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Blog von Jacob Wahl, Regiehospitant bei »Extrawurst«
Samstag, 4. März 2023. Der Saal im Komödienhaus füllt sich, mein Handydisplay zeigt: 20:00 Uhr. Gleich beginnt die Premiere. Ich habe das Stück, das hier gleich zur Aufführung kommt, in den letzten Wochen unzählige Male gesehen und kann jeden Satz auswendig mitsprechen. Doch die Premiere vor dem Publikum im ausverkauften Haus ist nochmal etwas ganz anderes.
Hinter mir liegen sechs aufregende Wochen. Sechs Wochen als Regiehospitant bei Extrawurst, einer Komödie, in der die Vereinsversammlung eines Tennisclubs wegen einer scheinbar unbedeutenden Angelegenheit – der Anschaffung eines zweiten Grills für das einzige muslimische Mitglied – aus dem Ruder läuft.
Die erste Zeit wurde im Probenzentrum des Theaters Heilbronn geprobt, einem modernen Bau Norden Heilbronns, gelegen zwischen Bahngleisen und Industriegebiet. Von innen wirkt es wie eine Mischung aus Turnhalle und Theaterbühne. Als ich zum ersten Mal in den Probenraum komme, treffe ich dort nicht nur auf den Regisseur des Stückes Folke Braband, sondern auch auf das Ambiente eines Tennisclubs: Überall stehen Pokale und Tennisschläger. Die Schauspielerinnen und Schauspieler kommen dazu, setzen sich auf die Barhocker im Bühnenbild von Tom Presting und sprechen den Text der Szene, die heute geprobt werden soll. Plötzlich bin ich mittendrin im Stück und höre, wie sich die Diskussion um den zweiten Grill entspinnt: Soll man zusätzlich zu dem Grill, das man ohnehin neu anschaffen will, einfach noch einen zweiten kaufen? Oder genügt es einfach, den alten Grill sauber zu machen? Anschließend erlebe ich die gleiche Szene nochmal, diesmal aber nicht nur als Text, sondern gespielt. Der Unterschied fällt mir zuerst ehrlich gesagt kaum auf, weil das Ensemble schon beim Lesen des Textes alles gegeben hat.
Ab da sitze ich Tag für Tag hinter dem großen Tisch im Probenzentrum, schaue mir die Proben an, lache bei den schrägen Gags, trage Änderungen am Text in mein Regiebuch ein und esse währenddessen zu viele Schokokekse. Wenn Tennisbälle über die Bühne fliegen, sammle ich sie wieder auf und bringe das Bühnenbild gemeinsam mit Lisa, der Regieassistentin, wieder in den Originalzustand. Als absoluter Theaterneuling trete ich auch mal in ein Fettnäpfchen: Als ich nach einer Probe begeistert applaudiere, werde ich freundlich zur Seite genommen und lerne, dass man das auf keinen Fall tun darf, denn Klatschen vor der Premiere bringt Unglück – so besagt es zumindest der Theateraberglaube.
Schließlich ist es so weit: Zwei Wochen vor der Premiere wechseln wir vom Probenzentrum auf die Bühne im Komödienhaus. Hier sehe ich zum ersten Mal auch das Originalbühnenbild: Der Schriftzug TC Fortuna Gaffenberg prangt über der Bühne, die nun kaum mehr von einem echten Tennisvereinsheim zu unterscheiden ist. Die Früchte der Arbeit der vergangenen Wochen zahlen sich jetzt aus: Meine Anmerkungen im Regiebuch helfen Lisa, die finale Bühnenfassung für die Mitarbeitenden von Licht und Ton auszuarbeiten. Und am Abend vor der Premiere sagen mir die Ensemblemitglieder, dass ihnen meine Lacher bei den Proben eine große Hilfe waren, um abschätzen zu können, ob die Pointen funktionieren.
Und dann sitze ich in der Premiere unter den Zuschauern. Ganz so gelassen wie bei den Proben kann ich nicht mehr sitzen, weil auch ich gespannt bin, wie das Stück beim Publikum ankommt. An einer Stelle lache ich als einziger, weil einer der Schauspieler einen überraschenden Einfall hat, der aber nur mir auffällt, weil ich das Stück kenne. Am Ende läuft aber alles gut – die Theatergeister haben wohl nochmal ein Auge zugedrückt und mir mein vorzeitiges Applaudieren verziehen. Mit nach Hause nehme ich an diesem Abend nicht nur einen Rucksack voller Premierengeschenke, sondern auch jede Menge ermutigende Erfahrungen und vor allem die Erinnerung an eine schöne, witzige Zeit.
Theaterkreis des Seniorenbüros zum Thema »Theaterfotografie« mit Fotograf Candy Welz und Dramaturgin Sophie Püschel. Mit dabei ist außerdem eine Schulklasse vom Kolping Bildungswerk.
Heute nicht hinter, sondern vor der Kamera: Candy Welz fotografiert seit der Spielzeit 2018/19 für uns am Theater Heilbronn. Ganz gespannt lauscht das Publikum, was Candy über seinen Beruf zu erzählen hat, für den es besonderes Fingerspitzengefühl braucht. »Keiner fängt als Theaterfotograf an«, antwortet Candy auf die Frage, wie er zur Theaterfotografie gekommen ist, »es dauert, bis man ein Gespür dafür bekommt«. Der Fotograf aus Weimar fotografiert bereits journalistisch für namhafte Zeitungen wie die Welt, Reuter oder den Stern. Sein Studium absolviert er in Medienkultur, praktische Erfahrung kann er anschließend bei der Regionalzeitung (Thüringer Allgemeine) sammeln. Dort fotografiert er für die Ressorts Sport, Politik sowie Theater. Als die journalistische Fotografie anfängt »den Bach runterzugehen«, konzentriert er sich mehr auf die Theaterfotografie.
Die journalistische Fotografie erweist sich als eine gute Schule: Candy lernt mit Druck und der Einmaligkeit der Ereignisse umzugehen. »Ausreden kann ich nicht drucken« – dieser Satz seines Chefs hat sich ihm ins Gedächtnis gebrannt. Candy geht erst, wenn er ein gutes Foto in der Tasche hat, egal wie groß oder klein der Auftrag ist. Das Fotografieren von Theateraufführungen bringt neue Herausforderungen mit sich: schwierige Lichtverhältnisse und je nach Stück tummelt sich eine unterschiedliche Anzahl an Darstellern auf der Bühne. Ob sich Candy da inhaltlich noch auf das Stück konzentrieren kann? Meistens bekommt er nur die Hälfte mit, zu sehr ist er mit dem Wechsel der Objektive beschäftigt. Ganz unvorbereitet geht der Fotograf jedoch nicht an die Arbeit. Am Theater Heilbronn gibt es zuvor immer ein Gespräch mit den Stückdramaturgen. Diese geben ein kurzes Briefing und weisen den Fotografen auf konzeptionelle Schwerpunkte hin. Außerdem werden die Anforderungen an die Bilder je nach Publikationsart (Leporello, Website, etc.) besprochen.
Das neugierige Publikum stellt Candy an diesem Abend viele Fragen: Ob er schon einmal Prominente fotografiert habe? Beschweren sich eigentlich die Schauspieler, wenn sie sich auf den Fotos nicht gefallen? Ja, Prominente hatte der Fotograf im Laufe seiner journalistischen Arbeit mehrfach vor der Linse. Anfangs ist er nervös, denkt »Hoffentlich versau ich’s nicht«, mit der Routine wird jedoch klar »die sind auch nur Menschen«. Die zweite Frage verneint er. Unsere Dramaturgin Sophie Püschel ergänzt, dass auch das Theater nichts davon habe, wenn die Schauspieler auf den Bildern unvorteilhaft aussehen bzw. einen unpassenden Ausdruck hätten. Wichtig ist, dass die Fotos den Kern der Inszenierung widerspiegeln.
Anschließend zeigt Candy eine Reihe spannender Theaterfotografien, die von verschiedenen Inszenierungen entstanden sind. Von extrem ausgefallenen Bühnenbildern, Nebel und Wasser auf der Bühne ist alles dabei. Mit wechselnden Lichtverhältnissen können Bilder derselben Inszenierung ganz unterschiedlich aussehen. Ideale Vorrausetzungen sind für Candy viel Bewegung auf der Bühne und Lichtwechsel. Gerne ist der Fotograf ganz »nah dran«. Ist einmal ein Fuß abgeschnitten bzw. nicht mehr im Bildausschnitt zu sehen, stört ihn das nicht: »Das perfekte Bild ist langweilig«. Leitgedanke für seine Arbeit ist Robert Capas Maxime: »Wenn ein Bild nicht gut ist, warst du nicht nah genug dran«. Damit kann sowohl der physische Abstand als auch die gedankliche Auseinandersetzung gemeint sein. Einmal war Candy sogar selbst Teil einer Inszenierung und konnte zum Fotografieren ganz nah an die Darsteller heran. Das Publikum ist von den Fotos beeindruckt. Zum Schluss gibt es eine letzte Frage, und zwar, ob Candy von sich Selfies mache. Er lacht: »Nein. Es gibt einen Grund, warum ich mich hinter der Kamera verstecke«.
