpunkt. Das kostet noch einige Überwindung und Frederik gibt zu, „dass die Zeit dort auf der Bühne plötzlich viel langsamer vergeht und auch ein kleiner Erwartungsdruck entsteht, wenn alle Augen auf dich gerichtet sind.“ Und auch im Club der 9-12-Jährigen geht es heute das erste Mal auf die Bühne: einen Zungenbrecher vorlesen. Und als wenn das noch nicht schwer genug ist, sollen die Kinder ihn noch mit einer der zuvor erprobten Emotionen vortragen. Und das machen sie bereits sehr überzeugend. In diesem Punkt profitieren die Mitglieder ganz klar von den Live-Treffen, denn hier wird auch ihr Selbstbewusstsein geschult und sie bewegen sich vielleicht auch ein wenig aus ihrer Komfortzone heraus. Die 10-jährige Uljana freut sich ganz besonders, denn sie macht beim Theaterclub mit, weil sie Theater so gerne mag und auch mal selbst auf der Bühne stehen möchte.

Zum Abschluss der Clubtreffen geht es jeweils nochmal in Kleingruppen auf die Bühne. Die Kinder spielen kleine Szenen vor, die sie sich zu gemeinsam bestimmten Szenarien in kürzester Zeit selbst ausgedacht und einstudiert haben. Im Club von Natascha Mundt dürfen die jungen Erwachsenen lebende Power-Point-Präsentationen halten. Hierbei erklärt immer eine Person, was auf dem Bild zu sehen ist, und die übrigen stellen das Präsentierte als Standbild dar. Alle setzen das wirklich gut um und bringen viel Humor und Witz ein.

Die Jugendlichen spielen eine selbstausgedachte Szene zum Thema »den Eltern widersprechen«.

Nachdem bei diesen ersten Treffen erstmal die Grundlagen in Sprechen, Körperarbeit, Improvisation und Schauspiel von den Teilnehmenden ausprobiert werden konnten, werden sie nach der Weihnachtspause langsam beginnen, inhaltlich in die Stückentwicklung einzusteigen für ihre Aufführungen im Mai. Hier dreht sich dann thematisch alles um unser Spielzeitmotto, das »Wi(e)dersprechen«, das die einzelnen Clubs auf ihre eigene Art und Weise auf der Bühne umsetzen werden. »Der Theaterclub ist mein kleines Highlight der Woche geworden«, freut sich Anna-Lena Weckesser. Und hofft, dass alle Clubs sich auch im neuen Jahr weiterhin vor Ort treffen können und letztlich auch ihr entwickeltes Stück auf der Bühne der BOXX präsentieren können. Und auch ich werde mir das sicher nicht entgehen lassen.

Anekdoten zum »Endspiel« – Teil 2

Noch einmal wollen wir euch mit interessanten Hintergrundinfos zu Samuel Becketts »Endspiel« versorgen, das in der Inszenierung unseres Intendanten Axel Vornam am 26. Novemer 21 die letzte Vorstellung hat.

Das »Endspiel« provozierte – wie alle Texte Becketts – eine ganze Flut von Interpretationsansätzen. Auch an den Namen der beiden Figuren »Hamm« und »Clov« arbeiteten sich ganze Generationen von Theatermenschen und Literaturwissenschaftlern ab. Ernst Schröder, der Hamm in Becketts eigener Inszenierung in der Werkstatt des Berliner Schiller Theaters 1967, erklärte sich die Namensgebung damit, dass seine Figur wie ein Hammer auf drei Nägel (seine Interpretation der Namen Clov, Nagg und Nell) einschlägt.

»Endspiel« von Samuel Beckett, Foto: Candy Welz

Etwas peinlich wurde es für den legendären Philosophen Theodor W. Adorno: In seinem Aufsatz »Versuch, das Endspiel zu verstehen« von 1961 leitete er Hamm von Hamlet her, Clov sein ein »verkrüppelter Clown«. Bei einer Feierstunde des Suhrkamp Verlag zu Ehren Becketts bestand er auf seiner Interpretation, obwohl der Autor ihm schon vorher beim Mittagessen heftig widersprochen hatte. Darauf hin flüsterte Samuel Beckett seinem Verleger Siegfried Unseld ins Ohr: »Das ist der Fortschritt der Wissenschaft, dass die Professoren mit ihren Irrtümern weitermachen können!«

Wofür stehen für Sie Hamm und Clov? Spannen Sie Ihre interpretatorischen Muskeln bei der letzten Vorstellung unseres »Endspiels« am 26. November!