Figurentheater ist für Katja Spiess die innovativste der Darstellenden Künste und eine große Leidenschaft
Hand aufs Herz! Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Figurentheater hören? Wahrscheinlich kommt vielen, zumindest denjenigen, die noch nie die »IMAGINALE« besucht haben, zuerst und ausschließlich die Augsburger Puppenkiste oder das Kasperle-Theater aus Kindertagen in den Sinn. So ging es vor 29 Jahren auch Katja Spiess, die nach ihrem Studium der Germanistik, Geschichte und der vergleichenden Literaturwissenschaften auf der Suche nach einer Dramaturgie-Stelle im Theater war. Im Bereich Tanz oder Schauspiel sollte es sein. Figurentheater hatte sie gar nicht auf dem Schirm, als ihr durch Zufall ein Job in der Pressestelle/Dramaturgie des FITZ, des Theaters animierter Formen, in Stuttgart angeboten wurde. Sie willigte ein, wollte maximal ein Jahr bleiben. Jetzt sind es 29 Jahre, 20 davon als Leiterin des FITZ und als Mitbegründerin des Festivals »IMAGINALE« im Jahre 2008, das zu den wichtigsten Figurentheaterfestivals in Europa gehört. Sie hat ihre berufliche Liebe dort gefunden, wo sie nicht im Traum darauf gekommen wäre, zu suchen. Die Leidenschaft ist bis heute frisch, wird geradezu ständig neu entfacht. Denn kaum eine Kunstform ist so innovativ und entwickelt sich so dynamisch wie das Figurentheater, sagt Katja Spiess. »Dies liegt an dem ungeheuren Potential an künstlerischer Veränderung und Weiterentwicklung, die im Figurentheater steckt, und an der inspirierenden Kraft, die von diesem Genre ausgeht. Der Fundus dieser virtuosen Kunst reicht vom zerknüllten Papier bis zur filigranen Marionette, von Masken bis zu Licht, Raum und Schatten, von der Stabpuppe bis zum Alltagsobjekt. Grenzüberschreitungen zu Schauspiel, Musik, Tanz und Pantomime sind inzwischen selbstverständlich und machen Figurentheater zu einer sehr zeitgemäßen Kunstform.
Mit Beginn des neuen Jahrtausends bewegen sich vor allem die jungen Theatermacher verstärkt auf die anderen Künste und die Neuen Medien zu. Sie definieren ihr künstlerisches Selbstverständnis nicht mehr im Kontext herkömmlicher Inszenierungs- und Aufführungstraditionen. Bildende Kunst, Performance Art, Musik, Film, Video werden in ästhetische und inhaltliche Strategien eingebunden, die interdisziplinärem Denken entspringen, und unbefangen zu verschiedensten künstlerischen Ausdrucksweisen vereinigt.« So wird auf der Homepage des FITZ mit Begeisterung geworben. Aber nicht nur die fantastische Bandbreite an Formen ist beeindruckend. »Figurentheater kann auf besondere Weise vom Menschen erzählen«, schwärmt Katja Spiess. Es greift die großen Menschheits-Themen auf: Das Leben in all seiner Schönheit und Mühsal, den Tod aber auch die große Politik. Es darf Schabernack treiben, in die tiefsten Abgründe schauen, frech und politisch unkorrekt sein. Und es darf Grenzen überschreiten, die Schauspielern aus Fleisch und Blut gesetzt sind. Man kann den Puppen unendlich viel zumuten. »Aber am Ende vergisst man, dass es Puppen sind und man könnte schwören, dass die Masken nicht starr gewesen sind, weil das Spiel einen emotional so tief berührt hat.«
Für die »IMAGINALE« wählt Katja Spiess alle zwei Jahre die spannendsten internationalen Figurentheaterinszenierungen aus. Sie fährt im In- und Ausland herum, um neue Stücke anzuschauen und besucht viele Festivals. Eigentlich sollte die 8. »IMAGINALE« bereits 2022 stattfinden, aber die Coronabedingten Unsicherheiten machten ein internationales Festival zu diesem Zeitpunkt unmöglich und es wurde um ein Jahr verschoben. Für die »IMAGINALE« 2023, die nun vom 02. bis 12. Februar 2023 stattfindet, konnte sie nur wenig reisen. Stattdessen hat sie viele großartige Künstlerinnen und Künstler angesprochen und nach neuen Arbeiten gefragt. So wird das 8. Festival animierter Formen auch eine kleine Wundertüte mit vielen Stücken, die dann zum ersten Mal zu sehen sein werden.
Die Heilbronner und ihr Theater: 40 Jahre Theaterneubau am Berliner Platz in Heilbronn »Ein Theater-Neubau ist kein Ereignis, sondern eine Verpflichtung zu einem Ereignis, das nur durch tägliche harte Arbeit erzielt werden kann: Theater.« – Friedrich Dürrenmatt
»Liebe Theaterfreunde! Heute habe ich Ihnen nichts Programmatisches zu sagen – nichts Ihnen ans Herz zu legen – Sie um nichts zu bitten. Keine Sorgen habe ich vor Ihnen auszubreiten – habe um nichts zu kämpfen, das bewahrt, durchgesetzt oder verhindert werden sollte – habe nicht um Ihre Aufmerksamkeit zu werben, um Ihre Behütung oder Ihre Mithilfe. Das wird sicher wiederkommen, liebe Theaterfreunde, wenn das neue Haus erst einmal Normalität und Arbeitsalltag geworden ist, und dann werde ich wieder vor Ihnen stehen mit Nöten und Notwendigkeiten. Heute habe ich nur eines – Ihnen zu danken, daß Sie alle – mit so viel Vertrauen – in so großer Zahl auf uns zugekommen sind, um dabeizusein, wenn wir um und für Leben spielen werden im neuen Theater Heilbronn. Ich würde Ihnen gerne applaudieren – wie Sie so oft uns – wenn die Feder Hände hätte. Ich werde arbeiten, daß Sie Grund haben, bei uns bleiben zu wollen in den kommenden Jahren im neuen Theater, verspricht Ihnen Ihr Klaus Wagner.« So schreibt der 1979 in sein Amt gewählte Intendant in der ersten Ausgabe der Theaterzeitung nach der Eröffnung des Theaterneubaus am Berliner Platz, dessen Geburtstag wir am 16. November 2022 zum vierzigsten Mal feiern dürfen. Er wusste, an wen er sich dankend zu wenden hat, nämlich an all jene, deren vehementer Arbeitseifer in ideeller wie in materieller Hinsicht diesen Theaterbau in einem entscheidenden Maße überhaupt erst ermöglicht hatte. Und das nicht zum ersten Mal in der Geschichte, nein, die Geschichte des Heilbronner Theaterlebens lässt sich nicht ohne die Geschichte seiner außergewöhnlich engagierten Bürgerschaft erzählen, die nicht etwa ein neues, sondern vielmehr alledrei zentralen Theaterbauten der Stadt – ganz zu schweigen von den unzähligen kleineren Bühnen, die als Übergangsstationen fungieren mussten – mit aufgebaut und mitgestaltet hat. Und Klaus Wagner wusste ebenso, auf wen er sich auch im schlimmsten Falle bittend verlassen kann: auf all jene, die in lebendiger Partnerschaft mit dem Theater gemeinsam das Bühnengeschehen dieser Stadt gestalten sollten.
Man sagt, dass der Schwabe mit dem Eintritt ins Schwabenalter, also mit vierzig Jahren, g’scheit würde. Nehmen wir also den vierzigsten Geburtstag des Theaterneubaus zum Anlass, zurückzublicken und zu prüfen, ob der vermeintliche Spätzünder wirklich erst jetzt ins Alter vernünftiger Reife eintritt – oder ob er nicht vielmehr, trotz des »Theaters um das Theater«, das integraler Bestandteil seiner Geschichte ist, schon weitaus früher weise war: Vor allem dann, wenn das Theater wagte, in dankende, bittende, sich gegenseitig fordernde und fördernde Beziehung mit seinem lebendigen Partner, der Heilbronner Bürgerschaft, zu treten.
Ein historischer Blick zurück, der immer auch ein lehrreicher Blick in die Zukunft sein kann.