»Endspiel« von Samuel Beckett, Foto: Candy Welz

Gemeinsam in die Zukunft spielen – experimenta und Theater Heilbronn richten gemeinsam ein Festival aus

Was haben Wissenschaft und Theater gemeinsam? Wie können sie sich gegenseitig befruchten? Das sind die Fragen, aus denen sich das Heilbronner Festival »Science & Theatre« entwickelt hat. Zum zweiten Mal laden experimenta und Theater Heilbronn vom 17. bis zum 21. November zum Forschen, Entdecken und Staunen ein.

Sechs ganz unterschiedliche Inszenierungen zeigen, was die Bühnenkunst aus und mit Wissenschaft alles anstellen kann: Ein bekannter Autor lässt von sich selbst ein Roboter-Double anfertigen, das in einem Stück auftritt. Zwei Schwestern sehen in Künstlicher Intelligenz die Lösung ihrer persönlichen Pflegeprobleme. Kuriose Maschinen machen in der lustvollen Performance einer niederländischen Gruppe Musik »auf Kollisionskurs«. Oder bei einer spannenden Mitmachaktion erfahren Kinder, was Zucker in ihrem Körper so alles auslösen kann. Und ein knallbunter Bühnencomic wirft einen ebenso skurrilen wie gruseligen Blick in die Zukunft.

»Schwarze Schwäne« von Christina Kettering ist das Gewinnerstück des ersten Autorenwettbewerbs »­Science & Theatre« des Jahres 2019, den das Theater Heilbronn ausgelobt hatte und wird nun im Science Dome der experimenta uraufgeführt.

In die Zukunft richtet sich auch der Dramenwettbewerb, der Teil des Festivals ist: Am 21. November kann das Publikum bei den Szenischen Lesungen der drei Gewinnerstücke mitentscheiden, welches 2022 auf den Spielplan kommt. Im Augenblick laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren, einen Vorgeschmack auf das Festival liefern aber schon die Trailer auf unserer Homepage. Freuen Sie sich auf fünf prall gefüllte Tage, die Kopf, Herz und Bauch – das Team der experimenta hat auch Science Häppchen vorbereitet – zugleich ansprechen werden!

Hier gibt’s weitere Infos zu den einzelnen Programmpunkten:

»Schwarze Schwäne« (UA) von Christina Kettering
»Uncanny Valley / Unheimliches Tal« von Rimini Protokoll
»Ramkoers« von der Muziektheatergroep BOT
»Auf Zucker – ein Selbstversuch in sieben Süßigkeiten« vom Fundus Theater – Theatre of Research
»Die Mondmaschine« von Mass & Fieber OST
»The Last Mortal« von half past selber schuld
Dramenwettbewerb »Science & Theatre«
Podiumsdiskussion »Künstliche Intelligenz und Theater«

Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell

Eine musikalisch-literarische Festwiese

Benefizkonzert am 7. November 2021 im Großen Haus als großes Fest des Miteinanders

Es ist ein so einfaches wie schönes Bild: Ein Kettenkarussell dreht sich – darin sitzen Menschen jeglicher Herkunft, Jung und Alt. Sie lachen und genießen den Rausch der Geschwindigkeit. Niemand fliegt hier höher, schneller oder weiter als der andere, es gibt keine Unterschiede mehr: »Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell«.
Das ist auch der Titel des großen Benefizkonzertes am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus. Vier Institutionen der Kultur- und Musikszene, die zum ersten Mal miteinander spielen, versammeln sich zum Abschluss des 17-tägigen Theaterprojektes »Kein Schlussstrich!«, das sich mit den Taten des NSU auseinandersetzt, um auf musikalische-literarische Weise die wunderbare gesellschaftliche Utopie einer umfassenden gegenseitigen Akzeptanz zu entwerfen. Auf der Bühne zu erleben sind die phantastischen Gipsy-Jazzmusiker Christoph König (Violine), Dario Napoli (Gitarre) und Benji Nini Winterstein (Rhythmusgitarre), der Poetry Slamer Sulaiman Masomi, das Württembergische Kammerorchester Heilbronn und die Big Band-Besetzung des Landespolizeiorchesters Baden-Württemberg.

»Wir wollten das große Theaterprojekt ›Kein Schlussstrich!‹ versöhnlich und mit einem großen musikalischen Dialog beenden«, sagt die geschäftsführende Chefdramaturgin Dr. Mirjam Meuser. Sie hat die gesamte Veranstaltungsreihe für das Theater Heilbronn kuratiert und auch die Idee für das Abschlusskonzert in einem gemeinsamen Brainstorming mit Intendant Axel Vornam und WKO-Intendant Rainer Neumann entwickelt. Ausgangspunkt bei der Ideenfindung war die Theresienwiese, die über viele Jahre ausschließlich die Festwiese für die Heilbronner Bevölkerung war, bis sie sich ab dem 25. April 2007 auch als Tatort des Mordes an Michèle Kiesewetter in das kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Das eine ist seither ohne das andere nicht mehr denkbar. So kam es zu dem Gedanken, einmal alle Akteure, die an dieser Erzählung von der Theresienwiese teilhaben, gemeinsam auf eine Bühne zu holen. Warum nicht vereinen, was nicht auf den ersten Blick zusammengehört – im Versuch eines großen gemeinsamen Dialogs? Zumal das Landespolizeiorchester seinen Sitz in Böblingen hat, jenem Ort, an dem auch die junge Polizistin Michèle Kiesewetter stationiert war. Schnell war für beide Orchester klar, dass sie bei diesem ungewöhnlichen Projekt im Theater zusammenarbeiten wollten. Für die weitere Programmgestaltung holte sich das Team den Dirigenten und Arrangeur Christian Dominik Dellacher mit ins Boot, der für diesen Abend die musikalische Leitung übernimmt. Und sie arbeiteten mit der Musikvermittlerin und Kulturmarketing-Expertin Dr. Barbara Volkwein zusammen, die viel Erfahrung in solchen Cross-Over-Projekten besitzt. Barbara Volkwein gewann ein großartiges Gipsy-Jazz-Trio: Christoph König ist eigentlich klassischer Violinist mit Vorliebe zu osteuropäischer Musik, er ist aber auch im Jazz zu Hause und spielt regelmäßig mit großen Vertretern des Gipsy Swings. Dario Napoli gilt europaweit als der aufsteigende Star am Gipsy-Gitarrenhimmel. Der Italiener vertritt die Modernisierung des Django Reinhardt Stils und tritt europaweit bei Jazzfestivals auf. Benji Nini Winterstein ist Gipsy Jazz Rhythmusgitarrist und ist Nachfahre aus der berühmten Musikerfamilie um Titi Winterstein. Er gehört zu den unermüdlichen Arbeitern an der Rhythmusgitarre und ist unverzichtbares Herzklopfen eines Gipsy-Jazz-Orchesters.

Dem Gipsy-Jazz wird im musikalischen Diskurs dieses Abends ein breiter Raum eingeräumt. Denn wegen der bekannten Wattestäbchen-Ermittlungspanne im Fall Kiesewetter richtete sich der Verdacht lange Zeit zu Unrecht auf Vertreterinnen der Sinti und Roma.
Und schließlich ist noch der berühmte deutsch-afghanische Rapper und Bühnenpoet Sulaiman Masomi mit dabei. Er ist einer der besten, wenn es um die Auseinandersetzung mit Rassismus in Deutschland geht, und er schreibt extra für diesen Abend einen Text.

So gehen in diesem musikalisch-literarischen Programm seelenvolles Gedenken und ausgelassene Zuversicht Hand in Hand. Puccini und Gershwin treffen auf die Texte von Sulaiman, Dvořák auf die jazzigen Klänge des Gipsy-Jazz-Trios. Und auch Rimsky-Korsakov und Sting, Piazzolla und Milhaud sind  mit von der musikalischen Partie.