Text und Recherche: Clemens Miersch Fotoauswahl und Recherche: Kea Leemhuis, Rebekka Gogl
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Heilbronn kann zurückblicken auf eine bis ins späte Mittelalter zurückreichende Theatertradition, die hier nur schlaglichtartige Betrachtung anhand der drei zentralen Bauten der Heilbronner Theatergeschichte – des Aktientheaters, des Fischer-Theaters und des Theaterneubaus am Berliner Platz – erfahren kann. Wurde Theater hier anfangs vor allem durch die Kirchen und die Zünfte belebt, gastierten spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg viele Wanderschauspieltruppen in Heilbronn, die sich zunehmend und gegen das Misstrauen der Obrigkeit in der Stadtgesellschaft etablieren und der Bevölkerung Bühnenkunst bieten konnten. Entscheidend zur Entwicklung der Theatergeschichte in Heilbronn trug die Erweiterung der Stadt nach Osten bei: Der Heilbronner Bürger Carl Christoph Braunhardt legte im Jahre 1817 jenseits der Stadtmauer – dort, wo sich heute die Harmonie befindet – einen Biergarten an, der 1819/20 um einen Gartensaal erweitert wurde. Dieser wurde zu einer wichtigen Spielstätte für die Wanderbühnen. In der Folge kauften die Bürgerschaft und die Stadt mit aus Aktien gewonnenem Kapital dieses Anwesen. Für Theaterkunst allerdings waren die baulichen Verhältnisse unzulänglich und so wurde erstmals der Ruf nach dem Bau eines Theatergebäudes laut, der an der Westseite des Aktiengartensaales erfolgen sollte. Im Jahre 1842 wurde die Stadt Heilbronn ersucht, diesen Bau nicht nur zu genehmigen, sondern auch finanziell mit zu stemmen. Gleichwohl der Stadtrat das Bauvorhaben genehmigte, stellte sich die Obrigkeit gegen eine Subventionierung vonseiten der Stadt. Erstmals in der Geschichte des Heilbronner Theaterlebens wird in ganz besonderem Maße deutlich, was immer wieder entscheidender Einflussfaktor sein sollte: das besondere Engagement der Heilbronner Bürgerschaft, wenn es darum geht, Theater als notwendigen infrastrukturellen und ideellen Bestandteil ihrer Stadtgesellschaft zu etablieren und zu bewahren. Selbst nach Absage finanzieller Unterstützung durch die Stadt ließen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht von dem Vorhaben abbringen. Sie kauften die Anteile der Stadt am Aktiengarten auf und übernahmen den Betrieb in ihre Hände. Damit räumten sie den Weg frei für die Genehmigung des Theaterbaus. Am 9. November 1844 wurde das Aktientheater schließlich eingeweiht. Hier konnte nicht nur eine Intendanz und ein festes Ensemble etabliert werden. Schauspiel-, Opern- und Operettenaufführungen sorgten für regen Publikumsverkehr und Heilbronn gewann nach und nach den Ruf, über ein herausragendes Stadttheater zu verfügen. Regelmäßigkeit kehrte in den Folgejahren in das Theatergebäude ein. Doch schnell wurde auch klar: Der Theaterbau, nun »Rumpelkasten« genannt, reichte in architektonischer Hinsicht nicht mehr aus, um den Ansprüchen neuzeitlicher Theaterkunst gerecht zu werden. Aus Brandschutzgründen wurde das Aktientheater 1903 geschlossen. Die das Gebäude verwaltende Harmonie-Gesellschaft konnte den Bau aufgrund hoher Kosten nicht selbstständig renovieren. So ging das Theater schließlich wieder in städtische Hand über. Doch der bereits im Jahre 1902 entstandene Wunsch nicht nur nach einem Umbau, sondern nach einem Theaterneubau, scheiterte vor allem am mangelnden Geld.
Im Mai des Jahre 1908 ruft der damalige Oberbürgermeister Paul Göbel schließlich zu Stiftungen und Darlehen für die Realisierung eines neuen Baus auf. Innerhalb kürzester Zeit sind 500 000 Mark zusammengetragen. Wiederum wird die enorme Spendenbereitschaft der Bevölkerung sichtbar. Selbst als die kalkulierten Kosten während der Bauphase nach oben korrigiert werden mussten, scheute man nicht zurück und auch die nun notwendigen 625 898 Mark werden zusammengetragen. »Erbaut von der Bürgerschaft 1912/1913« sollte am Ende ganz treffend die Inschrift am Theaterneubau lauten. Der Bau nach den Entwürfen des Architekten Theodor Fischer konnte beginnen: Am 9. Mai 1912 erfolgte die Grundsteinlegung; am 30. September 1913 wurde das Haus eingeweiht. Ihm sollte jedoch eine viel zu kurze Geschichte beschert sein: Nur 31 Jahre sollte es als Schauspielhaus dienen und dann sein Dasein gute 26 Jahre weitgehend als Ruine fristen. Nicht nur der im Jahre 1914 beginnende Erste Weltkrieg markierte eine Zäsur. Auch die Machtübernahme der Nationalsozialisten und der damit einhergehende Zweite Weltkrieg ließen die Blütejahre der Zwischenkriegszeit, die man am Fischer-Theater erlebte, verblassen. Am 28. Juni 1944 erfolgte die letzte Vorstellung. »Von jetzt ab gehört ihr mir!« sind die Worte, mit denen NSDAP-Kreisleiter Richard Drauz die Theatermacher im Anschluss an die »Nabucco«-Vorstellung zur Kriegsdienstpflicht ruft.
4. Dezember 1944, 19:22 Uhr: »Come in and bomb red TI’s as planned« – »Fliegen Sie ein und bombardieren Sie die roten Zielmarkierer nach Plan«. Der Funkspruch von Maurice A. Smith befiehlt die Bombardierung Heilbronns. 1260 Tonnen Bomben fallen und verursachen einen Vernichtungsgrad der Stadt von 62 Prozent. Auch wenn das alte Fischer-Theater die Luftangriffe vergleichsweise glimpflich überstand, unbrauchbar für den Spielbetrieb wurde es dennoch. Damit kündigte sich bereits eine lange Phase des Theaterspiels in Provisorien und Übergangsbauten wie auch des jahrzehntelangen »Theaters um das Theater« an. Auch wenn die Sehnsucht nach Theater die Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder ergriff und sich auch in konkreter Arbeit realisierte – zum Teil unter widrigen, aber auch die Kreativität notgedrungenermaßen beflügelnden Bedingungen, die der Qualität des Theaters nicht zwangsläufig einen Abbruch taten –, der Streit um die baulichen wie finanziellen Bedingungen eines Neu- oder Wiederaufbaus sollte sich vom Zeitpunkt der Zerstörung des Fischer-Theaters im Jahre 1944 bis zur Eröffnung des Theaterneubaus am 16. November 1982 beinahe so lange ziehen, wie wir heute Geburtstag des Neubaus feiern.
Bereits am 1. November 1945 gab das Heilbronner Künstlertheater, das vorrangig aus Mitgliedern des alten Stadttheaters bestand, im neubezogenen Trappensee-Saal seine erste Vorstellung. Die Tatsache, dass Brennholz als Eintrittspreis diente, verdeutlicht beispielhaft die missliche Lage kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Lange sollte der Trappensee-Saal auch nicht als Spielstätte dienen können: Das Theater musste einer Schule und Filmvorführungen weichen. In der Folge bezog das Theater den Saalbau »Zur Sonne« in Sontheim. Die Zuschauergunst minderte dies keineswegs. Ganz getreu dem damaligen Spielzeitmotto »Und neues Leben blüht aus den Ruinen« kamen in unmittelbarerer Nachkriegszeit allein in der ersten Spielzeit 75 202 Besucher, um eine der 214 Vorstellungen zu sehen. In den folgenden Jahren wandelte sich das Heilbronner Künstlertheater zum Neuen Theater Heilbronn. Doch auch im Sontheimer Provisorium endete am 2. April 1949 der Theaterbetrieb. So ganz ohne Theater wurden nun erneut die Stimmen lauter, die die Neugründung eines Theaters wünschten und die Hoffnung auf einen Wiederaufbau des alten Stadttheaters hegten. Auf der Suche nach weiteren Übergangsspielstätten trat eine Gruppe Theaterbegeisterter 1951 schließlich an den Ortsausschuss des Deutschen Gewerkschaftsbundes heran: Denn der große Saal des Gewerkschaftshauses war eine der wenigen verbliebenen, für Theateraufführungen geeigneten Räumlichkeiten. Der DGB gestand den Theaterenthusiasten sowohl Mittel wie Räumlichkeiten zu, die man – neben weiteren kleinen Ausweichbühnen – lange Jahrzehnte bespielten sollte. Der hohe Zuschauerandrang führte schließlich zur Gründung des Vereins »Kleines Theater Heilbronn e.V.« Der Spielplan wurde diverser; Gastspiele konnten gegeben werden. Zur Spielzeit 1954/55 wurde Walter Bison Oberspielleiter des Theaters, der ab der Spielzeit 1956/57 Intendant werden und die kommenden Jahrzehnte bis 1980 entscheidend prägen sollte.