Ein einmaliges Konzert, wie es es so in Heilbronn noch nie gegeben hat: Für einen langen Augenblick findet das vermeintlich Unvereinbare zueinander und begibt sich in einen großen, lebhaften Dialog. Denn miteinander zu reden, ob mit Worten oder den Mitteln der Musik, ist der einzige Weg, unsere Gesellschaft zu einen.

Die Einnahmen aus dem Konzert gehen an die Hildegard Lagrenne Stiftung, die sich für Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland einsetzt.

»Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell« am 7. November 2021 um 19.30 Uhr im Großen Haus.

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Kein Schlussstrich in der Ausstellung

Im Rahmen des bundesweiten Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!« zur Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex gibt es die von Ayşe Güleç und Fritz Laszlo Weber kuratierte Ausstellung »Offener Prozess« des ASA-FF e. V. zu sehen – auch bei uns im Foyer des Großen Hauses. Heute möchten wir euch Näheres dazu erzählen.

Filmdreh Witnesses; Foto: Franziska Kurz

Thema der multimedialen Ausstellung ist der NSU-Komplex, wobei die Geschichten von Gastarbeiterinnen und Gastarbeitern im ost-deutschen Sachsen den Ausgangspunkt bilden. In dem Beitrag »Sorge 87« von Thanh Nguyen Phuong etwa erzählen vietnamesische Gastarbeitende und ein deutsches Ehepaar von der Zeit der Vertragsarbeit im sächsischen Werda, von ihrem Alltag und ihrem Zusammenleben. Von hier aus wird der Bogen gespannt zu rassistischen und rechtsmotivierten Taten in Ost- und Westdeutschland und deren Kontinuität verdeutlicht, aber auch auf den Widerstand dagegen hingewiesen. So zum Beispiel in dem Beitrag »Tiefenschärfe« von Alex Gerbaulet und Mareike Bernien, der von den Taten des NSU erzählt. In der Ausstellung wird der Ansatz des »lebendigen Erinnerns« gewählt, um die marginalisierten Perspektiven nun endlich in den Mittelpunkt zu rücken und um – ganz unter dem Credo von »Kein Schlussstrich!« – die Perspektive der Betroffenen zu stärken. Hierbei werden auch struktureller und institutioneller Rassismus und seine Entwicklungen betrachtet – gemixt mit »Songs of Vertragsarbeit« von Vincent Bababoutilabo. Zuhören wird hier als politische Praxis verstanden, Erinnern als Prozess.

Aufgebaut ist die Ausstellung aus verschiedensten künstlerischen Video- und Audiobeiträgen, unter anderem von Harun Farocki, Hito Steyerl und belit sağ. In Heilbronn sind zwölf der insgesamt 20 Beiträge, die teilweise über QR-Codes abrufbar sind, ausgestellt. Zudem gibt es die Möglichkeit, sich die Web-Ausstellung mit allen Beiträgen online anzusehen – in den Sprachen Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und in Einfacher Sprache.

Ausstellungszeitraum: 22. Oktober bis 7. November 2021, Foyer Großes Haus, Eintritt frei

Öffnungszeiten: Mo. bis Fr. 10–19 Uhr, Sa 10-14 Uhr sowie Sa. & So. 1h vor der Vorstellung

Führungen: Auf Anfrage bieten wir für Gruppen von 4 bis 6 Personen 20-minütige Führungen an. Anfragen an Sophie Püschel unter: pueschel@theater-hn.de

Želimir Žilnik (1975) Inventur – Metzstrasse 1, Kurzfilm DE, Filmstill

»Kein Schlussstrich!« in Workshops

Nicht mehr lange bis zum Start des bundesweiten Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!«, das sich mit dem NSU-Komplex beschäftigt. In dieser Reihe stellen wir euch die einzelnen Bestandteile unseres Heilbronner Programms im Detail vor. Thema heute ist das Workshop-Angebot für Jugendliche und Schulklassen. Die Workshops finden exklusiv in der Woche vom 25. bis 29. Oktober in Kooperation mit dem Demokratiezentrum Baden-Württemberg statt und werden von der dazugehörigen Fachstelle »kompetent vor Ort. Gegen Rechtsextremismus« durchgeführt. Ziel ist es, den Schülerinnen und Schülern eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Themen Diskriminierung und Rassismus zu ermöglichen.

Foto: Burschel

Den Auftakt der Reihe bildet der Workshop »Diss DisRespect!«, der als vorstellungsbegleitenden Workshop in Kombination mit verschiedenen Vorstellungen möglich ist – zum Beispiel zu der Vorstellung von »Verschlusssache« am 25. Oktober. Dieser Workshop richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab 15 Jahren. Zur Sensibilisierung der Teilnehmenden gegenüber Vorurteilen und Diskriminierung stehen unter anderem gruppendynamische Prozesse im Fokus, die Ausgrenzung begünstigen können. So werden die Mechanismen von Diskriminierung und Rassismus beleuchtet und auch die möglichen Folgen für die Opfer thematisiert. Hier liegt auch der Anknüpfungspunkt zum Stück »Verschlusssache«, das unter anderem durch die Radikalisierung der NSU-Mitglieder und ihre Morde aufzeigt, welche schlimmen Folgen Vorurteile letztlich nach sich ziehen können.

Als Teil des Ferienprogramms bietet unsere Theaterpädagogik außerdem vom 2. bis 3. November die DemokratieBOXX an, die sich an Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren richtet. Den Einstieg bildet der gemeinsame Vorstellungsbesuch des Stücks »Die Zertrennlichen« – eine Geschichte über eine Freundschaft zwischen zwei Kindern, die aufgrund von Rassismus und Vorurteilen von den Eltern verboten wird. Im Anschluss folgen ein Nachgespräch und ein spielpraktischer Workshop, bei dem die Teilnehmenden auch selbst einzelne Szenen nachspielen. Dabei können sie zum Beispiel nachempfinden, wie es zu Ausgrenzung aus einer Gruppe kommt und wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu werden. Auch Gruppenspiele und die gemeinsame Reflexion kommen nicht zu kurz.
Der zweite Tag dieses Workshops widmet sich der Demokratiebildung. Angeleitet durch die Bildungsreferentin Tanja El Ghadouini von der RAA Berlin – ein Verein, der diskriminierungskritische Partizipationsprojekte unter anderem in Schule und Schulumfeld unterstützt – spielen die Jugendlichen gemeinsam das innovative Demokratiespiel Quararo, das übrigens hier in Heilbronn entwickelt wurde! Hierfür lernen sie zunächst etwas über die Entscheidungsprozesse, die es in einer Demokratie gibt, und wie sie überhaupt funktionieren. Dann werden diese im Spiel selbst durchlebt, wobei man die Bedürfnisse aller Gruppenmitglieder bedenken und womöglich Kompromisse finden muss. Dabei wird die Gruppe vor realitätsnahe Herausforderungen gestellt, in denen sie knifflige Entscheidungen treffen muss, und – so viel sei bereits verraten – bei denen es gar nicht so leicht ist, eine gerechte Wahl zu treffen. In Anlehnung an »Die Zertrennlichen« wird das Oberthema des Spiels Freundschaft sein.
Die DemokratieBOXX schult sowohl theatrale als auch diskursive Kompetenzen der Jugendlichen und verbindet die Themen Theater und Demokratie sowohl aktiv als auch rezeptiv miteinander. Die Kombination aus theoretischem Wissensgewinn und praktischem Erleben von demokratischen Prozessen macht den Workshop genauso besonders wie die Chance, Selbstvertrauen zu gewinnen und in den theaterpraktischen Gruppenspielen über den eigenen Schatten zu springen.
Die Kosten betragen 7€ für den Vorstellungsbesuch von »Die Zertrennlichen«, die Anmeldung ist bis zum 25. Oktober 2021 an theaterpaedagogik@theater-hn.de möglich.