Und das alte Fischer-Theater am Nordende der Allee? Entsprechend finanziellen Möglichkeiten lediglich teilweise wieder instandgesetzt, diente es als Probenort für das »Kleines Theater Heilbronn e.V.«, vorrangig aber auch als eine Unterkunft für die städtischen Ämter. Bereits 1952 forderten Mitglieder des Kleinen Theaters die Kommunalpolitik zum Wiederaufbau des Alten Theaters auf: Während eines Spektakels geisterten sie in den Trümmern des zerstörten Hauses und begannen symbolisch mit dem Wiederaufbau. Doch nicht nur ihre Stimmen wurden in den folgenden Jahren von Gemeinderat und Stadtverwaltung nicht gehört. Auch gegenüber einem Großteil der Bevölkerung, der sich einen Wiederaufbau wünschte, blieb man zunächst taub. Zunehmend entwickelte sich jedoch das Bewusstsein für die Frage nach einer Wiederbelebung eines zentralen Theaterbaus in der Stadt. Auch die kursorische Berichterstattung öffentlicher Medien wie der Heilbronner Stimme schärfte darauf ein. Unter diesem Druck gestand 1958 der damalige Oberbürgermeister Paul Meyle: »Der Wiederaufbau des Theaters kann nicht länger aufgeschoben werden.« Doch dem prinzipiellen Einverständnis des Gemeinderats musste er schon im Folgejahre entgegenhalten, dass kein für einen solchen Bau hinlänglich erfahrener Architekt gefunden werden konnte.
1960 nahm man schließlich zum auf Theaterbauten spezialisierten Hannoveraner Architekten Gerhard Graubner Kontakt auf. Ortsbesichtigungen der Ruine sowie die Erstellung eines Gutachtens erfolgten, das Graubner Mitte 1961 dem Gemeinderat vorstellte. Er sprach sich gegen einen Wiederaufbau aus und lieferte stattdessen das Modell für einen Theaterneubau an gleicher Stätte. Die FDP-Fraktion durchkreuzte diese Pläne und brachte einen anderen Standort am Bollwerksturm ins Rennen, was heftige Debatten zwischen ihr und der für den alten Platz am Nordende der Allee kämpfenden SPD lostrat. Freie Wähler, Christdemokraten und Liberale setzten sich schließlich 1962 gegen den Oberbürgermeister und die SPD durch: Graubner erhält keinen Planungsauftrag für den Bau – eine Entscheidung, die nur geringe Zeit später gekippt werden sollte. Ein kommunalpolitisches Hin und Her verzögerte die Entscheidung bis zur Vergabe des Planungsauftrags an Graubner Ende 1962. Kostenschätzung damals noch: 10,8 Millionen Mark. Doch einem zeitnahen Bau-, geschweige denn Spielbeginn erteilte Baudezernent Karl Nägele eine klare Absage. Absagen, die sich auch in den folgenden Jahren wiederholen sollten, und den Baubeginn stetig vertagten. Weitere Planungsentwürfe folgten: Einer inzwischen sowohl den Abbruch, die Außenanlagen und die Tiefgarage umfassenden 22,3-Millionen-Mark-Version folgte 1966 der abgespecktere 15,8-Millionen-Mark-Entwurf Graubners. »Ein guter Plan, aber für die Schublade«, so der Stadtrat der Freien Wählervereinigung Willy Schwarz. Im Jahre 1967 befeuerte erneut eine Umfrage der Heilbronner Stimme die Debatte, die ergab, dass eine klare Mehrheit der Befragten für einen Wiederaufbau und weniger für die Realisierung des Graubner-Baus votiere. Dem hielt Oberbürgermeister Hans Hoffmann entgegen: »Die Politik der Gemeinde sollte im Rathaus und nicht im ‚Heilbronner-Stimme‘-Haus gemacht werden!« Den ungebremsten Enthusiasmus der Heilbronner Bürgerschaft, in den Jahrzehnten nach dem Kriegsende bis zum schlussendlichen Neubau unermüdlich Spenden zu sammeln sowie Vereine und Initiativen zu gründen, die sich dem Ziel verschrieben hatten, ein eigenes Stadttheater fest im Stadtbild zu etablieren – etwa den Theater-Förder-Verein im Jahre 1968 unter Vorsitz des Kulturbürgermeisters Erwin Fuchs – , schmälerte dieses Politikdrama zu keiner Zeit. Bis November 1982 sammelte allein der Theater-Förder-Verein 2,6 Millionen Mark für einen neuen Theaterbau.
Im Jahre 1969 erfolgte dann per Gemeinderatsentscheidung die Auftragsvergabe an Gerhard Graubner. Der Weg zum Abriss des Alten Theaters war endgültig freigeräumt: Am 18. Juli 1970 um 16:40 Uhr wurde der Fischer-Bau gesprengt. Weit über 1000 Schaulustige erlebten, wie das Gebäude zu einem riesigen Schutthaufen zusammensackte. »Eine Stunde der Wehmut«, konstatierte der unermüdlich für das Theater kämpfende Bürgermeister Erwin Fuchs. Die Sprengung des alten Gebäudes blieb umstritten, der Wiederaufbau keine Option mehr. Und auch die weitere Planung und Umsetzung des Neubaus sollte noch die ein oder andere städteplanerische Hürde nehmen und viel kommunalpolitischen Zank über sich ergehen lassen müssen. Nur sechs Tage nach der Sprengung des alten Baus folgte die nächste Hiobsbotschaft: Architekt Gerhard Graubner ist tot. Die erneute Verzögerung des Bauvorhabens musste hingenommen werden.
Der Finger lag durchgehend mahnend im Finanzbuch der Stadt: Und so provozierten auch die steigenden Kosten, die Oberbürgermeister Hoffmann inzwischen auf 25 bis 30 Millionen bezifferte, weiter die Ablehnung des Graubnerschen Konzepts vonseiten der FDP, CDU und FWV; die Freien Wähler erhoben gar die Forderung nach einem Bürgerentscheid. Während die beiden Fronten stritten, starb der nächste »Vater« des Graubner-Baus: Thomas Münter, der schon unter Graubner für die Bühnentechnik verantwortlich zeichnete, schied 1972 aus dem Leben. Die weitere Planung oblag nun den beiden Architekten Rudolf Biste und Kurt Gerling.
In den beiden darauffolgenden Jahren legten die Fraktionen jeweils unterschiedliche Alternativkonzepte für den Theaterbau vor: Die CDU wollte kostengünstiger das Gelände der Kelter in der Gymnasiumstraße bebauen, die Freien Wähler das Gelände der Weingärtner-Genossenschaft. Mit den Stimmen der SPD, des Oberbürgermeisters sowie der FDP wird 1974 jedoch der Bau des Graubner-Entwurfs am Berliner Platz vom Gemeinderat beschlossen. Für eine weitere Verzögerung sorgte allerdings die mit der Bauplanung verbundene und 1976 abgesegnete Geradeausführung der Allee auf die Weinsberger Straße. Plötzlich erregte die kolportierte Gesamtkostensumme von 60 Millionen Mark Ärger – erneute Kostenrechnungen und Vorschläge günstigerer Theaterpläne zirkulierten. Ausgerechnet der Oberbürgermeister Hoffmann selbst trat 1977 mit einer neuen Idee eines Theater- und Kongresszentrums Harmonie auf. Der Graubner-Plan sei veraltet. Doch auch er, dafür heftig gescholten, konnte es nun nicht mehr ändern: Die Realisierung des Baus nach den Plänen Graubners – oder nun besser: den Plänen Graubners, Bistes und Gerlings – wird im Dezember 1977 knapp, aber mehrheitlich, beschlossen. Nach jahrzehntelangem Gezeter quittierte nun auch der Widerstand gegen den Theaterneubau. Der letztgültige Baubeschluss erging am 16. November 1978 durch den Gemeinderat; der erste Spatenstich folgte am 28. November 1979 durch Oberbürgermeister Hoffmann. Das Ende des »Theaters um das Theater« markierte bekanntlich die Eröffnung des Neubaus, dessen Geburtstag wir dieses Jahr am 16. November zum vierzigsten Mal feiern dürfen. Endbilanz: 67 285 000 Mark, samt Zusatzkosten; Kosten allein für den Theater-Bau: 54 729 000 Mark.
Hans Viehweg, Schauspieler und Regisseur am alten Stadttheater, nannte die Eröffnung begeistert »ein Jahrhundert-Ereignis.« Margot Winkler, frühere Opern- und Konzertsängerin, meinte: »Heilbronn kann stolz und glücklich sein über so ein Theater.« Zahlreiche von Euphorie getragene Stimmen ließen sich herbeizitieren. Und dennoch: Der Streit um diesen Theater-Neubau und die damit verbundenen gigantischen Geldsummen haben ihre Spuren hinterlassen. Man muss nicht einmal zwischen den Zeilen lesen und auf die Untertöne achten, um neben den zurecht gelösten und erleichterten Kommentaren auch zahlreiche (Er-)Mahnungen und Warnungen bezüglich des weiteren Fortgangs der Arbeit im neuen Stadttheater zu finden. Denn vor allem eines schien dem Theater aus der kostenschweren Realisierung seines Baus zu erwachsen: Verantwortung – in kultureller nicht minder als in ökonomischer Hinsicht. Zwischen Euphorie, Rechtfertigungsbedürfnis und Bringschulderklärung schillert das Vokabular. Intendant Klaus Wagner etwa formuliert: »Für uns, die wir dieses neue Theater verwaltend und gestaltend in die Zukunft führen sollen, ist dieses Theater natürlich nicht nur eine Freude, die wir genießen, sondern auch eine Verpflichtung. Es geht ja darum, nicht die Einmaligkeit, die uns jetzt so viel Interesse und so viele Interessenten beschert, als Erfolg und Ergebnis zu verbuchen, sondern es geht darum, die Zukunft und Normalität zu garantieren.« Unverhohlen gesteht auch Hans Hoffmann: »Eines möchte ich jedoch nicht verhehlen: Die Entscheidung für das heutige Projekt fiel zum Glück noch vor der Talfahrt in die Rezession. Unter den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen, den derzeitigen finanziellen Voraussetzungen, wäre solch ein Beschluss kaum mehr vorstellbar. Wir haben gerade noch rechtzeitig gebaut. Im Glauben an eine gute Zukunft, im Vertrauen auf eine langfristig gesunde Entwicklung.«
In der Tat: Die zweite Ölkrise und die anhaltende Konsolidierungskrise Anfang der 80er Jahre trafen die deutsche Wirtschaft hart. Auch den deutschen Theatern ging es vielerorts an den Kragen: Waren sie nicht unmittelbar von Schließungen oder Stellenabbau bedroht, so mussten sie doch die immer schwieriger werdende Aufgabe bewältigen, »den Balanceakt zwischen Kunst und Kommerz, Nötigem und Erstrebenswertem, Wagnis und Existenzsicherung souverän zu meistern«, wie der Journalist Joachim Schweller die Lage kommentierte. So bestand zumindest die Gefahr, dass hier die »freie Kunst« gegenüber ökonomisch bilanzierbaren Erfolgsquoten ins Hintertreffen gerät. Und in Heilbronn? Da verbuchte man seit Jahrzehnten nicht nur steigende Zuschauerzahlen – von den 1940er- bis zu den 80er-Jahren hatte sich die Zahl der Besucher pro Spielzeit verdoppelt –, sondern auch steigende Zuschüsse vonseiten der Stadt und des Landes. Und dennoch: In der Situation, in der andere Theater krisengebeutelt Klagelieder anstimmten, baute Heilbronn für 60 Millionen Mark ein neues Theater. Vielleicht ist hier auch der Ursprung jener alarmistischen Rhetoriken zu suchen, die sich rund um die Eröffnung in den Kommentarspalten formierten. Deutlich lässt sich da die Forderung herauslesen, man solle nun das politische Schmierentheater hinter sich lassen und sich stattdessen an anständige Theaterarbeit machen, die letztlich langfristig zu überzeugen weiß – eben durch eine dauerhafte Gewinnung und Bindung des Publikums durch kunstfertige Theaterarbeit. Die Ausreden waren nun ohnehin passé: Auf schwierige bauliche Umstände konnte man sich in diesem Haus mit »idealen Arbeitsbedingungen«, so Verwaltungsdirektor Jürgen Frahm, nicht mehr berufen, wenn es darum gehen sollte, Krisen zu rechtfertigen. Dass aber auch der modernste Stand der Technik nicht automatisch über die gelingende programmatische Ausrichtung des Hauses befand, war ebenso klar.
Offensichtlich ist: Mit ungetrübter Freude startete auch die Geschichte des neuen Stadttheaters nicht. »Heilbronn tat und tut sich schwer mit dem Theater«, konstatiert der Journalist und spätere Vorsitzende des Theatervereins Heilbronn Uwe Jacobi. »Und trotzdem wurde und wird es geliebt. Sonst wäre die kulturelle Tat, einen solchen Neubau auf den Berliner Platz zu stellen, nicht möglich gewesen.« Nun sei die Bevölkerung gefordert, »das Theater als ihr Theater anzunehmen«, so Erwin Fuchs. Auf die andere Seite dieser Wahrheit verweist Uwe Jacobi in der Heilbronner Stimme: »Nach den Bürgern«, die in vielfältiger Hinsicht diesen Bau ja überhaupt erst ermöglicht hatten, »ist es nun am Theater, zur kulturellen Tat zu schreiten.« Man wird es als lohnenswert zu wiederholenden Gemeinplatz werten können, dass die Entwicklung eines Theater nie ein Einbahnstraßenverkehr ist. Sie besteht nur in und durch das dynamische Miteinander sich gegenseitig ansprechender und anregender Partner. Vonseiten des Theaters hat man demnach vielleicht nicht in erster Linie zu beweisen, dass das Haus »sein Geld wert ist«. Vielleicht hat man in erster Linie dem Publikum, der Bevölkerung, die eben so viel Geld in die Hand genommen hat, um ein eigenes Theater in ihrer Stadt zu etablieren, etwas zu bieten, was man für Geld nun mal nicht kaufen kann, gleichwohl Geld dafür vonnöten sein wird; etwas, was nur Theater bieten kann, nämlich, eine genuine neue ästhetische Erfahrung zu machen. Das bedeutet sicher nicht, dem Publikum nach dem Mund zu reden, sondern es auch zu fordern. Das bedeutet aber sicherlich, das Publikum – vor allem ein Publikum, das, wie das Heilbronner, so persistent am Gedanken eines eigenen Theaters festgehalten hat und festhält, es nicht minder gefordert wie tatkräftig gefördert hat – ernst zu nehmen, es zu erheitern, zu unterhalten, seine existentiellen Erfahrungen in theatrale Bilder zu überführen und zu befragen. Ein Blick zurück auf die letzten 40 Jahre – zu dem wir Sie herzlich einladen – muss erweisen, wie das dem Theater Heilbronn gelungen ist. Man wird jedoch den Gedanken nicht los, dass die vermeintlich mit dem vierzigsten Lebensjahr einsetzende Vernunft dem Theater Heilbronn in lebendiger Partnerschaft mit seiner Bürgerschaft schon weit vorher beschieden war.
Es gibt einen Text von Walter Bison anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Heilbronner Volkbühne mit dem Titel »Die Bedeutung«, der immer noch so heutig und hellsichtig ist, dass er es verdient gehabt hätte, hier in Gänze zitiert zu werden. Bison schreibt darin: »Wie oft wurde das Theater totgesagt, wie oft wurde ihm der Untergang prophezeit. Wenn man das Theater zerstören könnte, so wäre es in den Bombennächten, wie die Mehrzahl seiner Gebäude, zugrundegegangen. Es lebte weiter, noch ehe seine Häuser, wie heute in fast allen Theaterstädten, wieder aufgebaut waren. Es fand zu neuen Formen in Zimmern und Scheunen. Das geschah nicht allein, weil das Verlangen nach Unterhaltung und Zerstreuung nicht zu unterdrücken ist, […] es geschah vor allem, weil im Theater von jeher ein Gesetz waltet, das wesenhafte Schichten des Menschen anspricht und sich aus tieferen Quellen tränkt. Unbeirrbar, immer seinem Ursprung treu, ruft das Theater zur Besinnung, zur Selbsterkenntnis, zum Geist. Es ruft heute in eine Zeit hinein, die berstend voll ist von verwirrenden, kaum greifbaren technischen Dingen, von Entwicklungen, Entdeckungen, deren Ziel der Mitlebende kaum begreifen kann und immer mehr zu fürchten lernt. Auch in dieser Zeit ruft das Theater wie durch die Jahrhunderte: ›Mensch, verliere Dich und Dein Wesen nicht!‹« Bison wusste nicht minder als die Heilbronner Bevölkerung: »Die enge Beziehung, die innere Bindung zum Menschen und zum Menschlichen macht das Theater zum geistigen Mittelpunkt einer Stadt.«
Kita-Workshop zum neuen BOXX-Stück »Von Maus und Mond oder Wer ist der Größte?«
Was machen denn so viele Kinder am Montagmorgen im Theater? Psst, zu viel dürfen wir nicht verraten, denn was sich hier abspielt, ist streng geheim. »Ihr seid heute unsere Experten«, erklärt die Theaterpädagogin Natascha Mundt den Kindern. Sie dürfen heute eine Probe eines Stücks sehen, das zuvor noch niemand gesehen hat. Für das neue BOXX-Stück ab 3 Jahren sind die Kinder genau die richtigen Kritiker, auf deren Meinung es ankommt.