Darüber hinaus haben wir den kostenlosen Workshop »Toledo to do« im Programm, der die Schülerinnen und Schüler in die spanische Stadt Toledo versetzt, die als sehr weltoffen gilt, da dort seit langer Zeit viele Kulturen und Religionen zusammenleben. Die Teilnehmenden reisen zurück ins Mittelalter und nehmen die Rolle einer Einwohnerin oder eines Einwohners von Toledo ein. Durch diesen Perspektivwechsel und die zeitliche sowie räumliche Distanz erlangen sie einen neuen sensibilisierten Blick auf das heutige Zusammenleben in der pluralen Migrationsgesellschaft und lernen, mit Konflikten umzugehen.

In weiteren Workshops setzen sich die Schulklassen mit Hate Speech und Rechter Musik auseinander – Phänomene, die vielen Schülerinnen und Schülern im Alltag begegnen. Sie lernen, wie man Zivilcourage beweist, wie man rechten Inhalten begegnet und was rechtes Gedankengut anrichten kann. Durch das Workshop-Programm werden die Themen des Theaterprojekts »Kein Schlussstrich!« mit den Jugendlichen altersgerecht reflektiert und weitergedacht. Sie werden für rechtes Gedankengut und Rassismus sensibilisiert und lernen, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen. Auch hier gilt, dass wir in den Austausch miteinander gehen müssen, um die Probleme überwinden zu können, die durch das erneute Erstarken rechter Kräfte hervortreten. Und ganz im Zeichen von »Kein Schlussstrich!« wird hierbei stets auch die Betroffenen-Perspektive eingenommen – denn wer könnte uns mehr erzählen über den Weg zu einer diskriminierungsfreien Welt als die Menschen, die diese Erfahrung selbst machen mussten?

Weitere Informationen zu den Workshops sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/junges-theater/antidiskriminierungsworkshops.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.
Details zum übrigen Programm von »Kein Schlussstrich!« gibt es außerdem hier: https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php

»Kein Schlussstrich!« im Film

Heute stellen wir euch einen weiteren Bestandteil des Heilbronner Programms für das bundesweite Theaterprojekt »Kein Schlussstrich!« vom 21. Oktober bis 7. November vor: Die Filmreihe mit Nachgespräch, die das Theater Heilbronn in Kooperation mit dem Kinostar Arthaus-Kino Heilbronn und dem Demokratiezentrum Heilbronn organisiert.

Auch die Filmreihe bildet einen wesentlichen Teil des Programms, da sie die Inhalte und damit die Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex durch das Medium Film noch auf weitere Art möglich macht. Und durch die unterschiedlichen Filmgenres mit Dokumentar- und Spielfilmen lassen sich unterschiedliche Perspektiven zur Annäherung an die Themen NSU und Rassismus einnehmen. Inhaltlich legt die Filmreihe den Schwerpunkt auf die Taten des NSU und deren Folgen, vor allem auch für die Betroffenen, sowie auf den geistigen Nährboden, aus dem heraus rechtes Denken und Radikalisierung entstehen können.

Filmstil »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage«; Foto: Partisan Filmverleih

Den Auftakt bildet am 25. Oktober der Dokumentarfilm »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« von Sobo Swobodnik, der eine Chronik der Taten des NSU liefert. Hierbei wird die Betroffenenperspektive gestärkt, was die Einseitigkeit der tendenziösen Ermittlungen hervorhebt und die doppelte Traumatisierung der Betroffenen verdeutlicht – traumatisiert zum einen durch den Verlust ihrer Angehörigen und zum anderen durch die Kriminalisierung und Stigmatisierung ihres Familienumfelds.

Mit dem Thema Erinnern und Verarbeiten beschäftigt sich am 5. November auch der Dokumentarfilm »Der Kuaför aus der Keupstraße« von Andreas Maus. Die Opfer des NSU-Nagelbombenanschlags in der Keupstraße kommen zu Wort und erzählen ihre Geschichte. Wie haben sie das Geschehene verarbeitet? Wie erging es ihnen während der Zeit der Ermittlungen und wie geht es ihnen heute, 17 Jahre nach dem Anschlag?

Am 26. Oktober wird der Spielfilm »Wir sind jung. Wir sind stark.« von Burhan Qurbani gezeigt, der die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 thematisiert. Gezeigt wird die Orientierungslosigkeit einer Generation, der auch Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe angehört haben, und die ihren Platz nach dem Zusammenbruch der DDR neu finden muss. Für das Nachgespräch wird die Augenzeugin der Anschläge in Rostock Mai-Phuong Kollath anwesend sein, die heute als interkulturelle Beraterin und Diversity-Trainerin tätig ist.

Weiter geht es am 2. November mit dem durchaus kontrovers diskutierten Doku-Spielfilm »Kleine Germanen« von Mohammad Farokhmanesh und Frank Geiger, der die Rolle von Erziehung und Familie für den Radikalisierungsprozess und im Kontext rechter Bewegungen beleuchtet. Auch das Nachgespräch, für das der Sozialpsychologe und Soziologe Dr. Sebastian Winter zu Gast sein wird, beschäftigt sich mit der Frage nach sozialen und psychischen Abhängigkeiten in Familienstrukturen und der transgenerationalen Weitergabe von rechtem Gedankengut.

Filmstil »Kleine Germanen«; Foto Little Dream Entertainment

Der investigative Dokumentarfilm »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« von Peter Ohlendorf, den wir am 4. November zeigen, beruht auf einer 15 Jahre langen Undercover-Recherche des Journalisten Thomas Kuban in der Neonaziszene. Es wird herausgearbeitet, welchen hohen Stellenwert Rechtsrock für die Vernetzung in der rechten Szene noch immer hat und wie so eine Art rechter Parallelgesellschaft etabliert wird. Für das Nachgespräch wird der Regisseur selbst vor Ort sein.

Anlässlich des 60. Jahrestages des Anwerbeabkommens zwischen Deutschland und der Türkei findet am 30.  Oktober im Rahmen von »Kein Schlussstrich!« ein besonderes themenspezifisches Programm statt. Teil davon ist der Spielfilm »Almanya – Willkommen in Deutschland« von Yasemin Şamdereli, der die Identitätsfrage von Migrantinnen und Migranten verhandelt und aufzeigt, dass sich diese selbst in der dritten Generation weiterhin stellt: »Wer oder was bin ich eigentlich – Deutscher oder Türke?» – das fragt sich im Film auch der sechsjährige Enkel des türkischen »Gastarbeiters« Hüseyin. Im Nachgespräch ist Nilgün Taşman zu Gast, die selbst »Gastarbeiterkind« ist und sich als interkulturelle »Brückenbauerin« engagiert.

Die Nachgespräche finden jeweils im Anschluss an die Filmvorführung statt und ermöglichen neben den im Film verhandelten Themen auch einen weiterführenden Austausch. Fragen des Publikums sind ausdrücklich erwünscht!

Wie die Podiumsdiskussionen richtet sich die Filmreihe auch explizit an Schulklassen, die herzlich ermutigt sind, die Vorstellungen und Nachgespräche zu besuchen.

Hier noch einmal alle Termine im Überblick:

  • »6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – die Morde des NSU« am 25. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Moderation: Heval Demirdöğen
  • »Wir sind jung. Wir sind stark.« am 26. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Mai-Phuong Kollath, Moderation: Johanna Streit
  • »Almanya – Willkommen in Deutschland« am 30. Oktober um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Nilgün Taşman, Moderation: Roswitha Keicher
  • »Kleine Germanen« am 2. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Dr. Sebastian Winter, Moderation: Andreas Hässler
  • »Blut muss fließen – Undercover unter Nazis« am 4. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Peter Ohlendorf, Moderation: Dr. Mirjam Meuser
  • »Der Kuaför aus der Keupstraße« am 5. November um 19:30 Uhr im Arthaus-Kino; Nachgespräch mit Özge Pınar Sarp, Moderation: Arne Güttinger

Weitere Informationen zu den Filmen und Gästen sowie zu allen weiteren Programmpunkten sind auf unserer Website unter https://www.theater-heilbronn.de/programm/kein-schlussstrich/termine.php und in der »Kein Schlussstrich!«-Broschüre zu finden.