Zum Kennenlernen setzt sich die Theaterpädagogin mit den Kindern in einen Stuhlkreis und lässt sie Mutmaßungen über das Stück anstellen. Vier der Kinder erzählen stolz, schon einmal im Theater gewesen zu sein. Der Titel des Stücks »Von Maus und Mond oder Wer ist der Größte?« weckt in einem Kind die Assoziation, dass Riesen in dem Stück vorkommen werden. Um Größe geht es allemal, und Natascha Mundt fordert die Kinder auf, sich der Größe nach aufzustellen, um herauszufinden, welche Kinder die Größten aus der Gruppe sind. Kurz darauf dürfen die Kinder noch einmal aktiv werden und vorführen, wie es aussehen würde, wenn es ganz heiß oder ganz kalt ist, wenn sie durch hohen Schnee stapfen oder eine Maus oder ein Hase wären. Mit dieser Übung werden die Kinder bestens auf das Stück eingestimmt, das im eisigen Kanada spielt. Auch die Kostüme von Nora Rebecca Wolff (»Eluki«) und Andreas Schlegel (»Jonas«) sind an das kühle Wetter angepasst. Die Schauspieler tragen mehrere Schichten dicker Kleidung und sind in Schal, Handschuhe und Mütze gepackt.
Die nächsten 20 Minuten dürfen die Kinder einen Ausschnitt aus dem Stück sehen. Ganz gespannt beobachten sie das Geschehen auf der Bühne, an manch einer Stelle ist es so spannend für den einen oder die andere, dass sich ein Kind nicht mehr auf dem Stuhl halten kann und im Stehen weiterschaut. Für Lacher sorgen vor allem die wilden Verrenkungen der Schauspieler, wenn es darum geht, wer der Größte der beiden ist, sowie Nora Rebecca Wolffs gekonnt vorgetragener »Hasendialekt«. Lustig wird es für die Kinder auch, als Eluki in ein Schneeloch fällt und nur noch die Fußsohlen aus dem Loch hervorragen. Angst hatten die Kinder nie, wie sie später in der Nachbesprechungsrunde versichern, jedoch gab es eine Stelle, an der sie gemeinsam mit dem Jungen Jonas zusammenzuckten, der eigentlich nur die Babyrobbe streicheln wollte, aber von seiner Begleiterin lautstark erschreckt wurde. In der Runde wird gemeinsam rekapituliert, was der Reihe nach im Stück geschah. Auf die Frage, wie es in dem Stück weitergehen soll, haben die Kinder sofort ein paar kreative Ideen parat: Die Geschichte soll »100 Jahre weitergehen«, »ein Einhorn soll sterben«, «das Eis soll trotz Sonne nicht schmelzen« und es sollen Iglus und Elfen darin vorkommen. Abschließend dreht sich alles um die Frage, ob es denn nun wichtig sei, wer der Größte ist. Ein Kind hat darauf die perfekte Antwort: Nein, das sei nicht wichtig, »die Größeren sind größer und deshalb stärker, aber die Kleineren sind noch stärker«.
Wein ist ein besonderer Saft. Er atmet Geschichte. Und mit jedem Schluck bekennt sich der Weinschmecker zum Genuss. Er dokumentiert Bodenständigkeit, Selbstbewusstsein, Feingefühl, Stil, Geschmack, Geist und neuerdings eben auch Zeitgeist sowie fließende Kenntnisse in Weinlatein.
Wer mit Weinliebhabern, Önologen oder Sommeliers über Wein spricht, versteht zuweilen nur Kauderwelsch. Da ist dann zum Beispiel von einem »adstringierendem Finish« die Rede, von einer »grasigen Blume« oder einem »fleischigen Körper«. Man kann dieses Wortgeklingel und die teils blumig-gespreizten Ausdrücke einfach nur amüsant finden. Doch was sich hinter dem vermeintlich überkandidelten Weinlatein auch verbirgt, ist ein natürlich gewachsenes Weinvokabular, das sich mit der Zeit entwickelt hat – nicht zuletzt aus der Not heraus: Wie beschreibt man einem anderen Menschen, was man gerade riecht, fühlt oder schmeckt?
Tatsächlich handelt es sich bei dem Weinlatein oft nur um eine, teils lautmalerische, Beschreibung von vergleichenden Geschmackseindrücken – ein Versuch, mit Worten und für andere zu beschreiben, was man eigentlich nur subjektiv erleben kann: Aromen, Odeurs und Geschmackskomponenten eines guten Tropfens, die die Nase oder die Papillen unter der Zunge gerade wahrnehmen. Zumindest sind der Fachwelt und Weinkennern bisher kaum Alternativen dazu eingefallen. Auch der Wein hat eben seine ganz eigene Sprache.
Abgang
Mit dem Abgang des Weines (auch Nachhall, Finish oder Finale genannt) wird der Nachgeschmack bezeichnet. Also jene Empfindungen, die die Aroma- und Geschmacksstoffe des Weins auf dem Gaumen hinterlassen. Er enthält je nach Rebsorte und Lagerung eine Fülle von Geschmacksnoten, die sich nach einem kurzen Moment im Mund entfalten.
Adstringierend
Adstringierend, von Lateinischen »adstringere« bedeutet »zusammenziehen«. Ein schwerer oder sehr säurehaltiger Wein wird als adstringierend bezeichnet, wenn sich im Mund aufgrund der Kombination von Säure und Tanninen sprichwörtlich alles zusammenzieht.
Alkohol
Bei der Gärung des Weins entsteht Alkohol. Der jeweilige Alkoholgehalt wird in Volumenprozent (Vol.-%) angegeben. Damit Wein seinen Charakter entwickeln kann, braucht er einen bestimmten Alkoholgehalt. Wein enthält in der Regel zwischen 9 und 14 Prozent Alkohol. Vergorener Most gilt erst dann als Wein, wenn er mindestens 8,5 Prozent Alkohol enthält. Ein zu niedriger oder zu hoher Alkoholgehalt wirkt sich zudem negativ auf den Geschmack aus.
Aroma
Mit dem Aroma ist die gesamte Vielfalt des Geschmacks und seiner Dufteindrücke gemeint. Wein hat bis zu fünfhundert verschiedene Aromastoffe, die unterschiedlich konzentriert vorkommen. Sie reichen von Frucht- und Kräuteraromen über Gewürze bis hin zu chemischen Substanzen wie Schwefel. Die Aromen haben ihren Ursprung in der Traube selbst oder entstehen bei der Gärung und im Ausbau.
Assemblage
Tatsächlich werden viele Weine nicht aus einer einzigen Rebsorte gekeltert, sondern aus teils bis zu vier (oder mehr) Rebsorten zusammengefügt. Dieses Verfahren heißt Assemblage oder auch Verschnitt. Assemblieren ist eine Kunst: Profis lassen durch den Prozess des Assemblierens höherwertige Weine entstehen, die sich durch Harmonie im Geschmack und eine gleichbleibende Qualität auszeichnen – sogenannte Cuvées. Bekannte Cuvées sind zum Beispiel der Rioja, Chateauneuf du Pape oder Chianti. Aber natürlich werden mit der Technik auch schon mal Farbe und Geschmack eines eher minderwertigen Weins korrigiert.
Ausbau
Als Ausbau wird die Gesamtheit der kellerwirtschaftlichen Arbeiten von der Phase der Gärung bis zur Abfüllung des Weins benannt. Er ruht nun im Stahltank oder Holzfass, um zu reifen. Hier entwickelt der Wein seinen Charakter, seine Struktur und Komplexität. Dieser Prozess kann abhängig von der Weinart, dem Jahrgang, der Qualität und dem Potenzial wenige Wochen bis zu einigen Jahren dauern.
Barrique
Das Barrique ist ein kleines Eichenholzfass, das 225 Liter fasst. Rot- oder Weißweine werden in ihm gelagert, um dem Wein ein Vanillearoma zu verleihen. Vor allem jüngere Fässer geben dem Wein einen intensiveren Vanillegeschmack. Aus Kostengründen werden mancherorts allerdings auch nur Eichenspäne dem Wein in einem Stahltank zugesetzt, um auf die kostspielige Fasslagerung zu verzichten und trotzdem das typische Aroma zu erhalten. Weine, die im Barrique ausgebaut werden, weisen aber einen höheren Gehalt an Gerbstoffen oder Tanninen auf. Spezielle Fassbauer sind in der Lage, durch Dauer und Intensität des Ausbrennens solcher Fässer (dem sogenannten »Toasting«), dem Wein eine einzigartige Geschmacksrichtung zu geben.
Blume
Die Blume ist, anders als das Aroma, nur der angenehme Duft, den ein Wein ausstrahlt. Er entwickelt sich im Glas, daher riechen Weinkenner vor dem Trinken gerne am Wein, um seine verschiedenen Aromen besser wahrzunehmen – schwenken entfaltet diese zusätzlich. Gleichermaßen wird hier auch von einem Bouquet gesprochen, das mit Attributen wie »feinfruchtig-blumig« oder »grün« bezeichnet wird. Die Grundlage des Bouquets findet sich in der jeweiligen Rebsorte und dem Reifegrad der Trauben. Sie verleihen dem Wein seine typische Charakteristik.
Chambrieren
Meint das langsame Aufwärmen des Rotweines auf Zimmertemperatur. Die Rotweine werden in der Regel aus dem kalten Keller in den Wohnraum gestellt und sollen hier ein paar Stunden vor dem Öffnen auf rund 18 Grad gebracht werden. Doch Vorsicht: Heute sind Wohnräume meist wärmer als früher und die Zimmertemperatur entspricht nicht der optimalen Trinktemperatur.
Dekantieren
Das Dekantieren meint das Umfüllen des Weins in eine Karaffe, die am Boden in der Regel weit und ausladend (»bauchig«) geformt ist und nach oben hin schmal verläuft. Das Dekantieren dient in erster Linie dazu, den Wein von dem Bodensatz (sogenanntes Depot) zu trennen, der sich nach langem Lagern in der Flasche gebildet hat. Ein weiterer Grund ist der Luftstrom, dem der Wein beim Umgießen ausgesetzt ist. In dem Fall spricht man allerdings vom Karaffieren: Der Wein soll dabei atmen und seine Aromen voll entwickeln. Der Geschmacksunterschied ist teils deutlich, hochwertige Rotweine werden daher häufig dekantiert und karaffiert. Richtig alte Weine können allerdings bei zu viel Luftkontakt »umkippen« und werden dann ungenießbar.
Grasig, grün
Mit grasig beschreibt das Weinlatein den Geschmack oder den Duft eines jungen Weißweines. Er zeigt deutliche Aromen von frischem Gras. Auch der Begriff »grün« oder »grasig-grün« wird hierbei häufig verwendet. Ein typischer Vertreter dieser Aromen ist die Rebsorte Sauvignon Blanc.
Jungwein
Der Jungwein ist ein Wein, dessen alkoholische Gärung noch nicht abgeschlossen ist, er wurde noch nicht von der Hefe getrennt.
Lage
Wie bei Immobilien gilt auch beim Wein: Lage, Lage, Lage. Die Lage eines Weinanbaugebietes entscheidet maßgeblich über die Qualität der Reben und den Geschmack des Weines. Entscheidend sind hierbei die Sonneneinstrahlung, die Wasserdurchlässigkeit der Böden, die Temperaturen bei Tag, aber auch bei Nacht, sowie ob es sich um eine Höhen- oder eine Hanglage handelt.
Lüften
Mit dem Lüften ist im Weinlatein das Entkorken eines Rotweins gemeint. Die Flasche wird dabei rund ein bis zwei Stunden vor dem Einschenken geöffnet, der Wein kann in der Flasche atmen und entfaltet in dieser Zeit sein Bouquet.
Reinsortig
Von reinsortigen Weinen spricht der Winzer, wenn ein Wein nur aus einer einzigen Traubensorte besteht. Reinsortige Weine werden als Weiß- und Rotweine hergestellt. Aber Achtung: Reinsortiger Wein darf immer noch bis zu 15 Prozent andere Trauben enthalten.
Restzucker
Der nach der Gärung im Wein zurückgebliebene Zucker wird Restzucker genannt. Ein Wein wird als »trocken« bezeichnet, wenn der Restzucker unter 9 Gramm pro Liter (und der Gesamtsäuregehalt bei maximal 2 Gramm pro Liter) liegt. Als »halbtrocken« gelten bis zu 18 Gramm pro Liter (Gesamtsäureanteil nicht mehr als 10 Gramm pro Liter). Als »lieblich« wiederum gelten Weine mit bis zu 45 Gramm pro Liter, »süßer Wein« hat hingegen über 45 Gramm Restzucker pro Liter.
Säure
Neben dem Restzucker und dem Alkoholgehalt ist die Säure das Rückgrat des Weins. Sie bestimmt seine Struktur und Haltbarkeit. Abhängig von der Sorte und Reife der Trauben liegt der Säuregehalt des Weins zwischen 3 und 16 Gramm pro Liter. Als Faustregel gilt: Je wärmer das Anbaugebiet, desto geringer ist der Säuregehalt im Wein.
Schwer
Als schwer werden extraktreiche und stark aromatische Weine bezeichnet. Sie weisen in der Regel einen hohen Alkoholgehalt auf und haben eine sättigende Wirkung.
Tannine
Auch Gerbstoffe genannt, sitzen in den Kernen, Stielen und Schalen der Traube. Abhängig von der Konzentration schmeckt Tannin leicht bitter und hinterlässt ein pelziges Gefühl auf der Zunge. Im Weißwein ist Tannin ein unerwünschter Stoff, während er im Rotwein zum besseren Aroma beiträgt. Tannine verhindern die frühe Oxidation des Weines und machen es so möglich, dass Rotweine länger gelagert werden können.
Terroir
Im Grunde heißt Terroir nur »Gegend«. Die Übersetzung wird dem Begriff allerdings nicht gerecht. Terroir umfasst mehr, es beschreibt Eigenschaften oder besser gesagt den Charakter eines bestimmten Gebiets, einer Region und welchen Einfluss etwa das Land, der Boden und das Mikroklima auf die dort angebauten Weinreben haben. Neben der Rebsorte erhält der angebaute Wein gerade durch das Terroir seinen ganz eigenen Charakter. Und je kleiner das Gebiet und je knapper die dort hergestellten Weine, desto exklusiver – bestes Beispiel: der Champagner aus der Champagne.
Viskosität
Bezeichnet die Zähflüssigkeit des Weins. Sie deutet auf einen höheren Zucker- bzw. Alkoholgehalt im Wein hin. Die Viskosität überprüft man, in dem man das Glas bis zu einem Drittel füllt, leicht schräg hält und dann beobachtet, wie schnell der Wein am Glasrand zurückfließt. Gelegentlich lassen sich hier auch sogenannte Kirchenfenster in der Verlaufsstruktur wahrnehmen. Sie deuten auf einen hohen Glyzerin-Gehalt hin.
Weinstein
Ist der Trivialname für das Kalium- oder Calciumsalz der Weinsäure. Er setzt sich am Boden oder am Korken der Flasche ab und wird oft fälschlicherweise als Zucker angesehen. Im Mund fühlt er sich wie scharfkantiger Sand an und schmeckt leicht säuerlich, die Weinqualität beeinträchtigt er aber nicht.
Die niederländische Compagnie Woest hat eine eigene Bewegungssprache geschaffen, in der sie immer auf der Suche nach Humor, nach den Zufällen und der Wiedererkennbarkeit des Alltags und nach dem Absurden ist. Sie agieren nicht nur auf der Bühne und lassen das Publikum zuschauen, sondern sie beziehen es in die Inszenierung mit ein. Mit ihren Performances wollen sie alltäglichen Situationen einen neuen Charakter geben und in der Spannung zwischen Erkennbarkeit und Abstraktion, Zugänglichkeit und Virtuosität, Erzählung und Technik den Zuschauenden etwas über den Menschen, vielleicht sich selbst, erzählen.
Das Publikum ist auch in »Balancing Bodies«, das ab vom 19. -21. Mai 2022 in Heilbronn zu erleben ist, eingeladen, auf unbeschwerte Art ein Teil dieser Performance zu werden. Die Besucher nehmen auf rollenden Bürostühlen Platz, während sich um sie herum die vier Tänzerinnen und Tänzer der Amsterdamer Compagnie Woest bewegen ̶ mal im Gleichschritt, mal zu zweit eng umschlungen, mal wild, mal zart. Die Zuschauer müssen immer wieder ausweichen auf ihren Stühlen, manchmal werden sie auch ein Stück geschoben. So werden sie nach und nach Teil der Inszenierung, ohne vorgeführt zu werden, sondern machen ganz selbstverständlich mit, während sie sich in einem ein tänzerisch, akrobatischen Spiel befinden. Aus ihren Körpern setzen die Performer unterschiedliche Figuren zusammen, stabilisieren sich zunächst durch die Stühle und später durch spontane menschliche Kraft der Zuschauenden. Inhaltlich werden gesellschaftsrelevante Themen wie Burnout und Verletzlichkeit aufgegriffen, die von gemeinschaftlichen Gesten und Wertevorstellungen wie sozialer Verantwortung und Empathie eingerahmt werden. Wie das aussehen kann, wird hier nicht verraten, denn es ist vom 19. bis 21. Mai in der Boxx zu erleben. Das Programm eignet sich zudem sehr gut für Kinder und Schulklassen, die keine Angst haben, mit den Performern in Kontakt zu treten, denn genau dafür wurde »Balancing Bodies« inszeniert. Die Vorstellung lässt im gemeinschaftlichen Erleben die Gefühle aus unbeschwerten Kindertagen wieder aufleben und lädt am Ende zu einer Geburtstagsparty ein, deren Stimmung die Beteiligen im Anschluss an die Vorstellung beschwingt nach Hause trägt.
Am Samstag, den 21.05.2022 um 19.30 Uhr erwartet euch ein ganz besonderer, surrealer und höchst poetischer Tanzabend im Großen Haus. Die berühmte spanische Kompanie »La Veronal« zeigt das Stück »Sonoma«. Inspiriert durch den künstlerischen Kosmos des Filmemachers Luis Buñuel entwickelt der Choreograf Marcos Morau dieses Werk als Hommage an die spanische Kultur. Tanz, Musik und Poesie verschmelzen zu vieldeutigen Bildern einer schönen und fremdartigen Traumwelt, in der die Entwicklung der Frauen vom späten Mittelalter hin zu selbstbewussten Individuen gezeigt wird. Dem schwindelerregenden Tempo des modernen Lebens ausgesetzt, gleiten die Frauen wie Aufziehpuppen über die Bühne. Dominiert von prachtvollen Szenen und Gesängen strebt dieses rein weibliche Kollektiv aus der Tradition in die Moderne und befreit sich mit lauten Trommelschlägen und Schreien aus den Fesseln des Konformismus. Kraftvoller Körpereinsatz trifft hier auf außergewöhnliche Schönheit.
Der spanische Choreograf Marcos Morau gründete 2005 das Kollektiv »La Veronal«. Diese außergewöhnliche Kompanie vereint Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Tanz, Film, Fotografie und Literatur. Gemeinsam erschaffen sie beeindruckende Bilder von ungewöhnlicher Schönheit, symbolträchtige Welten aus Bewegung, Kunst, Architektur, Text und Musik. Als jüngster Preisträger erhielt Marcos Morau 2013 den Nationalen Spanischen Tanzpreis und ist heute einer der gefragtesten Choreografen Europas. Sein Ensemble genießt international großes Ansehen und ist regelmäßig auf allen wichtigsten internationalen Tanzfestivals vertreten und in diesem Jahr zum ersten Mal auch bei »Tanz! Heilbronn« zu sehen.
In dieser Spielzeit wagt sich unser gesamtes BOXX-Team an ein ganz besonderes Experiment: Eine Stückentwicklung, an der alle Mitwirkenden gleichberechtigt teilhaben und sich einbringen, und bei deren Entstehung auch mehrere Schulklassen eine besondere Rolle spielen. Dieses »BOXX|Labor« steht unter dem Thema »Meine Kultur. Deine Kultur. – Passt das zusammen?«. Wie funktioniert dieses theatrale Labor? Was haben die Schulklassen damit zu tun? Und was ist überhaupt Kultur?
Was ist Kultur? Diese Frage stand zu Beginn der Arbeit am »BOXX|Labor«. Gemeinsam mit der Leiterin des Jungen Theaters Nicole Buhr, der Regieassistentin Stefanie Roschek und der Dramaturgin Deborah Raulin erkundeten die BOXX-Schauspielerinnen und -Schauspieler Rouven Klischies, Andreas Schlegel und Nora Rebecca Wolff die Ursprünge, Eigenheiten und Merkmale von Kultur allgemein und von ihrer eigenen Kultur. Los ging alles mit einem gemeinsamen Essen im September 2021, bei dem alle Gerichte aus ihren Heimatregionen besteuerten – denn auch Essen kann Kultur sein! Über unzählige Diskussionen, Improvisationen und Recherchen, das Lesen von wissenschaftlichen Texten, das einander Zuhören und Zuschauen, das Einfangen und Weiterdenken von Ideen haben sie das Thema von allen Seiten beleuchtet und in eine sinnliche Theatersprache übersetzt. Alle konnten sich gleichberechtigt mit ihren Gedanken, szenischen Ideen und selbstgeschriebenen Texten einbringen.
Die Idee hinter diesem Theaterexperiment war der Wunsch von Nicole Buhr und der Abteilung Theaterpädagogik, einen neuen Raum für Austausch mit dem Publikum zu schaffen und ein Stück zu entwickeln in engem Kontakt zu denen, die dieses dann später auch ansehen werden. So kann auch das berücksichtigt werden, was das Publikum beschäftigt. Was denken Jugendliche über das Thema? In Anlehnung an die Lehrpläne der Schulen und aktuelle Diskurse viel die Wahl für die Thematik des ersten »BOXX|Labor« schnell auf Kultur. Die Schulklassen beschäftigen sich zum Beispiel im Ethik- oder Geschichtsunterricht mit den Fragen: Was macht Kultur aus? Wie entstehen und entwickeln sich Kulturen?
Vier Schulklassen mit Schülerinnen und Schülern ab 12 Jahren haben im Rahmen von »BOXX|Labor« Workshops zum Thema Kultur besucht, die unsere Theaterpädagoginnen gemeinsam mit dem »BOXX|Labor«-Team durchgeführt haben. Auch in diesen Workshops wurde zunächst einmal gesammelt, was die Schülerinnen und Schüler mit dem Begriff ›Kultur‹ verbinden. Dann haben sich die Klassen in Kleingruppen mit den Hauptfragen beschäftigt, die sich auch das Team selbst zu Beginn der Stückentwicklung gestellt hatte: Was mag ich an meiner Kultur? Was mag ich nicht an meiner Kultur? Was gibt es für Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kulturen? Durch den Austausch mit den Schülerinnen und Schülern konnten deren Gedanken und Wünsche gehört und in die Stückentwicklung einbezogen werden. Hierbei kamen neben vielen Überschneidungen des Kulturverständnisses auch immer wieder neue Ideen dazu.
Die Schulklassen werden dann auch eine der Vorstellungen besuchen, die immer ein Diskussions- und Reflexionsgespräch beinhalten. Das Team des »BOXX|Labor« ist schon ganz gespannt auf das Feedback der Schülerinnen und Schüler! So viel ist bereits sicher: Alle Beteiligten haben viel über das Thema Kultur gelernt. Und in der nächsten Spielzeit wird es ein weiteres »BOXX|Labor« geben, dann zu einem neuen Thema.
Vorstellungstermine »BOXX|Labor1: Meine Kultur. Deine Kultur. – Passt das zusammen?«
Als 1895 H.G. Wells‘ »Die Zeitmaschine« erschien, herrschte in England das viktorianische Zeitalter, die industrielle Revolution ließ Großbritanniens Wirtschaft aufblühen, das Land galt als Vorreiter in Sachen Technologie. Die Fortschrittsgedanken prägten natürlich die Geschichte und die Idee, in der Zeit zu reisen. Heute gilt der Science-Fiction-Klassiker als ein Schlüsselwerk zur Entstehung des Steampunk, der in seiner Ästhetik das Viktorianische England aufgreift. Das findet sich auch im Bühnenbild von Ausstatter Daniel Unger in der Inszenierung von Brian Bell wieder.
Der Raum, in den der Zeitreisende sein Publikum einlädt, ist von dieser Epoche geprägt. Ausstatter Daniel Unger hat ihm ein Laboratorium im Stil einer Wunderkammer gegeben. Der Zeitreisende ist ein Suchender und Forschender, den die Neugier antreibt, zu wissen, wohin sich die Menschheit entwickelt und wie sie entstanden ist. Eingerahmt wird der Raum von Regalen, in denen zahlreiche wundersame Objekte stehen, die auf seinen Forschungsdrang hindeuten, seinen Willen, die Menschheit zu verstehen, widerspiegeln. Er ist umgeben von einer Sammlung, die Biologie, Evolution, Anthropologie und andere Kulturen abbildet, mit denen der Zeitreisende die Entwicklung der Menschheit erforscht – kombiniert mit Maschinen, mechanischen Konstruktionen, die auf seinen Erfindergeist verweisen. Viele dieser Objekte konnte die Requisitenabteilung aus dem Fundus beisteuern. Was Requisiteurin Silke Bertsch dort nicht finden konnte, hat sie eigens in liebevoller Handarbeit hergestellt. So sind eigentümliche Maschinen und Objekte entstanden, deren Funktion geheimnisvoll bleibt. Für Freunde des Steampunk ist es eine Freude, die Objekte zu betrachten, die der Zeitreisende um sich versammelt. Eine schöne Reminiszenz an dieses Kunstgenre.
Doch Daniel Unger hat mit der Wunderkammer nicht nur ein wundersames Sammlungskabinett geschaffen, sondern sie auch mit ihrer Wandlungsfähigkeit zu einer solchen gemacht. Denn hinter den Regalen befindet sich eine andere Realität, die an dieser Stelle noch nicht verraten werden soll.
Was sich hinter den Regalen verbirgt und wie das Ensemble in der Zeit vor- und zurückreisen wird, dass seht ihr ab dem 19. März bis 16. April 2022 im Komödienhaus.